




"Vor der Prüfung wurde den Pferden eine Honig-Wachs-Mischung auf die hinteren Backenzähne geschmiert, damit die Richter das Zähneknirschen nicht hören.“ Die junge Pferdepflegerin, die ihren Namen lieber nicht nennen möchte, erinnert sich noch zu gut an die Gepflogenheiten auf dem namhaften deutschen Dressurpferdegestüt, bei dem sie bis vor kurzem gearbeitet hat.
Doch nicht nur schmierige Tricks gehörten dazu, sondern auch eng verschnürte Nasenriemen. So fest, dass die Pferde ihre Zungen nicht herausstrecken konnten. Denn für beides, hängende Zungen und knirschende Zähne, kassieren Turnierreiter Punktabzüge.
Wann aber ist ein Nasenriemen zu stramm? Wo und wie soll er sitzen? Diese Fragen will die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) künftig eindeutiger beantworten. Gemeinsam mit Michel Putz, Dressurausbilder aus Erlangen und Träger des Goldenen Reitabzeichens, überarbeitet die FN derzeit ihre Regeln zur korrekten Verschnallung der Nasenriemen.
„Die aktuellen Richtlinien sind nicht präzise und machen es schwierig, objektiv zu beurteilen, ab wann ein Riemen zu fest verschnallt ist“, so Putz. „In den neuen Richtlinien wird es konkretere und ausführlichere Angaben geben.“
Nasenriemen zu eng verschnallt






So sind stramm gezurrte Nasenriemen feste Tradition der Turnierwelt. Schon vor sieben Jahren hat Michael Putz zusammen mit CAVALLO die Riemen einiger hundert Turnierpferde getestet. Traurige Bilanz: Bei gut einem Drittel waren die Reithalfter zu fest verschnallt.
Die Schnür-Praxis hält sich hartnäckig, obwohl die Richter die Möglichkeit haben, sich vom korrekten Sitz des Zaumzeugs zu überzeugen. „Doch das machen sie in den wenigsten Fällen“, klagt Anja Beran, klassische Ausbilderin aus dem bayerischen Bidingen. Die Richter schauen nicht hin – und die Reiter schnüren feste zu. Die Auswirkungen können sogar Laien sehen, glaubt die junge Gestütsmitarbeiterin. „In den Dressurprüfungen hing zwar nicht die Zunge aus dem Maul und Knirschen hörte man auch nicht, aber die Pferde gingen eindeutig nicht losgelassen. Der Rücken war stramm, alles sah gezwungen aus. Durch den engen Nasenriemen quollen zudem die Adern aus dem Kopf. Genau diese Pferde gewannen große Turniere.“
Michael Putz kommt das bekannt vor: „Die Richter lassen sich von strampelnden Vorderbeinen beeindrucken, sehen aber nicht, dass die Pferde eigentlich nicht losgelassen sind, die Reiter mit ihren Händen ziehen und die Reithalfter falsch verschnallt sind. Dabei sollten Richter die Anwälte der Pferde sein.“
Abstand einfach nachmessen






Auch in dem Dressurgestüt herrschte ein fester Zug: „Oft war der Riemen so bombenfest, dass ich ihn auch mit aller Kraft nicht lösen konnte“, erinnert sich die Pferdepflegerin. Trensen durfte sie nicht, das nahmen die Bereiter selbst in die Hand. Abtrensen aber war ihre traurige Aufgabe. „Die armen Tiere.“
Wirklich böse aber meinen es die wenigsten Reiter. Viele ziehen die Riemen aus Gedankenlosigkeit oder Gewohnheit an. Einige haben die korrekte Verschnallung nie gelernt oder wieder vergessen. Vor allem Reitanfänger sind unsicher. Oftmals orientieren sie sich nicht am empfohlenen Zwei-Fingerabstand zwischen Nasenbein und Leder, sondern daran, wie fest die anderen Reiter angezogen haben. Die Spuren am Leder weisen ihnen den Weg.
Das erlebt auch Ausbilderin Elke Trümmer aus Freiburg im Breisgau: „Wenn ich die Reitschüler darauf hinweise, reagieren sie oft entsetzt und schämen sich. Denn sie lieben ihre Pferde und wollen ihnen nicht wehtun.“ Doch die Knebelmethode ist Tierquälerei.
Zuschnüren gehört verboten!






