Stille in der Reithalle. Es ist, als würde man in ein eigenes Universum eintauchen. Stress und Hektik fallen sofort ab. Die Ruhe im Raum wirkt magnetisch. Rund hundert Zuschauer schauen gebannt auf den Mann und das Pferd. In der Mitte der Halle ist ein Roundpen für die Freiarbeit aufgebaut. Darin dirigiert Frédéric Pignon einen braunen Wallach wie von Zauberhand. Ohne Strick. Ohne Druck. Das Pferd hebt das Vorderbein zum Spanischen Schritt. "Wooow", lobt der Pferdetrainer mit freundlicher Stimme. Er schaut dem Pferd in die Augen und lächelt. "Good boy." Der Wallach senkt den Kopf – und schließt die Augen.
Volles Vertrauen – das leben die Ausbilder am Boden und im Sattel
"Wenn dein Pferd dir sein Bestes gibt, dann schenke ihm Freude", sagt der Star der Freiheits-Dressur. Diese Freude ist spürbar, und zwar auf dem ganzen Kursgelände des Niedersächsischen Landgestüts Celle. In der Halle arbeitet Frédéric Pignon frei mit Pferden und deren Besitzern, draußen auf dem Reitplatz coacht seine Frau Magali Delgado die Dressurreiter. Organisiert haben den Kurs Nicole Künzel und Kerstin Schmidt aus dem evipo-Verlag. Motto: Voller Vertrauen. Was ist so besonders an der Art, wie das Paar aus Frankreich mit Pferden umgeht?

Pignon und Delgado arbeiten über zwei Tage mit jeweils sechs Pferd-Reiter-Paaren. Das Programm findet parallel statt. Zuschauer können wechseln – je nach Interesse. Und so viel vorweg: Man möchte nichts verpassen, sondern alles aufsaugen.
Kommunikation findet auf Augenhöhe statt. Frédéric Pignon sitzt zwischen den Zuschauern, wenn er coacht. Aber auch mit den Pferden bleibt er auf Augenhöhe. Dafür gibt es gleich ein beeindruckendes Beispiel: Hannoveraner Habanito, der eben noch Lob abgesahnt hatte, trabt durch den Ring. Seine Augen suchen die Pferde draußen. Dabei wollte Frédéric Pignon eigentlich, dass das Pferd bei ihm stehenbleibt. Tut es aber nicht. Statt ihm nun den Weg abzuschneiden und den 13-jährigen Wallach zu stoppen, sagt der Trainer schlicht: "Nicht schlimm. Er ist ein Pferd. Er möchte laufen. Warum nicht? Er bevorzugt das gerade – also laufe ich mit ihm." Gesagt, getan. Schon ist der Franzose an der Seite des Braunen und trabt neben ihm her.

Wie am unsichtbaren Band verbunden, wechseln die beiden gemeinsam Tempo und Richtung. Mensch und Pferd tanzen. Wer führt, ist kaum sichtbar. Als beide zum Stehen kommen, streicht Pignon dem Pferd die Ohren aus – von der Ohrwurzel bis zur Spitze.

Wer Linda Tellington-Jones kennt, erkennt ihren Ttouch. Der Franzose nutzt einige der sanften Berührungen, um Pferde zu entspannen.

Und während er das Pferd streichelt, erklärt er dem Publikum, warum bei ihm auch Pferde Vorschläge ins Training einbringen dürfen: Das sei Interaktion. Pferde dürfen mitreden. Auch er schlage lieber etwas vor, anstatt zu befehlen.
Ist das nicht Kontrollverlust? "Die einzige Kontrolle, die ich habe, ist es, eine gute Situation fürs Pferd zu schaffen. Dann macht es dem Tier Spaß, etwas mit mir gemeinsam zu tun." Selbst auf Shows arbeitet der Franzose nach diesem Prinzip. Es gibt zwar ein Programm, aber letztlich dürfen die Pferde mitentscheiden.

Das Ergebnis: Seine Hengste spielen selbst im Alter von 30 Jahren noch gerne mit ihm, wenn er sie auf der Weide dazu auffordert. "Wir Menschen haben oft etwas im Kopf und denken, dass es genauso laufen muss. Aber auf die Art wird das nichts. Pferde sollen das Zusammensein mit mir genießen", erzählt er. Klare Regeln gibt es dennoch: Seinen Raum müssen die Pferde akzeptieren. Ganz nah dürfen sie ihm nur auf Einladung kommen.
Pferde merken sofort, wenn der Mensch zweifelt
Aber zurück zum braunen Wallach. Nun ist seine Besitzerin Patricia Handmann dran. Sie ist mit dem Pferd schon quer durch Deutschland gewandert und reitet klassisch-barock. Freiarbeit üben beide noch nicht so lange. Patricia Handmann möchte von Pignon mitnehmen, wie sie Habanito motivieren und fein dirigieren kann.
Sie versucht, ihr Pferd rückwärts zu schicken – der Wallach stockt in der Bewegung. Frédéric Pignon korrigiert die Körpersprache der Besitzerin: Sie bewege sich nicht fließend, und das drücke Zweifel aus. "Pferde merken das sofort. Auch untereinander zögern sie nicht", meint er. Der Ausbilder vergleicht die Arbeit mit dem Pferd mit Musik: Der Mensch soll den Takt angeben. Ein guter Rhythmus erleichtere den Pferden die Kommunikation. Die Reiterin solle warten, bis das Pferd den ersten Tritt zurück macht – und dann mit dem Pferd gemeinsam gehen. "Man kann dabei im Takt Geräusche machen oder schnalzen oder tak, tak, tak sagen", rät er. Die Frau soll die Beinbewegung des Pferds kopieren, das Pferd kopiere dann ihre Bewegung. Tatsächlich bewegt sich Patricia Handmann beim nächsten Versuch viel rhythmischer – und das Pferd ebenso. Eine beeindruckende Lehrstunde.

