Freiheitsdressur mit Anne Krüger
Anne und das liebe Vieh

Schäferin Anne Krüger-Degener hat den direkten Draht zu Tieren. Sie dirigiert Pferde, Hunde, Schafe und Ziegen mit feinsten Signalen. Wie das geht? Redakteurin Melanie Tschöpe hat es für Sie herausgefunden.

2 CAV Anne Krüger
Foto: Udo Schönewald
1 CAV Anne Krüger
Udo Schönewald
Anne Krüger und ihr Nachwuchsstar Don’t Touch. Der dreijährige Hengst vom Gestüt Birkhof legt sich brav überall hin.

Hingehen, antippen, und – schwupps – schon liegt er da. So einfach ist es also, ein Pferd abzulegen. Zumindest, wenn Württemberger Don’t Touch, kurz Don, und seine Besitzerin Anne Krüger-Degener am Werk sind. Der dreijährige Hengst ist der Nachwuchsstar der berittenen Schäferin, die bei Shows das Publikum mit ihren Hunden, Ziegen und einem Pferd begeistert.

Unsere Highlights

Davon weiß Don noch nichts. Der schwarze Schönling hat bis eben gegrast und lässt sich jetzt am Boden in aller Seelenruhe den Rücken kraulen, während seine Besitzerin über ihn lehnt und ihn verliebt ansieht. Beiläufig achtet sie darauf, dass der Hengst selbst dann liegen bleibt, als ein Sattelzug an der Weide vorbeifährt. Ein kurzes „Nein“ und ein Gertensignal – und der Hengst bricht den Versuch aufzustehen sofort wieder ab. Anne Krüger krault weiter, grinst breit und schwärmt, was ihr Don mal für ein tolles Pferd wird.

Weitere Artikel zum Thema "Freiheitsdressur" finden Sie hier:

Anne Krüger - Die berittene Schäferin

2 CAV Anne Krüger
Udo Schönewald
Schon 2002 demonstrierte Anne Krüger den CAVALLO-Lesern, wie berittene Schäferei funktioniert.

Es ist Lammzeit, und der Hof hallt wider vom tiefen „Mööhhh“ der Mütter und dem quietschenden „Määähh“ der neugeborenen Lämmer. Das Stimmengewirr ist das einzig Chaotische an diesem sonnigen Morgen. Der Hof, die Häuser und Stallungen – alles perfekt gepflegt, sauber und aufgeräumt. Wenige Deko-­Objekte, liebevoll ausgesucht, schmücken die Blumenbeete. Anne Krüger und ihre angestellten Trainerinnen tragen alle die gleichen Reithosen; jeder weiß, was er zu tun hat, und erledigt das ohne viel Aufheben.

Auch die Schäferin funktioniert perfekt: Neben 250 Mutterschafen, einem Dutzend ­Hunden, neun Pferden, Walliser Schwarzhalsziegen, Geflügel sowie verschiedenen Katzen kümmert sich Anne Krüger um ihre Tierschule, das Showtraining der Tiere – und die fünfjährige Tochter Carla.

Dabei fehlt der schmalen, hochgewachsenen Frau mit dem forschen Kurzhaarschnitt und dem direkten Blick nichts: „Ich brauche weder freie Sonntage noch Urlaub, wenn ich bei meinen Tieren sein kann“, erzählt die Ingenieurstochter aus Unna im Ruhrgebiet strahlend. Schon als Kind in der Stadt war sie ­verrückt nach Tieren und brachte ihre Familie zur Verzweiflung, wenn sie versuchte, gefundene Babykätzchen unbemerkt unter dem Bett großzuziehen.

Nach dem Abitur und diversen Praktika auf Bauernhöfen machte sie eine Lehre zur Tierwirtin. Bald folgte der Meister, mit Mitte zwanzig pachtete sie einen kleinen Hof in der Nähe von Melle. Als erste Deutsche züchtete sie „Scottish Blackface“-Schafe. Bei den Schafen halfen lange Zeit nur ihre Hunde, die bei Leistungswettkämpfen im In- und Ausland unzählige Titel gewannen, zum Beispiel die ­Vizeeuropameisterschaft 2003.

Weitere Artikel zum Thema "Freiheitsdressur" finden Sie hier:

Respekt in einer Männerdomäne

3 CAV Anne Krüger
Udo Schönewald
Border-Collie-Hündin Spax würde am liebsten in den Schafpferch klettern und ordentlich Unruhe stiften.

Inzwischen ist der Hof wieder vereint, und Jan Degener und Anne Krüger sind ein glückliches Paar.

Doch das Leben der 40-jährigen Schäferin ist kein Postkarten-Idyll, der Tod gehört hier zum Leben. Bei der Visite am Vormittag findet Anne Krüger ein totes Lamm im Pferch. Die Fruchtblase hatte sich nicht geöffnet, das Lamm war erstickt. Die Schäferin reagiert gelassen: „Das Leben hat ja ein paar Sollbruchstellen, und im Moment der Geburt ist es dem Tod am nächsten.“

Dennoch, für Anne Krüger zählt jedes einzelne Tier. Viele Mutterschafe kennt sie beim ­Namen, Schlachttiere bringt die Schäferin seit über 20 Jahren in die gleiche benachbarte Schlachterei. Das Fleisch wird im Hofladen verkauft und sichert so das Einkommen der Familie.

Auch die anderen Tiere haben auf dem Degenerhof eine ­Aufgabe, egal ob bei den ­Schafen, in der Hundeschule oder bei Shows. Den ­wichtigsten Job erledigen die Hunde. Die Border Collies, die Anne Krüger in ganz kleinem Rahmen auch züchtet, treiben die Schafe auf neue Wiesen. Oder Ziegen im Showring punkt-­genau über Hindernisse.

