Schön ist das schon, oder? Dem Pferd ein Leben oder wenigstens ein paar Tage ganz frei Schnauze zu gönnen? Aufs Gebiss zu verzichten und trotzdem fein und sicher zu reiten und das Pferd gesund zu gymnastizieren?
Natürlich gibt es dabei Tücken. Die Größte: Reiter fürchten, ihr Pferd könnte die Maulfreiheit ausnutzen und ungehindert eigener Wege gehen. Wer schon gebisslos reitet, fragt sich, ob die Kontrolle dauerhaft bleibt, ob die Gymnastik gesund gelingt oder ob es fürs Pferd noch angenehmer werden könnte.
Eins kann man jedoch sicher sagen: Mal ohne Metall im Maul zu reiten, ist meistens ein Gewinn für Pferd und Mensch. Die Beziehung profitiert und nebenbei bekommen Reiter ein glasklares Feedback zu ihren Hilfen und zur bisherigen Ausbildung des Pferds. Je korrekter Reiter da unterwegs sind, umso weniger Unterschiede werden sie spüren. Und zwar auf jedem Niveau.
„Gebisslos zu reiten ist für die meisten problemlos möglich.“ Das sagt die niederländische Ausbilderin Sonja Tiehuis, die über die eigene Firma F.R.A.® pferdefreundliches Equipment vertreibt. „Reiter müssen allerdings die Persönlichkeit ihres Pferds kennen und wissen, wie es um ihre Beziehung steht.“ Dann findet man auch leicht den richtigen Zaum für sich und sein Pferd. Denn: Gebisslos ist längst nicht gleich gebisslos. So wie Wasser- und Schenkeltrensen, Pelham und Kandare völlig unterschiedliche Signale ans Pferd senden, variiert auch die Wirkung verschiedener Gebissloszäume zum Teil erheblich.
Sonja Tiehuis hat deshalb ein bisher einzigartiges System entwickelt, mit dem Reiter zuverlässig die passende gebisslose Zäumung finden. Wichtigster Bestandteil ist ein Wesens- und Beziehungscheck am Boden. Wie verhält sich das Pferd beim Führen? Wie reagiert es auf Berührungen. Wie auf Körpersignale? „Je besser ein Paar aufeinander abgestimmt ist und je sensibler ein Pferd reagiert, desto weniger Einwirkung ist nötig, damit Manöver wie Wenden oder Anhalten klappen“, erklärt Sonja Tiehuis.
Zaum für ein starkes Pferd
Eine Stufen-Skala verrät, wie ein Zaum wirkt. Sonja Tiehuis sortiert danach, auf wie viele Punkte am Pferd ein Zaum wirkt und ob die Zügel direkt oder indirekt den Weg weisen. Je intensiver die Einwirkungen, umso höher die Stufe (Foto). CAVALLO wollte wissen, ob dieser Plan tatsächlich aufgeht und bat fünf Reiter mit sehr unterschiedlichen Pferden zum Praxis-Test. Wie alle einen passenden Zaum für ihre Lieblinge fanden und warum sich die Pferde ohne Gebiss gut reiten ließen, zeigen die nächsten Seiten.


