- Wie sich Osteopathie und Dressur ergänzen
- Wie viel Training braucht ein Freizeitpferd?
- Warum und wie Dressurlektionen Pferde fit machen
- Osteo-Effekt 1: Gewölbter Rücken
- Osteo-Effekt 2: Geschmeidig in der Seite
- Osteo-Effekt 3: Beweglich im Hals
- Osteo-Effekt 4: Lockere Hüften
- Osteo-Effekt 5: Bewegliche Hinterbeine
- Osteo-Effekt 6: Starke Hinterhand
- Osteo-Effekt 7: Freie Schultern
- Das sind unsere Experten
Dressurlektionen – haben Sie die schon mal gedanklich auf links gedreht und überlegt, was dabei im Innern des Pferdekörpers passiert? Wir haben das gemeinsam mit Tierärztin und Osteopathin Isabelle Glüer getan und festgestellt: Von Rückwärtsrichten bis Piaffe wirken die Lektionen im Prinzip wie Osteopathie fürs Pferd.
Sie helfen ihm, den Reiter gut tragen zu können, sich korrekt zu bewegen und gesund zu bleiben. Die Lektionen sind oft Äquivalente zu Handgriffen, die die Osteopathin in ihrer Praxis anwendet – und bauen dabei auch noch Muskeln auf. Wir Reiter sind also der Personal Coach unseres Pferds, am besten mit Hilfe eines guten Lehrers wie Dressurtrainer Nuno Avelar.
Wie sich Osteopathie und Dressur ergänzen
Therapeuten ergänzen zwar das Training perfekt, ersetzen es aber keinesfalls. "In der Osteopathie kann ich blockierte Gelenke mobilisieren und verspannte Muskeln dehnen, nicht aber Muskeln wachsen lassen und Gelenke durch Training mobil halten. Das geht nur in Bewegung", sagt Isabelle Glüer.
Die Osteopathin trifft in ihrem Alltag oft Pferde an, die unbeweglich, verspannt und schlecht bemuskelt sind. Bei ihren Behandlungen kann Glüer erkennen, ob ein Pferd gut oder schlecht geritten ist. "Osteopathie funktioniert am besten zusammen mit guter Arbeit unterm Sattel und am Boden", sagt sie.
Das Effektive daran: "Dressur ist ein ständiges An- und Abspannen von Muskeln eines bestimmten Körperteils, je nach Lektion", erklärt Ausbilder Nuno Avelar und vergleicht ein Dressurtraining mit Krafttraining für den Menschen: "Bei einer Kniebeuge trainieren wir vor allem die Oberschenkel, bei Sit-ups den Bauch – immer mit einem Wechsel von An- und Abspannen."
Wie viel Training braucht ein Freizeitpferd?
Doch wie viel Training ist eigentlich nötig und richtig für ein Freizeitpferd? "Generell gehe ich bei einem normalen, gesunden Pferd von einer Trainingseinheit mit rund einer Stunde aus", sagt Nuno Avelar. Dabei setzt er rund 15 Minuten fürs Aufwärmen, 25 Minuten für die Arbeit und etwa 15 Minuten als Cool-down an.
"Das ist beim Menschensport nicht anders", vergleicht er. Beispiel: Ein 100-Meter-Läufer joggt sich locker warm, mobilisiert seine Gelenke, wärmt die Muskeln auf. Dann kommt das eigentliche Training mit Sprints, danach läuft er sich wieder locker aus und dehnt seine Muskeln.
Beim Pferdetraining läuft das genauso ab: "Lockeres Warmreiten und Antraben und eben nicht gleich eine Trab-Verstärkung, dann die Arbeitsphase und zum Schluss der Cool-down mit Dehnung und Schritt am langen Zügel", erklärt er. Nach einem Trainingsreiz sollte ein Pausentag folgen, an dem nur lockere Bewegung wie ein entspannter Ausritt ansteht.
Warum und wie Dressurlektionen Pferde fit machen
Wer dagegen immer nur locker bewegt, setzt den Muskeln kaum Reize, um stärker zu werden. "Auch wenn man nur ein Mal pro Woche am langen Zügel ausreiten möchte, sollte das Pferd durchs Training darauf vorbereitet werden; Dressurlektionen helfen dabei", sagt Nuno Avelar.
Nur ein gut trainiertes Pferd mit starken Reitpferdemuskeln kann uns schadlos tragen. Weil das Pferd keine knöcherne Verbindung, also kein Schlüsselbein, zwischen Schulter und Vorhand hat, muss es vor allem die Bauch- und Rumpfmuskeln nutzen, damit sein Rücken nicht durchhängt oder die Wirbelsäule zu stark belastet wird.
Genau diese Muskelpartien sowie weitere wichtige Bereiche wie Hals und Beine können Sie mit Dressurlektionen kräftigen und teils dehnen. Dehnübungen aus der Osteopathie, die Isabelle Glüer sorgfältig auch zum Nachmachen für Pferdebesitzer ausgewählt hat, ergänzen das Training perfekt.
So können Sie Ihr Pferd vor dem Reiten sanft mobilisieren. Die Handgriffe können auch zeigen, ob Ihr Pferd eine therapeutische Behandlung braucht. Ist alles im grünen Bereich, ist Dressur das Beste für die Fitness.
Osteo-Effekt 1: Gewölbter Rücken
Wenn das Pferd den Bauch anhebt und so den Rücken nach oben wölbt, entfernen sich die Dornfortsätze voneinander. Sie sitzen oben an der Wirbelsäule und machen Probleme, wenn sie zu eng liegen oder sogar aneinander reiben (Kissing Spines, "Küssende Wirbel"). Die Rückenmuskeln links und rechts der Wirbelsäule werden zudem beim Aufwölben gedehnt und aktiviert.
Osteo-Griff: Fahren Sie mit dem Daumen an der Bauchnaht entlang und drücken wie bei einer sanften Massage. "Im Bereich hinter dem Widerrist passiert meistens nicht viel, weiter hinten kann das Pferd schon mal bis zu fünf Zentimeter höher kommen", erklärt die Osteopathin. Wie hoch das Pferd kommt, hängt vom Trainingszustand und von der Veranlagung ab.

