Ukrainische Pferdetrainerin flieht mit elf Pferden

Flucht mit Pferden aus der Ukraine
„Ohne meine Pferde wäre ich nicht gegangen“

Zuletzt aktualisiert am 14.03.2022

CAVALLO: Mit wie vielen Menschen und Tieren bist du unterwegs?
Anita: Wir haben niemanden zurückgelassen und alle Tiere mitgenommen. Insgesamt sind wir dreizehn Personen, elf Pferde, zwei Hunde und eine Katze.

CAVALLO: Hast du je darüber nachgedacht, ohne deine Pferde zu gehen?

Anita: Nein, ich kann mir ein Leben ohne Pferde nicht vorstellen. Vor allem kann ich mich nicht von meinen Pferden trennen, sie sind wie Kinder für mich. Ich kenne sie alle schon sehr lange, einige habe ich aufgezogen, seitdem sie Fohlen waren. Mein Team und ich, wir haben eine sehr enge Beziehung zu ihnen. Sie sind nicht nur Tiere, sie sind viel mehr.

CAVALLO: Wie problematisch war es, Kiew zu verlassen?

Anita: Das Problem bestand darin, dass kein Spediteur in die Region um Kiew fahren wollte, weil dort viel geschossen wurde und das Gebiet zu gefährlich ist. Wir hatten aber keinen Pferdetransporter und nicht genügend Autos und Pferdeanhänger, um elf Pferde zu fahren. Als mein Freund merkte, dass ich wirklich nicht ohne meine Pferde gehen werde, baute er aus einem leeren LKW einen Pferdetransporter. Er ist beruflich in dem Bereich tätig und schloss mit einem Kunden einen Deal ab: Er baut den Pferdetransporter für ihn und wir bringen unsere Pferde damit aus der Gefahrenzone. Nach drei Tagen und zwei Nächten war alles fertig. Acht Pferde passten schließlich in den Transporter. Die drei Ponys verluden wir in einen Pferdeanhänger.

CAVALLO: Was habt ihr während der Flucht bislang erlebt?

Anita: Wir wollten um das Kriegsgeschehen herumfahren und mussten deshalb einen großen Umweg um Kiew nehmen. Die Straßen waren überfüllt und es gab viele Staus. Immer wieder passierten wir Check-Points, wo bewaffnete Kontrolleure unsere Papiere überprüft und die Pferde inspiziert haben. Es gibt aktuell kaum Sprit, fast alle Tankstellen sind geschlossen. Die, die noch geöffnet sind, geben nur jeweils 20 Liter Kraftstoff raus. Nachts konnten wir gar nicht tanken, denn dann haben alle Tankstellen zu. Also hielten wir nachts an und schliefen in den Autos. Die Pferde blieben auf dem Transporter und im Anhänger. Insgesamt waren wir drei Tage unterwegs und konnten die Pferde währenddessen gar nicht abladen. Außerdem haben wir nicht viel Wasser für sie gefunden. Unterwegs hörten wir ständig Granaten, vor allem nachts und am Morgen. An dem Tag, an dem wir abreisten, waren die Geräusche näher. Einmal hörten wir Sirenen: ein Luftangriff. In der Nähe flogen Raketen. Wie durch ein Wunder ist uns nichts passiert.

CAVALLO: Nun seid ihr in einem Reitstall in der Stadt Chmelnizkiy im Westen der Ukraine untergekommen, etwa 350 Kilometer von Kiew entfernt. Wie geht es euch und den Pferden?

