Neues Projekt der Hilfsorganisation Equiwent
Gnadenhof für Arbeitspferde in Rumänien​

Ein Gnadenhof für ausgemusterte Arbeitspferde in Rumänien ist neues Projekt der Hilfsorganisation Equiwent von Hufschmied Markus Raabe. Auch traumatisierte Kinder sollen hier psychologisch betreut werden und Therapie mit Pferden erhalten.

Namenspatronin des Hofs: Das Arbeitspferd Kelly
Foto: Equiwent

Schutt, zerbrochene Dachziegel, ein löchriges Dach, blinde oder zerbrochene Fenster: Die alte Rinderkolchose aus den 1960er Jahren, die Hufschmied Markus Raabe CAVALLO-Redakteurin Barbara Böke im September 2021 zeigte, machte alles andere als einen guten Eindruck. Aber Markus Raabe sah hier bereits etwas anderes: "Das wird unser Gnadenhof werden, wo geschundene Arbeitspferde ein neues Zuhause finden werden", sagte er damals.

Fast zwei Jahre später ist das Projekt nun weit gediehen – nachdem Markus Raabe und sein Team der Hilfsorganisation Equiwent (www.equiwent.org) unzählige Stunden an Arbeit in das alte Gemäuer gesteckt haben. Und der Gnadenhof ist mehr als ein Ort für ausgemusterte Arbeitspferde: Er ist auch Pferdeklinik, Kleintierpraxis, Schmiede – und Rückzugsort für traumatisierte Kinder. Wir sprachen mit Equiwent-Leiter Markus Raabe über das umfangreiche Projekt.

Unsere Highlights
CAVALLO: Von einer Bauruine zu einer neuen Anlaufstelle für Pferd und Mensch – kannst du uns den Werdegang des Gnadenhofs beschreiben?

Markus Raabe: Das Projekt sollte 2019 losgehen. Doch dann kam Corona: Die Spenden gingen zurück, und die Maßnahmen der Pandemie warfen uns unglaublich zurück. Das war eine absolute Bauruine, die wir umgebaut haben. Wir haben etwa das Dach und den Dachstuhl erneuert, und weil Geld Mangelware bei Equiwent ist, haben wir unglaublich viel ehrenamtliche Arbeit und ganz viel Herzblut hier hinein gesteckt. Ich kenne mich etwa in den Bereichen Elektrik, Wasserversorgung und Tiefbau nach all den Projekten bei Equiwent mittlerweile ganz gut aus, daher konnten wir hier richtig Geld sparen. Auch die Metallbauarbeiten haben wir alle selber erledigt. Für mich als Schmied natürlich ein leichtes Unterfangen. All die Arbeiten haben wir nach Feierabend und sonntags erledigt. Daher werden wir vermutlich noch Jahre benötigen, bis wirklich alles komplett fertig ist. Aktuell würde ich sagen, die Anlage ist zu 80 Prozent fertig. Wir müssen noch die gesamte Fassade an dem ca. 70 Meter langen Gebäude erneuern. Derzeit legen wir Pflastersteine auf dem Parkplatz und den Gehwegen und zäunen gerade noch weitere Paddocks ein.

Innen sieht der Gnadenhof aber schon toll aus, wie man auf den Fotos sieht. Wie viele Pferde können denn hier jetzt ein Zuhause finden?

Innen sind 15 große Therapieboxen mit einer Größe von jeweils 20 Quadratmetern, die sind für Pferde im Klinikbetrieb vorgesehen. Außen kommen noch drei große Offenstallanlagen hinzu. Wir werden dann bis zu 35 Pferde dauerhaft als Gnadenbrotler aufnehmen können. Dazu haben wir rund 2,5 Hektar Paddocks und etwa 23 Hektar Weide.

Klingt traumhaft. Welche Vierbeiner werden denn künftig auf dem Gnadenhof wohnen?

Ganz unterschiedlich. Ältere Pferde, klar, aber auch teilweise etwa junge Pferde und Esel, die aus Beschlagnahmungen stammen oder ausgesetzt wurden. Wir vermitteln ja grundsätzlich keine Tiere nach Deutschland. Das hat mehrere Gründe: Der Transport von Equiden nach Deutschland wäre aufgrund des Seuchenschutzgesetzes gar nicht erlaubt. Und wenn doch, dann wären diese Transporte teuer und stressig für die Tiere. Daher benötigen wir ausgereifte Lösungen vor Ort, wie eben unseren Gnadenhof.

…der im übrigen mit dem Namen "Kelly" nach einem ganz bestimmten Pferd benannt ist.

Ja, Kelly ist eine alte, kleine und vernarbte Stute. Wir beschlagnahmten sie vor vielen Jahren in Iasi in Nordostrumänien. Sie lebte in der Hölle. Ich hatte so etwas noch nicht gesehen. Sie war nur noch Haut und Knochen und zudem tragend. Nur: Wo sollten wir sie unterbringen? In unserer Tierklinik ist kein dauerhafter Platz für Pferde, niemand möchte in einem Krankenhaus leben. Daher entschlossen wir uns für ein Gnadenprojekt, aus dem dann der Gnadenhof Kelly wurde. Wir haben aber noch einen weiteren Gnadenhof in Rumänien, dort lebt Kelly seit vier Jahren in einer Offenstallhaltung und wird dort auch bleiben.

Der Gnadenhof Kelly ist dabei aber auch mehr als "nur" ein Platz für Arbeitspferde. Auch die Kleintiere stehen hier im Fokus.

Ja, hier gibt es auch medizinische Versorgung. Zum einen für die Pferde, aber wir haben auch eine Kleintierpraxis eröffnet, wo nun eine weitere Tierärztin arbeitet. Auch hier bieten wir kostenlose Kastrationen von Hunden an, wie auch in unserer Klinik in Suceava. Damit haben wir eine weitere Anlaufstelle für die ärmsten Menschen in einer bitterarmen Region geschaffen.

Und auch für die Menschen selbst ist der Gnadenhof Kelly eine Anlaufstelle.

Markus Raabe: Es ist ein Anlaufpunkt für Kinder mit besonderen Bedürfnissen. Eine gewaltfreie Schutzzone für Kinder; mehr möchte ich derzeit nicht dazu sagen. Eine psychologische Betreuung der Kinder wird ebenso angeboten wie ein therapeutischer Umgang mit Pferden. Hierfür habe ich eine fantastische Expertin in Deutschland gefunden, die künftig auf dem Gnadenhof leben und sich um die Kinder kümmern wird. Geschundene Pferde werden geschundene Kinder therapieren – und umgekehrt. Der Gnadenhof wird so zu einem Flecken heile Welt. Mehr nicht und auch nicht weniger.

Die aktuelle Ausgabe
10 / 2023

Erscheinungsdatum 13.09.2023