Shimounah schließt die Augen und zuckt genüsslich mit den Lippen. Auf dem Kopf der 15-jährigen Araberstute liegen die Hände von Pferde-Osteopathin Monika Hornburg. "Normalerweise lässt sich Shimi von keiner fremden Person so leicht am Kopf anfassen", ist Besitzerin Christiane Wehnert erstaunt. Beim heutigen CAVALLO-Fotoshooting ist das anders. Die Stute genießt sichtlich ihre erste craniosacrale Behandlung.
"Mit meinen Händen verbessere ich den Energiefluss und rege die Selbstheilungskräfte an. So lassen sich viele gesundheitliche Beschwerden lindern", sagt Monika Hornburg aus Holzmaden bei Göppingen in Baden-Württemberg. "Ich liebe diese Methode, weil sie sehr sanft, aber effektiv ist. Es ist kein Hau-Ruck-Verfahren. Ich arbeite nur mit wenigen Gramm." Wie kann diese sanfte Methode von Schädel bis Kreuzbein wirken (denn das bedeutet craniosacral)?

Die Therapie-Art ist ein Teilgebiet der Osteopathie und zählt damit zu den alternativen Heilverfahren wie beispielsweise auch Akupunktur. Bis heute fehlen wissenschaftliche Beweise, welche die Wirksamkeit der craniosacralen Therapie belegen. Trotzdem setzen Monika Hornburg und andere renommierte Pferde-Osteopathen auf die Methode. "Ich habe schon so viele tolle Erfahrungen damit gemacht", berichtet Hornburg.
Über 20 Schädelknochen müssen frei beweglich sein
Beim CAVALLO-Termin zeigt Monika Hornburg beispielhaft mehrere Handgriffe der Therapie. Zu Beginn legt sie eine Hand jeweils rechts und links auf Shimounahs Kopf. "So fühle ich die Bewegung der Schädelknochen", erklärt die Expertin. "Die Knochen sind über Nähte gelenkartig miteinander verbunden. Diese Verbindungen sollen frei und flexibel sein."

Blockierte Schädelknochen, etwa durch einen Sturz oder auch als Folge einer Infektion, können den sogenannten craniosacralen Rhythmus stören. "Dieser Rhythmus ist neben dem Herzschlag und der Atmung ein weiterer eigenständiger Rhythmus im Körper", erklärt Monika Hornburg. "Er entsteht dadurch, dass zwar ständig Gehirnwasser produziert wird, aber die Flüssigkeit nur in Schüben in der Wirbelsäule weiter fließt. Das Gehirnwasser schützt und nährt unser Nervensystem."

Ebenso können zu enge Stirnriemen, Zahnprobleme, verspannte Muskeln, Faszien sowie Wirbelblockaden, psychischer Stress sowie zu starker Zug am Halfter oder eine harte Reiterhand das craniosacrale System stören.
Kann man den Strom der Gehirnflüssigkeit spüren?
Am besten kann man den craniosacralen Rhythmus an Schädel und Kreuzbein spüren. Kann das auch ein Laie? "Probieren wir es aus", sagt Monika Hornburg. Shimounahs Besitzerin Christiane Wehnert soll eine Hand auf den Widerrist legen, die andere aufs Kreuzbein. Monika Hornburg platziert ebenfalls eine Hand am Widerrist, die andere auf dem Hinterhaupt der Stute.

"Die Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit fließt durch die Dura mater", erklärt Monika Hornburg. Dabei handelt es sich um ein kräftiges Bindegewebe, das den gesamten Schädel von innen auskleidet, am Hinterkopf mit dem Rückenmarksstrang austritt, diesen ummantelt und mit ihm durch den gesamten Wirbelkanal bis zum Kreuzbein zieht.
"Jetzt kommt die Bewegung nach hinten, jetzt geht sie wieder nach vorne", sagt Monika Hornburg zu Christiane Wehnert. "Oh ja, das spürt man tatsächlich", sagt diese. "Fühlt sich an wie ein ganz geringer Wasserstrom, der durch den Körper fließt."
Weiter geht’s mit dem Profi. "Ist der craniosacrale Rhythmus gestört, kann ich ihn mit meinen Händen harmonisieren", sagt Monika Hornburg. "Die craniosacrale Therapie ist allerdings immer Teil einer gesamten Behandlung. Dazu gehören eine eingehende Untersuchung und eine komplette osteopathische Behandlung." Ob ein Pferd eine craniosacrale Therapie braucht, legt die Expertin individuell fest.
Typische Indikationen sind etwa, wenn sich Augen oder Nüstern nicht auf einer Höhe befinden oder das Pferd den Kopf schief trägt. Weitere Symptome sind wiederkehrende Beckenschiefstellung, tränende Augen, Kiefergelenksprobleme, Stoffwechselkrankheiten, Bewegungsstörungen wie Stolpern sowie Verhaltensauffälligkeiten wie Weben, Angst oder Aggressivität.
Diagnostik und Therapie gehen ineinander über
Testpferd Shimounah schiebt momentan beim Reiten gerne mal die Zunge übers Gebiss. Monika Hornburg stellt fest, dass die craniosacrale Beweglichkeit von Ober- und Unterkiefer eingeschränkt ist: Als sie Kiefergelenk und Kaumuskeln untersucht, zieht Shimounah den Kopf weg. "Das ist ihr unangenehm", sagt Monika Hornburg und legt die Hände wieder auf den Kopf der Stute. "Mit meinen Griffen kann ich nicht nur testen, sondern auch sofort behandeln."

Das scheint gut zu tun. Wenige Sekunden später ist Shimounah wieder eingedöst und zeigt bei Berührung der heiklen Stellen keine Schmerzreaktion mehr. Auch Ober- und Unterkiefer sind wieder frei beweglich. "Trotzdem würde ich noch die Zähne kontrollieren lassen", sagt Monika Hornburg. "Vielleicht hat Shimounah scharfe Kanten oder Haken, die das craniosacrale System schon bald wieder stören. Diese Ursache kann ich mit meinen Händen nicht beheben."

Fazit: Die craniosacrale Therapie ersetzt keinen Tierarzt und auch keine komplette osteopathische Untersuchung sowie Behandlung. Vielmehr ist sie eine ideale Ergänzung. Dann können Pferde von heilenden Händen richtig profitieren.
Weitere Bereiche der Ostheopathie
1. Parietale Osteopathie: Dieses Teilgebiet ist die Basis einer jeden osteopathischen Behandlung. Der Therapeut untersucht, wie beweglich Gelenke, Muskeln, Sehnen und Bänder sind. Verspannte Muskeln, blockierte Gelenke oder verhärtetes Bindegewebe werden durch gezielte Handgriffe sanft behandelt.
2. Fasziale Osteopathie: Faszien sind hauchdünne Häute. Sie ummanteln Muskeln, Sehnen, Organe, Nerven, Bänder, Gefäße und Knochen. Faszien verkleben etwa bei Stress oder zu wenig Bewegung. Da alle Faszien miteinander verbunden sind, wirken sich Störungen negativ auf den gesamten Körper aus. Um verklebte Faszien zu lösen, gibt es verschiedene Techniken.
3. Viszerale Osteopathie: Hier dreht sich alles um die inneren Organe. Auch Magen, Nieren und Lunge müssen im Körper frei sowie flexibel sein, damit sie richtig arbeiten können. Der Therapeut untersucht sowohl die Beweglichkeit der Organe, die er von außen ertasten kann, als auch die Organe, die tief im Bauch liegen und die er nur indirekt über andere Strukturen von außen wie Muskeln oder Bindegewebe sowie Reflexzonen erreicht.