Reagiert ein Pferd mit Abwehr, sollte man unbedingt einen Tierarzt oder Therapeuten hinzuziehen. Kommt ein Pferd nur wenig hoch und reagiert kaum, muss das nicht zwangsläufig ein Problem sein.
"Es gibt einfach auch Rassen, die von Natur aus nicht ganz so beweglich sind, zum Beispiel Robustrassen wie Haflinger oder Norweger", erklärt Isabelle Glüer. Auch Pferde mit Tendenz zum Senkrücken schaffen manchmal nur ein bis zwei Zentimeter. "Ein unbeweglicher Rücken muss kein Problem sein, auch bei uns Menschen gibt es beweglichere und unbeweglichere Menschen", sagt Isabelle Glüer.

Diese Übung können Sie ein bis zwei Mal vor dem Reiten abfragen. Das Pferd sollte die Dehnung rund zehn Sekunden halten. So lange sollten Sie mit Ihrem Daumen an dem Punkt an der Bauchnaht verharren, an dem das Pferd die beste Reaktion zeigt und wenn nötig nochmal leicht drücken, falls es vorher im Rücken abfällt.
Reiten: "Bei einem korrekten Rückwärts spannt das Pferd seine Bauchmuskeln an", sagt Nuno Avelar. Da das gar nicht so leicht ist und fürs Pferd anstrengend, zählt hier die Scheibchentaktik: Beginnen Sie mit einem Tritt. Dabei darauf achten, dass das Pferd diagonal rückwärts tritt. Das klappt, indem Sie es sehr langsam treten lassen.