Dabei wäre das oft dringend nötig: „Harte Reiterhände sind ein großes Problem“, hat der österreichische Biomechaniker und Ausbilder Dr. Robert Stodulka festgestellt. „Durch den Zug wird die Pferdezunge gequetscht. Das verursacht Schmerzen. Das Pferd versucht, diesem Schmerz zu entkommen und mit dem Unterkiefer zu entweichen. Oder es streckt die Zunge heraus.“
„Eine aus dem Maul hängende Zunge ist eine Bankrotterklärung an den Reiter“, findet Pferdewirtschaftsmeisterin und Westernreiterin Petra Roth-Leckebusch aus Nümbrecht. Also ziehen die Reiter die Riemen derart an, dass die Pferde ihre Mäuler nicht mehr öffnen können.
Dabei verursacht der Druck Schmerzen. „Ein Teufelskreis“, sagt Klaus Balkenhol, mehrfacher Olympiasieger und ehemaliger Trainer der deutschen Dressurequipe. „Statt an der Ursache zu ar-beiten, werden nur die Symptome kaschiert. Der Schmerz bleibt. Das Pferd fühlt sich unwohl und verspannt.“
„Losgelassenheit – Fehlanzeige“, sagt Biomechaniker Stodulka. „Durch den Schmerz verspannt zunächst die Kaumuskulatur. Das führt wiederum zu einer eingeschränkten Beweglichkeit des Kiefergelenks. Das Kiefergelenk ist für den Reiter jedoch der Schlüssel zum Pferd. Es folgt eine Kettenreaktion: Genick, Hals, Rücken und Hinterbeine werden stramm. Die Hilfen des Reiters kommen nicht mehr beim Pferd an.“
Warnsignal Zähneknirschen






Langfristig drohen Zahnprobleme, aber auch psychologische Schäden: „Solche Pferde sind bereits beim Satteln verängstigt und verspannt“, so Michael Putz. „Das Pferd wird keine Freude mehr beim Reiten haben und nicht willig mitarbeiten.“
Reitern fällt das oft nicht auf, denn scheinbar klappt alles. Was sie nicht sehen oder sehen wollen: Ihr Pferd hat resigniert. Es fügt sich, um das Training möglichst schmerzfrei zu überstehen.
Langfristig leiden Pferdepsyche und Körper gleichermaßen. Dr. Josef Hollerrieder von der Tierklinik Hochmoor in Nordrhein-Westfalen: „Muskelschäden durch Verspannungen sind programmiert. Durch den starken Zügelzug und einen festen Nasenriemen kann es auch zu schmerzhaften Druckstellen kommen.“ Nasenbeinbrüche haben Dr. Hollerrieder und sein Kollege Dr. Kai Kreling von der Tierklinik Binger Wald in Rheinland-Pfalz deswegen noch nicht diagnostiziert – zum Glück.
Was früher in der klassischen Reiterei selbstverständlich war, muss heute offenbar neu gelehrt und gelernt werden: sanftes, schmerzfreies Reiten. Elke Trümmer macht sich dafür stark. Sie ist Trainerin bei der Gesellschaft Xenophon, eine Organisation gegründet von namhaften Reitexperten. Die Gesellschaft beruft sich auf jahrtausendealte Grundsätze der klassischen Reitlehre, die der Grieche Xenophon 365 Jahre vor Christus niederschrieb und die heute mehr denn je Gültigkeit haben. Xenophon selbst sagte es so: „Wo Gewalt einsetzt, bleibt der Weg zur Kunst verschlossen.“
Tierarzt Dr. Robert Stodulka appelliert an alle Reiter, immer wieder die Zäumung zu überprüfen und sie im Zweifel lieber zu entschärfen. Wer es nicht selbst in der Hand hat, sollte zumindest das Problem ansprechen, findet die junge Pferdepflegerin. „Ich habe gelernt. In Zukunft werde ich anders reagieren und sofort den Bereiter zur Rede stellen.“ Es muss wirklich nicht immer das letzte Loch sein.