Wann sind Reiter zu schwer fürs Pferd?

Gewichtige Frage
Wann sind Reiter zu schwer fürs Pferd?

Zuletzt aktualisiert am 28.02.2025
Frau galoppiert mit einem weißen Pferd über eine Wiese
Foto: Lisa Rädlein

Kann mein Pferd mich überhaupt tragen?

Wann ist der Reiter zu schwer fürs Pferd? Die Frage ist heikel, sicher. Aber im Sinne unserer Pferde sollten wir Reiter sie uns selbst stellen. Und damit sind nicht nur Reiter gemeint, deren Body Mass Index in Richtung Übergewicht tendiert. Klar, das ist auch ein Problem: Etwa jede zweite Frau und zwei Drittel der Männer in Deutschland sind übergewichtig.

Überträgt man das in die Reiterszene, bedeutet das im Umkehrschluss: Viele Pferde müssen viele Kilos schleppen. Doch wann ist "viel" zu viel? Das Übergewicht des Reiters ist bei der Frage, was ein Pferd tragen kann, nur ein Aspekt. Wie sieht es etwa mit großen Menschen aus, die allein durch ihre Statur mehr wiegen? Und können Reiter ihr Gewicht durch gutes Reiten kompensieren? Welche Rolle spielt der Sattel bei der Tragfähigkeit des Pferds – und dessen Rasse? Wir gehen den Fragen auf den Grund.

Gibt es eine klare Grenze beim Reitergewicht?

Verschiedene Studien zeigen: Das optimale Reitergewicht inklusive Ausrüstung beträgt etwa zehn Prozent des Pferdegewichts. Die sind schnell erreicht: Beim 600-Kilo-Pferd sind das 60 Kilo Reiter – inklusive Kleidung und Sattel. 15 bis 18 Prozent können Pferde oft noch verkraften, bei 20 Prozent zeigen sich körperliche Schäden. Das fand Forscherin Sue Dyson bei einer Untersuchung mit Reitern heraus, die zwischen 60 und 142 Kilo wogen. Die Tiere lahmten unter den Reitern, die die 20 Prozent des Pferdegewichts überschritten. Kurzum: Die Reiter waren zu schwer fürs Pferd. Dyson brach den Versuch daraufhin ab.

Eine klare Obergrenze also? Ja – mit einem Aber: Die Relation von Pferde- und Reitergewicht berücksichtigt nicht wichtige Faktoren wie Muskeln, Kondition und Körperbau der Pferde sowie Größe und Können des Reiters. Diese spielen für die Tragkraft aber eine entscheidende Rolle. Außerdem wird vom Idealgewicht des Pferds ausgegangen – doch auch Pferde werden immer pummeliger.

Rote Karte für zu schwere Reiter

In Großbritannien beweisen Turnierrichter seit 2016 "Waagemut" und holen Reiter vom Pferd, wenn diese die 20-Prozent-Grenze überschreiten. Als erstes Turnier führte die Great Yorkshire Show Gewichtskontrollen für Reiter-Pferd-Paare ein. Verstöße gibt es vor allem auch auf den Vorbereitungsplätzen: hier fielen vor allem Erwachsene negativ auf, die die Ponys ihrer Kinder vor der Prüfung abritten.

Die Veranstalter berichten gegenüber der Zeitschrift "Horse & Hound", dass sie frustriert seien und von den Reitern teils als "Fettpolizei" bezeichnet würden; Einsicht sähe anders aus. Dennoch: Die Gewichtskontrollen schlugen Wellen, weitere Turnierveranstalter zogen nach. Auch immer mehr Reitschulen setzen auf Gewichtsbegrenzungen von Reitern zum Wohl der Tiere.

Kaltblüter können mehr Gewicht tragen als Araber – Stimmt's wirklich?

Ob Pferde ein tragfähiges Fundament haben, zeigt der Röhrbeinbelastungsindex (RI). Darauf verweist etwa die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz (TVT). Die Formel lautet:

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CAVALLO

Den Umfang misst man an der schmalsten Stelle des Röhrbeins. Je höher der Wert, desto belastbarer das Tier. Raten Sie mal, welche Rasse hat wohl welchen Index? Hier kommt die Auflösung:

  • Kaltblüter 3,0
  • Shetlandponys 7,4
  • Haflinger 3,7
  • Arabische Vollblüter 4,1
  • Welsh-Ponys 4,8

Demnach hängen Shettys, Welsh und Araber die Haflinger und Kaltblüter bei der Tragkraft locker ab. Doch was ist mit dem Etikett "Gewichtsträger"?

Gewichtsdebatte
Lisa Rädlein

"Gewichtsträger per se gibt es ohnehin nicht", sagt Pferdewissenschaftlerin Conny Röhm. Auch innerhalb der Rassen unterscheiden sich Pferde im Fundament; sieht ja nicht ein Araber aus wie der andere. Quadratisch gebaute Pferde mit kurzem Rücken, korrekt gewinkelten Beinen, dicken Röhrbeinen und breiter Lendenpartie können im Verhältnis zur Körpergröße zwar mehr tragen als eher rechteckige Pferde. Aber: "Es nutzt kein dickes Röhrbein, wenn das Pferd keine Ausdauer und Muskelkraft hat", betont Röhm.

