Sie reitet auf Spitzen-Niveau und kennt ihren Körper: Jessica von Bredow-Werndl kann Muskeln punktgenau ansteuern und so Pferde mit feinen Signalen durch hohe Lektionen dirigieren. Fitnesstraining ist für die Doppel-Olympiasiegerin so selbstverständlich wie der tägliche Gang in den Pferdestall. Aber auch die Dressurreiterin gibt zu: "Mit dem Beckenboden habe ich mich erst beschäftigt, als ich schwanger war. Nach der Geburt hatte ich das Gefühl für die Muskeln ‚da unten‘ verloren." Heute weiß sie: Das Thema Beckenboden geht weit über Schwangerschaft und Geburt hinaus. Es betrifft Frauen und Männer (ja, auch die) in jeder Lebensphase.
Nach der Geburt wieder fit wie zuvor dank Training
Mit gezieltem Training ist Jessica von Bredow-Werndl nur sechs Monate nach ihrer zweiten Geburt wieder so fit wie vor ihrer letzten Olympiateilnahme 2021 in Tokio. Dafür half aber nicht Reiten als Rückbildung allein: An der Seite der Top-Reiterin ist auch Luisa Dartmann (ehemals Kienle). Die Sportphysiotherapeutin ist auf das Thema Beckenboden spezialisiert. Sie stellt effektive Übungen vor, die sich für alle Reiter eignen.
Reiter müssen lernen, den Beckenboden zu entspannen
Sie haben keine Lust zu schwitzen? Keine Sorge. Darum geht es auch nicht. Im Gegenteil: Reiter müssen meistens eher trainieren, wie sie den Beckenboden entspannen. Es geht also um Mobilisation und Wahrnehmung. "Reiter spannen oft den ganzen Beckenboden stark an und die Muskeln verspannen. Wenn sie aber wie auf einem Brett sitzen, können sie die feinen Schwingungen des Pferds nicht wahrnehmen", weiß Luisa Dartmann. Sind die Muskeln ständig auf Zug, bewegt sich das Becken nicht frei. Es geht beim Reiten darum, die Muskeln gezielt an- und entspannen zu können. Diese Fähigkeit hilft, besser im Sattel mitzuschwingen und tiefer zu sitzen. Der gesamte Reitersitz und das Gefühl fürs Pferd verbessern sich.
4 Übungen für den Beckenboden zum Mitmachen:

Über die Adduktoren das Becken mobilisieren
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Innenseite der Oberschenkel dehen: Jessica von Bredow-Werndl macht es vor: Ein Knie hat Kontakt zum Boden, die Ferse ist in der Luft. Die Hände stützen vorne. Das andere Bein steht zur Seite raus, der ganze Fuß berührt den Boden. Die Fußspitze zeigt nach vorne. Bleiben Sie mindestens 45 Sekunden. Dann wechseln Sie die Seite.
Variante mit Bewegung: Stützen Sie sich mit den Händen vorne ab. Stellen Sie die Beine auseinander. Das Gesäß ist in der Luft. Schieben Sie nun das Becken abwechselnd zehn Mal nach vorne und dann zehn Mal nach hinten.
Was Sie dabei trainieren: „Die Adduktoren setzen an ähnlichen Knochenpunkten an wie der Beckenboden“, sagt Luisa Dartmann. Da sich der Beckenboden nicht so leicht direkt ansteuern lässt, können Sie ihn auch über die inneren Oberschenkel mobilisieren. Spannungen im Beckenboden können sich übrigens bis in die Fußsohlen ziehen.
Im Alltag üben: Der federnde Gang
Auf dem Weg zur Weide oder zum Stall: Federn Sie bewusst beim Gehen im Alltag. Nutzen Sie dafür kurze Strecken, die Sie ohnehin gehen wollen. Drücken Sie sich für den Federgang mit dem Vorfuß ab. Dabei hebt sich der gesamte Körper. Die Übung soll Sie nicht anstrengen, sondern sich federleicht anfühlen. Üben Sie nur so lange, wie es angenehm ist.
Was Sie dabei trainieren: „Die Muskeln im Vorfuß aktivieren den Beckenboden“, erklärt die Physiotherapeutin. Der Körper ist ein zusammenhängendes System. Das können Sie bei dieser Übung spüren. Der Federgang eignet sich auch schon kurz nach der Geburt zur Rückbildung. Wichtig: Auch Übungen im Alltag sollten Sie immer bewusst trainieren. Denken Sie dabei nicht an die Einkaufsliste. Versuchen Sie, Ihren Beckenboden zu spüren. Das Gespür wird mit der Zeit besser. Allein die Intention hat bereits positive Effekte, denn sie lenkt die Aufmerksamkeit.