Die Persönlichkeit des Pferds und die Beziehung zum Reiter bestimmen den idealen gebisslosen Zaum. Diese Fragen lassen sich am besten beim Führen, Berühren und in der Freiarbeit prüfen.
Dieser Team-Check sollte in einem etwa 15 x 15 Meter großen Trainings-Paddock stattfinden. „Diese Maße sind ideal, weil das Pferd in allen Gangarten genug Raum hat, sich in der Freiarbeit jedoch nicht jeglichem Einfluss entziehen kann“, erklärt Ausbilderin Sonja Tiehuis. Mit ein paar Hindernisständern und Weidezaunlitzen ist der kleine Trainingsplatz in wenigen Minuten in der Halle oder auf dem Reitplatz errichtet.
Das Führen ist der erste Schritt im Beziehungscheck. „Denn hierbei fängt die Verbindung zwischen Reiter und Pferd an“, erklärt die Trainerin. Das sollten Sie prüfen: Überlässt das Pferd dem Zweibeiner willig die Führungsposition? Oder drängelt es stattdessen, überholt gar?
In der Bahn sind Melanie Tschöpe und ihr Schweres Warmblut Donald. Sie führt den Riesen selbstsicher, so hat es Donald leicht, ihr zu folgen. Wichtig ist auch, dem Pferd Zeit zum Reagieren zu geben. Und es am langen Strick zu führen. Denn am lockeren Seil können Sie gleich testen, ob Ihre Signale fein genug ankommen. So wie bei Testpferd Donald: Das Schwere Warmblut reagiert sofort, sobald seine Besitzerin über ihre Körpersprache eine Wendung einleitet oder die Richtung wechselt.
„Ein Pferd, das so fein reagiert, sollte auch beim Reiten wenig Einwirkung brauchen“, überlegt Sonja Tiehuis. Ab und an kommt Donald seiner Besitzerin jedoch zu nahe. „Er kann ein echter Büffel sein“, seufzt die. Wieviel Einwirkung ein Pferd verträgt, müssen also noch weitere Beobachtungen zeigen.
Wie reagiert ihr Pferd auf Körperkontakte? „Erforschen Sie Ihr Pferd nun mit langsam streichenden Bewegungen der flachen Hand“, erklärt Sonja Tiehuis. „Atmen Sie dabei bewusst aus. So erkennen Sie, ob es empfindsame Bereiche hat, selbst bei leichtem Druck gar ausweicht oder Berührungen überall vertraut.“ Bei zäheren Pferden wie Donald empfiehlt die Ausbilderin, die Pferdebeine auszustreichen. „Das hat zwar nichts direkt mit dem Check zu tun.
Das Pferd bekommt jedoch ein besseres Körpergefühl, wird feinfühliger.“ Ein balanciertes, sensibles Pferd benötigt wiederum weniger Einwirkung durch einen Zaum.
Folgt ihr Pferd ihren Signalen bei der Freiarbeit? Im dritten Schritt des Beziehungschecks steuern Sie Ihr Pferd nur über die Körpersprache durch den Übungspaddock. Wird es hektisch, reduzieren Sie Ihre Körperspannung, bis es sich beruhigt. Reagiert es dagegen eher zögerlich, sollten Sie Ihre Einwirkung verstärken, ohne sich selbst zu viel zu bewegen. Tipp von Sonja Tiehuis: ein Führseil locker zwischen beide Hände spannen. „Mit einem Strick können Sie Pferde bei der Freiarbeit bei Bedarf auf Distanz halten. Die vordere Hand zeigt in die gewünschte Richtung, die hintere treibt. Das erinnert an Leitstute und Treibhengst in der Herde.“ Kommt das Pferd trotzdem nicht richtig in Schwung, dann lassen Sie den Strick an der treibenden Hand los und werfen das Ende Richtung Hinterhand.
Pferde, die viel Motivation benötigen, damit sie was tun, können sich unterm Reiter schwer machen. Sie vertragen ab und an ein wenig mehr Druck. „Für gut ausgebildete Paare wie Donald und Melanie empfehle ich einen Zaum mit dem stärksten Einwirkungsgrad 5“, sagt Sonja Tiehuis und wählt ein Bitless Bridle.
Das Bitless Bridle macht starken Kerlenklare Ansagen. Durch den gekreuzten Kinnriemen wirkt ein Zug des Zügels rechts gleichzeitig auf die linke Kopfseite, was dem Pferd ein deutliches Signal zum Wenden geben soll. Gleichzeitig übt der Zügelzug Druck auf das Genick aus, was insbesondere bei versammelnderen Lektionen hilfreich sein kann. „Ein dressurlich so gut ausgebildetes Pferd wie Donald könnte man auch mit einem milderen Zaum wie dem Sidepull der Stufe 3 reiten“, erklärt Sonja Tiehuis. „Allerdings kann man damit weniger differenzierte Hilfen geben, falls sich das Pferd den Hilfen entziehen möchte.“
