Peppy muss durch den Körperscanner – dabei will er nicht ins Flugzeug steigen. Peppy ist kein Passagier, sondern ein Reitpferd. Der Quarter-Horse-Wallach tritt unter ein Messgestell, das in einer Fünfzehntel-Sekunde seine Körperform ganz genau erfasst. Daraus entstehen exakte Bilder des Pferderückens mit grafischen Höhenprofilen, Diagrammen und Daten. Grund für die Analyse: Peppy ist offensichtlich unzufrieden mit seinem Sattel. Beim Reiten wirkt er etwas steif, beim Satteln angespannt. Für seinen Reiter Bernd Hoppmann ein Alarmzeichen. Ob ihm die Analyse dabei helfen kann, einen passenden Sattel für Peppy zu finden?
Die Methode ist genauer als andere Sattel-Analysen. Professor Frank Duesberg, Leiter des Instituts für Biokinetische Medizintechnik (IBM) in Solingen, ist zuversichtlich, dass sie Peppy helfen kann. Er hat die Sattelmessung entwickelt. Das Besondere daran: Professor Duesberg kombiniert verschiedene Messmethoden.
Zunächst misst er mit einer Druckmessmatte beim Reiten die Druckverteilung des Sattels. Danach erfasst der Mediziner mit einer Wärmebildkamera die Temperatur auf dem Pferderücken und an der Innenseite des Sattels: Heiße Stellen können Reibung oder zu viel Druck anzeigen.
Thermografie und Druckmessung ergänzen sich gegenseitig und stellen kritische Bereiche dar. „Durch diese beiden Verfahren bekommen wir Hinweise auf mögliche Probleme“, erklärt Professor Duesberg. Genauere Erkenntnisse und Hilfe beim Anpassen des Sattels liefern danach der innovative Körperscan und ein Modell des Pferderückens (siehe Kern der Messung: Scan und Rückenmodell).
Wir probieren die Methode aus. Thermografie und Druckmessung wenden wir mit Professor Duesberg und Physiotherapeutin und Osteopathin Claudia Eichler an. Sie kommen dazu ins Barockreitzentrum in Heimsheim bei Stuttgart – auch andere Anlagen besuchen die Experten auf Wunsch.
Ulrike Störzbach will wissen, ob ihr Lederbaum-Sattel immer noch optimal für den polnischen Warmblüter Poldi eingestellt ist. Sie lässt ihre Sättel regelmäßig nachjustieren. Elke Wedig vermutet, dass der Sattel ihren jungen Lusitano-Wallach Amanecer einschränkt. Rechts tut er sich vor allem in den dynamischen Gangarten mit Biegung und Stellung schwer und blockiert.
Die Druckmessmatte entlarvt Unregelmäßigeiten. Die Matte kommt bei unserem Termin zweimal zum Einsatz: einmal ohne und einmal mit Sattel. „Ohne Sattel erfahren wir noch mehr über den Sitz des Reiters“, erklärt Duesberg. Bei Lusitano Amanecer zeigt sich links eine höhere Belastung als rechts. Auch bei Poldi ist die Belastung mit Sattel im vorderen Bereich links etwas höher, obwohl Ulrike Störzbach ohne Sattel sehr symmetrisch sitzt.
Was wohl die thermografische Messung verrät? Nachdem die Reiterinnen ihre Pferde etwa dreißig Minuten lang unter dem Sattel bewegt haben, muss es schnell gehen. Bevor Pferderücken und Sattel wieder abkühlen, muss die Wärmebildkamera beide ablichten.
Das Wärmebild von Poldis Sattel und Rücken zeigt ebenfalls links im Schulterbereich eine etwas stärkere Belastung. Grund könnten körperliche Besonderheiten von Poldi sein – ein Rückenscan könnte das klären.
Die Thermografie ergänzt die Druckmessung ideal: Da außerdem sowohl Wärmebild als auch Druckbild auf eine insgesamt unregelmäßige Druckverteilung unter der gesamten Fläche der Sattelkissen hinweisen, untersucht Duesberg den Sattel. Amanecers Besitzerin hatte den richtigen Riecher – tatsächlich liegt der Sattel nicht ideal auf. Duesberg findet einige Dellen in der Auflagefläche. Sein Rat: den Sattel nachpolstern lassen.
Grund für die linksseitig stärkere Belastung des Sattels könnte eine alte Verletzung der Reiterin sein. Elke Wedig berichtet von einer früheren Steißbeinfraktur. Osteopathin Claudia Eichler vermutet, dass diese sich noch immer auf die Haltung auswirkt. Eine spezifische Reitergymnastik kann helfen. Duesberg empfiehlt, vorher die Haltung der Reiterin zu vermessen. So lässt sich sicherstellen, dass die alte Verletzung tatsächlich die Usache ist.
„Man weiß nach Druckmessung und Thermografie nämlich noch nicht, was genau das Problem verursacht“, gibt Duesberg zu bedenken. Ob für eine nicht optimale Druckbelastung die Sattelpassform, das Pferd oder der Reitersitz verantwortlich sind, lässt sich nach seiner Ansicht nur mit weiteren Messungen klären.
