Hart auf hart kommt’s im CAVALLO Test: Ein Schlagkörper aus Stahl kracht auf einen Amboss. Dazwischen: die Schutzwesten. Wieviel Schlagkraft lässt das Dämpfungsmaterial durch? Die Messungen beim Protektoren-Spezialisten SAS-TEC sollen zeigen, wie gut die Testmodelle den Reiter schützen und decken dabei eine gefährliche Sicherheitslücke auf.
Knapp zehn Kilo wiegt der Karton mit den sechs Sicherheitswesten, die CAVALLO zum Test in das Labor von SAS-TEC in Markgröningen verfrachtet: „Outlyne“ von Airowear, „Belton“ von Busse, „Vario“ von Komperdell, Michael Jungs „Panel Guard“ sowie die Westen „Flexi Black“ von USG und „Flexi Motion“ der Marke L-Safety.
Alle Westen im Test sind nach der neuesten Sicherheitsnorm EN 13158 zertifiziert und entsprechen dem höchsten Schutzlevel drei. Bei der Zertifizierung müssen sie hohe Aufprallenergien ordentlich dämpfen. Das sollten sie auch im CAVALLO-Test schaffen – doch das Dämpfungsmaterial der Weste von Busse lässt ein vielfaches der erlaubten Werte durchrauschen. An der Brust dringen im Schnitt rund 33 Kilonewton (kN) durch; zulässig laut Norm wären nur 4 kN. CAVALLO informiert den Hersteller über die alarmierenden Ergebnisse. Der stoppt die Auslieferung der Weste sofort und schickt ein anderes Exemplar des Modells „Belton“ zum Nachtest. Und tatsächlich: Das zweite Exemplar aus dem Jahr 2014 dämpft die Kraft im Schnitt auf unter 3 kN ab.
Weitere Nachforschungen des Herstellers im Anschluss an den CAVALLO-Test zeigen: Bei einem Teil der 2015 in Pakistan produzierten Westen ist ein mangelhafter Schaum verarbeitet worden. Busse will nun in Zusammenarbeit mit den Behörden alles daran setzen, möglichst alle mangelhaften Sicherheitswesten aus dem Handel zu entfernen und bereits verkaufte Westen zurücknehmen.
„Obwohl nicht alle Westen mit Produktionsdatum 2015 von dieser Problematik betroffen sind, planen wir trotzdem, sämtliche Produkte aus diesem Jahr auszutauschen“, schreibt Busse in einer Stellungnahme an CAVALLO und bedauert die bestehende Situation zutiefst.
Böser Materialfehler

Der aufgedeckte Fehler zeigt, wie wichtig unsere Tests sind: Dämpfen die Westen nicht richtig, ist das mitunter lebensgefährlich.
Ob das Material ausreichend schützt, prüfen wir im Schlagtest: Dabei liegen die Westen auf einem Amboss aus Metall auf, Sensoren in einer Platte darunter messen, wie viel Restkraft durch die Weste dringt, wenn der Schlagkörper mit Schwung auf sie herunterrauscht.
Ein Materialfehler kann üble Folgen haben, denn in der Realität steckt unter der Weste kein stählerner Amboss, sondern ein Reiter aus Fleisch und Blut. Dem Schlagkörper entspricht zum Beispiel ein Pferdehuf, der den Reiter nach einem Sturz erwischt. Auch einen Aufprall auf ein festes Hindernis oder den Zusammenstoß mit einem Ast im Gelände kann der Schlagtest gut simulieren.