Aber auf Isis reiten doch auch Erwachsene

Ein 350 Kilo schwerer Isländer dürfte laut 20-Prozent-Regel nicht mehr als 70 Kilo tragen. Besser wären 50 Kilo. Doch oft sieht man große Männer auf den kleinen Pferden. Ist das okay? Forscher testeten 2017 auf einer Ovalbahn, wie sich das Gangbild von Isis mit zunehmender Gewichtsbelastung zwischen 20 und 35 Prozent verändert. Kein Pferd lahmte. Die Studie bestätigte Isis eine etwas höhere Belastbarkeit als anderen Rassen. Die Tragkraft hing aber entscheidend vom Bau des Rückens ab.

"Das Problem an den Gewichtsstudien ist zudem, dass sie nicht die Langzeitfolgen berücksichtigen", meint Conny Röhm. Laut der Expertin kann ein Islandpferd sicher mal eine Stunde mit einem schweren Reiter durchs Gelände tölten, ohne dass es Schäden davonträgt. Aber langfristig leidet der Bewegungsapparat.

Je schwerer ein Pferd ist, umso mehr kann es tragen, oder?

Ein fataler Trugschluss, der oft bei dicken Pferden entsteht. Doch: "Hat ein Pferd 15 Prozent Übergewicht, darf man es nicht mehr mit einem erwachsenen Reiter beladen", erklärt Conny Röhm. Denn 15 Prozent Übergewicht bedeuten bei einem 500-Kilo-Pferd, dass das Tier bereits 75 Kilo Fettmasse zu viel mit sich schleppt: "Da kann nichts mehr zusätzlich drauf."

Der Fütterungsberaterin begegnen in der Praxis fast täglich adipöse bis extrem adipöse Tiere. Solchen Pferden fehlen Kondition und Muskeln, um tragfähig zu sein.

Kleine Orientierungshilfe für Pferd und Reiter: "Pferde sollten zehn Minuten am Stück traben und Reiter zehn Kilometer zügig und ohne Pause gehen können. Das ist die Mindestanforderung und Voraussetzung fürs Reiten."

Aber ein Schrittausritt am langen Zügel geht doch wohl

Geht eben nicht: Dabei tendieren Reiter dazu, sich Spazierentragen zu lassen. "Fehlt die Spannung im Oberkörper, sitzt man schwerer", sagt Trainer Ralf Döringshoff. Dazu laufen Pferde am langen Zügel oft mit Hängerücken – und ein durchgebogener Rücken ist nicht besonders tragfähig. "Positive Spannung im Rücken-Nackenband ist essenziell, damit Pferde höhere Last tragen können."

Dafür muss der Reiter beim Pferd zwei Bereiche aktivieren: Hals und Kruppe. Das gelingt schon mit Tempo-Variationen in der Schrittarbeit. "Sechs Schritte verlängern und drei Schritte verkürzen: Das wirkt wie Sit-ups und trainiert die Bauchmuskeln beim Pferd", weiß der Trainer.

Die Bauchmuskeln setzen am Schambeinkamm des Beckens an. Sind sie trainiert, "setzt sich" das Pferd vermehrt. Die Kruppe wirkt als Hebel und bringt den Rücken in positive Spannung. Die Schenkel treiben das Pferd an den Zügel, die Hände ermöglichen die Nickbewegung und Anlehnung.

Stockende Bewegungen zeigen: Das Pferd trägt zu viel

Bei Überlastung verspannt das Pferd seinen Rückenmuskel. Dieser ist jedoch die Bewegungszentrale: Ist das Pferd hier verspannt, verändert das den gesamten Bewegungsablauf. "Läuft das Pferd nur schleppend, ist das ein Zeichen dafür, dass es zu viel zu schleppen hat", meint Ralf Döringshoff.

Denn bei einem verspannten Rücken reduziert sich beim Pferd die Schubkraft aus der Hinterhand – und es muss die Vorderbeine vermehrt zurückziehen. "Das führt zu dem gefürchteten Phänomen, dass Pferde auf der Vorhand laufen", erklärt der Trainer. Das verschleißt die Vordergliedmaßen: tiefe Beugesehne, Karpalgelenk, Fesselträger, Hufrolle und Hufgelenk leiden. Sie müssen übermäßig viel Rückzieharbeit leisten, wenn der Bewegungsablauf so gestört ist.

Manchmal belastet der Sitz des Reiters das Pferd mehr als sein Gewicht

"Die korrekte Oberkörperposition ermöglich Reitern einen bewegungsbegleitenden Sitz. Wer zu weit hinten sitzt, stört die Bewegung und sitzt schwer", so Döringshoff. Die Oberkörperposition zu variieren, kann der Schlüssel sein: Lehne dich etwas weiter vor, dann etwas zurück. Prüfe, bei welcher Oberkörperposition das Pferd am meisten nickt – und halte diese Position. Die Nickbewegung des Pferds zeigt, wie beweglich der lange Rückenmuskel ist. Nickt das Pferd im Schritt, bewegt es sich natürlich.

