CAVALLO-Redakteurin Nadine Szymanski hütet den Schatz der Redaktion: die Privatbibliothek des 2004 verstorbenen Reitmeisters Egon von Neindorff. Über 50 Jahre lang vermittelte er an seinem Reitinstitut in Karlsruhe sein Wissen über die klassische Reitkunst und kämpfte für die korrekte Ausbildung von Pferd und Reiter.

Ohne die Kraft der Pferdestärken sind wir ziemlich aufgeschmissen. Da erhält der Spruch "Das wird kein Sonntagsspaziergang" eine ganz neue Bedeutung. Wir kommen entweder nicht besonders weit oder müssen unser Zeitmanagement überdenken, um Kapazitäten für Tagesmärsche freizuschaufeln.
Doch die Sache mit den PS hat einen Haken. Sowohl bei der modernen, benzinbetriebenen Variante als auch beim altmodischen Hafer-Antrieb auf vier Hufen stellt sich heute wie damals die Frage nach der Verkehrssicherheit. Denn Pferde, die plötzlich die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten, hatten einen langen Bremsweg. Aber Kutscher mussten damals keine Knöllchen zahlen. Und einen Kutschenführerschein gab’s auch nicht. Diese Problematik bewog Richard Schoenbeck dazu, 1903 eine "Dienstanweisung für herrschaftliche Kutscher" herauszubringen. Er beklagt darin: "Wären die Pferde nicht so überaus gutmütige Geschöpfe, wie viele tausend Unfälle mehr, als bereits passieren, würden wir unseren heutigen Kutschern zu verdanken haben!"
Das kleine Buch überrascht mich wie viele andere alte Reitlehren: Auch wenn ich dort stellenweise seltsame Dinge lese (etwa über das "Roborin-Kraftfutter", bereitet aus Blut), so bin ich doch erstaunt, was (der gute!) Pferdemensch damals schon alles wusste.
Schoenbeck war so einer. So beschreibt er den Beschlag als notwendiges Übel, weil die Hornsohle und der Hornstrahl dem natürlichen Gegendruck der Erde entzogen werden und sich dadurch der Huf in den außer Funktion gesetzten hinteren Teilen verengt. Bei einem anderen Satz muss ich spontan an die Einsteller in meinem alten Stall denken, die Fenster und Türen dichtmachten, sobald die Temparaturen einstellig wurden: "Das Verfahren, alle Ritzen, Spalten, Fenster und Türen möglichst luftdicht zu verschließen, um die Wärme zu erhalten, verhindert die Zufuhr des für die Gesundheit der Pferde nötigen Sauerstoffs."
Aus Schoenbecks Anleitungen zur Stall- und Pferdepflege, das Anschirren und das Fahren spricht nicht nur seine Erfahrung, sondern auch die Liebe zu den Pferden: "Von allen Tieren ist das Pferd das am wenigsten verstandene, das am strengsten beurteilte und am ungerechtesten behandelte."
Die "gute Hand" war für ihn nicht nur die richtige Einstellung zum Lebewesen Pferd, sondern auch Ausbildungssache. Er widmet ihr nicht nur ein eigenes Kapitel, sondern viele Zeilen. Deshalb beantwortet er auch die Frage "Wie fährt der Kutscher hübsch und gut?" genau so, wie wir Reiter uns das Ergebnis einer Trainingseinheit wünschen: "Ein guter Kutscher strebt immer danach, dass die Pferde zum Ende der Fahrt gleicher, richtiger, hübscher gehen und angenehmer in der Hand liegen, als beim Fortfahren."
Kurz-Info zum Buch:
Die "Dienstanweisung für herrschaftliche Kutscher" veröffentlichte Richard Schoenbeck 1903 – drei Jahre, nachdem er die "Deutsche Fahrkunde" herausbrachte. Weil der umfangreiche Vorgänger zu un- praktisch war, um ihn Kutschern als Dienst- anweisung in die Hände zu geben, schrieb der Autor auf vielfachen Wunsch die kompakte Zusammenfassung, die immerhin 192 Seiten umfasst. Das Büchlein ist im Handel nicht mehr erhältlich.