
Mit wehendem Schweif galoppiert der Braune über die Weide. Dann stoppt er, steht wie angewurzelt da, nur um eine Sekunde später erneut mit Volldampf übers Gras zu brettern. „Sam ist sehr sensibel. Mit Fremden hat er es nicht so“, erklärt Michael Jung. Wir fühlen uns wie Paparazzi, die Jagd auf einen Promi machen. Dabei wollten wir lediglich ein paar „Beweisbilder“ auf der Koppel schießen. Denn schließlich darf nicht jedes Pferd, das für einen siebenstelligen Betrag gehandelt wird, mal eben auf die Weide.
Aber bei Michael Jung, dem ersten deutschen Weltmeister der Vielseitigkeits-Geschichte, ist das anders. Seine Spitzensportler dürfen grasen. So auch sein Top-Pferd La Biosthetique Sam FBW. Mit Sam holte der 28-Jährige Gold bei den Weltreiterspielen in Kentucky/USA: In den Einzeldisziplinen präsentierte sich Jung, Pferdewirtschaftsmeister aus dem baden-württembergischen Horb im Schwarzwald, in stilistischer Perfektion. Selbst das Pech, dass sein Start für die Geländestrecke um 45 Minuten verschoben wurde, obwohl er längst abritt, lies ihn kalt.
Auch im Parcours – als Führender der Gesamtwertung durfte er erst als Letzter ins Stadion des Lexington Horse Park reiten – behielt er die Nerven: Sam flog, wie es seine Manier ist, mit gekreuzten Vorderbeinen über die Hindernisse und blieb fehlerfrei. William Fox-Pitt, der Star der britischen Vielseitigkeits-Equipe, brachte es auf den Punkt: „Erst kommt Michael – dann lange nichts.“
Wenn das kein Ritterschlag ist. Den hat sich der junge Mann aus dem Schwarzwald aber auch verdient.
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Vielseitige Ausbildung fördert den Erfolg





Sein Vater, Joachim Jung, ist wie er selbst Träger des Goldenen Reitabzeichens. Auch er wurde mehrfach Landesmeister im Busch. „Nur Talent reicht nicht“, weiß Gerhard Ziegler, Präsident des Pferdesportverbands Baden-Württemberg. „Beim Reiten gibt es für Michael keine Kompromisse. Er arbeitet mit Fleiß daran, in allen Disziplinen gut zu sein und hat den Ehrgeiz, das auch zu schaffen.“
Und gerade die vielseitige Ausbildung ist es, die beiden Generationen im Stall Jung am Herzen liegt. „Reiter und Pferde werden heute viel zu früh zu Spezialisten“, findet Joachim Jung. Der Erfolg gibt den Jungs Recht. „Ein Pferd gibt den Weg der Ausbildung vor, aber ich möchte es in allen Bereichen fördern“, sagt der amtierende Weltmeister, der jeden Tag etwa zehn Pferde trainiert.
Das erklärt, warum Sam, dessen vorrangige Begabung es früher war, im Gelände „blitzschnell zu sein“, heute ein Ausnahmepferd ist. „Sam kam als Fünfjähriger zu uns und war damals kein sehr auffälliges Pferd. Er war sogar eher ängstlich. Seine Leistung im Viereck und im Parcours haben wir uns schrittweise erarbeitet“, sagt Michael Jung. Dazu gehörte, dass auf dem Reitplatz im Schwarzwald Musik in Stadionlautstärke lief, um den blutgeprägten Sam abzuhärten. Auch bei Wallach Rocky, der korrekt Weidezaunprofi´s River of Joy heißt, haben sich Geduld und Gespür gelohnt: Als Dressurpferd gekauft, gilt der Rappe – neben Topstar Sam – jetzt als sichere Bank im Busch.
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Solide ausbilden statt teuer einkaufen