Donald aber denkt heute gar nicht daran. Da er körperlich wie nervlich in einer guten Form ist, qualifiziert sich das schwere Warmblut noch für einen kurzen Proberitt mit Halsring. Denn der Weg zu Stufe 1 ist gar nicht weit, wenn die Beziehungs-Basis stimmt. Das stellen wir später auch bei Isländer Hjalti, Friese Maurits und Haflingerstute Sunny fest.
„Anfangs hatte ich schon was Bammel um meine Kontrolle“, gesteht Melanie Tschöpe nach dem Ritt ohne Zaum. Sie weiß: Ihr Büffel Donald kann auch anders. „Im Gelände würde ich daher bei Stufe 5 bleiben“, sagt Sonja Tiehuis. „Denn sollte der Reiter im Gefahrenmoment doch einmal energischer durchgreifen müssen, hätte er bei einem derart starken Pferd keine Chance.“
Feines Pferd
Das zarte Nervenkostüm hochsensibler Pferde ist eine lebenslange Herausforderung. Ein Hauch zu viel Druck kann massive Gegenwehr bis hin zu Panik auslösen. Zudem sind viele Sensibelchen heiße Öfen. Isländer Hjalti ist ein solcher Kandidat. Kann man ihn überhaupt gebisslos kontrollieren?
Expertin Sonja Tiehuis ist davon überzeugt. „Gebissloses Reiten tut jedem Pferd gut“, sagt sie. „Gerade sehr empfindsame Pferde sind für weniger Metall und Leder am Kopf besonders dankbar – und reagieren schon auf geringe Einwirkung.“
Ein Hitzkopf zeigt sich schon beim Führen. Übernervöse Pferde trippeln häufig hektisch und unkonzentiert neben ihrem Menschen her, neigen zum Überholen und Erschrecken. Isi Hjalti ist deutlich cooler: Vertrauensvoll, doch eine Spur zu flott, stapft er neben Besitzerin Anke Wirtz her. Für noch mehr Ruhe rät Sonja Tiehuis in solchen Fällen, den eigenen Gehrhythmus zu verlangsamen, bis sich das Pferd anpasst.
Da nervöse Kandiaten auch auf Berührungen meist extrem schnell und stark reagieren, sollten Sie im zweiten Schritt des Beziehungschecks umsichtig vorgehen. „Viele Sensibelchen zucken an empfindsamen Stellen wie Flanke oder Bauch schon bei der zartesten Berühung zusammen“, so Sonja Tiehuis. Streichen Sie Ihr Pferd von vorne bis hinten mit beiden Händen sanft ab. Atmen Sie ruhig. Was lässt Ihr Pferd zu, bei welcher Druckintensität weicht es aus oder wird sogar nervös?
Auch in der Freiarbeit ist ein feines Händchen gefragt. Haben die ersten beiden Schritte des Beziehungschecks bereits erwiesen, dass Ihr Pferd nur wenig Druck verträgt und zum Überschäumen neigt? Dann nur keine Hektik. Hjalti etwa fürchtet sich vor dem Führseil, daher arbeitet Besitzerin Anke Wirtz den Wallach ohne Strick als Leit- und Treibhilfe.
Der Isländer ist sehr gut ausgebildet, reagiert zuverlässig auf feinste Körpersignale. „Hjalti ist gut drauf“, freut sich Anke Wirtz. Die erfahrene Gangpferdetrainerin kann das Temperament ihres Wildfangs sehr genau einschätzen. Dennoch können derart hochsensible Pferde leicht in die Luft gehen. „Sie benötigen deshalb ein Wechselspiel aus klarer Führung und wenig Druck“ erklärt Sonja Tiehuis. Ihre Wahl für den Isländer: eine Zäumung mit Einwirkungsgrad 4.
Eine Blattfeder im Nasenriemen erlaubt schnelle Signale. „Diese Zäumung hat eine recht starke Einwirkung auf die Pferdenase“, erklärt Tiehuis. „Somit kann der Reiter sofort eingreifen, wenn sich das Pferd zum Beispiel erschrickt und durchstarten möchte.“ Umgekehrt weitet die Feder den Nasenriemen sofort, sobald der Reiter nachgibt. Perfekt für Sensibelchen.
Das Wechselspiel aus stärkerer Einwirkung und Nachgeben erfordert von Reitern freilich viel Erfahrung und – so wie in Anke Wirtz’ Fall – eine ausgezeichnete Balance im Sattel. Ihr Isländer lässt sich perfekt mit der unbekannten Zäumung leiten. Anke Wirtz wagt einen flotten Tölt. „Ich hatte keine Sekunde das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren“, staunt sie. „Mein Pferd reagierte genauso fein wie mit Gebiss.“