Anita: Die Pferde waren erschöpft und haben sehr viel an Gewicht verloren, aber ansonsten geht es ihnen gut. Nicht nur wir sind hier, sondern noch andere, die wie wir mit ihren Pferden auf der Flucht sind. Hier können die Pferde sich erholen, während wir Menschen die nötigen Dokumente organisieren, damit wir sie über die Grenze nach Polen bringen können. Es gibt also nicht viel Platz, die Pferde stehen zu zweit in den Boxen, auch in der Reithalle und in einem Longierzirkel sind Pferde untergebracht. Es gibt nicht viel Heu und auch keine Einstreu, denn diese wird vom Militär zum Heizen verwendet. Wir fragen überall herum, um Futter für alle Tiere hier zu finden. Am Sonntag war ich im Krankenhaus, meine Nerven haben nicht mehr mitgemacht. Ich konnte einfach nicht mehr. Immer mehr Nachrichten von mehr und mehr Zerstörung und dem Tod von Menschen, die ich kenne. Es geht nicht in meinen Kopf. Wenn einer meiner Freunde länger nicht erreichbar ist, kann ich unmöglich ruhig bleiben. Außerdem ist die gesamte Flucht sehr teuer, ich habe kaum noch Reserven. In den letzten Jahren haben mein Team und ich nur gearbeitet und uns weitergebildet. Nun mussten wir alles verlassen: das Haus, all unsere Errungenschaften, all unsere Arbeit. Es war nicht leicht, aber wir hatten keine andere Wahl. Wir müssen uns und unsere Tiere in Sicherheit bringen.

CAVALLO: Ist deine Familie noch in der Ukraine?

Anita: Ich selbst stamme aus Charkiw, das jetzt unter schwerem Beschuss steht. Mein Vater und viele meiner Freunde sind noch dort. Wir stehen in Kontakt mit ihnen, aber ihre Situation ist nicht einfach: Beschuss, Mangel an Lebensmitteln, Nervenzusammenbrüche durch die ganze Situation. Es ist nicht leicht, aber wir müssen damit fertig werden. Meine Mutter hat es geschafft, Charkiw zu verlassen. In der Nähe unseres Hauses gab es schwere Kämpfe und wir wissen noch nicht, ob unser Haus auch zerstört wurde. Auch in Kiew habe ich viele Freunde und Verwandte, die nicht mehr ausreisen können. Die meisten von ihnen haben sich nach dem ersten Schock zusammengerissen und begonnen, anderen zu helfen: Mein Ex-Mann ist an der Evakuierung von Menschen aus Krisengebieten beteiligt, meine Freunde helfen Reitern bei der Suche nach Heu, Transportmöglichkeiten und Unterkünften. Wir halten zusammen und versuchen, allen zu helfen, die jetzt Hilfe brauchen.

CAVALLO: Wie geht es für euch weiter, wenn ihr es über die rettende Grenze nach Polen geschafft habt?

Anita: Viele Menschen aus Europa wollen helfen und bieten Unterkünfte für unsere Pferde an. Wir haben bereits einen Stall in Polen gefunden, der bereit ist, alle Pferde, Hunde und Menschen aufzunehmen. Die Dokumente für die Pferde haben wir inzwischen. Jetzt versuchen wir herauszufinden, ob wir mit unserem Transporter über die Grenze kommen, oder ob wir einen anderen Transport finden müssen. Unser Truck wiegt 19 Tonnen und ist nicht offiziell als Pferdetransporter ausgewiesen. Wir haben keine entsprechenden Dokumente dafür.

CAVALLO: Hoffentlich können wir bald berichten, dass ihr es geschafft habt und dass es euch gut geht. Wir wünschen euch viel Kraft.

Update vom 21.03.2022: Anita Krylova hat es über die Grenze geschafft!

"Wir sind extra nachts losgefahren, um die polnisch-ukrainische Grenze zu überqueren. Die Tierärzte an der Grenze arbeiten ab 8 Uhr morgens. Da so viele Pferde dort ankommen, wollten wir so früh wie möglich da sein. Aber vor Ort gab es für uns dann viele Schwierigkeiten. Eins der Dokumente machte Probleme... Wir sind zwar morgens um 6 Uhr beim Grenzschutz angekommen, aber es hat mehrere Stunden gedauert, bis wir alles klären konnten. Die Tierärztin hat uns sehr geholfen. Um 12 Uhr waren wir schließlich an der polnischen Grenze. Wir wussten, dass unser Transporter nicht dem Standart entspricht, aber wir hatten Glück und es wurde nichts beanstandet. Danach ging es zur Tierarztuntersuchung. Vor uns waren dort 19 Pferde angemeldet. Es war ein langwieriger Prozess und wir waren den ganzen Tag beschäftigt. Am Abend haben wir unsere Papiere bekommen."