Ob die Stimmung auf dem Dressurplatz ebenso gut ist? Schauen wir mal rüber. Ausbilderin Magali Delgado begrüßt gerade ihre Schülerin Michaela Veselíková. Ihr Deutsches Reitpony Sunny ist bis Klasse M in der Dressur ausgebildet und laut Besitzerin "ein Typ zwischen Genie und Wahnsinn". Der Wallach springt ein paar Mal los beim Führen. Die Reiterin hat Mühe, ihn zu halten. "Er hat Angst, wenn die Blätter in den Bäumen vom Wind rascheln", analysiert Magali Delgado. Das Pferd solle bei ihr in der Nähe auf dem oberen Zirkel bleiben. Es gehe nicht darum, unbedingt den Weg beizubehalten. Das Pferd soll da arbeiten dürfen, wo es sich wohlfühle.
Viel Lob und kleine Schritte für das Pony zwischen Genie und Wahnsinn
Außerdem bekommt das Pony eine Aufgabe: Übertreten an der Hand. "Sei präzise", fordert die Ausbilderin. Sie pocht auf Klarheit in der Kommunikation: Das Pferd soll seine Beine Schritt für Schritt setzen – genau auf die Hilfe. Pony und Reiterin setzen das konzentriert um. Und Sunny hat den Wind in den Bäumen schon bald vergessen. Die Reiterin kann sogar aufsteigen.
Sie erzählt, dass ihr Pony oft ins Rennen kommt. Magali Delgado arbeitet an der Balance des Paares. Das sei der Schlüssel. Sie gibt den Rhythmus, in dem das Pferd läuft, mit der Stimme vor. Daraus heraus piaffiert das Pferd an. Als dabei der Rücken schwingt, lobt die Ausbilderin sofort: "Das war super schön! Jetzt aufhören und loben." Sie rät der Reiterin, in kleinen Schritten zu üben. Und nur aus der Entspannung zu piaffieren, damit das Pferd sich nicht im Rücken festmache und Schmerzen mit der Übung verbinde.

Der Weg zur freudigen Mitarbeit: "Wenn der Ansatz stimmt, lobst du und sagst: Supergut! Und wenn es nicht supergut war, lobst du ihn auch. Er soll sich ruhig vorstellen, dass es toll war." Die Reiterin lacht. Und die Ausbilderin schießt noch ein gemeinsames Foto mit ihr.
Magali Delgado und Frédéric Pignon sind Stars zum Anfassen. In der Pause sprechen sie mit den Zuschauern und Teilnehmern. Pignon erkundigt sich bei Karla Rothmann, wie es ihr nach den Einheiten vom Vortag geht. Sie trainierte mit ihrem Holsteiner gleich bei bei den Ausbildern. "Bei mir hat es zum totalen Umdenken im Training geführt",erzählt die Teilnehmerin. Sie trainiert seit 20 Jahren Verkaufspferde. Jetzt hat sie einen dreijährigen Holsteiner – und das erste Mal nur ein Pferd für sich. Sie bildet ihn gerade vom Boden in Liberty aus. Der Wallach beherrscht schon Spanischen Schritt und alle möglichen Lektionen. Aber beim Kurs hieß es für beide: Back to the basics! "Je besser der Trainer ist, desto mehr geht’s an die Details", meint Karla Rothmann.
Das höchste Ziel lautet: Mache dein Pferd glücklich!
Anfangs sei es ein harter Brocken gewesen. Statt an spektakulären Lektionen zu feilen, sollte Karla Rothmann das lockere Antraben am Boden üben. "Dabei habe ich etwas Grundlegendes verstanden: Wenn ich Lektionen übe, geht es immer gleichzeitig darum, mein Pferd glücklich zu machen", resümiert sie. Die positive Art von Pignon und Delgado sei ansteckend – und man könne nicht genug davon bekommen.
Wie bestellt gibt es noch eine Demonstration, wie die Zuschauer mithelfen können, dass sich Pferde wohlfühlen. Frédéric Pignon leitet eine Art Meditation an. Publikum und Teilnehmer sollen die Füße auf dem Boden spüren, den Atem wahrnehmen. Während alle mit geschlossenen Augen in sich lauschen, sinkt der Kopf des eben noch aufgeregten Pferds im Ring.

Kurs-Fazit: Magali Delgado und Frédéric Pignon schaffen eine einzigartige Wohlfühlatmosphäre. Sie schauen Pferden in die Augen, streicheln und lächeln, wenn sie mit ihnen zusammen sind. So etwas ist leider selten, aber viel schöner als die oft ernsten Gesichter in der Pferdewelt. So nimmt wohl jeder ein Lächeln mit vom Kurs. Eine kleine Geste, die so Großes bewirkt im Zusammensein mit Pferden.
"Schaut das Pferd mich mit beiden Augen an, dann ist seine Aufmerksamkeit bei mir" Frédéric Pignon
"Pferde sollen sich in der Dressur frei und natürlich bewegen" Magali Delgado
Kurse & Kontakt
Der evipo Verlag lädt Magali Delgado und Frédéric Pignon möglichst jedes Jahr für einen Kurs nach Deutschland ein. Der Veranstaltungsort wechselt. Kurssprache ist Englisch. Infos für interessierte Teilnehmer und Zuschauer unter: evipo-verlag.eu