Zwei Patienten, zwei Symptome, eine Diagnose. Eines der Pferde hat typische Kolikanzeichen, das andere blutet aus der Nase. Schuld an den Koliksymptomen sind aber weder Magen- noch Darmveränderungen, sondern Blutungen in die Bauchhöhle. Ursprung ist die bis dato unauffällige Leber, die hochgradig verändert, brüchig und nicht weiter funktionsfähig ist.
Im zweiten Fall stellt der Tierarzt eine Veränderung der Schleimhaut fest: Der sichtbare Teil in den Nasenlöchern der älteren Stute ist durch eine Ablagerung so beschädigt, dass sich die Blutung erst nach der chirurgischen Entfernung beruhigt.
In beiden Fällen beeinträchtigen abgelagerte Eiweiße den Organismus. Ursache: die seltene Stoffwechselkrankheit Amyloidose.
Was verursacht die Krankheit?
Jeder Organismus ist ein Konstrukt körpereigener Prozesse. Alle Teile stehen in engem Zusammenhang und arbeiten Hand in Hand. Einer der wichtigsten Bestandteile sind Proteine. Aminosäureketten ermöglichen je nach Struktur verschiedene Transport- und Bewegungsprozesse. Damit gewährleisten sie die Versorgung der Organe mit Nährstoffen sowie die Entsorgung von Stoffwechselendprodukten wie Eiweißresten oder unbrauchbaren Teilchen.
Kommt es zu einer Verformung oder einer Fehlverkettung dieser Eiweiße, kann ein Amyloid entstehen. Durch die abnorme Struktur wird es vom Körper weder funktionell genutzt noch abgebaut. Stattdessen lagern sich fädenartige Fasern (Fibrillen) oder Blättchen lokal oder systemisch im Körper ab.
Die Organisation ISA (International Society of Amyloidosis), von Wissenschaftlern und Ärzten betreut, widmet sich Forschung, Lehre und Praxis auf diesem Gebiet. Nach aktuellem Stand sind es in der Humanmedizin 36 Proteine, die Amyloide bilden können. Bei Pferden sind bislang nur zwei sicher benannt.
Eines davon ist das AA-Amyloid. "Es tritt meist als Folge chronischer Entzündungen, bakterieller Infektionen oder Tumorerkrankungen auf", sagt Dr. Martin Thunig, Fachtierarzt an der Pferdeklinik Leichlingen. Es entwickelt sich aus dem Entzündungsanzeiger Serum- Amyloid-A (Siehe Abschnitt "SAA im Blut") und befällt vorrangig Hauptorgane wie Milz, Leber oder Niere.
Die zweite Form ist die des AL-Amyloids, welches sich aus Immunglobulin Leichtketten bildet. Als Teil der Antikörper entstehen die Verkettungen infolge einer übermäßigen Antikörperproduktion. Sie äußern sich meist in tumorähnlichen Knötchen. AL-Amyloide können sich jedoch nicht nur lokal ablagern, sondern auch systemisch im gesamten Körper, vorrangig im Nervengewebe und in Gelenken.
Wie macht sich die Krankheit bemerkbar?
Durch die vielfältigen Verbreitungsmöglichkeiten der Amyloide im Körper lässt sich nicht von einem einzelnen typischen Symptom auf eine Amyloidose schließen.
"Viele Pferde zeigen keine extremen Verhaltensauffälligkeiten. Oft sind es sichtbare Symptome wie Blutungen, Geschwüre o.ä., die dann eine Amyloidose vermuten lassen", sagt Dr. Thunig. Sind die Hauptorgane betroffen, leiden viele der erkrankten Pferde beispielsweise an Atembeschwerden, Schwäche oder starker Gewichtsabnahme. Auch bei Bewegungsstörungen, Muskelschwäche oder mangelnder Lebensfreude konnte in der Vergangenheit vereinzelt eine Amyloidose als Ursache festgestellt werden. Blutungen aus dem Nasen- oder Maulbereich deuten auf eine Betroffenheit der Atemwege, während Blut im Urin auf Nierenschäden basieren kann.

Leiden Pferde an einer AL-Amyloidose, sind jegliche Formen von Beulen, Schwellungen und Knoten mögliche Anzeichen der seltenen Stoffwechselkrankheit.
Welche Pferde sind besonders gefährdet?
Eine klare Tendenz lässt sich nicht festmachen, dazu gibt es zu wenige Fallstudien. Häufiger betroffen sind offenbar ältere oder schwer vorerkrankte Pferde. Stoffwechselprozesse gehen langsamer vonstatten und Entzündungseiweiße lagern sich massiver ab.