Der Körperscan entlarvt Problem-Ursachen. Hier kommt der Scan ins Spiel, der auch Quarter Peppy ausleuchtete. Die genauen Daten zum Pferd geben weiteren Aufschluss über Problemstellen am Sattel. So sieht man auf den erfassten Bildern genau, ob sich etwa Muskeln zurückgebildet haben. Bei Peppy ist zum Beispiel der Trapezmuskel im Schulterbereich rechts schwächer ausgebildet als links. Das könnte darauf hinweisen, dass der Sattel im Schulterbereich zu stark drückt und unsymmetrisch ist.
Zusätzlich ermöglicht es der Scan auch, körperliche Besonderheiten zu erfassen, an die der Sattel angepasst werden muss – etwa einen unsymmetrischen Rücken oder eine stark durchhängende Brustwirbelsäule.
Nicht nur beim Pferd bringt der Scan Aha-Effekte: Auch der Scan des Reiters ist für Professor Frank Duesberg und Claudia Diana Eichler ein wichtiger Bestandteil der Analyse. Die Physiotherapeutin und Osteopathin für Mensch und Pferd sagt: „Fehlhaltungen der Wirbelsäule, Schiefstellungen des Beckens oder Asymmetrien und Dysbalancen des Bewegungsapparats kommen sehr häufig vor.“ Der Körperscan offenbart solche Probleme, die den Reiter oft schief sitzen lassen. „Das ist bei jeder Analyse des Gesamtsystems Pferd-Reiter-Sattel zu berücksichtigen“, betont Duesberg. Gibt es Probleme, sollte sich der Reiter behandeln lassen, etwa beim Physiotherapeuten.
Ein Pferde-Modell erleichtert die Analyse. Da Peppys Reiter sehr symmetrisch sitzt, fiel der Reiter hier als Problemursache weg. Daher nahmen die Solinger Mess-Experten vor allem Pferd und Sattel genauer unter die Lupe. Anhand des Scans von Peppys Rücken erstellte eine Spezialfirma ein Eins-zueins-Modell aus Kunststoffschaum. Mit diesem Modell testete Professor Duesberg im Labor die Druckbelastung des Westernsattels. Eine mit Sand gefüllte Lederhose dient dabei als Reiter-Dummy, sodass statische Messungen mit der Druckmessmatte möglich sind. Diese entlarven Schwachstellen teils noch deutlicher als Messungen in Bewegung. Außerdem verwenden die Experten eine Folien-Thermografie-Matte, um die Auflagefläche des Sattels zu testen. Dazu erwärmt Duesberg die Innenseite des Sattels unter einer Rotlichtanlage auf 30 Grad. Die Folie, die zwischen Rückenmodell und Sattel liegt, verändert ihr Aussehen bei Kontakt mit dem warmen Sattel. So können die Experten die Kontaktflächen beurteilen. Folie und Modell können auch dem Sattler in der Werkstatt bei der Anpassung helfen.
Die Labor-Analysen überraschen: Während Peppys Sattel unbelastet nur im hinteren Bereich Kontakt zum Pferderücken hat, kippt er unter Belastung nach vorne und zeigt deutliche Druckspitzen im Schulterbereich. Bernd Hoppmann hat investiert und mithilfe weiterer Messungen einen besseren Sattel für Peppy gefunden (siehe Die Wärme- und Druckbilder im Überblick). Professor Duesberg ist zufrieden – er hofft, mit seiner Methode in Zukunft noch für viele Pferde einen passenden Sattel finden zu können.
Kern der Messung: Scan und Rückenmodell
Der Kern der Sattel-Messmethode von Prof. Frank Duesberg ist eine genaue Haltungsanalyse des Pferds – die Posturometrie. Dazu wird es unter eine spezielle Messanlage gestellt. Vor der Messung werden sechs kleine grüne Klebemarker an definierten Stellen aufs Fell geklebt, etwa am Widerristende und in Höhe der 18. Rippe. So kann das Software-Programm später exakt den optimalen Auflagebereich für den Sattel berechnen.
Dann erfassen zwei spezielle Kameras und zwei Laserpointer die Rückenform – innerhalb einer fünfzehntel Sekunde (Time-of-Flight-Infrarot-Technologie). Das Messprotokoll zeigt Bilder des Pferderückens mit grafischen Höhenprofilen, Diagrammen und einer Vielzahl von Messparametern.
Anhand dieser Informationen fräst eine Spezialfirma ein Modell des Pferderückens aus Kunststoffschaum. Kosten: rund 500 Euro. Thermografie und Druckmessung kosten zusammen ca. das Gleiche.
Mit dem millimetergenauen Eins-zu-eins-Modell simuliert Prof. Duesberg im Labor die Belastung durch den Sattel und einen Reiter-Dummy. Außerdem kann der Sattler das Modell mit in die Werkstatt nehmen – und hat das Pferd damit fast lebensecht auf seiner Werkbank stehen. Dadurch muss er meist kaum nachjustieren.



