Freilauf fürs Pferd
So wird der Freilauf zum Training

Winterzeit, Freilaufzeit. Aber Training ist das ja nicht wirklich? Von wegen! Wenn’s richtig läuft, profitieren Kopf und Körper.

CAVALLO Winterzeit, Freilaufzeit
Foto: Lisa Rädlein

Rein in die Halle, und ab geht die Post: So sieht Freilauf leider häufig aus. Als "Knallenlassen" bezeichnet Ausbilderin Kerstin Gerhardt dieses Vorgehen, das oft nicht nur tiefe Löcher in den Hallenboden reißt, sondern auch Sehnen und Bänder belastet und sprichwörtlich an den Nerven zerrt. "Die Pferde rennen sich den Stress aus dem Leib", beschreibt Gerhardt. Der entstehe dabei oft erst, weil das Pferd alleingelassen wird oder die Longierpeitsche durch die Luft saust.

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Training durch Freilauf
In geregelten Bahnen
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Wird es mit Sachverstand gemacht, ist die Pferdefrau dagegen "absouter Fan" des Freilaufens: "Dann kann das Pferd dabei ohne Druck Losgelassenheit, Motivation und auch mal quietschende Lebensfreude erfahren." Bloßes Bocken- und Rennenlassen hat nicht den gewünschten Effekt und kann zudem gefährlich sein. Wie geht es besser?

CAVALLO Winterzeit, Freilaufzeit
Hartig
Angehobener Kopf und gespitzte Ohren können Anspannung verraten. Versuchen Sie, den Fokus bei sich zu behalten und Ruhe auszustrahlen.

Freilauf auf der abgesperrten Bahn mit drei Helfern

Kerstin Gerhardt gestaltet Laufenlassen nach alter Schule: Mit Flatterband trennt sie eine Bahn entlang des Hufschlags ab, auf der sich das Pferd um die Halle bewegen soll, etwa drei Hufschläge breit. In der Mitte der Bahn positionieren sich drei Personen entlang der Mittellinie. "Eine 20 x 60 Reithalle kann man so am besten abdecken", erklärt Gerhardt – bei 20 x 40 geht es auch gut zu zweit. Kommt das Pferd auf ihrer Höhe vorbei, übernimmt die jeweilige Person die Begleitung mit Blick und Peitsche, letztere wird wie beim Longieren ruhig hinter dem Pferd geführt. Dabei tritt man etwas von der Mittellinie zurück, um dem Pferd Raum zu geben. Die beiden äußeren Helfer drehen sich mit dem Pferd mit, um es im Blick zu behalten. Die Person in der Mitte dreht sich um, sobald sie das Pferd an den nächsten "übergeben" hat und ist dann bereit, das Pferd auf der gegenüberliegenden Seite ein paar Meter zu begleiten.

Gangart und Tempo lassen sich dabei über Stimm- und Peitschensignale kontrollieren. "Später, wenn das Pferd die Aufgabe gut kennt, reichen auch vier Pylonen in den Ecken", so Gerhardt. Trainerin Andrea Jänisch arbeitet von vornherein ohne Absperrung. Sie ist eine Freundin von Freiarbeit bzw. Freiheitsdressur, lässt ihre Pferde aber auch hin und wieder freilaufen und -springen. Den Weg geben die Helfer mit Hilfe von Körpersprache und Peitsche vor. "Sie ist eine Unterstützung der Gestik und begrenzt den Weg", so Jänisch. Drängt das Pferd in die Bahn, zeigt die Peitschenspitze in Richtung Schulter, so dass das Pferd auf dem Hufschlag bleibt.

Freie Bewegung in der halben Halle ohne Helfer

Ausbilderin Anja Hass arbeitet mit ihren Pferden viel am Boden – aus der Arbeit am Seil und an der Longe entwickelt sie die Freiarbeit. Doch auch mit weniger Vorarbeit ist freie Bewegung ihrer Meinung nach sinnvoll möglich. "Wichtig ist mir dabei, dass das Pferd auf mich konzentriert und führbar bleibt", erklärt sie. Dafür trennt Anja Hass gerne die halbe Halle ab. "So kann ich das Pferd auch alleine frei bewegen und es kommt kein Rennen auf." Das Pferd bewegt sich dabei ähnlich wie an der Longe im großen Kreis um die Ausbilderin herum.