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Lisa Rädlein

Ein Dressursattel ist auf 65 Kilo Reitergewicht ausgelegt.

Dabei wird von einer sportlichen Beanspruchung von 45 bis 60 Minuten ausgegangen, bei der das Pferd in positiver Spannung läuft. "Alles zusammen ist im Freizeitbereich aber selten anzutreffen. Und verändert man nur einen Parameter, ist man aus dem Funktionsbereich", sagt Sattelexperte Tarquin Cosack. Heißt: Der Sattel puffert das Reitergewicht nicht mehr optimal – die Rückenmuskeln des Pferds verspannen.

Maßgeblich für die Sitzgröße ist übrigens nicht nur die Konfektionsgröße: Auch die Länge des Oberschenkelknochens spielt eine Rolle. Große Menschen brauchen daher Sättel mit größeren Sitzflächen. "Oft habe ich große Kunden, die überhaupt nicht übergewichtig sind. Aber sie bringen viel Gewicht auf die Waage und haben Probleme, einen passenden Sattel zu finden."

Das Problem: Die Industrie scheut dem Experten zufolge die Entwicklung von größeren Sitzflächen. "Die Hersteller haben Angst, dass sie diese nicht vermarktet bekommen – weil die Reiter sich zu dick fühlen und es ihnen peinlich ist, die große Größe zu wählen."

Nur führt die falsche Sitzgröße eben zu Rückenproblemen beim Pferd. Zwischen Reiterpo und der oberen Kante des Sattelkranzes müssen mindestens sechs Zentimeter Platz sein. Nur so kann das Becken frei mitschwingen. "Viele Reiter wählen eine zu kleine Sitzfläche, weil das Sicherheit suggeriert. Aber letzlich leidet das Pferd durch die falsche Belastung."

Welcher Sattel verteilt das Gewicht optimal?

Je größer die Auflagefläche, umso besser verteilt sich das Gewicht. "Wenn du selbst breite Wanderschuhe trägst, ist das mit Sicherheit bequemer für deine Füße als Stilettos. So wie deinen Fußsohlen geht es auch dem Pferderücken", vergleicht Tarquin Cosack. Alle Hirtensättel haben traditionell große Sitzflächen: die der Gauchos, Cowboys und Iberer.

Konventionelle Sättel haben eine Auflagefläche um die 900 Quadratzentimeter. Westernsättel bieten um die 3.000 Quadratzentimeter, also mehr als das Dreifache. Allerdings wiegen sie auch rund fünf Kilo mehr. Die gute Verteilung ist jedoch entscheidender.

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Lisa Rädlein

Zudem gelten folgende Punkte: Der Sattelbaum sollte möglichst starr und steif sein. Das schützt den Pferderücken. "Die Bäume sind allerdings in der Regel nicht wechselbar. Nachträglich kann ich als Sattler nichts mehr justieren." Die Sattelpolsterung sollte fest sein, damit sie unter dem Reitergewicht nicht nachgibt. Eine Vollmaßanfertigung wäre für schwere und große Reiter optimal. Diese hat allerdings ihren Preis: um die 6.000 Euro und mehr sind schnell fällig.

Früher haben Pferde doch auch schwere Lasten getragen, etwa in der Kavallerie.

Ja, das stimmt: Bei der Kavallerie wurden Pferde tatsächlich teils mit 140 Kilo beladen. Allerdings waren das andere Pferdetypen, und vor allem hatten die vierbeinigen Soldaten Kondition: "Sie marschierten in Friedenszeiten 22 Kilometer täglich, im Krieg bis zu 80 Kilometer – und mussten noch Energiereserven fürs Gefecht haben", sagt Tarquin Cosack.

Im Militär wurde bei Packpferden zudem penibel auf eine ausgeglichene Gewichtsverteilung geachtet: Auf einer Seite durfte nicht ein Kilo mehr hängen als auf der anderen.

Außerdem hat die Zucht das Fundament der Tiere verändert. Vor hundert Jahren gab es vor allem schwere Landpferde. Die Menschen beschrieben sie als "kartoffelig". "Die Pferde konnten einen Pflug ziehen, sich aber nicht biegen. Ganz anders als moderne Sportpferde heute", meint Sattelgutachter Tarquin Cosack. Das Früher-Argument gilt also nicht. Bleiben wir lieber im Jetzt – da haben wir genug Chancen, in punkto Gewicht etwas fürs Wohl unserer Pferde zu tun.

Weiterführende Infos zum optimalen Reitergewicht, Einblicke und Erfahrungsberichte, wie das Abnehmen für Reiter leichter gelingt, & mehr findest du im vollständigen Artikel: