Social Media: Hate und Shitstorm unter Reitern - Was tun?

Shitstorm auf Social Media
Zügellos im Netz: Hate unter Reitern nimmt zu!

Veröffentlicht am 08.07.2025
Ein Mädchen sitzt auf der Reitplatz-Umrandung und hält ein Smartphone in der Hand. Ihr Pferd steht daneben.
Foto: GaudiLab/ gettyimages

Fast jeder Reiter teilt sein Leben mit den Pferden auf Social Media

Da saß sie auf der Bühne der Spoga Horse 2025, einer internationalen Pferdefachmesse und sollte über ihr Leben als erfolgreiche Pferde Content Creatorin sprechen. Julia Krajewski, 36 Jahre, deutsche Vielseitigkeitsreiterin, Goldmedaillengewinnerin bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften. "Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich den ganzen Tag nur reiten”, sagte sie ehrlich. "Ich bin am liebsten im Stall, bei meinen Pferden. Und was für ein Typ Mensch ich bin, erzähle ich lieber nur meinem Pferd oder den Freunden. Es ist für mich ein Zwiespalt, dass ich das nun mit der ganzen Welt auf Social Media teilen soll.”

Ihr sei klar, dass man sich den Menschen zugänglich machen müsse, nicht in seiner Bubble bleiben kann, um Öffentlichkeit zu generieren, mehr Reichweite und so mehr Sponsoren zu gewinnen. Social Media bespielen als Teil der Berufsbeschreibung Profireiter? "Ja”, sagte sie. "Dabei ist Reiten allein und das ganze Drumherum ja schon ein Arsch voll Arbeit, aber es wird von einem erwartet.”

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Es gibt kaum noch jemanden in der Pferdewelt, ob aus der Sport- oder der Freizeitszene, der sein Leben mit und auf dem Pferd nicht mit anderen auf Kanälen wie Instagram, Facebook, TikTok oder Youtube teilt. Die einen wollen oder müssen damit Geld verdienen, Sponsoren finden, Kunden, Auftraggeber, andere wollen die Community einfach nur an ihrem rosaroten Wendy-Leben mit Halsring und wehenden Haaren vor schöner Kulisse teilnehmen lassen. Und zwischen diesen beiden Polen gibt es unendlich viele weitere Präsentationen von Reitweisen, Pferdehaltung, Training, Ausrüstung und allem, was damit zusammenhängt, dass man den Überblick verlieren kann. Und weil der Mensch ist wie er ist, zieht er nach Stunden auf den Kanälen all der Influencer, Profis oder ganz normalen Pferdebesitzer Vergleiche zu seinem eigenen reiterlichen Können oder seinem Umgang mit seinem Pferd, findet vielleicht sein bescheidenes Leben im Selbstversorgerstall plötzlich minderwertig und beginnt gegen die auszuteilen, bei denen anscheinend alles nur glänzt. Und schon ist er da, der Shitstorm unter Reitern, den alle fürchten und der, je größer die Reichweite, desto sicherer eines Tages passieren wird.

Hate unter Reitern: Ein Shitstorm kann jeden treffen

Eine, die auch schon Bekanntschaft mit einem ausgewachsenen Shitstorm in der Reiterszene gemacht hat, ist die Pferdetrainerin und Showreiterin Yvonne Gutsche. "Ich habe Nachrichten bekommen, da wurde mir die Lebensberechtigung abgesprochen.” Sie ist bekannt durch Live-Trainings und Stunt-Shows auf Messen, Turnieren und anderen Veranstaltungen und sagt ebenfalls, dass sie die Plattformen, vor allem Instagram braucht, um sichtbar für Kunden und Sponsoren zu bleiben. Sie nennt sich einen One-Woman-Show mit zwei Höfen, beantwortet all ihre Kommentare auf Social Media selbst und möchte auch niemanden, der ihr zwar hilft, aber auch sagt, "das ist jetzt gerade in, bei dem Thema müssen wir auch mitmachen”.

Yvonne Gutsche berichtet über jedes ihrer Berittpferde live und in Stories auf Instagram, die anderen Kanäle bespielt sie kaum. "Ich bin in meinen Beiträgen ganz offen, ich zeige das echte Leben, auch wenn ein Pferd mal gegen mich bockt oder einer mal auf den Po bekommt. Ich will keine bilderbuchverschönten Ausschnitte von Realität zeigen; das macht zu viel Druck auf normale Pferdebesitzer.” Natürlich hat sie für ihre ehrlichen Einblicke schon zahlreiche Hate-Kommentare von anderen Reitern lesen müssen, aber "es gibt viele, die mir schreiben, dass sie darüber froh sind, dass ich nicht so tue, als ob man nur lange genug an seinem Pferd herumstreicheln muss, dann wird schon alles gut. Nein, erst aus Erziehung wird Beziehung.”

Yvonne Gutsche im Porträt
Yvonne Gutsche
Die Expertin

Wie geht man mit Hate in der Pferdeszene um?

