Die Besitzerin vermutete das Schlimmste: Ihr Pferd scharrte unruhig, legte sich immer wieder hin, stand auf und schaute sich unruhig zum Bauch um. Die Frau rief sofort den Tierarzt und holte ihren Vierbeiner aus der Herde. Der Veterinär untersuchte das Pferd und nahm zudem eine Kotprobe. Die gab Aufschluss darüber, woran das Pferd litt: Es hatte sich mit Equinen Coronaviren (ECoV) infiziert. Der Tierarzt untersuchte daraufhin auch die anderen Herdenmitglieder. Fünf weitere Pferde dieser Stallgemeinschaft in Nebraska (USA) hatten sich ebenfalls infiziert, zeigten aber keine Symptome.
Wissenswertes zu den Viren
Viren an sich sind relativ einfach gestrickt: Sie bestehen aus einem oder mehreren Molekülen, die wiederum das Erbgut (Ribonukleinsäure, RNS) der Viren enthalten. Umgeben ist diese RNS von einer Eiweißhülle. Viren haben keinen eigenen Stoffwechsel, sind also streng genommen keine Lebewesen und können sich daher auch nicht von alleine vermehren.
Dafür brauchen sie einen Wirt und den passenden "Schlüssel" zu seinen Zellen. Denn jede Zelle hat bestimmte Andockstellen (Rezeptoren) auf der Oberfläche, quasi das "Schloss" zur Zelle. Hat das Virus wiederum dazu passende Proteine auf seiner Oberfläche, kann es sich so an die Rezeptoren andocken und gelangt in die Wirtszelle. Die muss dann Virusbausteine produzieren und diese zu neuen Viren zusammenbauen. Stirbt die Wirtszelle ab, werden Tausende neue Viren freigesetzt – die sich im Anschluss auf die Suche nach weiteren Wirtszellen machen.
Nach diesem Schlüssel-Schloss-Prinzip funktionieren auch Coronaviren (Coronaviridae). Unter diesem Namen werden kugelförmige Viren zusammengefasst, die unter dem Elektronenmikroskop allesamt ein charakteristisches Aussehen haben: Sie erscheinen kranzförmig (lat. corona = Kranz). Das liegt an vielen kleinen, herausragenden Spitzen (Spikes). Coronaviren werden in Alpha-, Beta-, Gamma- und Delta-Gruppen unterteilt. Alpha- und Beta-Coronaviren suchen sich meist Säugetiere als Wirt, Coronaviren aus der Gamma- und Delta-Gruppe hingegen Fische oder Vögel.
Beim Menschen ist die Virusart seit den 1960er-Jahren bekannt. In den meisten Fällen verursachen die Viren harmlose Erkältungen. Sie können aber auch zu schweren Atemwegserkrankungen führen, wie etwa SARS (severe acute respiratory syndrome), das vor allem in den Jahren 2002/2003 auftrat, MERS (middle east respiratory syndrome) im Jahr 2012 oder das aktuell grassierende SARS-CoV-2 (siehe auch die Info weiter unten).
Das Equine Coronavirus gehört zur Beta-Gruppe. Es wurde erstmals in den USA im Jahr 1999 bei einem erkrankten Fohlen nachgewiesen. Seither wurde immer wieder von Fällen in den USA, Europa und Japan berichtet.
Wie macht sich die Krankheit bemerkbar?
Pferde, die sich mit ECoV infizieren, zeigen oft gar keine Symptome. "Schätzungen gehen davon aus, dass sich weniger als ein Zehntel der Pferde mit dieser Virusart infiziert", sagt Dr. Anja Kasparek, Leiterin der Pferdeklinik in Aschheim bei München. Die Zahl der Tiere, die eine Behandlung benötigen, ist nochmals deutlich niedriger. "Meist erkranken Fohlen oder immunsupprimierte Tiere, also solche, deren Immunsystem entweder geschwächt, vorbelastet oder noch nicht vollständig ausgereift ist", so Dr. Anja Kasparek.
Das Virus ruft bei solchen immungeschwächten Tieren in erster Linie Darmprobleme hervor: Erkrankte Pferdeleiden an Durchfall oder zeigen mitunter leichte Koliksymptome. Die Kotkonsistenz verändert sich; der Kot wird breiig und weich. Selten kommt es zu weiteren Komplikationen wie Dehydrierung oder Darmverlagerung.
Erkrankte Pferde sind zudem häufig lethargisch oder haben keinen Appetit. Auch Fieber (bis zu 41 Grad) kann auftreten. Erkrankungen wurden bislang meist in der kalten Jahreszeit beobachtet, also ungefähr ab November bis ins Frühjahr hinein.

"Die Sterberate ist in der Regel gering", sagt die Aschheimer Tierärztin. "Stirbt das Pferd, liegt das meist an anderen Komplikationen, aber nicht an der Virus-Infektion selbst." Die Tierärztin musste in ihrer Berufspraxis in Deutschland bislang nur einige wenige Pferde behandeln, die sich mit dem Equinen Coronavirus infiziert hatten; in den USA scheinen häufiger Krankheitsfälle aufzutreten. Bei rechtzeitiger medizinischer Betreuung erholen sich die Tiere in der Regel gut davon.
