
Er kommt aus Frankreich und bietet Platz für zwei: der Coaching-Sattel von Christian Phillipe. Der Reitlehrer aus der Normandie entwarf sein Produkt jedoch keineswegs für traute Zweisamkeit von Verliebten im Sattel. Sinn und Zweck ist besseres Training mit dem Reitlehrer im Rücken. Doch bedeutet der Sattel vielleicht eher eine Qual für das Pferd?
Barbara Welter-Böller, Osteopathin aus Overath/Nordrhein-Westfalen, und Frank Aue, Reitlehrer des Reitvereins Kannenbäckerland in Höhr-Grenzhausen/Rheinland-Pfalz, testeten mit CAVALLO den Zwillings-Sattel. Er eignet sich laut Erfinder, um Anfängern Sicherheit zu geben: Während der Reitlehrer die Zügel in der Hand hat, können sie sich auf ihren Sitz und die Bewegung des Pferds konzentrieren. Fortgeschrittene Reiter wiederum sollen mit dem Tandemmodell schwierige Lektionen wie Traversalen meistern, und in der Therapie sei „dieses pädagogische Instrument“ eine „wahre Innovation“.

Für den Proberitt muss Sonata ihren Rücken hergeben. Sie ist das Voltigierpferd im Reitverein Kannenbäckerland, sehr gelassen und idealerweise Gewichtsträgerin. Auf ihr liegt nun der hellbraune, baumlose Sattel mit den Zwillingssitzen, die sich wie eine Welle von vorn nach hinten schlängeln. Ein zweiter hinten liegender Gurt hält ihn in Position, seitlich baumeln je zwei Steigbügel.
Beim Reiten zeigt Sonata deutlich, dass der Sattel nicht für sie taugt. Sie streckt den Schweif steif nach hinten, laut Barabara Welter-Böller ein klares Zeichen für Verspannungen. Frank Aue spürt im Sattel deutlich, dass die Stute den Rücken wegdrückt, sobald er sich setzt. Während der zweite aufsteigt, knickt sie mit der Hinterhand unter der ungewohnten Last ein. „Sonata ist unter diesem Sattel extrem schief und kann sich in Wendungen nicht richtig ausbalancieren“, erklärt Aue. „Längsbiegung ist gleich Null.“ Springen würde er mit dem Coaching-Sattel auf keinen Fall. „Das Pferd kann den Rücken gar nicht aufwölben.“
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Nutzt der Coaching-Sattel einem Reitanfänger?

Auch die Sicherheit sieht er kritisch: „Wenn das Pferd bockt, ist der Coach als Erster weg, und auch der Schüler hat keine Chance mehr, oben zu bleiben.“ Einzig gemeinsame Ausritte auf einem sehr braven Pferd mit Tochter Lisa-Marie (8) kämen für Aue mit dem Sattel infrage. „So könnte ich sie langsam an Großpferde gewöhnen.“ Doch, wie er sagt, nicht zum geforderten Preis.
Was therapeutisches Reiten mit Coaching-Sattel betrifft, zieht Barbara Welter-Böller ihre Stirn skeptisch in Falten: „In der Therapie ist vor allem Körperwärme wichtig. Nur so können Spasmen der Adduktoren gelöst werden. Zudem sollte der Patient die Bewegungen des Pferds deutlich spüren.“ Der Coaching-Sattel kann die Osteopathin und Human-Physiotherapeutin nicht überzeugen: „Mit der in der Therapie üblichen Ausrüstung wie Pad und Gurt bin ich besser bedient.“
Mit computergestützten Druckmessungen untersucht Barbara Welter-Böller die Passform des Sattels. Dazu benutzt sie das Funkmess-System der Firma T&T Medilogic (CAVALLO 6/2008). Eine Matte mit 446 Sensoren wird unter Sattel und Satteldecke gelegt und überträgt die Daten per Funk auf den PC. Schon im Stand ohne Reiter zeigt ein leuchtend roter Punkt, dass der Sattel am Widerrist direkt auf dem Knochen liegt. In der Bewegung mit Reiter leuchtet die komplette Druckgrafik auf dem Bildschirm rot auf. „Wo das Pferd Last tragen könnte, liegt der Sattel gar nicht auf. Deutlich sind die Druckpunkte des Gurts zu erkennen“, so Welter-Böller. Für Frank Aue ist klar: Selbst harmlose Ausritte mit Töchterchen Lisa-Marie scheiden angesichts des Druckbilds aus.
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Sattel behindert Pferd

„Er liegt viel zu weit hinten und staucht das Pferd im Übergang des Lendenwirbelbereichs zum Kreuzbein“, diagnostiziert Welter-Böller von unten. Die Sitzflächen reichen vom zehnten Brustwirbel bis zum vierten Lendenwirbel. Die Osteopathin kritisiert: „Hier hinten ist das Bewegungszentrum des Pferds.“ Liegt dort ein Sattel, behindert er das Pferd: Es kann mit der Hinterhand nicht unter den Schwerpunkt treten und mit den Hinterbeinen keine Last mehr aufnehmen. Bei der Inspektion von unten fällt den zwei Testern auch auf, dass der Sattel zu wenig Wirbelkanal besitzt und direkt auf den Rücken drückt. „Auch die Nähte sind nicht nach innen vernäht, die Kanten stehen ab“, stellt Barbara Welter-Böller fest.
Wer nicht selbst darauf sitzt, kann sich gut vorstellen, durch den Coaching-Sattel ein besseres Gefühl für Traversalen oder Stellung und Biegung zu entwickeln. Schließlich steckt ein Könner dahinter. Doch der Schein trügt: In der vorderen Schale sitzt der Reiter auf den Oberschenkeln und nach vorne geneigt. Aufrechtes Sitzen ist durch Konstruktion und Lage des Sattels nicht möglich. Wie aber soll ein Reiter korrekte Lektionen lernen, wenn er weder im Schwerpunkt sitzt noch beide Gesäßknochen belasten kann?
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