CAVALLO Sattel-Ratgeber: Druckmessung prüft Passform
Druckmessung zwischen Sattel und Pferd

Exakte Daten: Kohlenstoffgitter und Daten­logger liefern neue Bilder aus der geheimnisvollen Zone zwischen Sattel und Pferd. Sie zeigen sogar, ob der Reiter richtig sitzt.

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Foto: Wolschendorf

Na bitte, es geht doch: das patentierte System der amerikanischen Firma Tekscan mißt die Paßform des Sattels nicht nur im Stand, sondern auch im Schritt, Trab und Galopp. Das System ist seit einem Jahr auf dem Markt und wird in Deutschland, Österreich und der Schweiz verkauft.

Megascan-Geschäftsführer Klaus Koberstein-Schwarz sagte sofort zu, als CAVALLO ihn zu einer Probemessung einlud. Er reiste mit seinem Mitarbeiter Albrecht Schneider, Tisch, Laptop und Sattelmeßdecke auf dem Waldhof in Stuttgart-Botnang an. Die spannende Frage: Stimmt es, daß Sättel im Stand perfekt passen, ihre Paßform aber in der Bewegung verlieren?

Auf der millimeterdünnen Meßmatte sind 1824 Drucksensoren verteilt. Der Sensor ist Kohlenstoff, der wie ein Gitternetz auf die Kunstfaserdecke aufgedampft wurde. "Wenn Kraft auf Kohlenstoff trifft, verändert sich sein elektrischer Widerstand; diese Veränderung rechnet der Computer um und stellt sie als Druck dar", erklärt Biomechaniker Albrecht Schneider.

Aufgezeichnet werden die Werte in einem 800 Gramm schweren Datalogger, den sich der Reiter um den Bauch schnallt. Nach dem Ritt werden sie per USB-Kabel auf den Laptop überspielt; die direkte Übertragung per Funk ist in Planung.

Scheuerstellen oder offensichtlichen Satteldruck hatte keines der acht Pferde, die an der Messung teilnahmen. Keiner der Reiter beobachtete Sattelzwang oder meinte, sein Pferd bewege sich durch den Sattel schlecht. Die Pferde trugen ihre Sättel seit mindestens einem Jahr. Bis auf eine Ausnahme wurden alle individuell vom Sattler angepaßt.

Ausnahme ist ein luftgepolsterter Wintec-Cair, mit dem Anjolie Jäger vor einem Jahr ihren Oldenburger Harmani anritt. "Den Widerrist habe ich mit einem Draht vermessen, die Vorlage auf Papier gezeichnet und der Firma gefaxt; danach wurde das Kopfeisen eingebaut."

Messvorrichtung an Pferd und Reiter

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Wolschendorf
Der Datalogger am Bauch zeichnet die Messung auf.

Durch die grün-weiße Folie jagen später 100 Bilder pro Sekunde. "Der Datalogger hat eine Frequenz bis maximal 500 Hertz, kann also 500 Bilder pro Sekunde registrieren", sagt Schneider. "Weil wir keine sehr schnellen Bewegungen messen, wie etwa beim Springreiten, reichen 100 Bilder pro Sekunde."

Zuerst wird im Stand gemessen. In zehn Sekunden zeichnet der Datenlogger auf, wie der Sattel liegt. Dann folgt der Schritt. "Wenn Sie auf die lange Seite abbiegen, drücken Sie bitte einmal den Knopf oben am Datalogger", weist Schneider an. Der Knopfdruck löst die Messung aus, die alle Druckspitzen entlarvt. Die Messung läßt sich auch per Funk auslösen.

Die Knopfdruck-Prozedur wird im Trab und Galopp wiederholt. In 30 Sekunden sind alle Messungen im Kasten. In Sekunden werden die Daten auf den Computer überspielt.

Schwarze Linien, die sich über die Bildmitte schlängeln, spiegeln die Kräfte, die auf die Sensoren wirkten. Diese Kraftlinien zeigen den Kraftmittelpunkt, also den Bereich, wo sich die Kräfte bündeln.