Infizierte Pferde scheiden das Virus über den Kot aus. Darüber können sich andere Herdenmitglieder anstecken. Aber auch Stallpfleger oder Reiter können das Virus von Tier zu Tier übertragen, etwa über ungewaschene Hände oder Equipment wie Fieberthermometer, das in Kontakt mit einem infizierten Pferd war. Das Tückische: Pferde können bereits ansteckend sein, bevor sie Symptome haben. Diese Inkubationszeit (Zeit zwischen der Ansteckung und dem Ausbruch der Krankheit) dauert zwischen 48 Stunden und 21 Tagen. Weil aber die meisten Tiere ohnehin keine Anzeichen einer Erkrankung zeigen, kann sich das Virus oftmals unerkanntim Stall verbreiten. Erkrankte Tiere können zudem zwischen drei und vier Wochen lang den Erreger über ihren Kot ausscheiden.
Wie stellt der Tierarzt die Diagnose?
Eine Infektion mit Equinen Coronaviren lässt sich über eine Kotprobe nachweisen. Diese wird im Labor auf Virusbestandteile untersucht. Hierfür wird die Methode der Polymerase-Ketten-Reaktion (polymerase chain reaction, PCR) angewandt: Ein kleiner Teil des Virus-Erbguts wird zuerst vervielfältigt (Amplifizierung). Anschließend wird untersucht, auf welche Virusart sich das derart vervielfältigte Erbmaterial zurückführen lässt. "Die Infektion lässt sich nur mit dieser Untersuchungsmethode eindeutig feststellen", betont Dr. Anja Kasparek.
So behandeln Tierärzte Corona-Patienten
Virusinfektionen lassen sich nicht einfach bekämpfen. Antibiotika sind bei viralen Erkrankungen beispielsweise wirkungslos. Für erkrankte Pferde gibt es daher keine Medikamente, die speziell gegen Coronaviren wirken, sondern nur solche, die die Symptome der Krankheit lindern sollen. Mit den Viren selbst muss dann das Immunsystem des Tiers allein fertig werden.
"Pferde mit klinischen Symptomen bekommen in den meisten Fällen eine Infusion. Denn Durchfall – das häufigste Symptom bei einer Infektion mit Equinen Coronaviren – kann in Anbetracht des großen Flüssigkeitsverlustes über die gestörte Resorption des Pferdedarms in schweren Fällen nur durch eine umgehend eingeleitete intensivmedizinische Infusionsbehandlung ausgeglichen werden", erklärt Dr. Anja Kasparek.
Je nach Symptomen kommen zusätzlich Darmaufbau-Medikamente oder Fiebersenker zum Schutz gegen möglicherweise auftretende Folgeinfektionen des gestörten Darmmilieus hinzu. Unter gewissen Umständen können auch Antibiotika eingesetzt werden.
Infizierte Pferde sollten wegen der starken Virusausscheidung zudem in Quarantäne und von Artgenossen isoliert werden. Behandelnde Tierärzte oder Pferdebesitzer müssen sich an Hygienemaßnahmen halten – etwa regelmäßiges Händewaschen, das Tragen von Handschuhen oder die Benutzung von eigenem, desinfiziertem Equipment. Gerade beim Misten der Box ist dies wichtig: Denn durch die Benutzung von Mistgabel oder Schubkarre könnten sich die Coronaviren im Stall verteilen.
Diese Quarantäne-Maßnahmen sollten solange aufrechterhalten werden, bis das Pferd keine Viren mehr ausscheidet. Das wiederum solltein regelmäßigen Abständen durch Kotproben kontrolliert werden. Erst wenn sicher keine Viren mehr nachgewiesen werden, darf das Pferd zurück in die Herde.
Wie lässt sich vorbeugen?
Einer Infektion lässt sich nicht vorbeugen. Wichtig ist nur, im Verdachtsfall schnell zu reagieren. Oft erkranken mehrere Tiere gleichzeitig im Stall. Besteht der Verdacht einer ECoV-Infektion, sollte bei allen betroffenen Tieren eine Kotprobe genommen werden.
Im Gegensatz zur momentanen Corona-Pandemie besteht bei Equinen Coronaviren keine Gefahr der übermäßig unkontrollierten Ausbreitung: Nach derzeitigem Forschungsstand gehen Wissenschaftler davon aus, dass das equine Virus nur zwei bis drei Tage außerhalb des Wirtskörpers überlebt. Damit ist die Infektion selbstlimitierend und bei einer schnellen, tierärztlichen Behandlung zudem in den meisten Fällen gut beherrschbar.
Info: Covid-19 & ECoV
Coronavirus ist nicht gleich Coronavirus, auch wenn das der Name vielleicht vermuten lässt. Das derzeit grassierende SARS-CoV-2 und ECoV gehören zwar beide der Beta-Gruppe an: "Aber primär sind sich die beiden Viren vor allem in ihrer Wirkungsweise nicht ähnlich", sagt Dr. Anja Kasparek. "Das Equine Coronavirus ruft in erster Linie Darmprobleme hervor, während die humane Variante zu Atemwegsproblemen führt." Nach aktuellem Forschungsstand ist SARS-CoV-2, das bei uns Reitern Covid-19 verursachen kann, keine Gefahr für unsere Pferde.