Ein kleiner roter Punkt am Pferdepo – das ist alles, was von dem Eingriff zu sehen ist. Wobei das Wort „Eingriff“ vermutlich nur Mediziner verwenden würden. Der Pferdebesitzer sieht bloß, dass der Tierarzt dem Pferd eine Nadel in die Kruppe pikst. Und während der vierbeinige Patient noch seine Sedierung verstoffwechselt, verarbeitet der Arzt den Inhalt der Spritze zu High-Tech-Medizin. Mit einem in der Pferdemedizin neuen Verfahren wird aus ein paar Millilitern Körperfett im Handumdrehen eine Stammzellen-Therapie – von der nicht nur Sehnenpatienten profitieren.
Stammzellen und ihre unglaublichen Fähigkeiten zählen zu den aufregendsten medizinischen Entdeckungen der letzten zwei Jahrzehnte. Stammzellen sind Alleskönner – pluripotent, wie Ärzte sagen. Sie können sich unbegrenzt vermehren und sich zu fast jeder Gewebezelle entwickeln: Gelenkknorpel, die Hornhaut des Auges oder Sehnen. Sie befinden sich in jedem Pferd, ein Leben lang.
Diese besonderen Zellen lassen sich aus Knochenmark, Fettgewebe oder Nabelschnurblut isolieren, im Labor vermehren und ins kranke Gewebe spritzen. Sie regen die Bildung gesunder Zellen an, greifen den Selbstheilungskräften des Pferds unter die Arme. Und seit die Pioniere der Stammzell-Therapie Mitte der 1990er-Jahre Knochenmark vom Brustbein ins Pferdebein transplantierten, hat sich einiges getan.
Die neueste Entwicklung stammt aus der Humanmedizin: Professor Eckhart Alt, Gründer der Firma InGeneron, entwickelte ein Verfahren, um in kürzester Zeit viele potente Stammzellen aus dem Körperfett des Patienten zu gewinnen. InGeneron Equine bietet die Methode nun in der Pferdemedizin an; zunächst in den USA, inzwischen auch in Deutschland. Der größte Vorteil: „Das Pferd kann schon nach einer Stunde mit den körpereigenen Stammzellen behandelt werden“, sagt Pferdefachtierärztin Christine Fuchs, Mitarbeiterin bei InGeneron Equine in München (www.ingeneronequine.com). Entweder direkt im heimischen Stall oder in der behandelnden Tierklinik.















Schnelles Handeln bei Sehenleiden
Geschwindgkeit ist gerade bei Sehnenpatienten wichtig, um ihre Heilungschancen zu verbessern. Denn ohne schnelle Behandlung verschlimmert sich ein akuter Schaden womöglich noch. In jedem Fall bildet sich schon nach rund einer Woche unelastisches Narbengewebe; die kranke Sehne kann verklumpen. Mit der herkömmlichen Methode, Stammzellen aus Knochenmark zu gewinnen, vergehen hingegen drei bis vier Wochen: So lange dauert die Vermehrung im Labor.
Ohne diese Anzucht ist Knochenmark kein besonders zuverlässiger Stammzellen-Lieferant: Es ist niemals sehr zellreich – und schlimmstenfalls hat der Tierarzt gar kein Knochenmark abgesaugt; eine Kontrollmöglichkeit vor Ort gibt’s nicht. Dann geht die Prozedur von vorne los. Jederzeit in kontrollierter Qualität verfügbar sind bisher nur Stammzellen aus Nabelschnurblut neu geborener Fohlen. Welche Vorteile bietet aber nun Fett als Stammzell-Lieferant?
In Fettgewebe stecken sehr viel mehr Stammzellen als in Knochenmark. „Mit unserem Verfahren ist es unnötig, die Anzahl der Zellen im Labor zu erhöhen”, sagt Christine Fuchs. Zumal das künstliche Kultivieren auch auf Kosten der Qualität gehen kann, wie Studien zeigten. Stammzellen aus Fettgewebe, kurz ADSCs (adipose derived stem cells) haben die gleichen positiven Eigenschaften wie Zellen aus Knochenmark: Sie reparieren und regenerieren Gewebe, wirken zudem anti-entzündlich. Leicht zu gewinnen sind sie obendrein.
Fett ist bei den meisten Pferden reichlich vorhanden und liegt dicht unter der Haut. „Nur wenn die Tiere wirklich sehr dünn sind, wie etwa manche Galopper, muss man tiefer ins Gewebe”, sagt Christine Fuchs. „In der Regel lässt sich Fettgewebe problemlos an der Kruppe entnehmen.”
Fettabsaugen ist praktisch risikolos und schmerzlos fürs Pferd. Wie die Prozedur abläuft, zeigen die Grafiken auf der vorigen Seite. Und so wird aus 20 bis 30 Millilitern Fett in einem speziellen Verfahren in rund 60 Minuten Medizin: Das entnommene Fett wird zuerst mit der InGeneron Matrase-Enzymmischung versetzt und dann rund 30 Minuten in einem Gerät zentrifugiert, das sich „ARC Gewebeverarbeitungseinheit“ nennt. „Hier werden die Fettzellen von den regenerativen Zellen getrennt“, sagt Fuchs. Im dritten Schritt wird erst filtriert und dann abwechselnd konzentriert und gewaschen. Danach wird das Ganze noch zweimal gewaschen, um die eingangs zugesetzten Enzyme wieder unter die Nachweisgrenze zu drücken. Fertig ist die Stammzell-Suspension – und der Tierarzt kann seinen Patienten behandeln. Die Kosten entsprechen denen einer herkömmlichen Stammzell-Therapie und liegen bei zirka 1200 Euro.