Auch Pferde, deren Immunsystem stark aktiviert ist, dürften anfälliger sein. Dazu zählen insbesondere chronisch kranke Tiere und solche mit langwierigen Entzündungsprozessen. Als Risikopatienten für Amyloidose gelten auch die sogenannten Serumpferde; also Pferde, die Antikörper etwa für human-, aber auch tiermedizinische Impfstoffe produzieren. "Bei ihnen wird die Produktion der Antikörper immer wieder und in erhöhter Form angeregt. Somit steigt das Risiko auf eine massive Anreicherung", erklärt der Leichlinger Tierarzt.
"Laut derzeitigem Forschungsstand ist beim Pferd nicht bewiesen, dass eine erbliche Komponente eine Rolle spielt. Im Gegensatz zum Menschen wurde eine familiär bedingte Häufung bisher nicht festgestellt", sagt Dr. Thunig.
Wie stellt der Tierarzt die Diagnose?
Für eine Diagnose muss der Tierarzt die genaue Ursache der Symptome herausfinden. Hier spielen Vorerkrankungen des Pferds und alle beobachteten Auffälligkeite eine zentrale Rolle. Entwickelt ein Pferd ein Leber- oder Nierenversagen nach chronischen Erkrankungen oder einer Operation, wird vergleichsweise schnell eine Amyloidose vermutet, während sie im Normalfall häufig erst spät erkannt wird, wenn sich schon schwere Symptome zeigen.
Zu den bewährten und aufschlussreichen Untersuchungsmethoden zählt der Ultraschall. "Er kann sehr hilfreich sein, da man hierüber auffällige Strukturen erkennt und gut analysieren kann", erklärt Dr. Thunig. Ebenso kann eine endoskopische Untersuchung sinnvoll sein, etwa bei Atemwegsproblemen.
Letztlich diagnostiziert wird die Krankheit mit einer Biopsie. Entnommenes Gewebe wird kongorot gefärbt und mit polarisiertem Licht beleuchtet. Dann zeigt sich das Amyloid in seinem charakteristischen Aufbau und seiner Struktur.
So behandeln Tierärzte
Nach aktuellem Forschungsstand gibt es keine Therapiemöglichkeit, die die Bildung der Amyloide verhindern kann. Die Krankheit schreitet stetig fort und eine komplette Heilung des Pferds ist ausgeschlossen.
"Bei tumorähnlichen Knoten und Ablagerungen unter der Haut wird durch chirurgische Eingriffe das Gewebe bestmöglich entfernt und betroffene Abschnitte werden verödet", erklärt Dr. Thunig. In vielen Fällen erholen sich die Patienten gut, allerdings bilden sich bei einigen Pferden nach kurzer Zeit erneut Knötchen.
Betrifft die Amyloidose innere Organe, ist die Lage noch schlechter. Da die Schäden meist schon irreparabel sind, konzentriert sich die anschließende Behandlung darauf, das Fortschreiten zu verlangsamen. Mit Medikamenten lindert der Tierarzt die jeweiligen Symptome, um Schmerzen weitestgehend zu vermeiden.
Wie lässt sich vorbeugen?
Vorbeugen im klassischen Sinne ist nicht möglich. "Was immer wichtig ist, ist den Zustand des Pferds zu beobachten und bei Auffälligkeiten entsprechend schnell zu handeln", empfiehlt Dr. Thunig.
Zusätzlich können Besitzer darauf achten, die Immunantworten ihres Pferds so gering wie möglich zu halten. Denn alle Prozesse, bei denen der Körper ständig Antikörper produzieren muss, erhöhen das Risiko von Amyolid-Ablagerungen. Verwurmungen, chronische Entzündungen, aber auch eine übermäßige Anzahl an Immunisierungen (wie im Falle der Serumpferde) können das Risiko erhöhen. Solche Faktoren zu verhindern oder bewusst zu reduzieren, sollte man als Besitzer im Blick behalten, rät der Fachtierarzt.
SAA im Blut
Das Serum-Amyloid-A (SAA) ist ein Biomarker, welcher Entzündungen anzeigt. Er wird von den Leberzellen gebildet und im Falle einer Entzündung durch Zytokine aktiviert. Die Reaktion des Körpers und die SAA-Produktion erfolgen beinahe sofort.
Durch eine einfache Blutentnahme bietet die SAA-Bestimmung eine gute und schnelle Kontrollmöglichkeit, wie Entzündungen verlaufen und ob die Behandlung anschlägt. Denn so schnell wie SAA-Werte ansteigen, sinken sie im Falle einer Besserung auch.
Verglichen mit dem Biomarker Fibrinogen, welcher ein verzögertes Bild von circa drei Tagen aufweist, gibt das SAA "Echtzeitdaten" und hat sich daher in vielen medizinischen Bereichen etabliert.
Der Experte

Als Fachtierarzt für Pferde ist Dr. Martin Thunig seit 2012 in der Pferdeklinik Leichlingen/Rheinland tätig. Er leitete die Abteilung der inneren Medizin. Mittlerweile ist der Kopfbereich mit Zahnheilkunde und Chirurgie sein Fachgebiet.