Das klingt bodenständig. Und das ist er auch: Ob es die Geländestrecke ist, bei der er jedes Hindernis selbst gebaut hat, oder seine Disziplin, mit der er es bis ganz nach oben geschafft hat – geschenkt wurde Michael Jung nichts. Busch-Profis wie Elmar Lesch aus Bavendorf zollen ihm auch deshalb neidlos Respekt. „Michi ist ein begnadeter Reiter“, sagt Lesch. „Das Gefühl, das der Kerl im Hintern hat, kann sich keiner erarbeiten.“ Durch jahrelangen Einsatz und mit viel Pferdeverstand haben die Jungs den Sprung vom Landturnier zur Weltmeisterschaft geschafft. „Klar ist seit Kentucky viel los, aber wer darf das schon erleben? Wir genießen den Trubel“, sagt Mutter Brigitte. Und das gilt für das ganze Team. Dazu gehören auch Pferdewirtin Claudia Weber, die die Turnierpferde betreut, und Bereiterin Jutta Reutter, die Michael Jung unterstützt.
Zur Heimkehr des Erfolgsduos gab es einen Empfang. Das bunte Plakat mit der Aufschrift „Hier wohnt der Weltmeister“ hängt noch an Sams Box. Auch Fritz Pape, Landestrainer der BaWü-Vielseitigkeit, stand mit Pferden Spalier. „Bei seiner ersten Deutschen Meisterschaft sagte ich zum Bundestrainer: Schau dir den Bub an, von dem werdet ihr die nächsten 20 Jahre leben. Er guckte ungläubig – aber das hat sich gelegt“, erzählt Fritz Pape. Längst hat sich Multitalent Michi Jung mit Pferden wie Roché Siege bei S-Dressuren gesichert und Profis auch den Rang in schweren Springen abgelaufen. Sind noch Wünsche offen? „Sam soll bei mir bleiben“, sagt Michael Jung, „aber das ist ein anderes Thema“.
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Hans Melzer: "Michi ist eine Klasse für sich"





CAVALLO: Ist Michael Jung ein Ausnahme-Talent?
MELZER: Das kann man zweifelsfrei so sagen. Er reitet nicht nur in der Vielseitigkeit in der Weltspitze mit, sondern feiert auch in Einzeldisziplinen Erfolge. Mit dem Rappwallach Roché ist er in der Dressur bis zur schweren Klasse siegreich – beim Springen mit der Schimmelstute Calido‘s Ass oder dem Trakehnerhengst Der Dürer TSF.
Was zeichnet das erfolgreiche Paar aus?
Michael und Sam sind ein Team. Dieses Pferd hat unglaubliches Vertrauen zu seinem Reiter. Jeder wünscht sich dieses blinde Verständnis, aber nicht jeder kann diese Verbundenheit erreichen. Paarungen, bei denen der Reiter sein Pferd selbst ausgebildet hat, sind in unserem Sport meist die erfolgreichsten.
Wer kann Sams Nachfolger werden?
Michael Jung hat talentierten Nachwuchs. Die Pferde Weidezaunprofi’s River of Joy und Leopin wurden bisher behutsam aufgebaut. Zum Saisonende, bei der EM-Qualifikation im holländischen Boekelo, haben sie gezeigt, was sie können: Leopin wurde Dritter, River of Joy Fünfter der Gesamtwertung. Den Sieg vergab Michael nur wegen eines Abwurfs im Parcours.
Wie lange kann man das Niveau halten?
Michael ist topfit, und zudem ist er mit gerade einmal 28 Jahren noch frisch dabei. Den Vielseitigkeitssport kann man lange ausüben, das sieht man an den alten Hasen wie Mark Todd, die bei Drei-Sterne-Prüfungen einfach durch ihre Routine punkten. Entscheidend ist aber, ob man gut beritten ist. Es kommt auf die Pferd-Reiter-Kombination an, die den Erfolg in der Vielseitigkeit ausmacht.
Was schätzen Sie an Michael Jung?
Egal, was er tut, er ist immer sehr positiv. Stress steckt er gut weg. Inzwischen hat er auch einige Jahre Wettkampferfahrung. Aber wie er in Kentucky eine Wartezeit von 45 Minuten bis zum Start im Gelände während der Vorbereitung seines Pferds einfach so überspielt hat – das war eine Klasse für sich. Michael bildet Pferde solide aus und fördert ihre Entwicklung mit Sinn und Verstand.
Glauben Sie, dass Sam verkauft wird?
Alle haben gesehen, was das für ein tolles Paar ist. Keiner traut sich, Sam zu reiten. Mit Michael wurde Sam zum Weltcupsieger, Dritter der Europameisterschaft und Weltmeister. Der Wallach zeigt sein Optimum an Leistung. Ein Profi bräuchte mindestens ein bis zwei Jahre, um bei Championaten mit Sam zusammenzuwachsen. Das tut sich so kurze Zeit vor den Olympischen Spielen 2012 wohl keiner an.
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