Tasten Sie sich langsam an mehrere, flüssige Tritte heran: "Schafft das Pferd einen korrekten Schritt, verlangt man zwei, aber nicht fünf, schafft es zwei, verlangt man drei", erklärt der Trainer. Er versucht, immer ganz vorsichtig an die körperliche Herausforderung heranzugehen und ein kleines bisschen mehr zu fordern, als das Pferd von sich aus anbietet.
Fällt es dem Pferd ohne Reitergewicht leicht, kann man das Rückwärts vom Sattel aus üben. Etwa fünf Wiederholungen reichen.
Osteo-Effekt 2: Geschmeidig in der Seite
Ist das Pferd vom Hals bis zum Schweif wie eine Banane gebogen, öffnen sich zur einen Seite die Facettengelenke der Wirbelsäule – diese verbinden die Wirbel miteinander. Auf der anderen Seite schließen sich die Gelenke. Dabei dehnt das Pferd die Muskeln der äußeren Körperhälfte, die der inneren muss es anspannen.
Durch die natürliche Schiefe ist es nicht ungewöhnlich, dass sich das Pferd in eine Richtung leichter biegen kann. Starke Asymmetrien sollten durch gutes Training besser und nicht schlechter werden. Wie biegsam ein Pferd in diesem Bereich ist, hängt aber nicht nur vom Training ab. Kurze, schwere Pferde sind weniger biegsam als leichte und lange.
Osteo-Griff: Um das Pferd im Stand nach links zu biegen, stehen Sie links vom Pferd. Die linke Hand liegt an der linken Seite der Wirbelsäule und drückt leicht, so dass das Pferd im Körper nach rechts ausweicht. Die rechte Hand fasst am Schweif vorbei und liegt neben ihm.
Sie zieht den hinteren Bereich der Wirbelsäule sanft zu Ihnen und hält die Biegung so für etwa zwei bis drei Sekunden. Auf jeder Seite einmal abfragen. "Bewegt sich das Pferd wirklich gar nicht in die Biegung oder wehrt sich, sollte man den Rücken checken lassen", rät Isabelle Glüer.

Reiten: Je weiter das Pferd ausgebildet ist, desto höher können Sie die Gangart und desto enger die Biegung wählen. Achten Sie anfangs auf kurze Momente, in denen sich das Pferd biegen muss, zum Beispiel in einer Ecke oder bei einer einfachen Schlangenlinie an der langen Seite. Mit fortschreitendem Training verlangen Sie ganze oder sogar doppelte Volten.
Um das Pferd motiviert zu halten, sollten Sie es nach dem Anspannen immer wieder mit Entspannung im Geradeaus oder einer Schrittpause am langen Zügel belohnen, damit Muskeln nicht verkrampfen oder hart werden. Starten Sie mit großen Volten und verkleinern Sie nur, wenn das Pferd die Biegung halten kann.
Entzieht es sich, indem es sich aus der Anlehnung heraushebt oder auf die innere Schulter fällt, verlangen Sie größere Volten und loben es für kurze, gute Momente.

Osteo-Effekt 3: Beweglich im Hals
Ein Pferdehals ist an sich sehr beweglich. Das sieht man zum Beispiel, wenn sich das Pferd mit den Zähnen am Bauch kratzt. Dafür sitzen auch in der Halswirbelsäule Facettengelenke. Biegt sich das Pferd im Hals, arbeiten diese Gelenke. Dafür müssen sie beweglich sein.
Dreht das Pferd den Hals nach links, öffnen sich rechts die Gelenke – sie entfernen sich etwas voneinander. Hier dehnen sich auch die Muskeln. An der linken Halsseite nähern sich die Facettengelenke dagegen etwas an.
Osteo-Griff: Stellen Sie sich seitlich neben das Pferd und holen den Kopf Stück für Stück in Richtung seines Ellenbogens. Dazu fassen Sie außen an die Nase und holen sanft den Kopf zu sich. "Nur so viel, wie das Pferd auf leichten Druck nachgibt und nie ruckartig", erklärt die Osteopathin.
Der Kopf des Pferds soll dabei senkrecht bleiben und die Ohren auf gleicher Höhe. Idealerweise kommt das Pferd mit der Nase bis zum Ellenbogen. Falls nicht, sollten Sie so weit dehnen, wie es das Pferd zulässt. Glüer arbeitet dabei bewusst ohne Leckerli. "Für Futter bewegen sich Pferde oft sehr ruckartig und verrenken sich manchmal mehr, als ihnen guttut.
Meistens halten sie die Dehnung dann auch nur so kurz, bis sie sich das Leckerli geschnappt haben."