90 Prozent der Kommentare zu soviel Ehrlichkeit seien positiv, aber schließlich sei auch sie auf Social Media übel beschimpft worden wie viele Trainer vor ihr. "Eine Hetzjagd begann, wie ich sie mir nicht hatte vorstellen können, und du bist machtlos, weil du die Verbreitung nicht stoppen kannst.” Ihre erste Reaktion: "Mein Gott, ich habe jahrelang eine Reputation aufgebaut und dann wirst du öffentlich durch den Dreck gezogen.” Sie gründete eine Initiative mit anderen Trainern, die gleiches erlebt hatten: "Wissen toppt Meinung”.

Und sie lässt sich nicht nehmen, was sie zeigen will: "Nämlich meine Werte im Pferdetraining, und das sind Authentizität, Respekt, Vertrauen und Transparenz. Aber es macht mir große Sorgen, wie sich die Pferdeszene und unser Umgang miteinander in den Sozialen Medien entwickelt. Für mich ist diese Spaltung der Pferdewelt dort alles andere als pro Pferd und schon gar nicht pro Menschlichkeit.” Der Austausch mit anderen Trainern habe ihr damals geholfen, sagt Yvonne Gutsche.

Und ihre robuste Natur. "Ich komme aus einem Elternhaus, in dem eine lebendige Diskussionskultur gelebt wurde. Man hat sich auseinandergesetzt, gestritten, versöhnt, aber immer auf Augenhöhe.” Das hat sie geprägt. "Deshalb kann ich heute gut unterscheiden, ob jemand einen echten Beitrag leistet oder nur Dampf ablassen möchte. Und inzwischen gelingt es mir, innerlich ruhig zu bleiben und zu denken: Nicht jede Meinung muss mich treffen. Manche Dinge sagen definitiv mehr über den Absender aus als über mich."

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Unrealistische Wunschbilder auf Social Media

Nicht jeder besitzt diese psychische Stärke. Menschen vergleichen sich mit anderen, das war schon immer so; aber im Gegensatz zu analogen Zeiten sind die Gruppen, mit denen wir uns messen können, unendlich groß. "Die Flut unrealistischer Wunschbilder, die uns permanent in unsere Timeline gespült werden, überwältigen uns dann”, sagt Kathrin Schütz. Die Professorin für Wirtschaftspsychologie und Ausbilderin für pferdegestütztes Coaching hat auch Klienten, die sie bei Problemen wie Angst mit dem eigenen Pferd oder beim Umgang mit Stress durch Social Media betreut. Am Ende gehe das oft Hand in Hand.

So wollte eine Klientin, die derzeit unter großer Reitangst schon im Schritt leidet, trotzdem unbedingt im Sommer mit ihrem Pferd über einen Nordseestrand galoppieren. Genau das sind die Bilder, die man auf Social Media häufig sieht, aber eben nicht das vorherige Training mit dem Pferd und an sich selbst, um so einen Ausflug erst sicher und möglich zu machen. "Wir sehen auf Social Media nur Ausschnitte, den Rest bauen wir uns zusammen”, sagt Kathrin Schütz. "Dann findet entweder ein Aufwärtsvergleich statt, das will ich auch, oder man findet die Dinge bei anderen total gruselig nach dem Motto, wie reitet die denn, das kann ich besser, und das kann mich dann in meinem Selbstwert stärken.”

Sich mit einem ganz normalen Pferd und seinem ganz normalen Pferdealltag mit all seinen Schwächen und Problemen auf Social Media zu zeigen, braucht schon Mut. Irena Lensker hat ihren Account "HappyHorselife” vor sechs Jahren gestartet. "Zunächst eher als eine Art Online-Tagebuch für mich selbst”, sagt sie. Obwohl sie beruflich als Social Media Managerin unterwegs ist und weiß, dass zu viel Offenheit zu Gegenwind und Hass im Netz führen kann, zeigt sie auf ihrem Account auch Ereignisse, die sie angreifbar machen könnten. So wie das neue Pferd, das sie wieder verkaufte, weil es einfach nicht zu ihr passte oder ihr aktuelles Jungpferd Manfred, der plötzlich erschreckend abmagerte.

"Ich weiß, dass ich damit auch anecke, aber tatsächlich habe ich selten negative Kommentare”, sagt sie. Und wenn, schaue sie sich das Profil derjenigen an, überlegt, ob sie etwas von deren Kritik vielleicht sogar annehmen kann. "Bei Manfred hatte ich mich zwar schon vorher von Experten beraten lassen, aber trotzdem habe ich gute Hinweise aus der Community bekommen, die mir geholfen haben, ihn wieder aufzupäppeln.” Insofern sei ihr persönlicher Social Media Account tatsächlich ein Mehrwert für sie.

"Vielleicht bin ich mit 7000 Followern aber auch einfach zu klein für Hass?”, meint sie. Da ziehe die Meute wohl lieber weiter zu den großen Influencern, deren Social-Media-Accounts auch bei Hasskommentaren von Reitern mehr Klickzahlen versprechen.

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Hater konfrontieren: Ist das eine Lösung?