Oft verletzen sich Reiter an der Wirbelsäule
Dass bei Reitunfällen häufig der Oberkörper betroffen ist, zeigt eine 2015 veröffentlichte Studie der Universitätsklinik für Unfallchirurgie in Hannover. Häufigste Folge eines Sturzes vom Pferd sind nach Kopfverletzungen (17,5 Prozent) sowie Arm- und Schulterverletzungen (17,4 Prozent) Verletzungen der Brust- und Lendenwirbelsäule mit 12,9 Prozent.
Ein guter Körperprotektor kann einen Aufprall auf den Oberkörper stark mildern, Verletzungen aber nicht ganz verhindern.
Fällt ein Reiter etwa auf die Schulter, kann allein das Körpergewicht das Schlüsselbein brechen, wie Diplom-Ingenieur Holger Hertneck von SAS-TEC erklärt. „Auch gegen Stauchverletzungen der Wirbelsäule schützt eine Weste nicht“, so Hertneck. Größere Verletzungen des weichen Gewebes, Brüche der Rippen und Verletzungen durch einen direkten Aufprall können Schutzwesten im besten Fall aber verhindern.
Um herauszufinden, wie gut die Testmodelle den empfindlichen Brust- und Rippenbereich schützen, markiert Holger Hertneck
jeweils drei Punkte auf der Vorderseite mithilfe einer Schablone: einen mittig auf dem Reißverschluss, einen etwas weiter unten links und einen rechts. Anschließend saust ein kantenförmiger Schlagkörper auf die angezeichneten Punkte herunter, der eine Aufprallenergie von 45 Joule entwickelt.
Zum Vergleich: Ein Abbruchhammer für Profis, der mit 45 Joule Stoßenergie auf einen Betonbrocken einhämmert, zerkleinert
diesen in Sekundenschnelle. Die entwickelte Energie hängt dabei von der Masse und der Geschwindigkeit des Schlagkörpers ab.
So läuft der Labor-Test ab
Unter den auf der Weste markierten Schlagpunkten liegt beim Schlagtest an der Brust ein von einem Schutzring umschlossener Amboss. Durch den einen Zentimeter höheren Ring kann sich die Weste nach unten etwas biegen, bevor der Schlag auf dem Amboss auftrifft. „Das soll die Elastizität des menschlichen Körpers simulieren“, wie Hertneck erklärt. Die Restkraft fällt durch einen Schutzring also tendenziell geringer aus.
Der CAVALLO-Testaufbau entspricht im Brustbereich damit der Norm, nach der alle Testkandidaten zertifiziert sind. Die durchschnittliche Restkraft muss laut Norm bei fünf Aufschlägen unter vier kN liegen, bei einzelnen Schläge dürfen maximal sechs kN durchdringen. Diese Grenzwerte gelten bei der Zertifizierung für Westen auf dem höchsten Schutzlevel drei. Die Westen von Airowear, Komperdell und Michael Jung bestehen den Test der Vorderseite mit Bravour. Bei drei verschiedenen Schlagpunkten im CAVALLO-Test lassen diese Westen im Schnitt alle unter 2,6 kN Restkraft durch. Bei den Modellen „Flexi Black“ von USG und „Flexi Motion“ von L-Safety liegen die Werte mit durchschnittlich 5,69 bzw. 4,83 kN leicht über dem nach Norm erlaubten Durchschnittswert von unter vier kN. An diesem Grenzwert orientieren auch wir uns bei der Beurteilung. Die ähnlichen Werte der beiden Modelle sind nicht verwunderlich, denn Loesdau hat die nur wenig anders aufgebaute L-Safety-Weste „Flexi Motion“ beim Hersteller USG eingekauft, der auch „Flexi Black“ im Sortiment hat.
Wenn das Schlaggewicht aufprallt
Fast schon metallisch klingt der Aufschlag beim ersten Testexemplar der Weste „Belton“ von Busse. Steil schnellt die Kurve in die Höhe, die auf Hertnecks Monitor anzeigt, welche Kraft auf die Sensoren unter dem Amboss wirkt. Autsch! Bis auf 37,8 kN klettert die Kurve bei einem der Schläge, im Durchschnitt lässt die Weste an der Brust 33,12 kN durch. „Das ist ein ganz schlechtes Ergebnis“, stellt Holger Hertneck fest.
Schneidet der Körperprotektor am Rücken besser ab? Auch hier markiert der Testleiter drei Punkte. Der Schlagkörper ist diesmal rund und flach, der Amboss hat einen Radius von 100 mm. Der Schlagkörper entwickelt eine Aufprallenergie von 35 Joule. Soweit entspricht der Testaufbau der Norm. CAVALLO verschärft die Bedingungen jedoch etwas und verzichtet beim Rücken-Test auf einen Schutzring. Das erste Modell von Busse liegt im Prüfstand, wieder kracht es: Mit durchschnittlich 14,17 kN sind die Werte zwar nicht ganz so hoch wie an der Brust, fallen aber immer noch deutlich aus dem Rahmen.
Die Weste „Vario“ von Komperdell lässt mit 4,71 kN nur etwas mehr durch als die übrigen Westen, bei denen Hertneck im Schnitt unter vier kN misst. Das Rennen um die niedrigste Restkraft gewinnt „Flexi Black“ von USG mit 3,17 kN. An der Schulter dagegen bietet „Vario“ den besten Schutz. Als CAVALLO-Zusatztest prallt hier ein kantenförmiges Schlaggewicht mit 60 J Aufschlagenergie auf die Oberseite der geschlossenen Träger.
Schulterschützer dürfen unter diesen Bedingungen im Schnitt unter 25 kN durchlassen, allerdings hat keine der Testwesten solche Protektoren. Schaffen die Träger genauso viel Dämpfung? Das Modell „Vario“ kommt mit 5,02 kN Durchschnitts-Restkraft locker auf das Dämpfungs-Niveau eines Schulterschützers, der manchmal aus härterem Material als die übrige Weste gefertigt wird. Auch alle anderen Westen bleiben unter 18 kN. Nur das erste Exemplar von Busse schlägt mit 36,85 kN zu Buche. Die meisten Träger können, was die Stoßdämpfung angeht, also mit den Schulterschützern mithalten – sie decken aber weniger Fläche ab und bieten keinen Schutz bei einem Sturz auf die Seite der Schulter.
Da Schulterverletzungen bei Stürzen sehr häufig sind, bieten viele Hersteller daher zum Westenmodell passende Schulterprotektoren zum Nachrüsten an.