Zaum für Jungpferde
Für Jungpferde sind gebisslose Zäume eine prima Stütze in der Grundausbildung. „Ich lasse das Pferdemaul beim Reiten gerne solange unberührt, bis ein Nachwuchspferd beispielsweise die ersten Kommandos wie vorwärts, rückwärts oder seitwärts versteht“, sagt Ausbilderin Sonja Tiehuis. „Und wenn es nicht mehr so schreckhaft reagiert sowie körperlich besser ausbalanciert ist.“
Tipp der Trainerin: „Mit einem Sidepull aus Stufe 3 oder einem Bitless Bridle aus Stufe 5 kann man Jungpferde zudem sehr gut an die Doppellonge nehmen, da beide Zäume die Kopfposition gut beeinflussen.“ Hinzu kommt, dass der vierbeinige Nachwuchs oft noch mit dem Zahnwechsel zu kämpfen und Schmerzen hat. „Alles, was dann im Maul nicht zusätzlich stört, ist besonders pferdefreundlich“, sagt Sonja Tiehuis.
Jungpferde brauchen eine besonders verständliche Führung. Wie sich Ihr Youngster beim Führen verhält, ist ein wichtiger Prüfstein dafür, ob er bereits sicher die Welt erkundet oder noch mehr Halt benötigt. Friese Maurits etwa stapft brav und auf den ersten Blick recht selbstsicher hinter Besitzerin Anita Stockinger her. Als ein LKW vorbeirauscht, macht der Friese einen Satz zur Seite. „Das ist für einen Vierjährigen ganz normal“, sagt Sonja Tiehuis.
Die Ausbilderin übernimmt das Kommando und führt den Friesen am langen Seil. „Springt ein unerfahrenes Pferd in Schreckmomenten weg, bin ich so nicht in der Gefahrenzone.
In Distanz zu mir lasse ich es nun selbst mit der Situation klar kommen.“ Erst wenn das Pferd ruhig auf den Menschen zuläuft, lobt Sonja Tiehuis. „Das stärkt sein Selbstbewusstsein und das Vertrauen in den Zweibeiner und dessen Führungsqualitäten.“
Bleiben sie auch bei Berührungen und Freiarbeit besonders klar. Erwarten Sie nicht, dass ein Jungpferd bereits alle Körperkontakte kennt und genießt. Maurits etwa ist zwar wohlerzogen und lässt sich überall anfassen. Dass ihm jedoch nicht jede Stelle geheuer ist, zeigen sein wacher Blick und der hocherhobene Kopf.
Im Freilauf benötigt ein Jungpferd ebenfalls eine gute Balance zwischen klaren Ansagen und ausreichend Freiraum. „Zu viel Druck könnte es verängstigen, bei zu wenig Energie fehlt der Halt“, sagt Sonja Tiehuis. Ihr Tipp: „Arbeiten Sie mit möglichst wenig Stimme, da diese bei uns Menschen oft ein Gegenspieler zur Körpersprache ist.“ Sonja Tiehuis nutzt das Führseil als verständliche Leit- und Treibehilfe. „Je klarer die Körpersprache, desto korrekter kann auch ein sehr unerfahrenes Pferd reagieren.“
Ein Sidepull leitet Jungpferde sanft und verständlich. „Ich empfehle für Jungpferde gerne ein Sidepull der Stufe 3“, erklärt die Ausbilderin. Sie holt für Maurits ein Modell, das mit seinen V-förmigen Backenstücken optisch an ein Halfter erinnert. „Diese Sidepull eignet sich besonders gut für junge Pferde oder Korrekturpferde, die Angst vorm Gebiss haben, da es selbst bei Zug nicht auf der Nase klemmt“, sagt sie. „Zudem erlaubt es deutliche seitliche Impulse – eine wunderbare Führung für unerfahrene und unsichere Tiere.“
Da Reiter mit diesem sehr sanften Zaum wenig falsch machen können, eignet sich das Sidepull auch für Einsteiger auf gut gerittenen, ruhigen Pferden. Friese Maurits gefällt die Wahl ebenfalls. Er läuft entspannt, findet schnell in einen gleichmäßigen Takt. Besitzerin Anita Stockinger ist begeistert: „Mein Pferd ließ sich wirklich prima mit dem Sidepull reiten.“

