Pferdeausbildung laut Reitvorschrift des Deutschen Heeres (HDV 12)
Reitpferde korrekt ausbilden

100 Jahre alt und doch aktuell: In der H. Dv. 12 steht alles, was Pferde zu perfekten Freizeitpartnern macht. Würden mehr Reiter diese Art der Ausbildung beherzigen, gäbe es viel weniger Probleme. CAVALLO nennt die Profi-Tipps zur Reitpferde-Ausbildung!

CAV Johannes Beck-Broichsitter Porträt Geländelektionen
Foto: privat

Viel zu viele Reiter wissen viel zu wenig. So knapp lässt sich zusammenfassen, warum in der Pferdeszene zum Teil massive Ausbildungsmängel, schädliche Ausrüstung und hausgemachte Verhaltensprobleme weit verbreitet sind. Dabei könnte ein einfaches
Mittel für mehr Harmonie und Freude sorgen: die H. Dv. 12.

Das Kürzel bezeichnet die Reitvorschrift des Deutschen Heeres von 1912. Sie wird gerade 100 Jahre alt und ist dabei immer noch hochaktuell. Kein anderes Werk der Reiterliteratur bringt so präzise und klar alle wesentlichen Grundsätze für eine pferdegerechte Ausbildung auf den Punkt. Durch meinen Vater, den bekannten Ausbilder Helmut Beck-Broichsitter, bin ich mit der H. Dv. 12 aufgewachsen, ohne es wirklich wahrgenommen zu haben.

Unsere Highlights

Wie wertvoll die knappen Texte für mich und meine Reitschüler sind, stellte ich erst mit zunehmender Lehrerfahrung fest. Würde jeder Reitschüler und Ausbilder sie kennen und beherzigen, müssten wir uns um das Wohl unserer Pferde viel weniger Sorgen machen. Mein Vater war bis zum Ausbruch des 2. Weltkriegs berittener Soldat. Sein Dienst beinhaltete nicht nur Dressur-, Spring- und Geländereiten, sondern auch Dinge wie Handpferdereiten, Gruppengalopp, Rasten mit großer Truppe oder Desensibilisierung für Gefechtslärm.

Er lernte von älteren Ausbildern, die durch die H. Dv. 12 direkt geprägt waren, oder auch durch ihren Vorläufer, die Reitinstruktionen von 1882. Ziel dieser kurzen, aber verbindlichen Reitlehre für alle berittenen Soldaten des Heeres waren zwei Dinge:

  • Viele Rekruten, die oft nur wenig reiten konnten oder Pferde nur aus der Landwirtschaft kannten, mussten mit einfachen Anweisungen zu einem schlagkräftigen Heer zusammenwachsen.
  • Pferde mussten so ausgebildet werden, dass sie die Militär-Anforderungen problemlos und möglichst lange erfüllen konnten. Diesem Anspruch genügte vor etwa 100 Jahren weltweit nur die H. Dv. 12.

Die besten Tipps für Reiter

Das kleine Buch war so effektiv, dass deutsche Reiter zwischen den Weltkriegen den Reitsport dominierten. Bei den Olympischen Spielen 1936 gewannen sie alle sechs möglichen Goldmedaillen. Pensionierte Kavalleristen waren geschätzte Ausbilder für private Reiter und Dienstpferde nach der Ausmusterung mit 18 Jahren als Jagdpferde heiß begehrt. Das wäre heutzutage kaum anders. Denn welcher moderne Reiter wünscht sich nicht ein gesundes Pferd, das sich im Gelände sicher reiten lässt und sich gleichzeitig in der Reitbahn balanciert und losgelassen bewegt?

Die H. Dv. 12 beschreibt kurz und klar, wie die Ausbildung eines Pferds Schritt für Schritt ablaufen sollte. Damit der Ausbilder wusste, was zu tun war, zeigte eine Tabelle, wann ein Soldatenpferd was können musste. Können hieß dabei: sicher beherrschen. Mein Vater verglich das immer so: "Macht ein Pferd in einer Dressuraufgabe einen Fehler, kostet das Punkte oder den Sieg. Im Feld konnte ein Fehler das Leben kosten."

Die Anforderungen an junge Pferde waren hoch. Junge Remonten, also Pferde im ersten Ausbildungsjahr, mussten sich nach einem Monat in allen Gangarten "im Rudel" reiten lassen. Dabei wurde allerdings besonders betont, dass jede Remonte sorgsam und liebevoll behandelt werden musste. Und auch für Nachzügler war gesorgt. Reiter und Pferde, die das Ausbildungsziel nicht erreichten, wurden gezielt gefördert. Dieses System produzierte reihenweise zuverlässige Pferde und sattelfeste Reiter, die gelernt hatten, die natürlichen Bedürfnisse und Verhaltensweisen ihrer Tiere zu berücksichtigen.

Heute ist beides längst nicht mehr selbstverständlich. Eine Ausbildung nach H. Dv. 12 ist vielseitig – auch für die Reiter. Neben der Schulung im Sattel mussten Rekruten zum Beispiel "Gewandtheitsübungen" am lebenden Pferd absolvieren, also voltigieren. Viele moderne Reiter würden ebenfalls profitieren, würden sie ab und zu auf dem Pferd turnen. Auch scheinbare Banalitäten waren wichtig – etwa dass sich ein Pferd jederzeit und überall anbinden ließ. "Auch vor der Kneipe, damit man drinnen einen Schnaps trinken kann", sagte mein Vater immer scherzhaft.

Mancher Reiter wäre heute schon froh, wenn er seinen Vierbeiner wenigstens am Putzplatz kurz anhängen könnte, ohne dass dieser sich gleich aufhängt.

CAV Anbinden Panikhaken 1
Rädlein/Kleemann
Pferde müssen sich anbinden lassen.

