Oha, was hat sie jetzt schon wieder für eine Idee? Diesen Spruch kennt Katharina von Lingen nur zu gut. Meist begleitet ihn jedoch ein Augenzwinkern. Denn jeder weiß: Bei der Idee bleibt es nicht. Und was zunächst in ihrem Kopf spukt, erleichtert schon bald ganz real die Arbeit auf ihrer Reitanlage „Horse Competence“ in Osterholz-Scharmbeck bei Bremen. Dort bietet die 38-Jährige rund 40 Pensionspferden ein zu Hause.
Ihr Ziel: Die Verbindung von artgerechter Pferdehaltung und optimalen Trainingsbedingungen. Dafür tüftelt Katharina von Lingen ständig an pfiffigen Lösungen. Mit Erfolg: Pferde fühlen sich bei ihr einfach rundum wohl. Ihr Engagement zeichnete CAVALLO in diesem Jahr mit dem Fairness Award in der Kategorie „Stall“ aus. In der ersten Folge der neuen Rubrik „Stall-Runde“ stellen wir Ihnen die pferdefreundliche Anlage der Preisträgerin vor. Gehen Sie mit, und erfahren Sie, wie Katharina von Lingen Stress in der Herde vorbeugt, sich mit einfachen Tricks schwere Arbeiten wie Misten erleichtert und warum über ihren Hof täglich ein Golf-Cart brettert.
Die erste Station des Rundgangs: der Aktivstall für Pferde. Hier leben 17 Pferde vom Isländer bis zum Oldenburger im Offenstall nach dem HIT-Konzept. Das setzt auf viel Bewegung und individuelle Fütterung nach Programm. Jedes Pferd trägt dafür einen Chip im Hals, an dem der Automat es erkennt und die Ration grammgenau dosiert. Katharina von Lingen: „Die stark frequentierten Bereiche um die Futterstation waren immer nur schwer sauber zu halten. Unsere Lösung: rutschfeste Gummimatten statt Sand.“
Eine Variante der Gummimatten mit Gittermuster hilft auch bei ihrem größten Problem: Durch die Hanglage des Hofs spült es den Bodenbelag bei starkem Regen einfach weg. Auf den oft genutzten Laufwegen verlegte ihr Mann Christoph deshalb die Matten: „Darunter befindet sich Schlacke. Gras würde das Wasser zwar besser abtransportieren, aber es ist zu weich als Untergrund und die Pferde würden die Matten durchtreten.“ Die etwa drei Quadratmeter großen Stücke sind mit einfachen Kabelbindern verbunden und bilden so kleine Straßen.
„Das ist Marke Eigenbau, hält aber erstaunlich gut.“ Die von Lingens gaben noch mehr Gummi – in der Kraftfutterstation. „Manche Pferde hatten schnell raus, dass noch ein paar Körner mehr im Trog landen, wenn sie mit dem Huf dagegen schlagen. Das nervt akustisch, schadet den Hufen und dem Trog. Der trägt jetzt als Schutz einen Gummimantel“, erzählt Katharina von Lingen.















Horse Competence Futterkonzept
Damit die Pferde ohne Stress in der Futterstation ihre Ration fressen können und drängelnde Kollegen am Ausgang nicht nerven, gibt es einen abgeschirmten Gang mit zwei Toren. Das sorgt für mehr Harmonie in der Herde. Aus der Futterraufe mit Stroh fressen alle nebeneinander ohne Neid, so viel sie mögen. Was die Pferde jedoch nicht davon abhielt, den oberen Holzrand anzuknabbern. Darauf liegt nun eine Kante und bildet einen bissfesten Abschluss.
„Eine günstige Lösung. Die Kanten gibt es bei jedem Landmaschinenhändler; sie sind eigentlich für Anhängerklappen gedacht.“ Bei Heu und Kraftfutter steuert ein Computer Menge und Fressdauer. Die Pferde fressen in einzelnen Abteilen. „Das ist zwar praktisch, aber besonders die neun Pferde, die viel Heu brauchen, standen deshalb oft stundenlang zwischen den Gittern der Futterstation“, sagt Katharina von Lingen. Für diese Tiere baute sie ein Extra-Futterhaus. „Dort bekommen sie rund um die Uhr Heu, futtern in Gesellschaft und können sich bewegen.“ Clever: Für das Futterhaus nutzt sie die gleiche Schleuse, die den Zugang zur Weide regelt. Ob die Pferde eintreten dürfen oder nicht, erfasst der Sensor.
„Wir versuchen immer wieder die Balance zu finden zwischen der Natur des Pferds und dem Punkt, an dem wir als Halter eingreifen müssen“, sagt Katharina von Lingen. Ihre Philosophie: Pferde sollen im Aktivstall Horse Competence so natürlich wie möglich leben mit Artgenossen, Licht, Luft und Bewegung. Aber nicht um jeden Preis. „Mir ist wichtig, dass sie 365 Tage im Jahr eine trockene Liegefläche haben und nicht 24 Stunden am Tag raus müssen ohne Insektenschutz oder Schatten.“ Der Spruch „in der Natur gibt es das doch auch nicht“, gilt bei ihr nicht. „Schließlich greifen wir in die Natur des Pferds ein, wir reiten es, machen die Hufe, füttern ...“
Jedes Pferd differenziert zu betrachten, zeichnet von Lingens aus. Nicht für alle ist ein Offenstall die beste Lösung. Deshalb entschied sich Katharina von Lingen, Paddockboxen zu bauen. Dort geht die Stall-Runde weiter: Die Boxen befinden sich im gleichen Komplex wie die Reithalle. Die ist durch eine zusätzliche Lichtleiste in der Dachmitte besonders hell. „Der Architekt meinte erst, so was hätte er ja noch nie gebaut, ob wir das wirklich wollen. Mittlerweile kommen sogar extra Leute her, die sich unsere Deckenkonstruktion anschauen und nachbauen“, sagt Christoph von Lingen.