Zaum für extrovertiere Pferde
Extrovertiere Pferde können unter vertrauten Umständen so brav sein wie ein gutes Kinderpony. Bei Stress drehen sie jedoch auf und werden aktiv. Der Vorteil: Anders als introvertierte Pferde, zeigen extrovertierte Typen deutlich, dass sie angespannt oder überfordert sind – und der Mensch kann unmittelbar darauf eingehen. Auch diese Signale sind typisch für solche Pferde: Sie nehmen Reiterhilfen vorweg, reagieren mit Tänzeln, Schweifschlagen oder sogar Durchgehen, manche werden dem Menschen gegenüber aggressiv. Gerade Vollblüter und Warmblüter mit hohem Vollblutanteil sind häufig aktive Stresstypen.
Springpferd Cookie ist ein extrovertieres Pferd. Im Stechtrab saust sie durch den offenbar unheimlichen Paddock. Dabei ist die Braune sonst die Ruhe selbst – im Gelände genauso wie beim Turnier.
Das Abstreichen soll dem Pferd Sicherheit vermitteln. Sonja Tiehuis zeigt Besitzerin Lilli Fink, wie die Reiterin die Beine ihres Lieblings ausstreichen kann, damit das Jungpferd alle vier Hufe bewusster wahrnimmt und selbstsicherer auftritt. „So souverän die Stute sonst vielleicht sein mag: sie ist noch sehr jung“, sagt Sonja Tiehuis. „Ob extrovertiert oder nicht: Es ist ganz natürlich, dass ein junges Pferd nicht gleich mit jeder Situation klar kommt.“
Beruhigen Sie Ihr nervöses Pferd daher erst einmal, bevor Sie überhaupt an einen gebisslosen Zaum denken. Denn im Zweifel verlieren Sie tatsächlich die Kontrolle. Für Cookie und Lilli Fink bedeutet das: „Solange sich die Kleine nicht entspannt und auf den Menschen konzentriert, werden wir sie auch nicht reiten – egal ob mit oder ohne Gebiss“, erklärt Sonja Tiehuis.
Lassen Sie extrovertierten Pferden viel Zeit für den Beziehungscheck mit Führen, Freiarbeit und Berühren. Wichtig: Konzentrieren Sie sich aufs Pferd und strahlen Sie Sicherheit aus. „Erschreckt das Pferd dennoch, niemals streicheln“, betont die erfahrene Ausbilderin. „So bestätigt man das unerwünschte Verhalten nur.“
Bringen Sie den Angsthasen lieber dazu, sich Ihnen anzuschließen. Bei der Freiarbeit läuft Sonja Tiehuis ruhig zu Cookie, streichelt die Braune mit gesenktem Blick an der Stirn. Dann wendet sie sich wortlos ab. Cookie folgt der Trainerin sofort. „Sie sucht Sicherheit bei mir, ist kommunikationsbereit“, sagt Sonja Tiehuis. Haben Sie die Aufmerksamkeit Ihres Pferds gewonnen, können Sie mit Ihrer Körpersprache spielen und prüfen, wieviel Einwirkung Ihr Pferd benötigt.
Extrovertierte Pferde, die Hilfen gerne vorweg nehmen, brauchen in der Regel wenig Energie, damit sie in Schwung kommenb. Da zu viel Druck sofort Stress auslösen würde, rät Sonja Tiehuis ihren Schülern, bewusst ruhig zu atmen. Wie gut das wirkt, zeigt sich bei Cookie: Das Pferd senkt den Kopf und schnaubt ab.
Extrovertierte Pferde brauchen wenig Einwirkung. „Und eine feinfühlige Führung“, sagt Sonja Tiehuis. Für die Wahl einer gebisslosen Zäumung bedeutet dies: Sonja Tiehuis entscheidet sich für ein Modell aus Stufe 2 – ein mildes Hackamore. Bereits 2006 testete CAVALLO einen fast baugleichen gebisslosen Zaum namens „LGZaum“. Den brachte die Erfinderin Monika Lehmenkühler 2004 unter dem Namen „Glücksrad“ heraus.
Ähnlich wie der LG-Zaum besteht auch Sonia Tiehuis’ Modell aus zwei metallenen Speichenrädern sowie einem Nasen- und einem Kinnriemen, die sich beide je nach gewünschter Einwirkung unterschiedlich einstellen lassen. „Locker verschnallt wirkt diese Zäumung nur auf die Nase und sogar sanfter als ein Sidepull aus Stufe 3“, erklärt Sonja Tiehuis. „Wer mehr will, kann die Riemen anziehen und die Zügel weiter vorne im Rad einhängen, so dass sich Hebel und Druck aufs Genick verstärken.“
Die klare Führung vermittelt nervösen Pferden Sicherheit. „Manche Pferde laufen mit einem milden Hackamore sogar besser in Balance als mit Gebiss“, beobachtet Sonja Tiehuis. „Bei Pferden mit Anlehnungsproblemen empfehle ich den Zaum allerdings nicht: Sie wehren sich oft gegen den Druck auf der Nase.“ Gut ausgebildete Pferde können Reiter mit dem Rad indes perfekt in Anlehnung reiten und seitlich recht präzise einwirken. Für eine stärkere Einwirkung können Reiter längere Anzüge im Rad einschnallen.
Und was sagt Lilli Fink zum Reiten mit Rad? „Ich habe mein Pferd perfekt unter Kontrolle“, freut sich die Springreiterin. Sie möchte daher gerne noch einen Sprung wagen. Mühelos taxieren Cookie und Lilli Fink das Hindernis, fliegen in einem geschmeidigen Satz darüber. Lilli Fink beschließt, künftig öfters gebisslos zu reiten. „Das scheint Cookie gut zu tun.“
Im Springparcours könnte die Reiterin die Zügel weiter vorne in das Rad schnallen – und Cookie in engen Wendungen prima lenken, ohne Druck aufs empfindliche Maul auszulösen. Eine feine Sache!

