Die Expertin

Wir begleiten Jana Tumovec über ein halbes Jahr beim Training mit Bonaparte und zeigen, mit welchen Übungen sie aus ihm ein tragfähiges Reitpferd macht. Tumovec kommt aus Eisenach und ist seit 20 Jahren Pferdeosteopathin und Physiotherapeutin für Menschen und Pferde. Sie bildet Fachleute zu "konzeptionellen Reha-Trainern Equine" aus – und konzipiert maßgeschneiderte Trainingspläne für ihre tierischen Patienten.
Das Pony
Bonaparte ist ein sechs Jahre altes Connemara-Pony. Er kommt vom Händler. Dieser wollte ihn aussortieren, da der Wallach als Springpferd nichts taugte. Das Pony war nicht gymnastiziert, es konnte nur gerade über einen Sprung laufen. Zirkel? Unmöglich. Seine neue Besitzerin möchte, dass er ein gesundes und fittes Freizeitpferd wird. Bonaparte hat einen lieben Charakter, ist aber unaufmerksam – und eher langsam in seinen Reaktionen.
Body-Check

Bonaparte ist ein schmales Pferd im Vollbluttyp – und wir werden aus ihm keinen Bodybuilder machen können", sagt Jana Tumovec. Aber: Das Pony ist körperlich und mental stabiler geworden. Er steht auch ohne Reiter von sich aus geschlossener und wirkt größer.

Das liegt daran, dass er in sich kürzer ist und sich der Rücken gehoben hat. Beim Reiten fiel er anfangs in alte Muster und streckte den Kopf hoch und drückte den Rücken weg. Das ist nun passé. Jetzt nutzt er seine Tragemuskeln – so wie vom Boden aus geübt.
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Fühlt sich das Pferd wohl?
Hinterfragen Sie ehrlich, ob Ihr Pferd Sie eigentlich entspannt trägt und sich wohlfühlt beim Reiten. Oder: Ob es zwar brav ist, aber den Reiter eher aushält. "Letzteres ist bei Bonaparte der Fall", erzählt Jana Tumovec. "Er ist von der Koordination, Kraft und Balance gut vorbereitet fürs Reiten. Aber mental ist ihm das noch zu viel – was an seinen früheren Erfahrungen liegen mag." Mit folgenden Fragen können Sie das Wohlbefinden des Pferds checken:
- Hat das Pferd einen hohen Muskeltonus? Das ist ein mögliches Zeichen für Nervosität. Greifen Sie zum Check an einen Muskelstrang, etwa am Unterhals. Fühlt sich dieser eher hart an und unnachgiebig, spricht das für hohe Muskelspannung.
- Schnaubt das Pferd nur selten? Schnaubt das Pferd tief und ruhig aus, ist es entspannt. Schnaubt es hektisch und schnell hintereinander, zeigt das eher Anspannung an.
- Atmet das Pferd flach? Entspannte Pferde atmen rhythmisch. Angespannte Pferde neigen dazu, die Luft anzuhalten oder flach zu atmen.
- Ist der Kiefer fest? Eine feste Kiefermuskulatur beim Pferd ist ein Zeichen für Stress. Das Pferd sollte beim Reiten nicht so aussehen, als würde es die Lippen zusammenkneifen.
- Stockt das Pferd beim Losreiten? Angespannte Pferde sind klemmig unterm Reiter: Sie spannen sich an bei Schenkeldruck, anstatt flüssig vorwärtszugehen.
Übung 1: Schritt am langen Zügel & Kopf senken
Jana Tumovec reitet Bonaparte mindestens zehn Minuten am langen Zügel Schritt. Dabei verlangt sie keine Übungen von ihm. Das Ziel lautet: gemeinsame Entspannung. Reiten Sie einfach Ganze Bahn. Sorgen Sie für eine positive Stimmung: Reden Sie mit Ihrem Pferd – wie beim Spazierengehen. "Singen ist auch super. Dabei atmet man selbst gleichmäßiger, was das Pferd spiegelt", weiß die Physiotherapeutin. Sie können das Pferd auch am Widerrist kraulen, wo die Mähne endet. An dieser Stelle beknabbern sich Pferde untereinander auch gerne. Auch ein Senken des Kopfs entspannt. Jana Tumovec hat Bonaparte dafür am Boden über klassische Konditionierung das Kommando "Tief" beigebracht. Dafür gibt sie einen Impuls nach unten am Strick.