Klappt das auf beiden Seiten gleich gut, lassen sich die Gelenke und Wirbel gut bewegen und die Muskeln drumherum gut dehnen. Verwirft sich das Pferd oder wehrt es sich, liegen möglicherweise Muskelverspannungen oder Blockaden an den Gelenken vor – lassen Sie das Pferd checken.
Diese Übung kann man vor dem Reiten auf jeder Seite einmal verlangen und etwa für zehn Sekunden halten. Klappt eine Seite noch nicht so gut, mit dieser beginnen und sie nach der besseren Seite noch ein zweites Mal dehnen.
Reiten: Für das seitliche Nachgeben im Halten hebt der Reiter die innere Hand an, den äußeren Zügel lässt er komplett locker. Wichtig: Wirken Sie nicht rückwärts, sondern aufwärts, so dass das Pferd das Signal am Maulwinkel spürt. Fordern Sie die Biegung des Halses nicht auf einmal, sondern nur Zentimeter für Zentimeter und warten Sie immer kurz auf die Reaktion des Pferds.

Am Trensengebiss ist die Übung besonders effektiv, weil das Pferd zum Kauen animiert wird und sich der Kiefer lockert, der in Muskelketten mit Genick, Hals und Rücken verbunden ist. Diese maximale Halsbiegung sollten Sie nur im Halten abfragen.
Osteo-Effekt 4: Lockere Hüften
Auf der Vorhand lastet beim Pferd von Natur aus sehr viel Gewicht. Um diesen Bereich zu entlasten, lernt das Pferd im Laufe seiner Ausbildung, Last mit der Hinterhand aufzunehmen. Das Becken ist das Bindeglied zwischen Rücken und Hinterhand und spielt daher eine wichtige Rolle bei der Lastaufnahme.
Um den Reiter gut zu tragen, muss das Becken also beweglich sein. Beugt das Pferd die Hüftgelenke, kann es das Becken bis zu einer Neigung von etwa 20 Grad abkippen. So kommt die Hinterhand tief, die Vorhand wird leichter.
Osteo-Griff: Um das Becken zu kippen, steht Isabelle Glüer direkt hinter dem Pferd (Übung nur anwenden, wenn das Pferd nicht schlägt!) und fährt langsam und vorsichtig mit den Daumen links und rechts von der Lendenwirbelsäule (Bereich direkt hinter der Sattellage) bis zum Oberschenkel hinunter.
Da viele Pferde hier sehr reflexartig das Becken kippen, sollten Sie mit leichtem Druck beginnen und ihn nur erhöhen, wenn das Pferd nicht reagiert. Bei manchen Pferden tut sich auf diesen Reiz aber generell nicht viel. "Bewegt sich das Pferd sonst unauffällig, muss das kein Problem sein", beruhigt die Tierärztin. Manche Pferde sind einfach nicht so reaktiv und beweglich."
Reagiert das Pferd auf die Berührung an der Lendenmuskulatur abwehrend, sollte man den Sattel prüfen. "Es kann sein, dass er im vorderen Bereich drückt und das Pferd versucht das zu kompensieren, indem es die Muskeln in diesem Bereich stärker anspannt."

Wichtig: Diese Übung sollten Sie nur etwa alle zwei bis drei Wochen einmal verlangen. In diesem Bereich liegt das empfindliche Kreuzdarmbein-Gelenk (ISG). Da es bei vielen Pferden recht instabil ist, könnten Strukturen verschoben werden, wenn Sie den Kipp-Reflex zu oft fordern. "Es ist kein echtes Gelenk, sondern besteht aus vielen Bindegewebsfasern, die nicht so beweglich sind", erklärt Glüer.
Reiten: Steht das Pferd geschlossen und weit mit den Hinterbeinen unter dem Bauch, muss es das Becken kippen. Meist stellen Pferde ein Hinterbein etwas weiter nach hinten als das andere. Das herausgestellte Bein können Sie am Boden heranholen, indem Sie es mit der Gerte touchieren – oberhalb der Fessel oder des Sprunggelenks, je nachdem, wo das Pferd besser reagiert.
Beim Reiten korrigieren Sie, indem Sie mit dem gleichseitigen Schenkel etwas gegen die Haare am Bauch streichen. Weitere Übungen zum Becken kippen: Rückwärtsrichten und Piaffe.