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Ruhige Gestik und Mimik sind beim Freilaufen wichtig, die Peitsche dient der Kommunikation.

So profitiert das Pferd von der freien Bewegung

Beim freien Bewegen ohne Longe hat der Mensch keinen großen Einfluss auf die Haltung und das Pferd muss sein Gleichgewicht selbst finden, so Anja Hass. "Viele Pferde haben dabei zudem viel Spaß an der Kommunikation mit dem Menschen", beobachtet sie. "Man kann so auch die Beziehung überprüfen und merkt, ob das Pferd auch dann mit einem im Austausch bleibt, wenn es frei ist."

Ausbilderin Andrea Jänisch unterscheidet die Vorteile von Freiarbeit und Freilauf: Bei der Freiarbeit kann das Pferd auch mal durch schnellere Bewegungen wie Drehungen oder spielerisches Stoppen Bewegungsmuster entdecken und wird geistig ausgelastet.

Das Freilaufen auf der ganzen Bahn mit zwei Personen punktet mit taktmäßiger Bewegung im Trab und Galopp mit freiem Rücken. "Viele Pferde leiden ja, besonders im Winter, unter Bewegungsmangel. Eine Alternative ist Handpferdereiten, das ich oft praktiziere."

Ähnlich sieht das Kerstin Gerhardt: Freilauf auf der ganzen Bahn lockere das ganze Pferd, verbessere die Rückentätigkeit und könne sogar helfen, wenn es mal irgendwo zwickt: "Das Pferd kann den ganzen Körper durchstrecken und -dehnen, das bringt oft Abhilfe bei Verspannungen." Doch wie erreicht man innere und äußere Losgelassenheit beim Freilauf?

So klappt das Freilaufen ohne Rennerei und Stress

"Wichtigste Regel: Niemals jagen und nie mit der Peitsche knallen", rät Kerstin Gerhardt. Alle Hilfen müssen ruhig und sanft sein, "wie beim Tai-Chi". Läuft das Pferd auf der linken Hand, führt Gerhardt die Peitsche mit der rechten Hand, die linke Hand legt sie hinter ihren Rücken.

Auch Anja Hass setzt auf feine Signale. "Man muss spüren, wie viel das Pferd braucht. Oft neigt der Mensch dazu, Hilfen zu stark zu geben, und das Pferd kommt dadurch in eine zu hohe Energie", erklärt sie. "Dreht das Pferd zu sehr auf, sollte man sich vor allem selbst nicht darüber aufregen, sondern etwas mehr Distanz zum Pferd einnehmen, bewusst ausatmen, sich kleiner machen und abwarten, ob die Ruhe wiederkommt." Reagiert das Pferd darauf nicht, können auch Handwechsel helfen, den Fokus aus dem Fluchtmodus hin zum Menschen zu verlagern. "Ich schneide dabei dem Pferd sozusagen auf größere Distanz mit der Peitsche den Weg ab und lasse es die Richtung wechseln."

Gute Vorarbeit ist wichtig

Anja Hass und Andrea Jänisch setzen vor dem Freilaufenlassen auf die Arbeit an der Longe oder am Leitseil, so dass das Pferd bereits Stimmsignale und Körpersprache des Menschen verstehen lernt und eine "Grunddisziplin" herrscht, wie Jänisch sagt. "Ich lasse meine Schüler gerne auf langen Linien von einem aufgestellten Hütchen zum anderen longieren. So lernen sie, Wendungen über ihre Körperposition einzuleiten." Soll das Pferd abbiegen, muss der Mensch mehr auf Höhe der Hinterhand gehen, soll es geradeaus weiterlaufen, positioniert er sich auf Schulterhöhe. So lassen sich auch beim Freilaufen Handwechsel über die Diagonale einleiten.