Sitzt der Reiter auf dem Sitzt der Reiter auf dem stehenden Pferd ruhig im Sattel, ist die Kraftlinie ein schwarzer Punkt; im Schritt entwickelt sich durch die Bewegung ein kleines Knäuel. "Je schneller geritten wird, desto höher sind die Kräfte, weil die Beschleunigung höher wird. Ein schwerer Reiter verursacht wegen seiner höheren Masse ebenfalls höhere Kräfte", erklärt Schneider das Gesetz "Kraft ist Masse mal Beschleunigung".

"Die Kräfte verdoppeln sich vom Schritt zum Trab und verdreifachen sich nahezu im Galopp", erklärt Schneider. Doch nicht nur Reitergewicht und Tempo zählen, sondern auch die Technik.

Das haben diverse Studien in den letzten Jahren gezeigt. "Ein schlechter Reiter erreicht die dreifache Beschleunigung wie ein guter, weil er aus dem Takt kommt und gegen das Pferd arbeitet; wiegt er 60 Kilogramm, werden daraus 180 Kilo", stellte Professor Christian Peham von der Universitätsklinik für Orthopädie an der Veterinärmedizinischen Universität Wien fest.

"Der Sattel für einen schlechten Reiter sollte eine weiche Auflage haben, weil sie die Kräfte stärker abbremst", rät Peham. Daß die Einwirkung auf das Pferd dadurch schlechter wird, spiele für einen Einsteiger keine entscheidende Rolle.

Das zeigt der Sattel-Scan

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Wolschendorf

Nur bei Wallach Nevado, einem Andalusier-Wallach, lastete im Stand das höhere Gewicht knapp hinter der hälftigen Trennlinie.

Doch wie wirkt sich das aufs Pferd aus? Ob Druck vorne schädlicher ist als hinten oder umgekehrt, ist laut Professor Peham nicht bewiesen. "Dazu müßte man Pferde über eine lange Zeit gezielt fehlbelasten und dann die pathologischen Auswirkungen untersuchen."

Selbst wenn ein Reiter im Schwerpunkt sitzt, bedeutet das freilich nicht, daß der Sattel dem Pferd paßt. So zeichnen sich unter Nevados Dressursattel vier Druckpunkte ab: vorne links und rechts neben dem Widerrist sowie hinten links und rechts. Die Druckspitze vorne rechts ist mit 58 Kilopascal (580 Gramm pro Quadratzentimeter) der höchste Testwert.

Nevados Druckmuster deutet darauf hin, daß die Kammer für den Andalusier zu eng ist. Auch bei Dream On drückt es vorne links und rechts. Im Gegensatz zu den roten Flächen unter Nevados Sattel ist Dream Ons Druckmuster gelb, orange und rot schattiert.

Die Farbskala zeigt die Höhe des Drucks: Wo es rot leuchtet, ist er am höchsten und sinkt über orange, gelb und grün; die niedrigsten Werte sind blau.

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Savecomp Megascan
Andalusier Nevado: Die Vierpunktlagerung im Stand (rechts) deutet auf eine zu enge Kammer hin. Höheres Tempo verstärkt den Druck, deutlich zu sehen im Trab (links).

Selbst wenn ein Reiter im Schwerpunkt sitzt, bedeutet das freilich nicht, daß der Sattel dem Pferd paßt. So zeichnen sich unter Nevados Dressursattel vier Druckpunkte ab: vorne links und rechts neben dem Widerrist sowie hinten links und rechts. Die Druckspitze vorne rechts ist mit 58 Kilopascal (580 Gramm pro Quadratzentimeter) der höchste Testwert.

Nevados Druckmuster deutet darauf hin, daß die Kammer für den Andalusier zu eng ist. Auch bei Dream On drückt es vorne links und rechts. Im Gegensatz zu den roten Flächen unter Nevados Sattel ist Dream Ons Druckmuster gelb, orange und rot schattiert.

Die Farbskala zeigt die Höhe des Drucks: Wo es rot leuchtet, ist er am höchsten und sinkt über orange, gelb und grün; die niedrigsten Werte sind blau.

Weiterlese

Wieviel Druck schadet Pferden?

"Selbst in der Humanmedizin läßt sich freilich nicht pauschal sagen, daß ein bestimmter Druck schädlich ist", ergänzt Biomechaniker Albrecht Schneider.

Anhaltspunkt in der Humanmedizin ist der Druck, bei dem sich Arterien verschließen und das Gewebe folglich nicht durchblutet wird. Er liegt bei einem Menschen mit einem Blutdruck von 130 Millimeter Quecksilber (mmHG) etwa bei 1,5 bis 2 Newton; die feinen Kapillaren schließen sich bereits früher.