Osteo-Effekt 5: Bewegliche Hinterbeine
Bringt das Pferd das Hinterbein zur Seite und nach vorne unter den Körper, senkt sich auf dieser Seite das Becken ab, die Muskulatur rund um das Becken und der Oberschenkel werden gedehnt. Je dehnfähiger sie sind, desto besser kann das Pferd das Becken einseitig abkippen und untertreten. Umgekehrt gilt: Je mehr es untertritt, desto höher ist der gymnastische Effekt.
Osteo-Griff: Sie stehen ähnlich wie beim Hufeauskratzen seitlich vom Pferd. Heben Sie das gegenüberliegende Bein an und ziehen Sie es langsam und vorsichtig unter dem Bauch hindurch auf die andere Seite. Kreuzen Sie langsam und nur soweit, wie Ihr Pferd mitarbeitet und nicht dagegen zieht.
Bei Pferden, die sehr beweglich sind und gut trainiert, können Sie das Bein sogar gekreuzt am Boden absetzen. Das Pferd kann diese Übung nur wenige Sekunden halten. Schwere Rassen haben mit dieser Übung oft Mühe – allein durch ihre Breite und Masse. Wehrt sich ein Pferd, könnte das auf Probleme im Oberschenkel oder im Kreuzdarmbeingelenk hindeuten. Halten Sie Rücksprache mit Ihrem Tierarzt oder Therapeuten.

Reiten: Lektionen, bei denen sich das Pferd seitwärts bewegt, lassen das Hinterbein mehr unter den Körper fußen. Beim Seitwärts muss das Pferd auch seine schrägen Bauchmuskeln mehr nutzen, als wenn es geradeaus geht. Die Bauch- und Brustmuskeln sind über eine Muskelkette verbunden mit Unterkiefer, Zungenbein und Hinterhauptbein. Spannen die Bauchmuskeln also an und ab, fördern sie das Kauen und Lockern des Kiefers und so die Losgelassenheit.

Schenkelweichen auf dem Zirkel ist ein idealer Einstieg ins Seitwärts. Je langsamer das Pferd untertritt, desto mehr müssen die Muskeln arbeiten. Anfangs reicht ein guter Tritt zur Seite. Als Belohnung und Bestätigung bekommt das Pferd eine kurze Pause. Später tastet man sich an zwei, drei, vier Tritte heran, irgendwann schafft das Pferd einen ganzen Zirkel.
Fortgeschrittenere Pferde profitieren von den echten Seitengängen wie Schulterherein, Travers, Renvers und Traversalen.
Osteo-Effekt 6: Starke Hinterhand
Für alle Lektionen, bei denen das Pferd Last aufs Hinterbein bringt, muss es seine Hanken beugen können. Tut es das, wird außerdem der Oberschenkelmuskel gedehnt. Beides geht nur mit beweglichen Gelenken und dehnfähigen Oberschenkel-Muskeln. Auch sie sind also wichtig, um die Vorhand des Pferds zu entlasten und für langfristige Gesundheit des Pferds unterm Reiter zu sorgen.
Osteo-Griff: Stellen Sie sich mit Blick nach hinten seitlich neben die Kruppe des Pferds. Nehmen Sie das Hinterbein mit beiden Händen hoch und beugen es vorsichtig und langsam in Richtung Bauch. Das Pferd beugt dabei Knie- und Sprunggelenk. Das zeigt, wie beweglich es in diesen Gelenken ist.
Pferde, die Arthrose im Sprunggelenk (Spat) haben, schaffen nur wenige Zentimeter und keine komplette Beugung; seien Sie hier besonders vorsichtig und machen die Übung nur in Absprache mit Ihrem Tierarzt. Gesunde, bewegliche Pferde wie Lisboa können das Bein bis fast unter den Bauch beugen.
Nur soweit beugen, wie das Pferd mitmacht und Sie keinen Widerstand fühlen. Diese Übung können Sie für etwa zehn Sekunden halten. Es reicht, wenn Sie sie vor jedem Reiten auf jeder Seite einmal verlangen.

Reiten: Eine fast so große Beugung wie bei unserem Osteo-Griff oben gibt es in der Dressur nur in der Hohen Schule bei der Levade. Sie ist auch deshalb besonders anspruchsvoll, weil das Pferd hier beide Hanken gleichzeitig beugen muss.
Ansonsten trainieren alle Lektionen, die das Pferd aufs Hinterbein setzen, die Beugefähigkeit der Hanken und die Dehnfähigkeit des Oberschenkels. Dazu zählen versammelte Grundgangarten, Rückwärts, Piaffe und Seitengänge.