Weitere Artikel zum Thema "Freiheitsdressur" finden Sie hier:

Border Collies sind einzigartige Hütehunde

4 CAV Anne Krüger
Udo Schönewald
Anne Krüger, Lusitano Socio, Border Collies und Walliser Schwarzhalsziegen bei der Equitana 2009.

Im Umgang mit den Tieren lernte sie die unbedingte Konsequenz, die sich durch ihr ganzes Leben zieht: „Meine Methode stammt von den Hunden und Schafen.“ Krüger hat sie HarmonieLogie genannt und im vergangenen Jahr ein Buch darüber geschrieben, „Besser kommunizieren mit dem Hund“: „Es ist das intelligente Spiel zwischen Harmonie und Disharmonie und basiert auf Vertrauen und Respekt.“ Beides muss der Mensch sich durch Geduld und Disziplin gegenüber dem Tier verdienen.

4 CAV Anne Krüger_5
Udo Schönewald
Border Collies sind geborene Hütehunde und verkümmern, wenn sie nicht arbeiten dürfen

Das beginnt bei der Sprache. „Wie oft sagen wir Dinge wie ,Komm, hau ab‘, was für ein Tier sinnlos ist“, beschreibt Anne Krüger eine Ursache für Missverständnisse. „Wir müssen wieder lernen, eindeutig zu sprechen.“ Sie gibt freimütig zu, dass sie wohl nie so weit in die Tiefen der Tierpsyche eingedrungen wäre, müssten ihre Hunde nicht selbst dann noch funktionieren, wenn der Spaß schon lange vorbei ist – etwa nach zehn Stunden auf der Schaf­weide in strömendem Regen.

4 CAV Anne Krüger_4
Udo Schönewald
Württemberger-Hengst Don’t Touch wird sich gleich hinlegen. Anne Krüger dirigiert ihn mit leichten Gertensignalen, für jede gute Leistung gibt’s Lob.

Klaren Ansagen folgen schnell direkte Korrekturen in Form von Mahnworten oder Berührungen, wenn ein Tier einer Aufforderung nicht Folge leistet. Kraftproben und Gewalt sind dabei unnötig, weil die Tiere auf minimale Signale sensibilisiert sind. Klappt eine Übung, lobt Anne Krüger allerdings sofort. Dann säuselt die Trainerin auch mal in höchsten Tönen: „Du bist schon sooo eine tolle Prinzessin Lillifee, du Süße, duuuu ...“

Solche Sentimentalitäten traut man der sachlichen Frau kaum zu. Sie sind dann auch kein Resultat überschäumender Emotionen, sondern schlicht notwendig: „Ein Lob muss genauso stark wirken wie eine ­Kritik“, sagt Anne Krüger, „es ist der Schlüssel zum Erfolg.“ Jedes Lob soll ein kleines Fest sein, und ein großes Lob muss entsprechend lang gefeiert werden. Mit matter Stimme kurz „gut“ zu sagen, das reicht nicht. Also strahlt, lacht und jubelt Anne Krüger, wenn etwas gut läuft. Macht das Tier etwas falsch, wird der Ton neutral.

Futterlob gibt es gar nicht: „Das Tier soll die Leistung für mich bringen und nicht für die erwartete Belohnung.“ Dass dennoch viele Menschen lieber füttern als loben, überrascht Krüger nicht. „Es ist schließlich viel leichter, eine Leistung zu bezahlen, als sie zu würdigen.“ Genau das müssten Menschen im Umgang mit ihren Tieren jedoch wieder lernen. Haben sie es kapiert, sagt Krüger, kommt das Lob aus dem Herzen und wird vom Tier auch als solches verstanden.

Weitere Artikel zum Thema "Freiheitsdressur" finden Sie hier:

"Jeder kann was lernen"

4 CAV Anne Krüger_3
Udo Schönewald
Anne Krüger - die glückliche Schäferin.

„Wir lernten Anne Krüger kennen, als sie Falk Stankus bei uns auf dem Hof besuchte. Der mehrfache Schleswig-Holstein-Meister in der Dressur verstärkt seit vergangenem Jahr unser Team. Als wir sahen, wie die beiden gemeinsam mit Pferden arbeiteten, war uns schnell klar, dass alle am Hof von Frau Krügers Wissen und ihrer Konsequenz etwas lernen könnten. Ihre Arbeitsweise ist logisch und sehr tiergerecht. Deshalb baten wir sie, mit jedem Mitarbeiter eine kurze Trainingseinheit in Sachen Grunderziehung zu absolvieren. Die Kollegen arbeiteten mit Pferden, bei denen es im Alltag kleine Probleme gab – weil sie beim Aufsitzen nicht still standen, sich nicht ordentlich führen ließen oder beim Longieren davonrannten. Anne Krüger half, diese Schwierigkeiten in einer einzigen Einheit von 20 bis 30 Minuten erheblich zu verbessern. Sie machte uns allen wieder bewusst, wie wichtig es ist, sich auch mit den scheinbar nebensächlichen Problemen ernsthaft zu befassen. Das gerät leider manchmal bei der Konzentration auf die reiterliche Entwicklung etwas in den Hintergrund. Frau Krüger hat einen Hengst aus unserer Zucht gekauft und wird in Zukunft gelegentlich zu Schulungen auf unseren Hof kommen.“

Weitere Artikel zum Thema "Freiheitsdressur" finden Sie hier:

Die aktuelle Ausgabe
4 / 2023

Erscheinungsdatum 15.03.2023