Wahrnehmungsübung beim Reiten
Imaginäres Gummi spannen: Spüren Sie im Sattel Ihre beiden Sitzbeinhöcker. Noch nicht ganz sicher? Dann legen Sie eine oder beide Hände kurz zwischen Sattel und Gesäß. Zwischen den zwei Knochen spannen Sie nun in Ihrer Vorstellung ein Gummiband. Versuchen Sie nun, das imaginäre Gummiband zu verkürzen, also mehr auf Zug zu bringen. Beim Ausatmen zieht das Gummiband zusammen und beim Einatmen löst es sich wieder. Dabei senkt sich der Beckenboden. Üben Sie zunächst auf dem stehenden Pferd. Klappt das, können Sie auch im Schritt trainieren.
Was Sie dabei trainieren: Sie schulen Ihre Wahrnehmung für den Beckenboden. Dieser spannt sich zwischen den beiden Sitzbeinhöckern, den tiefsten Punkten des Beckens. „Wenn ich weiß, wo die Muskulatur ist, dann kann ich sie auch bewusst aktivieren“, erklärt die Sportphysiotherapeutin.

Mit Yoga dehnen und entspannen
Der herabschauende Hund: Starten Sie auf allen Vieren. Die Hände sind schulterweit auseinander, die Finger etwas gespreizt. Jetzt drücken Sie die Sitzbeinhöcker nach oben. Drücken Sie die Fersen Richtung Boden. Der Nacken bleibt in einer Linie mit den Armen (siehe Bild).
Probieren Sie Varianten aus: Stellen Sie sich ein Gummiband zwischen beiden Gesäßknochen vor. Drehen Sie die Fersen etwas voneinander weg nach außen. Was spüren Sie? „Der Beckenboden kommt auf Zug. Die Sitzbeinhöcker bewegen sich voneinander weg und das imaginäre Gummiband spannt sich“, erklärt Luisa Dartmann. Die Dehnung wird noch effektiver.
Was Sie dabei trainieren: Dehnübungen für die hüftumgebenden Muskeln dehnen auch den Beckenboden mit. Der Vorteil des herabschauenden Hundes: Der Kopf ist dabei tief. Die Organe rutschen weg vom Beckenboden und entlasten ihn. So können sich die Beckenbodenmuskeln besser entspannen.
Es sind viel mehr Menschen von Inkontinenz betroffen als gedacht
Aber es gibt noch einen wichtigen Grund, sich um den Beckenboden zu kümmern: Gezieltes Training beugt auch Inkontinenz vor. Und davon sind mehr Personen betroffen als gedacht. "Inkontinenz betrifft nicht nur manche Frauen nach der Geburt und alte Menschen. Auch viele Leistungssportler haben Probleme, kontrolliert den Urin zu halten", weiß Luisa Dartmann. Nur: In der Öffentlichkeit ist das meistens kein Thema. Denn kaum einer spricht darüber – aus Scham. Und so leiden viele still an den Folgen. "Dabei kann man vorbeugen und das Problem auch lindern. Ich rate immer, sich frühzeitig Hilfe zu holen", meint die Expertin.
Bestimmte Sportarten erhöhen das Inkontinenz-Risiko
Erhöhtes Risiko bergen etwa Rückschlagsportarten wie Tennis und Volleyball, bei denen Sportler den Ball mit viel Druck und Körperspannung schlagen. Ausdauersportarten wie Marathon belasten die Beckenbodenmuskeln viele Stunden. Auch Tanzen kann den Beckenboden überfordern, wenn Muskeln stark auf Zug kommen und wieder extrem gedehnt werden. Zudem wirkt sich der Hormonhaushalt aus: Bei manchen Frauen passiert es eher in der zweiten Zyklushälfte, dass beim Husten oder Lachen ein Tropfen Urin entweicht. Das liegt am höheren Progesterongehalt, der die Muskeln beeinflusst. Der niederigere Östrogenspiegel macht das Bindegewebe weicher. "Auch Energiemangel und Essstörungen können Inkontinenz begünstigen. Denn Fettgewebe ist ein Puffer und eine Stütze für den Beckenboden", erklärt die Physiotherapeutin.