Effektive Übungen fürs Pferd

Schöne und effektive Übungen wie das Handpferdereiten oder der Gruppengalopp sind bei vielen Reitern und Trainern in Vergessenheit geraten. Vielleicht auch, weil sie in den heute gültigen und auf der H. Dv. 12 basierenden "Richtlinien für Reiten und Fahren" der Deutschen Reiterlichen Vereinigung nicht mehr aufgeführt werden. Bei den Trainerlehrgängen auf meinem Hof stelle ich immer wieder fest, wie effektiv das System ist.

Die Reiter sind nach der ersten Aufregung und oft nur knapp 30 minütigem Training in der Lage, als Gruppe zu galoppieren oder – Verträglichkeit vorausgesetzt – ein Handpferd zu führen. Sehr zu schätzen gelernt habe ich auch die Verbindlichkeit der alten Reitvorschrift. Ich merke immer mehr, dass viele Reiter dankbar sind, wenn man ihnen mit kurzen Worten einen klaren Weg skizziert. Einen Weg, der genug Freiheiten lässt, um auch mal etwas auszuprobieren, zu dem man aber jederzeit wieder zurück– finden kann.

Diesen Weg beschreibt die H. Dv. 12 in einer nach wie vor unübertroffenen Art und Weise. Für mehr Hintergrundinformationen empfehle ich die FN-Richtlinien. Sie sind jedoch – wie ihr Name schon sagt – weniger verbindlich formuliert und erwecken so den Eindruck, dass ihnen nicht unbedingt Folge zu leisten sei. Doch genau das ist ein großer Irrtum. Er führt letztlich zu Problemen, wie wir sie in vielen Ställen und auf vielen Reitplätzen beobachten können.

CAV Handpferd Jungpferd Junge Pferde
Slawik
Beim Reiten mit Handpferd zeigt sich, ob das Reitpferd korrekt ausgebildet wurde und sicher an den Hilfen steht.

Verbindliche Ideen der Reitvorschrift

Manche Regeln der H. Dv. 12 sind heute nicht mehr praktikabel oder überholt. Pferde bereits im zweiten Ausbildungsjahr, also im Alter von fünf oder fünfeinhalb Jahren, mit Kandare zu reiten, ist gleich aus zwei Gründen nicht mehr zeitgemäß. 1. Die Kandare machte ein Pferd im Feld vor allem jederzeit regulierbar. Das ist heute nicht mehr nötig. 2. Viele Reiter haben aufgrund der weniger systematischen und gründlichen Ausbildung weniger Feingefühl als Kavallerie-Rekruten vor 100 Jahren.

Manche Anweisungen lassen sich heute nicht mehr umsetzen. So viel Helfer, wie sie fürs Freispringen gefordert werden, würde heute jeden Betrieb für Stunden lahmlegen. Auch das Anreiten mit dem Einsatz von Führpferden scheitert an der Zahl der nötigen zwei- und vierbeinigen Helfer. Dennoch ist für mich die H. Dv. 12 zentrales Element bei Ausbildung von Reitern und vor allem von Trainern.

Gerade diejenigen, die andere Reiter schulen, müssen über solides Grundwissen verfügen. In der H. Dv. 12 finden sie alles, was sie dafür brauchen. Und das so aufbereitet, dass die Inhalte wirklich hängenbleiben, wie mir Schüler immer wieder bestätigen. Insofern freut es mich sehr, dass die H. Dv. 12 aktuell mehr Beachtung findet als in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten.

Hoffen wir, dass dieses kleine Büchlein künftig wieder stärker dazu beiträgt, auch den weniger theoriegläubigen und lesefreudigen Reitern das nötige Wissensfundament für eine sinnvolle Pferdeausbildung zu vermitteln. Dann stehen die Chancen gut, dass unsere Pferde entsprechend ihrer Veranlagung gefördert werden und bis ins hohe Alter hinein freudig sowie gesund ihre Aufgaben erfüllen können.

Vorschriften zu Pferdehaltung und Pflege

Das Jahr 1912 war für Reiter zweifach wichtig: Ihr Sport wurde olympisch, und im Deutschen Heer trat mit der "D.V.E. 12" eine Reitvorschrift in Kraft, die in Sachen korrekte und schonende Pferdeausbildung noch heute Maßstäbe setzt. Sie basierte auf den 1882 vom Militär erlassenen "Reitinstruktionen" und dem "Gymnasium des Pferdes" von Gustav Steinbrecht.

1937 überarbeitete die deutsche Wehrmacht die Reitvorschrift und legte sie als "H. Dv. 12" neu auf. Nach dem 2. Weltkrieg diente die Reitvorschrift als Grundlage für die "Richtlinien für Reiten und Fahren", die die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) herausgab und seitdem in regelmäßigen Abständen überarbeitet.

Die bisher letzte Neuauflage der Richtlinien erschien im Jahr 2005. Die Abkürzung "H. Dv." steht übrigens nicht für "Heeres-Dienstvorschrift", sondern für "Heeres-Druckvorschriften".

Die Dokumentensammlung aus den 1920er- bis 1940er-Jahren umfasst beinahe 500 gedruckte Vorschriften und Dienstanweisungen aus allen Heeres-Teilen der Wehrmacht. Für Kavalleristen galt neben der H. Dv. 12 noch die zweibändige H. Dv. 11. mit Vorschriften zu Haltung, Pflege, Fütterung und medizinischer Behandlung der Truppenpferde.

CAV Fell Fellpflege Winterfell Putzen Weide
Stuewer
Die Gesunderhaltung der Pferde ist Ziel der HDV 12.
Die aktuelle Ausgabe
4 / 2023

Erscheinungsdatum 15.03.2023

Abo ab 42,99 €