Die Boxenpferde kommen täglich auf die Weide. Ein Treibgang führt dorthin. Das spart Zeit. „Stürmen ist aber nicht angesagt. Jedes Pferd geht einzeln hindurch in einer gut durchdachten Reihenfolge“, sagt die Stallchefin. Auslauf bieten zudem Paddocks vor den Boxen, die sich immer zwei Pferde teilen. Vorteil: Die Pferde haben eine größere Fläche und können sich gefahrlos wälzen. „Der Sandboden macht zwar mehr Arbeit, aber die Freude der Pferde beim Wälzen wiegt das auf.“ Zwischen Paddock und Box sind 26 Zentimeter hohe Holzschwellen. So schleppen die Pferde kein Stroh mit raus.
Aber auch aus der Box muss das Stroh irgendwann wieder raus – und zwar als Mist. „Ich wollte keine Matratzenstreu. Der Weg zum Misthaufen ist bei uns jedoch sehr weit. Es hat immer ewig gedauert, mit den Karren über den ganzen Hof zu laufen, um sie kurz zu leeren“, berichtet Katharina von Lingen. Die Lösung waren zwei Mistcontainer. Die lassen sich ohne viel Kraft direkt vor die Boxen schieben und später mit dem Traktor ausleeren. „Mit zwei Containerladungen sind alle Boxen sauber.“
Bleiben noch die zahllosen Pferdeäpfel im Offenstall und auf den Koppeln, die täglich abgesammelt werden. Bei Hanglage und Weideflächen von 10,5 Hektar (1 Hektar = 10 000 Quadratmeter) war das eine nie endende Arbeit. Die nahmen die von Lingens auf sich, um Würmern vorbildlich Paroli zu bieten. Das geht nun leichter, seit der liebste Helfer der von Lingens über den Hof düst: der „Brumm Brumm“. Auf der Ladefläche des umgebauten Golf-Carts sammeln sich die Pferdeäpfel. Die Investitionen in die Technik haben sich gelohnt. Dank Mistcontainer, Golf-Cart und elektrischer Karre schafft es ein einziger Angestellter, die Anlage blitzblank zu halten.
Der Dank für den ständigen Einsatz gegen Würmer und Stress in der Herde sind gesunde Pferde. Katharina von Lingen: „Unsere Pferde benötigen wenig Wurmkuren und selbst Kandidaten, die als chronisch schwerfuttrig galten, stehen meist schon nach kurzer Zeit gut im Futter.“ Jeden Abend nimmt sich die Chefin zwei Stunden Zeit und schaut persönlich nach jedem Pferd.
Die Einsteller bleiben dem Hof treu. Im Schnitt wechseln nur etwa ein bis zwei Pferde pro Jahr den Stall, eine ungewöhnlich niedrige Zahl bei so vielen Pensionspferden. Wie schaffen die von Lingens das? „Wir wählen unsere Leute sorgfältig aus, fragen viel, bevor sie kommen“, erzählt Katharina von Lingen, die studierte Sozialpsychologin ist. „Bei uns steht klar das Pferd im Vordergrund. Für die Menschen gibt es nicht einmal ein Reiterstübchen. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, herrscht eine angenehme Atmosphäre.“
Dafür zu sorgen, ist nicht immer leicht. Einsteller im Ernstfall auch mal rauszuschmeißen, bezeichnet sie als ihre schwierigste Aufgabe. „Neue Ideen auszutüfteln, fällt mir hingegen leicht“, sagt Katharina von Lingen. Bei Problemen den Kopf in den Sand zu stecken, kommt nicht in Frage. Erst recht nicht, wenn dieser bei einem heftigen Regenschauer am Hang davon fließt, wie kurz vor dem CAVALLO-Besuch. Dafür findet die Stallchefin bestimmt eine Lösung. Mit dem Element Wasser hat übrigens auch ihr größter Wunsch zu tun: eine eigene Pferdeschwemme.






Eckdaten
Kontakt: Horse Competence
Katharina von Lingen
27711 Osterholz-Scharmbeck
www.horse-competence.de
Haltung: Platz für 17 Pferde im Aktivstall und 29 Paddockboxen Anlage: Reithalle (20 x 40 Meter), drainierter Außenreitplatz (25 x 55m), winterfester Roundpen. Putz- und Waschplätze, Anhängerstellplätze, beheizte Sattelkammer
Preis: 375 Euro für Paddockboxen, 325 Euro für Aktivstall
Freie Plätze: nach Warteliste














