David de Wispelaere lehrt Dressurreiten mit feinen Hilfen
David de Wispelaere - Reiten mit Gefühl

Dressurtrainer David de Wispelaere will Reitern den sanften Weg zur Harmonie im Sattel weisen. Hat der Grand-Prix-Reiter wirklich ein so feines Gespür für Pferde?

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Foto: Rädlein

Garon legt die Ohren zurück, reißt den Kopf hoch und verharrt irritiert. Denn es passiert – nichts. Das hat der 12-jährige Hannoveraner offenbar nicht erwartet. Also versucht er gleich noch einmal, seinen Reiter in ein Kämpfchen um die Anlehnung zu verwickeln.

Doch der hat keine Lust auf Streit und lässt den Rappen einfach weiterwüten. Solange, bis der merkt, dass der Mensch auf seinem Rücken ihm wirklich nicht wehtun will, ganz egal, was passiert.

Dem Grand-Prix-Reiter sind die Zuschauer egal

Der Mensch im Sattel ist Grand-Prix-Reiter und Dressurausbilder David de Wispelaere. Der 50-jährige US-Amerikaner ist sich in diesem Augenblick nicht zu schade, den verunsicherten Wallach minutenlang mit hingegebenen Zügeln langsam ums Viereck traben zu lassen. De Wispelaere geht es nicht darum, wie etwas für die Zuschauer aussieht, sondern nur darum, wie sich das Pferd bei der Sache fühlt.

Ums Fühlen geht es auch den neun Reiterinnen, die an diesem Wochenende zum Dressurkurs mit David de Wispelaere nach Gut Haslach in Oberbayern gekommen sind. An zwei Tagen wollen sie mit Warmblütern, Iberern und einem Araber im Alter zwischen 5 und 15 Jahren Probleme beheben, Lektionen verfeinern und in der Ausbildung weiterkommen. Dies alles soll in Harmonie und Leichtigkeit gelingen. Das schreibt sich de Wispelaere auf die Fahnen. Doch hält der Kurs, was der Profi mit dem großen Namen verspricht? CAVALLO-Redakteurin Melanie Tschöpe und ihr Pferd Donald ritten mit.

Mein Tipp: Mit Köpfchen zu großen Namen
Trauen Sie sich raus! Ich als reine Freizeitreiterin hätte privat wohl nie den Mut gefunden, mich bei einem so hochklassigen Trainer anzumelden. Tatsächlich konnte ich unglaublich profitieren. Voraussetzung ist eigentlich nur zweierlei: Der Trainer muss, so wie David de Wispelaere, bereit sein, auch schwächere Reiter mit weniger ausgebildeten Pferden zu unterrichten.

Und Sie sollten sich gedanklich intensiv mit den zu erwartenden Inhalten beschäftigen. Wenn Sie verstehen, wovon der Trainer spricht, können Sie viel lernen. – Melanie Tschöpe, Redakteurin

Anlehnung und Dehnungshaltung

Der Weg nach vorn führt bei David de Wispelaere für alle Reiter zuerst einmal zurück, nämlich zu Anlehnung und Dehnungshaltung, zwei wesentlichen Basics jeder Dressurausbildung. Das Wichtigste für ihn: "Das Pferd muss sich beim Reiten in jedem Moment sicher und wohl fühlen."

Dies lasse sich nur erreichen, wenn es zu keiner Zeit unter Druck gesetzt werde. Statt auf Gerte und Sporen setzt de Wispelaere deshalb lieber auf die richtige Atemtechnik und Schenkel, die die Bäuche fauler Pferde kaum berühren.

Zwar müsse sich der Reiter auch mal durchsetzen. Aber daraus dürfe nie ein Kampf werden. Denn solange Pferd und Reiter gegeneinander arbeiten, könnten die beiden nie zu einem harmonischen Tanzpaar verschmelzen.

Und dieser harmonische Tanz sei schließlich die Essenz der Dressur. Seine Ansichten zum Reiten erklärt de Wispelaere den Kursteilnehmerinnen in einer Theorieeinheit am Morgen des ersten Kurstags. Er spricht leise, seine tiefe Stimme klingt weich, das Deutsch gefärbt von einem amerikanischen Akzent.

Damit bricht David de Wispelaere schon in den ersten Minuten die Erwartungen, die sein Erscheinungsbild weckt. Kräftiges Kinn, schmale Augen, breite Schultern, modisches Polohemd und Reitstiefel in exklusiver Farbe – Gesicht, Statur und Garderobe des Trainers lassen nicht wirklich einen sanften Schöngeist erwarten.