Zaum für sture Pferde
Sture Pferde haben viele Gesichter: Sie ziehen den Reiter rüpelig zum Gras, ignorieren jede Hilfe oder gehen freiwillig keinen Schritt vorwärts. Hafistute Sunny scheint so eine Kandidatin zu sein. „Beim Ausritt habe ich Mühe, sie vom Grasen abzuhalten“, sagt Besitzerin Melissa Fellinger. „Und manchmal kommt Sunny kaum in Schwung.“
Fragt man Experten, gibt es eigentlich gar keine sturen Pferde, denn Starrsinn liegt nicht in ihrer Natur. Erst bei Stress machen manche Tiere innerlich dicht. Den könnte Sunny haben, da sie derzeit nach langer Krankheit antrainiert wird. Das Problem: „Introvertierte Pferde zeigen nach außen zunächst nicht, dass sie überfordert sind“, sagt Sonja Tiehuis. „Sie wirken faul und träge.“ Besonders Kaltblüter, Tinker, Friesen, und Schwerere Warmblüter, aber auch viele Haflinger gehören zu diesen Typen. „Damit das Pferd seine Dickfelligkeit ablegt, muss man fair sein, aber klare Regeln haben. Das motiviert.“
Dauerdruck ist Gift für triebige Pferde. „Darunter schalten faule Pferde erst recht auf Durchzug“, erklärt die Ausbilderin. Ihr Rat: „Starten Sie im Training mit geringem Druck und steigern diesen langsam stufenweise. Sobald das Pferd wie gewünscht reagiert, den Druck wegnehmen.“
Im Beziehungs-Check demonstriert Sonja Tiehuis, wie Reiter dabei vorgehen können. Sie motiviert Sunny im Freilauf zu mehr Tempo, indem sie die Körperspannung erhöht, dem Pferd mit dem vorderen Ende des Führseils den Weg weist und mit dem hinteren auf Höhe der Hinterhand treibt. Weil das nicht reicht und Sunny sogar anhält, steigert die Trainerin ihren Druck, indem sie das Ende des Stricks in Richtung Hinterhand wirft. Sobald Sunny das gewünschte Tempo einschlägt, hört Sonja Tiehuis auf zu treiben und lobt die Stute mit der Stimme. Sunny schnaubt zufrieden ab.
Dickköpfige Pferde muss man besonders sanft anfassen. Sonja Tiehuis bittet die Stute zu sich und streicht deren Körper von vorne bis hinten ab. „Da introvertierte Tiere bei Stress verspannen, helfen ihnen Berührungen, locker und aufnahmebereit zu werden“, erklärt sie.
Sonja Tiehuis legt der Haflingerstute das Führseil um den Hals und prüft, wie die auf leichten Druck reagiert, wenn sie es in verschiedene Richtungen zupft. Willig tritt Sunny vorwärts, seitwärts oder rückwärts. „Jetzt ist sie motiviert für neue Aufgaben.“
Die Lösung: Mit wenig Druck zur Mitarbeit motivieren. „Bei Kandidaten wie Sunny, die einerseits etwas dickköpfig wirkt, andererseits aber gut ausgebildet wurde, empfehle ich einen Halsring“, sagt Sonja Tiehuis. „Damit lernt die Reiterin, ihre Körpersprache noch bewusster und klarer einzusetzen, ohne zu viel Druck auszuüben.
“Das fördert die Verbindung zwischen Mensch und Pferd und wird das Pferd sanft, aber bestimmt zur Mitarbeit motivieren.„
Westernreiterin Melissa Fellinger hat ihre Sunny schon einige Male ohne Gebiss trainiert. “Manchmal reite ich ganz ohne Ausrüstung„, sagt sie und schwingt sich auf den blanken Pferderücken. Sunny steuert Richtung Gras. “Denk an deine Körpersprache„, erinnert Sonja Tiehuis. Prompt kommt Schwung in Sunny, locker trabt das Paar über den Platz. “Anfangs hatte ich etwas wenig Kontrolle„, sagt Melissa Fellinger. “Mit den richtigen Tipps konnte ich meinen kleinen Dickkopf jedoch super dirigieren.„

