Anne Hansen: Stimmt! Vielleicht fange ich aber erst einmal beim Pferd an, da komme ich quasi her! Seit meiner Kindheit war ich leidenschaftliche Reiterin und hatte oft auch Reitbeteiligungen. Vor drei Jahren fasste ich den Entschluss, mir ein eigenes Pferd zu kaufen. Davon hatte ich immer geträumt. Eine Woche, nachdem ich eine Islandstute Probe geritten war – die wirklich toll gepasst hätte – wurde ich von einem Tag zum anderen total krank. Ich weiß noch, dass ich aus dem Krankenhaus die Verkäuferin angerufen und abgesagt habe, weil mich irgendwas komplett aus den Latschen geworfen hatte und ich nicht wusste, wann ich wieder fit sein würde.

Herrliche Zeiten: Vor fast zehn Jahren erfüllte sich Anne Hansen den Traum, auf Islandpferden durch Island zu reiten. Aus der Traum?
Ich hatte sehr hohe Entzündungswerte. Im Krankenhaus tippten die Ärzte auf Hirnhautentzündung. Die Rückenmarkspunktion, die man mir daraufhin verpasste, ging leider komplett schief. Ich entwickelte ein sogenanntes "Liquorunterdrucksyndrom", was dazu führte, dass ich über Wochen nur liegen konnte. Und da ein Problem nicht ausreichte, stellte man fest, dass meine Halswirbelsäule total instabil ist, das heißt, die Bänder und Wirbel bewegen sich über das normale Maß hinaus. Ein schlimmer Fahrradsturz in der Kindheit, ein Auffahrunfall in Griechenland mit einem klapprigen Auto und etliche Stürze vom Pferd hatten wohl ihre Spuren hinterlassen. Zwei Ärzte, die sich auf die Halswirbelsäule spezialisiert haben, rieten mir dringend davon ab, mich jemals wieder auf ein Pferd zu setzen, wenn mir was an meiner Wirbelsäule liegt.
Am Anfang war es natürlich ein Schock. Vor allem, weil ein eigenes Pferd nur Wochen zuvor in Reichweite war und ich quietschlebendig durch den Wald galoppiert bin. Inzwischen habe ich mich aber damit arrangiert. Alles im Leben hat seine Zeit.
Ja, genau! Durch das Schaf habe ich unglaublich viel gelernt. Unter anderem Gelassenheit.

Entschleunigung am Deich: Lämmchen hat Anne Hansen gezeigt, dass es nicht viel braucht, um glücklich zu sein.
Um wieder ganz auf die Beine zu kommen, sind mein Mann und ich aus Berlin zurück an die Nordsee gezogen. Ich komme aus Husum, und wo lässt es sich besser auskurieren als an der See? Hier hat mein Mann mich jeden Tag zu einem Spaziergang am Deich gezwungen, obwohl ich überhaupt noch nicht fit war. Heute kann ich sagen: zum Glück! Denn wir haben am Deich ein kleines Lamm getroffen, das uns wie ein Hund hinterlief. Das war schon skurril, denn normalerweise sind Schafe eher scheu und laufen weg. Natürlich bekam das Lamm schnell einen Namen – "Lämmchen" – und nachdem wir es wirklich jeden Tag besucht hatten und es irgendwann sogar auf unserem Schoß einschlief (ich sag’ ja: sehr sonderbar!), stand der Plan fest: Wir müssen diesen kleinen Bock vorm Schlachter retten! Nach zähen Verhandlungen mit dem Bauern – meine Mutter half auf Plattdeutsch – haben wir es tatsächlich geschafft und Lämmchen adoptiert. Aber eigentlich denke ich rückblickend immer, dass Lämmchen vielmehr mich gerettet hat.

