CAVALLO: Herr Laußegger, Hand aufs Herz: Was ist für Sie gutes Reiten?
Michael Laußegger: Da sollte man schon unterscheiden – ist es gut fürs Pferd oder gut für den Reiter? Das Pferd soll ja das herzeigen, was ich mir als Reiter vorstelle. Und dabei ist "gut" ein Kriterium, wenn das Pferd sich wohlfühlt.
Wie schaffen wir das, etwa im Wettkampf?
Darauf haben wir nur bedingt Einfluss, es ist auch immer eine Frage des Vertrauens. Das gilt es herzustellen, auch das gehört zu gutem Reiten. Pferde können ja sehr gut Stimmungen aufnehmen. Ist es in ihrer Umgebung zum Beispiel sehr still, etwa in einer Sporthalle rund ums Viereck, verunsichert das die Pferde. Ein gleichmäßiger Geräuschpegel sagt dem Pferd hingegen, es wird nicht auf jedes Detail geschaut, es kann sich so viel losgelassener präsentieren.
Hängt das auch von der Anzahl der Zuschauer ab?
Ein Pferd unterscheidet nicht, ob 2000 oder 10 000 Menschen zuschauen – aber es bekommt eben die Stimmung rundum mit, ob diese angespannt oder entspannt ist. Und das beeinflusst sein Präsentierverhalten. Das ist wie bei den Menschen: Der eine macht sich wichtig, der andere duckt sich eher weg.
Und was hat das mit gutem Reiten zu tun?
Es kommt beim Präsentieren auf das Selbstbewusstsein des Pferdes an. Und da kommt der Reiter ins Spiel: Was hat er getan, damit sich sein Pferd selbstbewusst präsentieren kann? Wie bei der Kindererziehung: Es sollte stets darum gehen, selbständige, selbstbewusste Menschen zu erziehen.
Aber Pferde sind keine Menschen.
Aber sie reagieren auch viel sensibler auf Umwelteinflüsse, ihre Wahrnehmung ist sehr speziell. Das muss ich immer bedenken. So erkennen sie ihre Reiter ja zum Beispiel an bestimmten Geräuschen, etwa am Klang des Automotors oder am Klang seiner Stimme. Optik hingegen spielt dabei keine so große Rolle.
Auch die Launen ihres Reiters nehmen sie wahr, sie riechen den Missmut regelrecht. Es macht einen Unterschied, ob ich meinem Pferd liebevoll den Hals klopfe oder aber verärgert den Stall verlasse – warum auch immer. Im letzten Fall kann ich den nächsten Tag nicht mit Heiterkeit beginnen, da muss man erst wieder gut Wetter machen. Wenn Sie mit Ihrem Partner streiten, können Sie am nächsten Morgen ja auch nicht so tun, als sei nichts gewesen.
Es liegt also am Umgang allgemein und an der Qualität meiner Ausbildung, meines Trainings, wie und ob mein Pferd mit schwierigen Situationen umgehen kann?
Genau. Jeder, der sich aufs Pferd setzt, nimmt erst die Situation nur für sich wahr und dann erfolgt die Fokussierung nach außen: Wie wirke ich auf die anderen. Das liegt in unserer Natur. Weil wir alle keine Einzelgänger sind, sind wir auf die Reflexion unserer Umgebung auf uns angewiesen. Die erfolgt in der Regel durch Bestätigung oder Ablehnung. Ich muss mich also mit meinem Partner Pferd auseinandersetzen und ihn nicht als Sklaven behandeln.
Es ist wie in einer zwischenmenschlichen Beziehung, es ist ein gegenseitiges Finden, man spielt sich die Bälle gegenseitig zu.
Die wenigsten Reiter bilden ihr Pferd von der Pike auf selber aus.
Das stimmt: Aber wenn ich mein Pferd nicht selber ausbilde, dann kann ich von der Ausbildung des Pferdes profitieren – aber das Zusammenfinden muss jeder Reiter mit seinem Pferd eigenständig machen, das nimmt einem keiner ab.
Partnerschaft auf Augenhöhe, wie man so sagt...?
Ich kann mein Pferd natürlich unterwerfen und ihm signalisieren: Du musst dieses und jenes tun und darfst dich nicht anders verhalten. Das passiert zum Beispiel in der Westernreiterei, weil die ja zweckmäßig ist. Da muss das Pferd unterwürfig sein und keine eigene Meinung haben – etwa wenn ich absteige: Dann muss es stehenbleiben, auch wenn ich mich 100 Meter weit entferne.
Allerdings ist das auch immer eine Frage der jeweiligen Disziplin: Beim Cutten muss das Pferd ja eigenständig sein und mitdenken, um das Ausbrechen des Rindes zu verhindern. Da mache ich als Reiter gar nichts, das Pferd agiert also eigenständig.
Reiter und Pferd als Team – das klingt sehr abstrakt.
Im Reitsport geht es auch immer darum, das Pferd zu präsentieren – und es sich dort präsentieren zu lassen, wofür es geeignet ist. Das beruht auf einem gegenseitigen Zuhören, mit der Folge einer gewissen Leichtigkeit. Ohne Anstrengung kann so eine harmonische Partnerschaft entstehen. Ist der Mensch selbstbewusst genug, derlei zu erkennen, ist das eine gute Grundlage für eine gute Beziehung. Und wer darüber reden kann, ist schon auf einem guten Weg.
Es bedarf also eines großen reiterlichen wie menschlichen Egos, um gut zu reiten?
