Zwei Damen aus dem CAVALLO-Team – ein Gedanke: Durin würde prima in den Kofferraum passen! Fotografin und Redakteurin befinden sich im Zuckerschock. Schuld daran ist ein winziger Isländer-Wallach mit Knopfaugen und blondem Wuschelschopf. Doch so klein wie Durin ist, so groß sind die Sorgen, die er seiner Besitzerin Kathrin Groger macht. Sie bekam den heute Fünfjährigen als Fohlen geschenkt. Damals war er extrem mager und konnte kaum einen Fuß vor den anderen setzen. Kathrin Groger stellte den Zwerg auf die Weide und versuchte, ihn aufzupäppeln.

Durch die Haltung und viele Spaziergänge wurde Durin so stabil, dass er auf der Weide mit anderen Pferden zu spielen begann und ihr im Schritt gut folgen konnte. Durin kann zwar auf der Weide auch schneller laufen, schafft aber nur einen wilden Gangsalat. Solange es dem Isländer gut geht, ist seine Besitzerin glücklich. Ans Reiten hat sie nie gedacht, wohl aber hatte sie gehofft, Durin mal als Handpferd mit ins Gelände nehmen zu können.
Diagnose nach TCM
Inzwischen möchte sie nur noch eines: wissen, ob sich Durin auf der Weide wohlfühlt und wie sie ihn beschäftigen kann, ohne ihm zu schaden. Gerne würde sie ihm auch helfen. Schon als Kathrin mit Durin auf den Hof läuft, hat die Expertin eine Vermutung. Petra Sackschewski ist Connected-Riding-Trainerin und leitet ein Reha-Zentrum für Reiter und Pferde bei Düsseldorf. „Das Pferd hat nach Traditioneller Chinesischer Medizin eine massive Schwäche im Nieren- und Milzmeridian.“

Der Wallach ist für sein Alter klein und zierlich. „Der Nierenmeridian ist für Wachstum und Entwicklung zuständig.“ Weil Durin Muskulatur fehlt, ist die Wirbelsäule sichtbar. Das deutet auf die Schwäche des Milzmeridians hin. Der Isländer hat einen Karpfenrücken und stellt im Stand seine Hinterhand nach hinten heraus. Seine Halsbasis und der Brustkorb sind abgesackt.
Die steil abfallende Kruppe hat er mit vielen seiner Rassevertreter gemeinsam, weiß die Trainerin. „Dass der Rücken nicht optimal gebaut ist, sticht nur deshalb so ins Auge, weil Durins Futterzustand schlecht ist“, sagt Petra Sackschewski. „Er hat ein schwaches Bindegewebe und kann sich deshalb schlecht tragen.“ Statt Schritt läuft der Isländer-Wallach astreinen Pass. „Wegen der Nierenmeridian-Schwäche ist Durins Wirbelsäule steif und verspannt. Das wirkt sich auf seine Bewegungen aus“, erklärt die Trainerin. Doch sie gibt Entwarnung: Auch die Neigung zum Pass sei rassetypisch. „Und dass Durin sich so schlecht koordinieren kann, liegt nicht daran, dass er eine Behinderung hat.“

Bodentraining genau das Richtige
Unserer Leserin fällt ein Riesen Stein vom Herzen. Sie hatte viele Tierärzte kontaktiert, weil sie nicht wusste, was Durin hat. „Doch niemand konnte mir wirklich helfen“, klagt sie. „Die letzte Expertin, mit der ich in Kontakt war, vermutete tatsächlich, dass Durin von Geburt an unterentwickelt ist. Deshalb war ich sicher, ich habe ein behindertes Pferd.“ Petra Sackschewski lobt Kathrin Groger für ihre Geduld mit Durin. „Es ist gut, dass du nur mit ihm spazierengegangen bist und nicht mehr verlangt hast.
Das Schlimmste für ihn wäre, ihn auf einem Zirkel laufen zu lassen.“ Die Expertin ist optimistisch, dass Durin mit dem richtigen Training am Boden wieder stabiler wird und in Balance laufen kann. Für die Bodenarbeit nutzt Petra Sachschweski ein Spezialhalfter. Es wurde von Peggy Cummings für die „Connected Riding Groundwork“ entwickelt. Daran können die Führleinen so befestigt werden, dass kein Druck aufs Genick entsteht. Denn das ist der Schlüssel für ein neues Körpergefühl von Durin. „Ich möchte das Genick nicht nur auf- und abbewegen, sondern auch ein wenig seitlich.