Lämmchen machte seinem Namen tatsächlich einmal Ehre. Heute ist er ein stattlicher Bock auf dem Deich.
Das war eigentlich ziemlich banal: Ich hatte plötzlich einen guten Grund, jeden Tag aus dem Bett zu kommen, weil ich Lämmchen wieder besuchen wollte. Ich kann wirklich jedem empfehlen, der angeschlagen ist: Schafft euch Routinen an! Zwingt euch, jeden Tag etwas zu tun, auch wenn euch körperlich oder emotional gar nicht danach ist. Gerade in Krisen braucht man feste Strukturen und Abläufe. An alle Reiter: Sich freiwillig zum täglichen Stalldienst anzumelden, könnte also gut für euch sein!
Aber auch neben dieser reinen Ablenkung war die Begegnung mit Lämmchen und der ganzen Herde wie eine Art Reha-Aufenthalt für mich. Ich habe soooo viel von den Schafen gelernt! Ich glaube, dass ich jetzt viel offener durchs Leben gehe und verstanden habe, dass man manche Dinge einfach nicht planen kann. Beziehungsweise: Dass der Zufall einem wahrscheinlich oft die tollsten Sachen beschert! Und, was immer so abgedroschen klingt, mir aber wirklich klar geworden ist: Das Glück steckt im Kleinen. Wenn wir ehrlich sind, brauchen wir im Leben gar nicht viel, um glücklich zu sein.
Das ist wirklich irre, wie Tiere einem helfen können, durch Krisen zu kommen. Wenn ein Hund zum Beispiel bei einer Therapie dabei ist, können sich die Patienten viel leichter öffnen. Kinder mit Handicap verbessern beim Reiten nicht nur ihre Motorik, sondern werden selbstbewusster und mutiger. Und was ich erstaunlich fand: Eine Studie aus Harvard hat gezeigt, dass Bewohner eines Altenheims länger lebten, wenn sie sich um Zimmerpflanzen kümmerten. Sind zwar keine Tiere, aber es verdeutlicht einmal mehr den Mechanismus: Wer sich um etwas sorgt und Verantwortung übernimmt, wird gebraucht und kann sich nicht einfach hängen lassen. Das kennen wahrscheinlich auch viele Reiter. Selbst wenn man mal einen kleinen Durchhänger und keine Lust auf den Stall hat, wird man jedes Mal belohnt, wenn man doch hinfährt. Denn Tiere bauen einen einfach immer auf.
Wenn man zurück in die Heimat zieht, will man das ja gerne mit Pauken und Trompeten machen. Am besten erfolgreich, rundum gesund und voller Pläne. Deswegen fühlte es sich am Anfang auch wirklich ein bisschen wie eine Niederlage an, dass man so dermaßen angeschossen zurück zur Herde kehrt. Aber das war für mich auch eine wichtige Erkenntnis: Das Leben ist gepflastert mit Krisen und wahrscheinlich werden da noch ein paar mehr warten. Umso wichtiger, dass man lernt, wie man aus diesen Krisen wieder herauskommt!

„Das Leben ist gepflastert mit Krisen. Umso wichtiger, dass man lernt, wie man aus diesen wieder herauskommt.“
Der Umzug aufs Land war auf jeden Fall die richtige Entscheidung. Auch wenn ich noch oft in Berlin bin und das dann auch genieße, atme ich immer auf, wenn ich wieder am Deich stehe. Ich hasse zwar Wind – liegt in der Familie, meine Oma war genauso – aber die Entschleunigung entschädigt für "Ich trage zwei Mützen plus Kapuze übereinander". Man ist hier auf dem Land auch viel mehr draußen und interessiert sich plötzlich für Dinge, die sonst total an einem vorbeigegangen sind. Neben "unseren" Schafen läuft eine Kuhherde, und plötzlich habe ich mich mit künstlicher Befruchtung bei Kühen beschäftigt! Das war mega spannend! Oder mein Mann und ich haben bei der "Stunde der Gartenvögel" mitgemacht und akribisch die Vögel in unserem Garten gezählt. Früher konnte ich eine Amsel nicht von einem Spatz unterscheiden, jetzt weiß ich alles über Eichelhäher! Grundgütiger, bin ich ein Landei?
Ich schließe nicht aus, dass ich nochmal eine Scheiß-drauf-Einstellung entwickle und es doch wieder tue. Momentan ist meinem Kopf aber nicht danach. Erschütterungen mag der nämlich nicht. Und wir haben seit zwei Jahren einen Jack Russell, der uns auf Trab hält. Pferd, Hund, Schaf: Ganz egal. Hauptsache Vierbeiner!
Und dann kam Lämmchen

Und dann kam Lämmchen
Wie kriegt man wieder Rückenwind, wenn einem das Leben um die Ohren pfeift? Die Journalistin und CAVALLO-Autorin Anne Hansen beschließt den Umzug zurück in die Heimat. Hier, an der See in Nordfriesland, will sie sich auskurieren, nachdem ihr Körper streikt. Eine Begegnung mit einer Schafherde am Deich verändert alles. Den Blick auf unterschätzte Tiere, ihre Einstellung zu dem, was wichtig ist – und die Frage, wo das Glück des Lebens liegt. 240 Seiten, 13 Euro, Penguin Verlag