Einen von den großen Accounts hat Lisa Röckener. Die Turnier- und Showreiterin fing 2016 mit Social Media an, mittlerweile hat sie auf Insta 204 000 Follower. Die Schlagwörter Freiheit mit dem Pferd, Humor, Neugier, Offenheit stehen für ihr Bild nach außen. Sie will beide Seiten zusammenbringen, den Turnier-, aber auch den Freizeitsport, und gerade das mache es schwierig. "Ich werde insgesamt mehr aus dem Freizeitbereich angegriffen”, sagt sie. "Anfangs noch etwas mehr aus dem Profibereich, weil ich ja noch im Kader geritten bin und gleichzeitig auf Shows mit Halsring und Kleid auftrat; aber das hat sich mittlerweile geändert.”

Sie erstellt ihre Beiträge selbst, filmt ihren Alltag von 6 bis 23 Uhr und schneidet die Beiträge auch. Bekommt sie Hasskommentare aus der Reiterwelt, versucht sie neutral zu bleiben. "Auch wenn es in mir brodelt.” Vor zwei Monaten aber saß sie heulend zu Hause und wollte alles hinschmeißen, weil ein Video von ihr mit einer Stute, die in der Freiarbeit über den Zaun sprang, plötzlich viral ging, millionenfach angeschaut wurde und tausende sie bösartig auseinandernahmen. "Ich bleibe dabei, ich will die Realität zeigen, weil ich mich selbst veräppelt fühle, wenn andere permanent zeigen, wie perfekt es bei ihnen ist. Ich will nicht das Bild vermitteln, bei Lisa Röckener läuft alles tippitoppi.”

Ihre härteste und lauteste Kritikerin hat sie eingeladen vorbeizukommen und ihr zu zeigen, wie sie es denn machen würde. "Dann können wir von Angesicht zu Angesicht darüber reden, habe ich ihr geschrieben. Aber sie hat sich nicht gemeldet. Das ist schade, weil wir am Ende doch alle dieselbe Leidenschaft haben, nämlich das Pferd.”

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Die Reiterszene ist emotional

Wie man polarisierende Themen setzt, aber auch Kritiker geschickt einfängt, zeigt sich auf dem Account "diemitdenpferden” mit 188.000 Followern. Die Sportredaktion des WDR hat diesen sendereigenen Social Media-Kanal für den Reitsport geschaffen, vorrangig auf Instagram, aber auch bei TikTok. Ein Team von elf Leuten mit fünf Hosts, darunter auch Influencerinnen, diskutiert täglich ein Thema mit einer Zielgruppe, die vorrangig aus Frauen zwischen 25 und 35 besteht. Mal geht es um Spitzensport, mal um Offenstallhaltung, Fehler bei der Trensenwahl, Künstliche Intelligenz im Reitsport, Daleras Oberlinie oder einen Bereiter, der Pferde gequält haben soll. "Die Themen kommen oft auch aus der Community”, sagt Tina Srowig, Projektleiterin im Team. Vorm Posting werden Experten ins Boot geholt, Hintergrundwissen für eine sachliche Diskussion zusammengestellt, damit sich die User eine Meinung bilden können. "Manchmal liegt ein Kommentar im Ton vielleicht trotzdem etwas daneben, dann fragen wir sofort zurück: Worum geht es dir, was möchtest du damit sagen? Kommt sachliche Kritik, sagen wir auch, stimmt, da könnte man drüber nachdenken. Aber wenn Leute beleidigt oder verleumdet werden, verbergen wir diese Kommentare sofort.”

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Warum es so emotional aufgeladen ist in der Reiterszene? "Ich bin mal auf eine Untersuchung gestoßen, die zum Ergebnis kam, dass Leute, die reiten, sehr diszipliniert sind und einen sehr hohen Anspruch an sich selbst haben, aber auch einen sehr hohen Anspruch an andere”, sagt Tina Srowig. "Und dann kommt noch das Tier dazu, für das wir verantwortlich sind, das sich selbst nicht äußern kann, dem es gut gehen soll. Es ist wichtig, Pferden gegenüber respektvoll zu sein, aber auch Menschen gegenüber. Den Teil vergessen die Leute auf Social Media manchmal.”

Kommentar von Beatrix Gerstberger, CAVALLO-Autorin:

Beatrix Gerstberger im Porträt
privat

Es ist erschreckend, wie schnell die Stimmung auf Social Media kippt. Gerade in der Pferdeszene, die eigentlich von gegenseitigem Lernen und Respekt leben sollte, werden Reiterinnen und Reiter immer häufiger zum Ziel von Anfeindungen. Kaum postet jemand ein Trainingsvideo oder teilt einen Moment mit seinem Pferd, hagelt es Kritik, oft unter der Gürtellinie. Wir brauchen in der Pferdeszene wieder mehr echte Dialogbereitschaft – und den Mut, einen Moment innezuhalten, bevor man im Internet urteilt. Wer sich traut, öffentlich Wissen oder Erfahrungen zu teilen, sollte dafür nicht an den Pranger gestellt werden. Sonst geht genau das verloren, was Social Media eigentlich leisten könnte: Inspiration und Austausch.

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