Senkt das Pferd den Kopf, nimmt sie den Zug sofort weg und gibt im lobenden Ton das Kommando "tieeef". Hat das Pferd das Kommando gelernt, prüft sie an der Longe aus der Entfernung, ob es auch nur über das Wort abrufbar ist – also ohne Zug am Strick. Klappt das, nutzt sie das Stimmkommando auch beim Reiten. Lassen Sie das Pferd beim Schrittreiten zwischendurch immer mal wieder im Stand den Kopf senken.

Wenn Pferde klemmen: Viele Pferde sind wie Bonaparte unter dem Reiter brav und konzentriert, finden aber noch keine innere Losgelassenheit. Klemmen ist ein typisches Zeichen dafür. "Das Pferd spannt sich an, weil es sich nicht ins Vorwärts traut. Und es traut sich auch nicht, unter dem Reiter Bewegungen auszuprobieren und etwa mal den Hals lang zu machen", weiß die Expertin. Ist das Pferd mental angespannt, kann es auch nicht ins Gleichgewicht finden. Denn durch die mentale Anspannung wird auch der Rücken fest. Die Gefahr bei klemmigen Pferden: Irgendwann kann eine Kleinigkeit ausreichen – und sie schießen unvermittelt los. "Das ist dann wie der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Dann zeigt sich die ganze Anspannung", weiß Jana Tumovec. Wann dieser Punkt bei Pferden kommt, ist nicht vorhersehbar. Daher ist es wichtig, von Anfang an die innere Losgelassenheit des Pferds in den Fokus zu nehmen und gezielt daran zu arbeiten.
Übung 2: Hufschlagfiguren nur über Sitz und Schenkel reiten
Reiten Sie verschiedene Hufschlagfiguren – ohne die Zügel zu nutzen. Das Pferd soll auf Ihren Sitz und die Schenkelhilfen reagieren, die Zügel sind lang. Beginnen Sie mit großen Linien wie Zirkel und durch die Ganze Bahn wechseln. Wenn Sie die Anforderung steigern möchten, bauen Sie auch Schlangenlinien und Volten ein. "Die Linien müssen nicht gleich perfekt klappen. Es ist ja eine Übung. Aber ich lobe das Pferd sofort, wenn es eine Hilfe annimmt", sagt Jana Tumovec.
Blick zum Ziel: Schauen Sie beim Reiten zu dem Punkt, wo Sie ankommen wollen. Der Körper richtet sich wie von selbst am Blick aus. "Der Blick steuert also die Richtung", sagt Jana Tumovec. Die Schenkelhilfen setzt die Reiterin so ein, wie das Pferd sie gerade braucht: Fällt es auf die innere Schulter, treibt der innere Schenkel vermehrt. Driftet es nach außen weg, begrenzt der äußere Schenkel verwahrend.

Übung 3: Abkauen im Stand unterm Reiter
Fragen Sie vom Sattel aus die Stellung im Genick nach links und nach rechts ab.

Gibt das Pferd nach, loben Sie es sofort und geben mit dem Zügel nach. "Das Pferd wird so weit gestellt, wie es anatomisch sinnvoll ist. Denn das variiert nach Rasse und Körperbau", sagt Jana Tumovec.
Wie weit kann mein Pferd sich im Genick stellen? Die Pferdeosteopathin testet das vom Boden aus. Sie steht neben dem Pferd und legt eine Hand seitlich an den Atlas, also den ersten Halswirbel. Mit der anderen Hand fasst Sie über die Pferdenase und bringt langsam den Pferdekopf zu sich.