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Reiten stellt hohe Anforderungen an den Beckenboden
Der Zusammenhang wird deutlich beim Blick auf die Anatomie und Funktion des Beckenbodens: Der ist eine Schicht aus Bindegewebe und Muskeln. Diese spannt sich wie ein Trampolin unter dem Becken und hat wichtige Aufgaben: etwa die inneren Organe stützen, eine aufrechte Haltung ermöglichen und Körperöffnungen wie die von Harnblase und Darm schließen. Damit das alles funktioniert, arbeiten die Muskeln der inneren Oberschenkel, die Adduktoren, mit. Auch die Bauchmuskeln und die hüftumgebende Muskulatur sind beteiligt.
Reiten stellt hohe Anforderungen an den Beckenboden und das Becken. Die Muskeln bewegen sich dreidimensional: vor und zurück, auf und ab und zu den Seiten.
Reiten als Rückbildung mit Jessica von Bredow-Werndl
Und wie ist es nach einer Geburt? "In Frankreich kann jede Frau kostenlos einen Beckenbodentest mit Ultraschall nach der Geburt bekommen und zehn Übungseinheiten bei einem Physiotherapeuten", sagt Luisa Dartmann. Deutlich mehr Leistung als bei der freiwilligen Rückbildung, die in Deutschland die Krankenkasse übernimmt.
Reiten kann effektives Beckenbodentraining sein. Jessica von Bredow-Werndl nutzte diesen Effekt etwa zur Rückbildung. Die Dressurreiterin hat zwei Kinder. "Nach den Geburten fragten mich viele Leute, wie ich es als Mama wieder in den Sattel geschafft habe", erzählt sie. Da das Thema offensichtlich brennt, bietet sie ein Fitness-Programm für Mütter an. Ein Webinar zum Thema "Beckenboden und Reitsport" zusammen mit Luisa Dartmann und Fitness-Coach Marcel Andrä lockte kürzlich über tausend Teilnehmer an. Das Thema brennt also.
Persönliche Erfahrung
Ich bin Reiterin, ich habe eine gute Beckenboden-Muskulatur, da werden Schwangerschaft und Geburt schon nicht so viel ändern – dachte ich. Und wurde vom Gegenteil belehrt. Die ersten Wochen und Monate nach der Geburt zurück im Sattel habe ich mich teilweise sehr unsicher gefühlt, je nach Tages- und Beckenbodenform. Dass mein Körper nicht mehr so "funktionierte", ließ mich an mir zweifeln. Was mir in der Situation half, war gezieltes Training für den Beckenboden. Das hilft auch heute (mehr als fünf Jahre nach der Geburt) noch: Baue ich es in den Alltag ein, kann ich im Sattel besser mitgehen.
Barbara Böke, CAVALLO-Redakteurin
Haben Reiterinnen schwere Geburten?
"Dass Reiterinnen immer eine schwere Geburt haben, ist übrigens ein Mythos", sagt Luisa Dartmann. Worauf es laut der Expertin ankommt: Dass Frauen den Beckenboden bewusst an- und abspannen können. Dann machen die Muskeln nicht dicht und der Weg fürs Baby ist frei. Dafür ist es wichtig, die Wahrnehmung für den Beckenboden zu üben. "Am besten trainiert man bewusst und nimmt sich ein paar Minuten Zeit. Denn fürs Spüren der Muskeln und den Effekt der Atmung ist Konzentration erforderlich", erklärt Luisa Dartmann. Die Physiotherapeutin hält nicht viel davon, zwischen Tür und Angel im Alltag an der Ampel oder Supermarktkasse zu üben. Ihr Tipp: Besser regelmäßig fünfmal pro Woche bewusste Einheiten einlegen; die müssen auch nicht lang sein. Acht bis zehn Minuten bewirken schon deutliche Verbesserungen.
Wann wieder reiten nach Schwangerschaft und Geburt?
Natürlich brennt bei Reiterinnen auch die Frage, wann sie nach einer Schwangerschaft wieder aufs Pferd dürfen. "Im Vergleich zu anderen Sportarten ist Reiten schon recht früh wieder möglich. Allerdings gibt es keine pauschale Antwort. Viele Faktoren wie der Verlauf der Geburt und die Wundheilung spielen eine Rolle", weiß Luisa Dartmann. Wichtig: Nicht aufs Pferd steigen, wenn noch kein Gefühl für den Beckenboden da ist und er sich nicht ansteuern lässt. Die Geburt fordert vom Beckenboden Höchstleistungen. Der Körperbereich muss sich stark dehnen. Nach der Geburt geht bei vielen Frauen das Gefühl für die Muskeln zunächst verloren. "Stellen Sie sich vor, Ihr Arm war lange in Gips, und dann wollen Sie sofort nur einzelne Finger bewegen – das fiele Ihnen auch schwer", vergleicht Dartmann.