In den Seitengängen tritt das Hinterbein nicht nur unter den Körper (siehe Seite Osteo-Effekt 5), sondern muss sich auch beugen. Dadurch bringt das Pferd mehr Last aufs Hinterbein. Im Schulterherein ist es dabei gegen die Bewegungsrichtung gestellt und gebogen, beim Travers in Bewegungsrichtung.
Das Rückwärtsrichten können Sie noch effektiver gestalten, indem Sie Ihr Pferd direkt und ohne Halten wieder antreten oder sogar antraben lassen. So kann Ihr Pferd sich zunächst mehr auf die Hinterhand setzen und die Hanken beugen und beides in Energie nach vorne umsetzen.
Tipp aus der Working Equitation von Nuno Avelar: Rückwärts durch eine Gasse aus zwei Stangen treten lassen, so muss das Pferd sich ganz gerade bewegen. Fortgeschrittene können auch rückwärts durch einen Slalom reiten.
Osteo-Effekt 7: Freie Schultern
Lockere und kräftige Schultermuskeln helfen dem Pferd, mehr Raumgriff zu entwickeln und den Widerrist anzuheben. Das ist wichtig, um die Vorhand beim Reiten zu entlasten.
Osteo-Griff: Dehnt man das Vorderbein nach vorne, stretcht man vor allem den hinteren Bereich des Oberarms und des Schulterblatts. "Das fällt in der Regel blütigen Pferden mit höherem Muskeltonus schwerer, weil sie da oft verkürzt sind", erklärt Isabelle Glüer. Beugt man das Vorderbein und bewegt es dann nach oben, gleitet auch das Schulterblatt hoch. "Je raumgreifender Pferde sich von Natur aus bewegen, desto leichter fällt ihnen das", erklärt Glüer.
Ist die Schulter beweglich, ist das auch ein Zeichen dafür, dass der Sattel im Schulterbereich nicht drückt. Rotiert das Schulterblatt nicht, sollte ein guter Therapeut checken, woher die Verspannungen kommen. "Im schlimmsten Fall gibt es im Schulterbereich auch mal Knorpelprobleme", sagt Glüer.

Und so wenden Sie den Griff an: Um das Vorderbein nach vorne zu dehnen, fassen Sie ans Fesselgelenk und holen das Vorderbein langsam und vorsichtig nach vorne und leicht oben, dabei nicht gegen Widerstand arbeiten. Etwa zehn Sekunden halten, einmal pro Seite.

Um die Schulter anzuheben und das Schulterblatt nach oben rotieren zu lassen, stellen Sie sich seitlich neben das Pferd, beugen das Vorderbein wie beim Hufeauskratzen und heben es langsam nach oben an. Halten Sie es so für etwa zehn Sekunden. Mit Ihrem Oberschenkel können Sie das Vorderbein unterstützen.
Reiten: Für freie Schultern sorgen alle Lektionen, die mehr Raumgriff fördern. Falls Ihr Pferd den Spanischen Schritt beherrscht, verlangen Sie ein paar Tritte. Unter www.cavallo.de/spanischer-schritt finden Sie Tipps, wie Sie die Lektion erarbeiten können.

Um die Muskeln rund um die Schulter zu stärken, helfen dem Pferd auch Lektionen wie das Zulegen im Trab. "Dabei nicht gleich eine ganze lange Seite verlangen, sondern ein, zwei Tritte", rät Nuno Avelar.
Beim Zulegen nutzt das Pferd die Schultermuskeln sowie die Muskeln an Oberarm und Unterarm, um weiter auszugreifen. Lässt man das Pferd über erhöhte Stangen gehen, muss es ebenfalls mit den Vorderbeinen weiter ausgreifen und sie beugen, was die Muskeln rund um Schulter und Oberarme anspricht.
Das sind unsere Experten
Isabelle Glüer – Die Pferdetierärztin aus dem baden-württembergischen Buggingen arbeitet auch als Pferde-Osteopathin (ifT) und reitet in ihrer Freizeit klassische Dressur.

Nuno Avelar war bis 2018 Trainer der Deutschen Working Equitation Nationalmannschaft. Er gibt deutschlandweit Kurse und Unterricht in Dressur und Working Equitation. www.nunoavelar.com