Die von Kerstin Gerhardt angewandte Methode auf der abgesperrten Bahn funktioniert schon vor dem ersten Longieren. "Es ist wie Longieren, nur schonender", sagt sie. "Das ist altes Wissen." Unerfahrenen Pferden lässt sie dabei gerne ein Führpferd vorausgehen, das Freilaufen aus dem Effeff kennt. Mit einem alten Hasen als Zugpferd kommt keine Unruhe auf. Sicher sein sollte, dass das Führpferd nicht ausschlägt und seinem Titel als "alter Professor" gerecht wird.

Für Handwechsel lässt Gerhardt ein unerfahrenes Pferd auf der Bahn anhalten, geht zu ihm und lässt es eine Vorhandwendung machen. "Wichtig: Danach trete ich rückwärts vom Pferd weg, damit ich es im Auge habe. Dann darf es auf mein Stimmkommando wie ,geh an‘ oder ,Scheritt‘ losgehen." Später reicht Gerhardt für einen Handwechsel ein angedeutetes In-den-Weg-treten, das man mit einem Stimmsignal wie "Changer" verbinden kann.

Wie oft und wie lange Freilaufen lassen?

Beim Freilaufen auf der ganzen Bahn mit Helfer ist Andrea Jänisch wichtig, dass das Pferd seinen Rhythmus findet. "Ich lasse durchaus etliche Runden galoppieren, wenn das Pferd fit ist." Kerstin Gerhardt teilt eine lockere Freilauf-Einheit etwa so ein: Zehn bis 15 Minuten Schritt geführt innerhalb der abgesperrten Bahn, damit das Pferd den Weg kennt und warm ist, danach insgesamt etwa zehn Minuten Trab und zehn Minuten Galopp mit regelmäßigen Übergängen zwischen beiden Gangarten und bei Bedarf Schrittpausen.

Wichtig ist ihr ein gleichmäßiges Tempo, eventuelle Verstärkungen kommen erst dran, wenn das Pferd locker ist und taktmäßig geht. "Sonst verspannt es nur." Gerhardt lässt etwa ein- bis zweimal pro Woche freilaufen – die Regelmäßigkeit verhilft zu Routine und macht das Pferd gelassener. Denn auch beim Freilauf liegt die Kraft in der Ruhe.

Voraussetzungen fürs Freilaufen

Aufwärmen ist das A und O, sonst droht Verletzungsgefahr, wenn das Pferd doch mal über die Stränge schlägt. Zum Aufwärmen darum führen oder an die Longe nehmen und zehn bis 20 Minuten Schritt gehen.

Sichere Umgebung schaffen. Ideal ist eine Halle mit hohen Wänden, denn Reitplatzumzäunungen oder halbhohe Banden könnten übersprungen werden. Spiegel abdecken, damit sich das Pferd nicht sehen kann. Manche Pferde halten ihr Spiegelbild für einen Artgenossen und laufen hinein.

Nichts zum Abregen: Freilaufen als "Abbocken" vor dem Reiten oder zum Kennenlernen einer neuen Halle ist keine gute Idee. Der Stresspegel steigt nur noch mehr. Erkunden Sie die Halle lieber gemeinsam mit Ihrem Pferd geführt oder longieren es in Ruhe ab.

Nach dem Reiten kann Freilaufen durchaus sinnvoll sein und einen lockernden Ausklang bieten. Darf sich das Pferd dabei zum Schluss wälzen, schaffen Sie einen positiven Trainingsabschluss.

Die Expertinnen

CAVALLO Winterzeit, Freilaufzeit
Lisa Rädlein
Andrea Jänisch bildet vielseitig von Working Equitation bis Freiheitsdressur aus. Auch Freilauf und Freispringen sind dabei. www.andrea-jaenisch.de
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Schupp
Kerstin Gerhardt ist Bereiterin FN und Dressurausbilderin. Ihr Motto: Konsequent korrekt & klassisch – auch beim Freilauf. www.kampagneschule.info
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privat
Anja Hass ist lizensierte Bent-Branderup-Trainerin für akademische Reitkunst und bietet Kurse und Workshops für Bodenarbeit und Reiten an. www.zentauer.com
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4 / 2023

Erscheinungsdatum 15.03.2023