Kaum ein Buch wird so viel zitiert und diskutiert wie die FN-Richtlinien für Reiten und Fahren. Das Standardwerk in sechs Bänden gilt als Grundlage für die klassische Ausbildung von Pferden und Reitern. Es basiert auf der Heeresdienstvorschrift von 1912. Jetzt wurde der erste Band zur Grundausbildung für Reiter und Pferd sprachlich und inhaltlich komplett neu überarbeitet und modernisiert. Wie gut ist das gelungen?
Für mich als Ausbilder von Basispass, Geländereiten und Trainer von C bis A in klassischbarocker Reiterei sind die Richtlinien schon immer maßgebend und haben nichts von ihrer Aktualität verloren. Gäbe es keine vorgegebene Richtung seitens der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), würde jeder nach seiner Idee ausbilden – zum Leidwesen der Pferde. Auf den ersten Blick wirken die Richtlinien modern und an die Zeit angepasst.
Der neue Band ist dicker geworden und die Schrift kleiner. Es war wichtig, sowohl am Exterieur als auch am Interieur etwas zu ändern. Das ist meiner Meinung nach auch zu 90 Prozent gut gelungen. Obwohl sie nun um einige Bereiche erweitert wurden und ein größeres Format haben, liegt der Preis bei günstigen 14,90 Euro. In den sieben übersichtlichen Kapiteln mit kurzen Unterabschnitten findet man sich gut zurecht.
Viele Grafiken sind jetzt dynamischer – gerade was die Abbildungen des Sitzes betrifft. Das freut mich. Für meinen Geschmack sind sie zwar recht einfach gehalten, lenken aber dafür den Leser nicht so stark ab und lassen sich ihn auf das Wesentliche konzentrieren. In den Abschnitten zu den natürlichen Eigenschaften des Pferds und der Beziehung von Reiter zum Pferd hätte das Werk gerne sogar noch ausführlicher werden dürfen. Sehr gut finde ich, dass Ausbilder wie Peter Kreinberg sehr eng mit der FN zusammenarbeiten und das Thema Horsemanship einen immer größeren Stellenwert bekommt.
CAVALLO Fairness Award 2013 geht an Johannes Beck-Broichsitter:















Das Geländereiten wird empfohlen
Im neuen Buch ist die Ausbildungsskala verbessert worden. Aus der Leiter entstand eine Pyramide. Dadurch bekommen die unteren Stufen eine größere Bedeutung: Die breite Basis bildet der Takt, dann folgt die Losgelassenheit etwas schmaler. Neu ist, dass Gleichgewicht und Durchlässigkeit gleichwertig nebeneinander stehen, die jedoch erst ab der Anlehnung beginnen. Für mich hat das Kapitel zum Reiten im Gelände einen hohen Stellenwert. Dieser Bereich ist in der neuen Ausgabe viel ausführlicher geworden.
Geländereiten wird dem Reiter noch dringlicher ans Herz gelegt als in älteren Auflagen. Auch aktiver Natur- und Umweltschutz wird großgeschrieben: Der Reiter solle sich als Gast in der Natur verhalten, damit er auch in Zukunft im Gelände reiten kann. Die neuen Richtlinien beschäftigen sich noch ausführlicher als zuvor mit Sicherheitshinweisen – etwa den Handzeichen bei Ausritten in größeren Gruppen. Hier haben sich die Autoren viele Gedanken um das Miteinander gemacht. Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt für mich: der Reitersitz. Diesem Thema widmen sich gut 45 Seiten im Buch.
















Skala der Ausbildung für Reiter
Auch für den Reiter gibt es jetzt eine Skala der Ausbildung. Sie baut sich aus Gleichgewicht, Losgelassenheit, Eingehen in die Bewegung, Hilfengebung und Zusammenwirkung von Hilfen auf. Diese Bausteine werden in jeder Stufe von der Entwicklung des Gefühls begleitet. Diese Pyramide ist gut gelungen. Die schematische Darstellung des Reiterbeckens und Skeletts im Oberkörper sowie das Zahnradmodell sind in diesem Kapitel gut erklärt.
Änderungen gab es bei den Sitzarten. In meiner Jugend unterschied man noch zwischen Dressursitz, Entlastungssitz sowie leichtem Sitz mit Gesäß in und am Sattel. Die vorhergehenden Richtlinien beschrieben den Dressursitz, den leichten Sitz und den Rennsitz. Diese Sitzarten halfen einerseits, um Sicherheit zu bekommen, andererseits zeigten sie die Bedeutung des richtigen Sitzes in unterschiedlichen Situationen.
Die neuen Richtlinien differenzieren zwischen dem Dressursitz und dem leichten Sitz. Letzterer ist unterteilt in Springsitz und Geländesitz. Diese Ausführungen sind umfangreicher geworden und im Großen und Ganzen gut. Neu ist die Unterteilung zwischen leichtem Sitz im Parcours und im Gelände.

Der korrekte leichte Sitz
Es sollte einen leichten Sitz in der Beschreibung geben, der unterschiedlich angewandt wird. Sei es leicht entlastend bei der Remonte oder im Parcours zwischen den Hindernissen, im flotten Tempo im Gelände oder tatsächlich in der größten Ausprägung über dem Sprung. So wie es jetzt dargestellt wird, läuft man Gefahr, dass die Reiter wirklich anfangen einen Unterschied zu machen, wo sie springen und wie sie springen.
Vor allem wenn man sich die Abbildung des Springsitzes in den neuen Richtlinien ansieht. Sicher hat der leichte Sitz im Parcours andere Anforderungen und muss anders angewandt werden als im Gelände. Ich erlebe nur jetzt schon, dass Springreiter mehr Probleme mit der Beweglichkeit und dem Gleichgewicht im Gelände haben als die Geländereiter im Parcours.
Die Abbildungen zum leichten Sitz überm Sprung sagen mir persönlich in den alten Richtlinien mehr zu als in den neuen, da sie eine bessere Winkelung von Hüfte, Knie und Sprunggelenk zeigen. Ein weiteres Kapitel, das für mich eine große Bedeutung hat, ist die Ausbildung im Geländereiten. Besonders positiv: Die Richtlinien beschreiben das Geländereiten als einen wichtigen Bestandteil zur Weiterentwicklung von Pferd und Reiter.
Sehr übersichtlich dargestellt werden auch die vielen verschiedenen Situationen, die einem beim Geländereiten begegnen können: Bergauf und Bergabreiten, Durchreiten von Wasserstellen. Zum Schluss beschreibt das Kapitel sogar, wie man unterschiedliche Sprünge anreitet. Auch dem Bereich Jagdreiten widmet die neue Auflage ein Kapitel. Ich bin zufrieden mit den neuen Richtlinien. Sicherlich werden sie an manchen Stellen für Diskussionssto sorgen – und jetzt schon Ansätze für die nächste Auflage liefern.















