CAVALLO-Rechtsservice:Paragraphenreiter
Wer haftet bei Gefälligkeitsdiensten?

Eine Reiterin stürzt bei einem Ausritt mit dem Pferd einer schwangeren Bekannten. Wer trägt die Behandlungskosten für ihre Verletzungen?

Paragraphen-Reiter
Foto: Lisa Rädlein

Der Fall: Während eines Ausritts begann die dreijährige Stute der beklagten Pferdebesitzerin zu buckeln. Die Reiterin fiel und brach sich den Arm. Ihre Krankenkasse forderte daraufhin die Kosten der Behandlung bei der Pferdebesitzerin ein. Das Pferd sei beim Antraben plötzlich losgebuckelt, wodurch sich eine typische Tiergefahr realisiert habe, wofür die Pferdebesitzerin hafte.

Die beklagte Besitzerin behauptete hingegen, sie habe ihr Pferd nicht der Geschädigten, sondern lediglich deren minderjähriger Tochter überlassen. Sie habe keine Kenntnis davon gehabt, dass die geschädigte Reiterin ihr Pferd reiten würde. Insofern habe sie sich eigenverantwortlich gefährdet. Im Übrigen habe sich nach Aussage der Pferdebesitzerin auch keine typische Tiergefahr realisiert, da das Pferd auf die Hilfe der Geschädigten angetrabt sei. Das Pferd habe nur das gemacht, was sie von ihm verlangt habe.

Die Entscheidung: Das Landgericht Koblenz sah es nach Vernehmung der Geschädigten und ihrer Tochter als erwiesen an, dass nicht nur die Tochter der Geschädigten, sondern auch sie selbst das Pferd der Beklagten während der Schwangerschaft bewegen sollte. Laut Urteil vom 25. Mai 2022 (3 O 134/19) habe sich während des Ausritts eine spezifische Tiergefahr gemäß § 833 S. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) realisiert. Nach der ständigen Rechtsprechung umfasst der Begriff der Tiergefahr jedes unberechenbare, aber auch instinktgemäße selbstständige Verhalten des Tieres und der dadurch hervorgerufenen Gefährdungen von Leben, Gesundheit und Eigentum Dritter. Eine solche Gefahr habe sich durch das plötzliche und unerwartete Losbuckeln des Pferdes realisiert, ungeachtet dessen, dass die geschädigte Reiterin die Hilfe zum Antraben gegeben habe. Hierfür hafte die Pferdebesitzerin, unabhängig von einem Verschulden, da es sich um eine Gefährdungshaftung handele.

Eine Haftungsfreistellung der Beklagten durch die Geschädigte aufgrund einer etwaigen Gefälligkeit kam ebenfalls nicht in Betracht. Es könne nicht angenommen werden, dass jemand einen Haftungsverzicht erkläre, nur weil er dem anderen eine Gefälligkeit erweise, zumal ein solcher Haftungsverzicht allein der hinter der beklagten Pferdebesitzerin stehenden Haftpflichtversicherung zu Gute gekommen wäre.

Die Haftung war auch nicht wegen einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung ausgeschlossen. Diese könne nur angenommen werden, wenn der Verletzte bewusst ungewöhnliche Risiken übernehme, also solche, die über die übliche Tiergefahr hinausgingen. Davon sei im Falle der geschädigten Reiterin allerdings nicht auszugehen. Diese verfügte über jahrelange Reiterfahrung und kannte das Pferd der Beklagten bereits von vorherigen Ausritten.

Fazit: Die Entscheidung des Landgerichts bestätigt die Rechtsprechung zu § 833 BGB, wonach der Besitzer ohne Verschulden für sein Pferd haftet, sofern sich eine typische Tiergefahr realisiert und der Reiter (oder andere Beteiligte) dadurch verletzt wird. Ein Ausschluss der Haftung kommt nur in sehr engen Grenzen in Frage und darf den Schutzzweck der Norm nicht konterkarieren. Es sollte daher in jedem Fall für eine ausreichende Haftpflichtversicherung gesorgt werden.

Die Autorin Olivia-Nathaie Haverkamp

Fachanwältin für Medizinrecht in Hamm. olivia.haverkamp@bergmannpartner.com

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