Klare Ansprache
Zaumart: Bitless Bridle, einst entwickelt von Professor Robert Cook (USA), der Gebisse grundsätzlich ablehnt.
Wirkung: Auf Nase, Backen und Genick (in dieser Reihenfolge). Durch den gekreuzten Kinnriemen wirkt ein Zug des Zügels rechts parallel auf die linke Kopfseite, was dem Pferd ein klares Signal zum Wenden geben soll. Gleichzeitig übt der Zügelzug Druck auf das Genick aus.
Für wen geeignet: Ideal für stärkere oder zähere Pferde, die klare Signale und eine konstante Anlehnung für eine gute Kontrolle brauchen. Da der Zaum beim Nachgeben etwas langsamer reagiert, sollte der Reiter zügelunabhängig sitzen und rechtzeitig Druck nachlassen können.
Nachteile: Der Effekt ist nutzlos, wenn der Reiter mit Dauerdruck reitet oder die Zäumung zu lose verschnallt. Bei falschem Reiten wehren sich die Pferde gegen den Dauerdruck an allen Seiten des Kopfs. Nicht geeignet für sehr sensible Pferde.

Mit dem Abstreichen der Beine vermittelt Sonja Tiehuis Donald ein besseres Körpergefühl.

Der Braune beherrscht die Freiarbeit aus dem ff, benötigt jedoch manchmal etwas mehr Motivation, damit er so wie hier zum Beispiel weicht.

Durch den gekreuzten Kinnriemen wirkt ein Zug des Zügels rechts gleichzeitig auf die linke Kopfseite. Das ermöglicht eine differenzierte Einwirkung, falls das Pferd auf stur schalten sollte.
Direkte Kommunikation
Zaumart: Merothisches Reithalfter, erfunden von Erwin Meroth. Kopfstück mit Nasen- und Kehlriemen. Die Zügel sind am Nasenriemen befestigt.
Wirkung: Bei Zügelzug recht kräftiger Druck auf die Nase. Der Nasenriemen ist innen mit einer Stahlfeder ausgestattet, die den Nasenriemen sofort weitet, wenn der Zug am Zügel nachlässt. Daher können Reiter unmittelbar nachgeben – anders als beim Bitless Bridle der Stufe 5.
Für wen geeignet: Sensible, temperamentvolle Tiere oder Korrekturpferde, die wenig Einwirkung am Kopf dulden, jedoch bei Bedarf schnell kontrolliert werden müssen. Beliebt im Distanzsport, wo auf den ersten Kilometern gute Einwirkung und wenig Gewicht am Pferdekopf gefragt ist.
Nachteile: Bei sorgloser Anpassung etwas schwammig, rutscht dann auf der Nase herum. Das kann sensible Pferde verwirren, weil keine klaren Zügelhilfen mehr möglich sind.