Über die dreidimensionale Bewegung im Genick kann Durin eine diagonale Schrittbewegung entwickeln.“ Dafür drückt die Trainerin mit der linken Hand Durins Kopf leicht nach außen und greift dann um, um ihn mit der rechten Hand, die sie am Strick entlang in Richtung ihres Körpers streicht, nach innen zu locken. Das wiederholt sie einige Male. Durin geht dabei ein bisschen rückwärts. „Das darf er gerne“, erklärt Sackschewski, „denn er verlagert sein Gewicht auf seine Hinterbeine. Vorher stand er auf den Zehenspitzen und war nicht im Gleichgewicht.“ Danach soll der Wallach sich nach vorne und unten strecken und den Brustkorb anheben.
Arbeiten ohne Druck im Genick
Die Trainerin drückt leicht seitlich gegen den Hals und Durin reagiert wie gewünscht. „Wichtig ist in diesem Moment, nachzugeben und den Strick aus der Hand gleiten zu lassen“, betont Petra Sackschewski. Als die beiden nach den Übungen gemeinsam loslaufen staunen wir: Durin geht Schritt! Der kleine Wallach setzt seine Füße richtig und wirkt dabei plötzlich viel sicherer und gelöster. Für dieses tolle Ergebnis bekommt er eine kleine Pause. Und siehe da, Durin nimmt zum Halten die Hinterbeine mit und steht geschlossen. So einfach ist das?

Besitzerin Kathrin Groger ist an der Reihe. Die Trainerin zeigt ihr, wie sie im Halten oder beim Führen im Schritt Durins Genick mobilisieren kann und welche Griffe dem Pferd helfen, seinen Körper zu entspannen. Beim Anführen geht unsere Leserin einen kleinen Schritt auf Durin zu, damit er gerade nach vorne und in Balance antreten kann. Zum Führen soll Kathrin Groger den Strick wie einen Bogen zwischen ihren Händen spannen. Dadurch kann sie nicht am Halfter ziehen.
Das Pferdegenick kann Durins Besitzerin genau wie bei der Übung im Stehen auch beim Führen beweglich halten. Kathrin Groger führt ihr Pferd abwechselnd von links und von rechts. Es klappt: Durin läuft im Schritt neben seiner Besitzerin her und wirkt zufrieden. Doch wir sehen ihm an, dass es in seinem Kopf zu rattern beginnt. „Sobald du merkst, er wird unruhig oder unwillig, musst du ihm eine Pause geben“, erklärt Petra Sackschewski. „Achte auf ihn, vor allem, wenn du auf der Seite führst, auf der er unbeweglicher ist.“

Richtige Diät als Ergänzung
Die Trainerin rät, mit Durin zunächst nicht länger als 15 Minuten am Stück zu arbeiten. Spazierengehen soll Kathrin Groger weiterhin. Damit der kleine Isländer kräftiger wird, will Petra Sackschewski für ihn einen neuen Speiseplan austüfteln. Erste Maßnahme: Der gehaltvolle Mais wird gestrichen, da Durin ihn momentan nicht verwerten kann. Auch die Rübenschnitzel werden reduziert. Um Muskeln aufzubauen, braucht der Wallach Aminosäuren.
Weil er noch wächst, ist ein gutes Mineralfutter mit bioverfügbarem Calcium wichtig. Spezielle Kräuter aus der Traditionellen Chinesischen Medizin sollen den Milz- und Nierenmeridian unterstützen. „Wenn du weiterhin die Bodenarbeit mit Durin machst, wird er wieder richtig fit“, sagt Petra Sackschewski. „Er ist ein ganz normales Pferd. Nach meiner Erfahrung bin ich zuversichtlich: Wenn Durin acht Jahre alt wird, kannst du beginnen, ihn zu reiten.“ Kathrin Groger ist sprachlos und schaut uns mit großen Augen an. Sie kann ihr Glück kaum fassen. Nie hätte sie gedacht, dass sie ihren Durin einmal satteln könnte. Verdient hat sie es.