Unbedingt! Wer selber eher unsicher ist, wie will der seinem Pferd Selbstvertrauen vermitteln. Dazu gehört ja auch immer eine gewisse Souveränität, die dem Partner Pferd Berechenbarkeit garantiert und damit eine gewisse Sicherheit bietet. Anders kann sich kein Selbstbewusstsein entwickeln.
Dabei gilt es auch immer herauszufiltern, welches Talent ein Pferd mitbringt: Springt es von sich aus, traut es sich auch einen Parcours zu? Ist es eifrig und willig? Davon kann dann auch der Zuschauer profitieren, weil es so einharmonisches Bild angibt. Springen wird man indes von einem Isländer nicht verlangen – der hat seine Stärke im Tölten und kann da überzeugen.
Inwiefern spielt da die Natur des Pferds eine Rolle? Inwiefern ist es fürs Gerittenwerden überhaupt prädestiniert?
Sinn der klassischen Reiterei ist es ja, die natürlichen Bewegungen des Pferdes abzurufen. Beispiel Pirouette: Galoppiere ich und das Pferd macht plötzlich kehrt, etwa weil es sich erschrickt, und ich mache das mit, kann das Pferd diese Bewegung leicht ausführen.
Das ist jetzt noch keine reiterliche Leistung! Die wird es erst in der Ausbildung, wenn ich das Pferd im Galopp auf der Hinterhand wenden lehre, die Bewegung also gezielt abrufen kann.
Eine anspruchsvolle Lektion. Ab welcher Leistungsklasse beginnt denn nun gutes Reiten?
Das hat erstmal nichts mit der Leistungsklasse zu tun. Die Ausführung ist ja auch immer das Ergebnis der guten Vorbereitung. Das kann man schon an Kindern beobachten: Der eine bufft sein Pferd, wenn es vorwärtsgehen soll. Der andere wartet erstmal ab, was vom Pferd kommt, ist also viel souveräner in seiner Ausführung. Grundsätzlich ist das auch eine Frage der Einstellung, wie ich mich auf die Bewegung des Pferdes einlasse und nicht gegen das Pferd arbeite. "Fordere dein Pferd, aber überfordere es nicht", heißt es ja.
Setzen wir trotzdem mal in den oberen Leistungsklassen an: Warum ist Olympiasiegerin Jessica von Bredow-Werndl eine gute Reiterin?
Weil das Gesamtbild von Reiterin und Pferd keine Störung in der offensichtlichen Form aufzeigt, ein harmonisches Paar, das tanzt. Der Laie kann das als ästhetisch schön empfinden. Wir wollen ja auch immer das Außergewöhnliche sehen. Das ist wie bei einem Schriftsteller: Fehlerfreie Haupt- und Nebensätze sind für gute Literatur zu wenig. Richter gehen hier auf Fehlersuche und suchen Glanzpunkte.
Warum hat Bredow-Werndl ihre Lehrmeisterin Isabell Werth bei den letzten Olympischen Spielen besiegt? Ist sie die bessere Reiterin?
Ich denke, das hat mehrere Gründe. Bredow-Werndl ist mittlerweile so etwas wie ein Gesamtkunstwerk, in Rhetorik, Mimik und Gestik. Das ist Marketing. Ihre Karriere ist zudem aber auch strategisch geplant und sehr zielorientiert. Dazu kommen Erfolgswille und eine positive Einstellung. Mit jeder neuen Leistungsstufe hat sie Trainer und Pferde gewechselt. Das führt dann im Ergebnis zu der oben beschriebenen Harmonie.
Zum Beispiel?
Schauen Sie sich die Serienwechsel an. Bredow-Werndl schaut dabei stets nach vorne und nicht nach unten. Das gibt dem Pferd Sicherheit, weil auch der Reiter sicher wirkt. Diese Wechsel sind deshalb gut durchgesprungen, die Hinterhand hat genug Freiraum.
Bei Isabell Werth ist das anders?
Mittlerweile ja. Sie kontrolliert die Wechsel mit dem Blick auf die Pferdeschulter. Dadurch sitzt sie nicht mehr so gerade, verwirft sich im Oberkörper, das Pferd verliert an Sicherheit. Die Wechsel werden infolge schwankend. Der ideale Serienwechsel ist aber gradlinig, vorwärts, nach vorne gesprungen. Das sind so Fehler, die sich im Laufe der Zeit einschleichen können. Isabell Werth ist reiterlich bislang on top gewesen. In so einer Situation ist es natürlich sehr schwer einen Trainer zu finden, der die nötigen Korrekturen dann auch einfordert. Der nächste Schritt wäre, diese Korrekturen auch anzunehmen und umzusetzen. Werth ist ja eine autonome, eigenständige Reiterin wie Ausbilderin – eine starke Persönlichkeit also. Solche Leute haben es häufig schwer, entsprechende Hilfe anzunehmen.
Welchen Einfluss hat dabei der Leistungsdruck? Olympia ist ja kein ländliches Turnier.
Das kann durchaus zum Problem werden. Ich kenne Reiter, die ihre spielerische Leichtigkeit durch den Leistungssport verloren haben, was sich unter anderem in mangelnder Harmonie mit dem Pferd ausdrückt. Die Lektionen mögen dann alle korrekt geritten sein, gleichwohl fehlt es eben an der entsprechenden Leichtigkeit.
Michael Laußegger (59) lernte unter Brigadier Kurt Albrecht an der Spanischen Hofreitschule Reitkunst von der Pike auf. Er lehrt die Hohe Schule im In- und Ausland und nimmt Pferde in Beritt. Sein Hof befindet sich nahe Wien im österreichischen Streifing. Weitere Infos unter: (www.dressur.at)