Am Führseil soll Hjalti ruhiger schreiten.

In der Freiarbeit harmonieren er und Anke perfekt.

Eine Blattfeder im Nasenriemen weitet den Nasenriemen, sobald der Reiter nachgibt.
Seitliche Führung
Zaumart: Sidepull; eine Abwandlung ist das Lindel von Linda Tellington Jones.
Wirkung: Sehr mild, wirkt nur auf Nase bei direkter Zügelführung. Wird mit beiden Händen ohne ständige Anlehnung geritten. Erlaubt deutliche seitliche Impulse. Wird locker verschnallt und klemmt die Pferdenase auch bei Zug nicht ein.
Für wen geeignet: Zur Jungpferdeausbildung; als Übergangszäumung bei Maul- und Zahnproblemen oder als Korrekturzäumung bei Pferden, die sich aufrollen oder Angst vor dem Gebiss haben. Für Reiteinsteiger auf erfahrenen Pferden geeignet.
Nachteile: Erlaubt keine feinen und differenzierten Hilfen. Nicht geeignet für Pferde, die sich auf die Hand legen oder auf der Vorhand laufen.

Der vierjährige Friese weicht gehorsam auf korrekte Körpersignale.

Berührungen am Körper lässt Maurits brav zu, wirkt jedoch etwas misstrauisch.

Mit einem milden Zaum wie dem Sidepull bekommt das Jungpferd eine gute Führung über seitliche Impulse, ohne dass es zu viel Druck erfährt.
Echte Anlehnung
Zaumart: Hackamore mit kurzen Anzügen oder Rad nach Art des LG-Zaums.
Wirkung: Mild, leichter Druck auf den Nasenrücken; je nach Verschnallung von Nasenriemen, Kinnkette und Zügel wirkt Zaum auch auf Kinn und Genick und ermöglicht bei gut trainierten Pferden eine feine Anlehnung sowie präzise Einwirkung.
Für wen geeignet: Für extrovertierte, unsichere Pferde, die eine sanfte Führung bei konstanter Verbindung zur Reiterhand benötigen; Korrekturzäumung für trensensaure Pferde. Weil das Reitgefühl ähnlich wie mit Trense ist, eignet sich das Rad-Hackamore auch für den Umstieg handfixierter Reiter auf gebissloses Reiten.
Nachteile: Bei falscher Verschnallung oder schlecht angepasster Kinnkette wirkungslos bis kontraproduktiv. Manche Pferde hängen sich in den Zaum. Anzüge erlauben keine seitliche Einwirkung.

Die nervöse Cookie sucht Sicherheit bei Sonja Tiehuis.

Um ihre feinfühlige Stute anzutreiben, benötigt Besitzerin Lilli Fink wenig Energie.

Je weiter vorne der Zügel, desto klarer wirken seitliche Impulse.
Freiheit für den Pferdekopf
Zaumart: Einfacher Halsring aus Leder, Holz, Kunststoff oder Sisal.
Wirkung: Sehr mild: Leichter Druck auf den unteren Halsansatz mit viel Einsatz von Sitz und Stimme. Insgesamt logisch und wohltuend fürs Pferd, da keine widersprüchlichen Signale. Wird einhändig oder beidhändig benutzt.
Für wen geeignet: Erfahrene, ausbalancierte Pferde; gut zur Sitzschulung des Reiters; Lösen und Korrigieren von verspannten oder steifen Pferden. Mit jeder beliebigen Zäumung kombinierbar.
Nachteile: Für Einsteiger und unsichere Reiter auf Jung- oder Korrekturpferden gefährlich. Alleine nur auf begrenztem Reitplatz nutzen. Bei zuviel Druck Quetschung der Luftröhre möglich.

Sunny lässt sich bitten: Sonja Tiehuis wirft das Seil Richtung Hinterhand.

Das Seil am Hals zeigt, wie gut Sunny auf Druck am Körper reagiert.

Der Halsring ermöglicht der Reiterin, ihre Körpersprache besser einzusetzen und ihre Stute zur willigen Mitarbeit zu bewegen.