Wallach Bonaparte soll dabei das Genick drehen. Der Hals bleibt gerade. "Irgendwann stoppt das Pferd die Bewegung im Genick – das ist der Endpunkt der Stellung. Darüber hinaus gehe ich nicht." Die Hand auf dem Genick spürt ebenfalls diesen Stopp. "Durch diese Übung lernen Reiter, die korrekte Stellung bei ihrem Pferd zu finden", sagt Jana Tumovec. Laut der Ausbilderin ist es ein häufiger Fehler, dass Pferde zu stark gestellt werden. Dann nehmen sie den Hals zur Seite. Sie stellen sich nicht korrekt im Genick, sondern weiter hinten in der Halswirbelsäule – was eine Ausweichbewegung ist. "Ist das Pferd hingegen korrekt gestellt und gebogen, arbeitet automatisch die Rumpftragemuskulatur – anders geht es nicht", weiß die Expertin.
Übung 4: Im großen X durch die Diagonalen
Wechseln Sie immer wieder durch die Diagonale. Reihen Sie also die Hufschlagfigur "Durch die Ganze Bahn wechseln" aneinander, wann immer es möglich ist. Auf der Diagonale soll das Pferd im Tempo zulegen. Vor der Ecke nehmen Sie das Tempo wieder zurück – und an der kurzen Seite reiten Sie im Arbeitstempo. Üben Sie zunächst im Schritt. Klappt das, können Sie auch traben. In der ersten Trainingswoche wechseln Sie drei Mal durch die Diagonale, legen eine Pause am langen Zügel ein – und wechseln erneut drei Mal durch die Diagonale. Fertig! In der zweiten Woche wiederholen Sie diesen Ablauf zwei Mal, in der dritten Woche drei Mal.

Zulegen heißt nicht eilen: "Tempounterschiede innerhalb einer Gangart sind ein wichtiger Grundstein für die Basisausbildung des Pferds, sagt die Trainerin. Unter "zulegen" oder "vorwärts am Schenkel" versteht die Trainerin folgendes: Das Pferd soll auf den treibenden Schenkel zünden, also eine direkte Reaktion ins Vorwärts zeigen. Diese endet aber nicht im eiligen Tempo. Geht das Pferd also mehr vorwärts, lobt sie – und der Schenkelimpuls hört wieder auf. Treiben Reiter dauernd mit dem Schenkel, geraten Sie selbst ins Hohlkreuz und das Pferd verspannt in der Bauchmuskulatur. "Normalerweise arbeiten etwa 70 Prozent eines Muskels, die anderen 30 Prozent machen Pause", so die Expertin. Über Tempounterschiede spreche ich nicht nur mehr Muskeln an, sondern auch mehr Areale des gleichen Muskels. So wird beim Pferd die gesamte Rumpftragemuskulatur optimal trainiert.
Übung 5: Schenkelimpuls im Gelände üben
Gelände motiviert! Deshalb steht Ausreiten auf Bonapartes Trainingsplan. "Dabei kommt immer ein Begleitpferd mit. Bonaparte darf hinterherlaufen – das fördert sein Go", sagt Jana Tumovec. Sie sitzt dabei eher passiv und stört den Wallach möglichst wenig. Bonaparte soll lernen, dass er sich unter dem Reiter locker bewegen darf. Auf längeren Strecken im Trab bringt die Trainerin Bonaparte dann die vorwärtstreibenden Schenkelhilfen bei. In dem Moment, in dem er von sich aus schneller wird, gibt sie einen leichten Schenkelimpuls am Gurt dazu. Das wiederholt sie nochmals, wenn der Moment passt. So verknüpft das Pferd nach und nach, dass Schenkelhilfen am Gurt vorwärts bedeuten.

Hinterhand als Motor: Bonaparte zog sich anfangs mit der Vorhand nach vorne und hatte einen ausgeprägten Trizeps. Das Vorwärtsgehen im Gelände soll ihm beibringen, seine Hinterhand mehr einzusetzen. "Ist die Hinterhand der Motor, benutzt das Pferd seine Bauchmuskeln und Kruppenmuskeln und der Rücken kommt automatisch hoch und trägt auf gesunde Art den Reiter ", erklärt Tumovec.
Alternative für Reiter ohne Begleitpferd: Nimmt das Pferd schon alle Reiterhilfen sicher an und ist erfahren im Gelände, können Sie die Übung auch ohne Begleitpferd absolvieren. Dann dient vor allem das Gelände selbst als Vorwärts-Motivation. Üben Sie den Schenkelimpuls auf einer längeren, ebenen Strecke im Trab.