Pilot-Untersuchung: Pferdewohl auf dem Turnier

Forschende untersuchten Pferdewohl beim CHIO
„Das Wohlergehen der Pferde bei der Unterbringung beleuchten“

Zuletzt aktualisiert am 27.07.2023
Turnierreiterin zäumt ihr Pferd auf
Foto: Lotta Vess / GettyImages
CAVALLO: Herr Prof. Winter, Sie sind Mitglied im "Scientist Circle CHIO Aachen", der beim diesjährigen CHIO eine erste Pilotuntersuchung zum Pferdewohl machte. Wie kam es zu dieser Initiative?

Prof. Dirk Winter: Den Anstoß hat Birgit Rosenberg als Vorstandsmitglied des CHIO gegeben. Ich traf sie auf einer Veranstaltung der FN, wo wir uns auch über die öffentliche Wahrnehmung des Reitsports austauschten. Später rief sie mich an und fragte, ob ich mir vorstellen könnte, das Thema Wohlergehen des Pferds beim CHIO wissenschaftlich zu begleiten. Ich habe dann mit befreundeten Tiermedizinern und Verhaltenswissenschaftlern überlegt, wie man so etwas aufsetzen kann. Mit dabei sind unter anderen die Haltungsexpertin Dr. Miriam Baumgartner, der Tiermediziner und Leistungsphysiologe Dr. Dominik Burger, die Ethologin Dr. Konstanze Krüger-Farrouj, die Verhaltensexpertin Dr. Monica Venner sowie Guy Cheron, Professor für Neurophysiologe und Bewegungsbiomechanik. Darüber hinaus gehört auch der Physiker und KI Experte, Dr. Arne-Rasmus Draeger von der Firma Acaris, zum Team. Im April haben wir uns erstmals getroffen und unsere Ziele gesteckt.

Bei welchen Themen setzten Sie zuerst an?

Es soll ein langfristiges Projekt mit dem CHIO Aachen werden, das nachhaltig die fürs Tierwohl wichtigen Parameter herausfinden soll, sei es bei der Anreise, während des Turniers selbst oder bei der Unterbringung der Pferde. Wir wollen zeigen, was es braucht, damit die Pferde mit Freude im Sport dabei sind. Unser erster Ansatz dieses Jahr war zu untersuchen, wie es den Pferden geht, wenn sie auf dem CHIO in der Box stehen.

Wie sah die Untersuchung konkret aus?

Wir haben diesen ersten Versuch mit fünf Vielseitigkeitspferden gemacht. Dabei haben wir über Kameras aufgezeichnet, wie sich die Pferde vor dem Turnier im Heimatstall, dann in Aachen in der Box und dann wieder in der Heimatbox verhalten. Das Liegeverhalten beispielsweise gibt Hinweise, ob Pferde sich in ihrer Umgebung wohlfühlen – aber auch das Trink- und Fressverhalten zeigen wichtige Aspekte auf. Mit Dr. Rasmus Dräger haben wir einen Experten im Team, der sich sehr intensiv mit künstlicher Intelligenz auseinandersetzt. So konnten wir mit KI-Kameras der Firma Acaris arbeiten. Zusätzlich haben wir von jedem Tier Kotproben vor, während und nach dem Turnier gezogen, um den Pegel an Stresshormonen zu messen. Im Laufe der nächsten Monate werden die Daten der Kameraaufzeichnungen und Hormonbestimmungen ausgewertet und wir können dann erste Hinweise daraus ableiten, wie es den Pferden während der Veranstaltung ging und ob es ggf. bei der Stall-Umgebung für die Pferde Verbesserungspotential gibt.

Sie haben außerdem bei einem Pferd von Isabell Werth die Gehirnströme auf dem Abreiteplatz gemessen. Was wollen Sie damit herausfinden?

Wir wissen bisher nicht sehr viel über die Gehirnströme beim Pferd. Es gibt wenig Daten dazu, wie sie sich verändern, wenn das Pferd besondere Leistungen bringen muss. Über eine kleine Kopfmaske, die einem Ohrenschutz ähnelt, wollen wir darüber mehr herausfinden. Dr. Guy Cheron begleitet dieses Projekt.

Wie konnten Sie eine so prominente Reiterin wie Isabell Werth für das Projekt gewinnen?

Birgit Rosenberg hatte den Kontakt zu ihr hergestellt. Wir waren begeistert, wie die Initiative des "Scientist Circle des CHIO Aachen" von den Reitern angenommen wurde. Ihnen ist sehr daran gelegen, dass es Ihren Pferden als Sportpartner gut geht. Frau Werth war sehr interessiert und hat der Untersuchung bei Ihrem Pferd sofort zugestimmt.t. Daraus ist klar zu entnehmen, dass die Reiter großes Interesse an den Untersuchungsergebnissen haben und die im Rahmen des CHIO durchgeführten Untersuchungen gerne unterstützt haben.

Könnten diese Ergebnisse auch ordentlich Sprengkraft entfalten, etwa wenn sich zeigen würde, dass die Pferde auf dem Turnier großem Stress ausgesetzt sind?

Wir als Wissenschaftler gehen neutral an die Sache heran und klammern Emotionalität aus. Mit diesem beim CHIO durchgeführten Pilotprojekt wollen wir das Wohlergehen der Pferde bei der Unterbringung beleuchten. Wie die Daten nachher ausfallen, können wir im Vorfeld natürlich nicht wissen. Wenn die Daten darauf hindeuten, dass Veränderungen nötig sind, dann werden wir das mit den Veranstaltern des CHIO besprechen. Auch sie wissen nicht, was herauskommen wird, haben aber ein großes Interesse daran, dass es den Pferden gutgeht. Daher hat Birgit Rosenberg dieses Projekt ins Leben gerufen. Der "Scientist Circle des CHIO Aachen" ist als langfristiges Projekt angedacht, so dass wir auch zukünftig weitere Untersuchungen durchführen werden.