Die Muskeln neu ansteuern lernen
Das Ansteuern der Muskeln müssen Frauen nach der Geburt neu üben. Ist wieder etwas Gefühl für den Beckenboden da, kann Reiten beim weiteren Training unterstützen. Denn durch den Druck auf den Damm ist der Beckenboden im Sattel ohnehin im Bewusstsein. "Wer locker Spazierengehen kann, kann meistens auch wieder Schritt reiten", meint Jessica von Bredow-Werndl. Sie nahm nach der Geburt die Wahrnehmungsübungen mit in den Sattel – als Aufwärmprogramm im Schritt. So ist Reiten auch Rückbildung und gesund.
Die gute Nachricht: Es ist nie zu spät, den Beckenboden zu trainieren. Egal, ob Sie schon seit zehn Jahren Kinder haben, gerade schwanger sind oder überhaupt keinen Nachwuchs planen.
Die Expertin

Luisa Dartmann ist Physiotherapeutin und Therapiewissenschaftlerin. Sie betreut Leistungssportler verschiedener Disziplinen. Ihre Erfahrung: Der Beckenboden und Probleme damit sind oft ein Tabu. Das möchte die Spezialistin ändern. www.luisa-dartmann.de
Jessica von Bredow-Werndl im Interview: "Reiten empfand ich als geniale Rückbildung nach den Geburten"

Jessica von Bredow-Werndl ist 37 Jahre alt, reitet erfolgreich im Dressursport und ist Mutter von zwei Kindern. jessica-aubenhausen.de
Jessica von Bredow-Werndl: In beiden Schwangerschaften konnte ich bis zum fünften Monat noch Turniere reiten. Ab dem sechsten Monat hat es sich dann nicht mehr nach Sport angefühlt, und ich bin nur noch zu Hause geritten. Dabei bin ich sehr bedacht vorgegangen, habe keine verrückten Sachen gemacht und bin auch keine unerfahrenen Pferde geritten. Es war mir wichtig, dass ich sehr bewusst vorgehe und achtsam bleibe.
Einige Pferde haben die Schwangerschaft wirklich gespürt. Vor allem die Pferde, die mir schon über viele Jahre sehr nahe stehen. Ich glaube, das ist auch so ein Ding unter Damen. Die Stuten waren sehr feinfühlig. Dalera hat es sofort gemerkt, und auch Forsazza. Tatsächlich bin ich nach der Babypause auch von Forsazza einmal runtergefallen. Das war bei einem Freudensprung nach dem Motto: Jippie, jetzt können wir wieder normal loslegen. Doch die Drehung beim Bocksprung konnte mein Körper noch nicht sitzen. Die Stute ist schon ein Gummiball. Aber während meiner Schwangerschaft hat sie sich sehr zusammengerissen. Das war für mich auch ein Zeichen, dass sie es gespürt hat.
Nach dem ersten Kind war ich schneller wieder in meiner Mitte und habe mich gut gespürt. Nach der zweiten Schwangerschaft hat es ein bisschen länger gedauert. Ich muss zugeben, dass ich mich anfangs wie verloren gefühlt habe in meiner Körpermitte. Das habe ich dann aber auch zum Anlass genommen, meine Rückbildung professionell von Beckenbodenspezialistin Luisa Dartmann und meinem Personal Trainer Marcel Andrä begleiten zu lassen. Dadurch entstand dann auch das Mommy-Fit Programm. Weil ich dachte: Was mir guttut, das tut auch anderen reitenden Mamis mit Sicherheit gut. Jetzt freue ich mich, dass wir das filmisch begleitet haben und andere Frauen davon profitieren können. Ich hatte mein gutes Körpergefühl nach etwa sechs bis acht Wochen zurück. Reiten empfand ich als geniale Rückbildung ergänzend zum gezielten Training. Leichttraben fühlte sich erst nicht so gut an, aber Aussitzen war super. Da konnte ich richtig meinen Beckenboden ansteuern und gut spüren.
Das bewusste Atmen lässt sich jederzeit beim Reiten einsetzen – etwa in der Schrittphase. Das Atmen hat mir sehr geholfen, gut auf meinen Körper zu achten.
Ich bin ein bisschen vorsichtiger und ein bisschen ängstlicher geworden. Aber in einem gesunden Maß. Ich glaube, das bringt einfach die Verantwortung mit sich. Insgesamt fühle ich mich aber sehr wohl im Sattel und ich habe auch eine innige Verbindung zu meinen Pferden. Das trägt natürlich dazu bei.
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