Anhaltspunkt in der Humanmedizin ist der Druck, bei dem sich Arterien verschließen und das Gewebe folglich nicht durchblutet wird. Er liegt bei einem Menschen mit einem Blutdruck von 130 Millimeter Quecksilber (mmHG) etwa bei 1,5 bis 2 Newton; die feinen Kapillaren schließen sich bereits früher.

Diese kritischen Werte übertrifft ein Mensch, der 75 Kilogramm wiegt, freilich schon, wenn er nur ruhig auf seinen Füßen steht. Daß die Füße von Verkäufern, die stundenlang hinter dem Ladentisch stehen, trotzdem nicht absterben, liegt am schützenden Schwanken.

Auch im Stehen verlagert sich das Gewicht von links nach rechts, von den Ballen auf die Fersen. "So strömt immer wieder Blut durch die Gefäße", erklärt Schneider.

Selbst hohe Druckspitzen auf einer kleinen Fläche schaden nicht, wenn die Belastung nur kurz ist, sind sich Druckforscher einig. Ab welcher Zeit Druckspitzen unter dem Sattel bedenklich sind, weiß Professor Peham freilich nicht: "Sicher ist aber, daß das Pferd die Druckspitze sofort bemerkt, als ob Sie sich auf einen Tennisball legen."

Wenig Druck große Wirkung

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Wolschendorf

Sie könnten die einzelnen roten Flecken unter Dreams Ons Sattel erklären, die sich auf der rechten Seite entlang des Baumes abzeichnen – und erst auftauchen, als sich Dream On bewegt.

Bei Livorno registrieren die Sensoren rechts vorne einen orange-gelben Streifen. "Das sollte sich ein Sattler ansehen", meint Schneider. Daß nur eine kurze Gewichtsverlagerung der Reiterin den Druckstreifen verursachte, ist unwahrscheinlich, weil der Sattel schon im Stand rechts vorne stärker drückte. "Insgesamt verteilt und unterstützt er das Reitergewicht aber recht gut", urteilt Schneider.

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Savecomp Megascan

Die niedrigsten Druckwerte hatte der luftgepolsterte Wintec-Sattel. Im Stand registrierten die Sensoren maximal 9 Kilopascal. Zum Vergleich: Die leichteste Reiterin im Test brachte es mit ihren knapp 35 Kilo im Sattel von Ragazzo punktuell auf 11 Kilopascal. "Das ist das beste Druckmuster, das ich bisher gesehen habe", sagt Schneider.

Ist das Gewicht des Sattels gleichmäßig verteilt?

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Wolschendorf

Daß Eddas Werte die schlechtesten sind, war vorhersehbar. Sobald sie trabt, färbt sich links vorne alles rot. Auf der rechten Seite liegt der Sattel nur ganz vorne und hinten auf – wie eine Brücke über einer Schlucht.

Das ist fatal für Eddas ohnehin schwache Rückenmuskulatur: Wo Sättel drücken, schrumpfen Muskeln.

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Savecomp Megascan
Hannoveraner Edda: Die Meßreihe zeigt die Paßform des Sattels im Trab, Schritt und Stand (von links nach rechts). Links vorne drückt der Sattel im Trab, rechts bildet er eine Brücke.

"Vor allem die Muskelaktivität wird beeinträchtigt; das Pferd spannt den langen Rückenmuskel stärker an", erläutert Professor Peham. "Wird der lange Rückenmuskel verstärkt angespannt, wird der Aufprall durch den Reiter verstärkt – als würden Sie mit dem Auto gegen eine Mauer fahren", sagt Peham.

In einer Simulation wiesen die Wiener Wissenschaftler nach, daß diese Kräfte bis in die Lendenwirbelregion wirken. Die neue Technik hilft, das komplizierte Kräftespiel zwischen Pferd, Sattel und Reiter in der Bewegung zu entschlüsseln. Sie zeigt, wann und wo ein Sattel beim Reiten drückt und ob er das Gewicht gleichmäßig verteilt. Sattler können mit ihm ihre Arbeit besser kontrollieren – und Reiter ihren Sitz.

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4 / 2023

Erscheinungsdatum 15.03.2023

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