Welche Patienten profitieren?
Welche Pferde profitieren von der Behandlung? Die „klassischen“ Patienten für jede Form der Stammzell-Therapie sind Pferde mit orthopädischen Krankheiten wie entzündeten Gelenken und Knorpeldefekten sowie Bänder- und Sehnenproblemen. Laut Orthopädie-Experten sprechen vor allem Sehnenpatienten mit Core-Läsionen, also Defekten im Sehnenzentrum, gut auf eine Stammzell-Behandlung an. Die Möglichkeiten sind damit offenbar längst nicht ausgereizt.
„Wir haben auch ein Pferd mit einer Strahlbein-Zyste und einen Rehepatienten mit ADSCs erfolgreich behandelt“, sagt Fuchs. Dem Pferd mit der Zyste injizierte der Tierarzt Stammzellen in den Hufrollen-Schleimbeutel. Bei dem Pferd mit chronischer Rehe wandten die Veterinäre eine Technik an, die sich intravenöse Stauungsinjektion nennt. Am sedierten Pferd wurde die Blutzufuhr der unteren Gliedmaße für 20 Minuten abgebunden und unterhalb der Stauung die Stammzellen injiziert. „Das war allerdings experimentell und ist keine Standardtherapie“, betont Fuchs. Pferde mit Hornhautgeschwüren oder schlecht heilenden Wunden können ebenso von einer Stammzellen-Behandlung profitieren. Allergien oder Herzerkrankungen gelten als weitere neue Einsatzbereiche.
An renommierten Pferdekliniken laufen aktuell drei Studien. An der Pferdeklinik Lüsche in Niedersachsen behandeln Tierärzte Pferde mit Fesselgelenksarthrose mit InGeneron ADSCs; die Wirkung wird getestet gegen Gelenksinjektionen mit Hyaluronsäure und Glukokortikoid. An der Pferdeklinik Burg Müggenhausen bei Köln werden Patienten mit Core-Läsionen der oberflächlichen Beugesehne behandelt; die zweite Patienten-Gruppe bekommt zum Vergleich Platelet Rich Plasma (PRP, ein körpereigenes Blutzellpräparat). Und an der bayerischen Pferdeklinik Aschheim geht’s um Kniepatienten mit Meniskusschäden, Bandproblemen oder Knorpelschäden. Sie bekommen entweder eine Kombi aus Stammzellen und PRP oder nur PRP. Die Behandlungsresultate am ansonsten kaum einsehbaren Kniegelenk können in Aschheim dank eines besonderen Magnetresonanztomografen klar dokumentiert werden.















Die Stammzellen-Lieferanten
Aus Knochenmark: Der Tierarzt entnimmt einige Milliliter Knochenmark aus Brustbein oder Hüfthöcker. Für die Punktion des Knochens reicht in der Regel die Sedierung des Pferds. Die im Knochenmark enthaltenen Stammzellen setzen Tierärzte in zwei Varianten ein. Die schnelle Lösung: Das Knochenmark wird zentrifugiert, dadurch konzentriert und dem Pferd direkt wieder injiziert – wahlweise in Kombination mit anderen Wirkstoffen. Kosten: ca. 600 Euro.
Ein Substrat mit höher konzentrierten Stammzellen lässt sich nur im Speziallabor erzeugen: Dort werden die Stammzellen isoliert und vermehrt, was drei bis vier Wochen dauert. Anschließend wird die Stammzell-Suspension ins geschädigte Gewebe gespritzt, wo sich die Zellen ansiedeln und den körpereigenen Reparaturmechanismus in Gang setzen.
Kosten: etwa 1000 bis 1200 Euro. Experten halten dieses aufwändige Laborverfahren für deutlich effektiver als die Direkt-Injektion. Denn im Knochenmark gibt es ohne spezielle Anzucht nur recht wenige Stammzellen.
Aus Fettgewebe: Das Fett (enthält mehr Stammzellen als Knochenmark) entnimmt der Tierarzt am sedierten Pferd aus dem Kruppenbereich (bei sehr dünnen Pferden eventuell aus der Leistengegend). Ebenso wie bei Stammzellen aus Knochenmark gibt es nach der Entnahme zwei Varianten: Entweder werden die Stammzellen im Labor vermehrt (dauert ebenfalls drei bis vier Wochen) oder – wie beim beschriebenen InGeneron-Verfahren – vor Ort aufbereitet und direkt injiziert. Vorteil der zweiten Alternative: Der Tierarzt kann den Patienten sofort behandeln. Kosten: etwa 1200 Euro.
Aus Nabelschnurblut: Inzwischen gibt es auch in der Pferdemedizin die Möglichkeit, Stammzellen aus Nabelschnurblut von Fohlen zu gewinnen. CAVALLO berichtete in Heft 5/2015. Das an die Pferdeklinik Mühlen angegliederte und vom Land Niedersachsen anerkannte Zentrum für Zellkultur entnimmt das Blut von neugeborenen Fohlen aus der Reproduktionsabteilung der Klinik. Im Zentrum werden die Stammzellen aufbereitet, eingefroren und bei Bedarf an Kunden verschickt. Da die Stammzellen ständig verfügbar sind, entfallen lange Wartezeiten, was bei akuten Verletzungen von Vorteil ist. Kosten: rund 1000 Euro.