Produktionsfehler: Das falsche Material eingenäht
Beim Nachtest mit dem zweiten „Belton“-Modell muss sich keiner die Ohren zuhalten: Die Kurve bleibt flach, die Werte unterscheiden sich drastisch vom ersten Durchgang. Beide Exemplare wurden laut Etikett in Pakistan hergestellt, andere Hersteller im Test produzieren zum Beispiel in China oder Israel.
Optisch unterscheiden sich die beiden Westen nicht, doch das Modell aus 2015 ist spürbar weicher. Ein ahnungsloser Verbraucher kann dies jedoch nicht bemerken. Unser Test hat nicht nur dafür gesorgt, dass ein unsicheres Produkt aus dem Handel verschwindet, sondern auch gezeigt, wie wichtig die regelmäßige Prüfung trotz Zertifizierung ist – denn bei Sicherheitsausrüstung kommt es im Falle des Falles auf jedes einzelne Exemplar an.

RÜCKENPROTEKTOR ODER WESTE?

IN WELCHER WESTEN-LIGA SPIELST DU?
Die aktuelle Norm für Schutzkleidung im Reitsport heißt EN 13158 und ist von 2009. Bei Schutzwesten gibt es drei Level, Westen der Klasse 3 müssen bei der Zertifizierung die höchsten Aufprallenergien aushalten. Klasse 1 bietet am wenigsten Schutz und ist als Leichtgewicht nur für Jockeys gedacht.
RÜCKENPROTEKTOR ODER SCHUTZWESTE?
Rückenprotektoren werden nach der Motorradnorm EN 1621-2 von 2003 zertifiziert. CAVALLO testete zum Vergleich Protektor „Pro“ von Finn Tack. Die Restkraft lag am Rücken mit im Schnitt 4,64 kN nur wenig über den meisten Westen. Aber: Die Körpervorderseite schützen Rückenprotektoren nicht!
SO SITZT DIE WESTE RICHTIG
AUFSITZEN, BITTE!
Probieren Sie die Weste im Sattel aus oder setzen Sie sich auf einen Stuhl. Das Rückenteil sollte fünf Zentimeter Abstand zur Sitzfläche bzw. dem Sattelkranz haben, damit Sie nicht hängenbleiben. Wenn die Weste vorne nicht über den Hosenbund reicht, hat sie auch im leichten Sitz genug Abstand zum Vorderzwiesel. Die Weste sollte die Rippen bedecken.
SO EINE KLETTE
Die Weste muss am Körper anliegen, sonst kann sie sich bei einem Sturz nach oben
schieben und den Reiter verletzen. Über Klettverschlüsse lassen sich viele Modelle regulieren. Achtung: Die Klettfläche muss groß genug sein. Einige Westen haben als Hilfe farbige Markierungen, die nicht sichtbar sein dürfen, wenn die Weste geschlossen ist.
DIE STEHT FAST BIS ZUM HALS
Arm- und Halsausschnitt sollten genügend Bewegungsfreiheit bieten. Vorne muss das Brustbein bedeckt sein (es endet unter der fühlbaren kleinen Grube am Hals), hinten der spürbare siebte Halswirbel am Nackenende.