Doch als genau der entpuppt sich der Musik- und Antiquitäten-Liebhaber im Verlauf des Wochenendes. Laute Worte sind seine Sache nicht. Selbst dann nicht, als ein mächtiger schwarzer Wallach seine Reiterin mit dem Versuch, das Viereck zu verlassen, in Bedrängnis bringt.

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Rädlein
Hörst du mich? Feine Hilfen sind nur möglich, wenn Pferd und Reiter miteinander kommunizieren. De Wispelaere fragt vom Sattel nach der Aufmerksamkeit der Pferde.

Pferde korrigieren ohne Druck

Der renitente Rappe ist mein achtjähriger schwerer Warmblüter Donald. Er setzte seine 700 Kilo Lebendgewicht heute dazu ein, die Reiterhilfen einfach niederzuwalzen. Sitzfehler bei mir, Ausbildungsmängel beim Pferd, gemeinsame Nervosität beim ersten Auswärts-Kurs und ein empfindliches Maul nach einer erst vor zwei Monaten absolvierten Zahn-OP eskalieren zum GAU – nichts geht mehr.

Während ich immer steifer werde und immer ungeschickter einwirke, kündigt mein eigentlich kooperatives Pferd die Zusammenarbeit auf. Was nun? David de Wispelaere bleibt ruhig und schraubt die Anforderungen Schritt für Schritt runter. Vom Trab zum Schritt, von großen Linien auf einen überschaubaren Zirkel.

Dabei identifiziert er den Kern des Problems: die äußeren Hilfen. Ich lenke zu viel mit dem inneren Zügel, und Donald ignoriert meinen äußeren Schenkel. Beides zusammen lässt ihn immer wieder über die äußere Schulter ausbrechen.

Donald ist unsicher, ihm fehlt eine klare Führung

"Ihm fehlt eine klare Führung, deshalb ist er unsicher", erklärt de Wispelaere. Denn Donalds Fluchtversuche wurzeln vor allem darin, dass er sich in der fremden Umgebung fürchtet. Das führt sowohl zu den Lenkproblemen als auch dazu, dass der Wallach im Trab untypisch eilig wird. Um Schmerzen im Maul auszuschließen, wechseln wir nach 20 Minuten von der Trense zum gebisslosen LG-Zaum.

Damit ich dann die Kontrolle über mein Pferd zurückgewinnen kann, muss ich zunächst meinen eigenen Körper in den Griff bekommen. Handhaltung, Zügelführung, Schulterposition, Blickrichtung, Schenkellage – es gibt eine Menge Baustellen. Gegen die Spannung hilft, bewusst immer wieder kräftig und schnaubend auszuatmen und den Körper zum nassen Sack werden zu lassen.

Gleichzeitig muss ich schneller werden. "Warte nicht ab, bis er dir entgleitet, sondern reagiere, sobald das erste Anzeichen für ein Problem da ist", rät David de Wispelaere. "Dann kannst du mit sanfter Einwirkung Schlimmeres verhindern und musst nicht grob werden."

Zum Beispiel beim Lenken: Ich lerne, mit äußerem Zügel und Schenkel eine klare Grenze aufzubauen. Und plötzlich hängt in den Kurven der innere Zügel durch, ohne dass Donald drängelt. Es geht ganz leicht, wenn ich es nur richtig mache.

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Rädlein
Schulterkontrolle: Damit Donald nicht mehr ausbricht, erklärt David de Wispelaere Redakteurin Melanie Tschöpe die Hilfen im Stand und im Schritt (Bild).

Vertrauen des Pferds zur Reiterhand

Schnell und richtig zu reagieren, ist überhaupt der Schlüssel zur Harmonie. Richtig ist dabei laut David de Wispelaere alles, was dazu beiträgt, negative Spannungen im Pferd abzubauen. Und die gibt es auch bei den Pferden der anderen Kursteilnehmer immer wieder. Ursache ist meist fehlendes Vertrauen, vor allem zur Reiterhand. "Das Pferd muss das Gebiss suchen. Nur dann kann der Reiter über eine lebendige, elastische Zügelverbindung mit dem Maul kommunizieren", erklärt der Trainer.