Die Wärme- und Druckbilder im Überblick
Amanecer:


Amanecer:
Das Wärmebild von Amanecers Rücken (1. Bild) zeigt links eine stärkere Wärmeentwicklung (weißer Bereich). Die Flecken im Bereich des Sattels deuten auf eine unregelmäßige Druckverteilung hin – das liegt an Dellen in den Sattelkissen. Auch das Druckbild (2. Bild) zeigt links eine etwas stärkere Belastung.
Poldi:


Poldi:
Das Wärmebild (1. Bild) des auf dem Kopf liegenden Sattels zeigt rechts einen weißen Fleck, der auf eine stärkere Wärmeentwicklung hinweist. Auf dem Pferd liegend wird also die linke Seite des Sattels etwas stärker belastet. Das Druckbild zeigt, dass der Sattel etwas vorlastig ist. Die Reiterin vermutete richtig, dass nachjustiert werden sollte.
Peppy:


Peppy:
An der Unterseite von Peppys Sattel hat sich im vorderen Bereich deutlich mehr Wärme entwickelt (roter und weißer Bereich), während der Sattel hinten kalt blieb, weil er kaum auflag. Das Druckbild wurde im Labor auf Peppys Scan-Modell bei konstantem Druck erstellt. Auch hier zeigt sich: Der Sattel ist vorne zu weit und kippt vor.
Peppys neuer Sattel:


Peppys neuer Sattel:
Der baumlose Hybridsattel, der im Auflagebereich mit Kunststoff verstärkt ist, zeigt eine gleichmäßige Wärmeverteilung unter den Sattelkissen. Der Kissenkanal ist frei, die Wirbelsäule unbelastet. Sie ist nur durch die Wärmeisolation der Lammfell-Sattelkissen erwärmt. Das Druckbild zeigt eine gleichmäßige und somit optimale Druckverteilung.