Eine weiche Anlehnung und eine korrekte Dehnungshaltung sind deshalb bei allen Reitern Thema. Hapert es noch bei Stellung und Biegung, holt de Wispelaere die Reiter in ruhigerem Tempo auf engere Kreise. Die Pferde finden so leichter in die gewünschte Haltung als wenn der Reiter versucht, diese allein mit seinen Hilfen zu erreichen. Der Trainer lässt Schultervor oder Schulterherein auf dem Zirkel reiten.

"So kommt das innere Hinterbein automatisch besser unter den Schwerpunkt." Hektische Pferde werden per Atmung, Stimme und mit einer kraulenden Hand am Widerrist beruhigt. "Die Geste ist nicht nur ein Lob. Wenn die Pferde sie kennen, kann diese Berührung zu einer Art Ruhe-Knopf werden", sagt de Wispelaere. "Streichelt der Reiter dort, soll das Pferd sich entspannen und den Hals fallenlassen." Das Ziel für alle Teilnehmer: Ihre Pferde sollen die Lektionen ihres jeweiligen Ausbildungsniveaus auf feine Hilfen in Losgelassenheit und Selbsthaltung zeigen.

Gelingt eine Übung nicht, müssen zunächst diese beiden Faktoren wieder hergestellt werden, bevor das Training weitergehen kann. Das ist im Prinzip nichts Neues, sondern steht seit Jahrhunderten in allen guten Schritten zur klassischen Reitlehre. Besonders ist aber die Bedingungslosigkeit, mit der David de Wispelaere an diesen Grundsätzen festhält. Und das Geschick, mit dem er Pferde und Reiter auf den richtigen Weg führt.

Mit schnellem Blick erkennt er die Schwachstellen von Pferd und Reiter und hat für jedes Paar individuelle Lösungsansätze bereit. Ohne Schema F, dafür mit vielen guten Ideen, sorgt er innerhalb von nur zwei Übungseinheiten für enorme Fortschritte.

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Hörst du mich? Feine Hilfen sind nur möglich, wenn Pferd und Reiter miteinander kommunizieren. De Wispelaere fragt vom Sattel ebenso wie vom Boden (Bild) nach der Aufmerksamkeit der Pferde.

Reiten ohne Gerte und Sporen

Sporen und Gerte sind für die Ausbildung des Pferds nicht nötig, sagt David de Wispelaere. Er hält diese Hilfsmittel sogar für riskant. Reiten ist in völliger Losgelassenheit am schönsten. Erwartet ein Pferd schmerzhafte Sporenstiche oder Schläge mit der Gerte, kann es nicht entspannen und losgelassen gehen. Sporen und Gerte sind zur Ausbildung eines Dressurpferds nicht nötig.

Schon das Anreiten funktioniert ohne sie besser, weil das Pferd nicht von Stichen oder Hieben erschreckt wird und sein Vertrauen zum Reiter nicht verliert. Geht ein gut vorbereitetes Pferd beim ersten Reiten nicht freiwillig vorwärts, arbeiten Sie lieber mit einem Führpferd, als nach schärferen Waffen zu greifen.

Für eifrige Pferden sind die Hilfsmittel auch später oft unnötig. Bei trägeren Tieren benutze ich schon eine Gerte, allerdings nie, um das Pferd damit zu schlagen. Lieber lasse ich sie in der Luft etwas zischen oder ticke das Pferd sanft an. Jeder kräftige Schlag bringt negative Spannungen ins Pferd, die Losgelassenheit be- und Harmonie verhindern.

Damit ein träges Pferd auf feine Hilfen reagiert, müssen Reiter ihre Hilfengebung "aufräumen". Oft werden zu viele und zu starke Hilfen gegeben. Anstatt mit den Schenkeln zu quetschen, nehmen Sie die Beine vom Pferd weg und berühren es nur, wenn Sie einen Impuls geben. So werden auch Faulpelze wieder sensibel. Arbeiten Sie mit Ihrer Körperspannung – wenn Sie hörbar einatmen und sich energisch aufrichten, übertragen Sie auch so Energie auf Ihr Pferd.

Info:
David de Wispelaere, Jahrgang 1961, stammt aus den USA. Nach etlichen Trainingsbesuchen, unter anderem bei Dr. Reiner Klimke und Arthur Kottas-Heldenberg, übersiedelte er 2004 ganz nach Europa und lebt jetzt in Belgien (www.dwdewispelaere.com). 2009 erschien sein Buch "Reiten mit Gefühl" im Wu Wei Verlag (138 Seiten, 24,80 Euro, ISBN 9783930953462).

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Rädlein
David de Whispelaere.
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4 / 2023

Erscheinungsdatum 15.03.2023

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