Wir Reiter und Pferdetrainer haben es aktuell nicht leicht. Eine negative Schlagzeile nach der anderen bringt unser Hobby geradezu in Verruf. Denn immer wieder kommen miese Trainingsmethoden schwarzer Schafe ans Licht. Für den sportlichen Erfolg werden Pferde geknebelt und geknechtet: Für höhere Sprünge bekommen sie Schläge gegen die Beine, für spektakuläre Bewegungen werden sie schon als Teenager über die Uhr geritten. Und für mehr "Rittigkeit" sorgen Reiterhände oder Ausbinder, die Pferdehälse so formen, dass Widersprüche der vierbeinigen Partner bereits im Keim erstickt werden.
Kein Wunder also, dass Pferdetraining kritisch betrachtet wird – und das ist auch gut so! Was pferdegerecht ist und was nicht, ist eine Frage, die sich Menschen, die ihre Pferde mit Verstand und Gefühl arbeiten, immer stellen. Mehr denn je? Vielleicht wird deshalb die Lernmethode der negativen Verstärkung immer häufiger diskutiert. Wir haben mit den Pferdetrainern Dr. Vivian Gabor, Bernd Hackl und Babette Teschen darüber gesprochen.
Was ist negative Verstärkung im Pferdetraining?
Allein der Begriff "negative Verstärkung" gibt der Lernmethode schon einen negativen "Touch". Die Bezeichnungen für die Verstärkungs-Techniken beim Lernen seien unglücklich gewählt, findet die Pferdeverhaltensforscherin Dr. Vivian Gabor. Bei der Verstärkung wird ein bestimmtes Verhalten gefördert. Dahinter steht ein belohnender Effekt. "Positive Verstärkung bedeutet, dass eine belohnende Wirkung hinzugefügt wird. Negative Verstärkung bedeutet, dass eine negative Wirkung ausbleibt", erklärt sie und nennt ein Beispiel aus ihrem Trainingsalltag: "Ich erhöhe meine Körperspannung, um mein Pferd seitwärts zu schicken. Wenn es reagiert, lässt meine Körperspannung wieder nach und ich entspanne mich. Das würde ich als negative Verstärkung definieren."
Die Verstärkung wird in der operanten Konditionierung angewendet. Anders als bei nicht assoziativem Lernverhalten (direkte Reaktion auf einen Reiz) oder der klassischen Konditionierung (erlernte Reaktion auf ein bestimmtes Signal) nutzt das Pferd hier sein Bewusstsein, um zu entscheiden, was es tun könnte, um seine aktuelle Lage zu verbessern.

Negative Verstärkung ist etwas anderes als eine Strafe
Wichtig ist der Verhaltensforscherin, dass die negative Verstärkung nicht mit Bestrafung verwechselt wird. "Ich habe das Gefühl, das ist oft der Fall", vermutet Dr. Vivian Gabor. "Mit der Bestrafung versucht man, ein Verhalten durch eine negative Erfahrung auszulöschen. Mit der Verstärkung dagegen wird ein Verhalten gefördert, damit es häufiger gezeigt wird", erläutert sie. Bestrafungen hinterlassen beim Pferd ein schlechtes Gefühl und unterscheiden sich damit deutlich vom Lerneffekt der Verstärkung, die ja darauf abzielt, dass das Individuum frei entscheiden kann, was es tun könnte, um sich besser zu fühlen.
Bei jeder Hilfe handelt es sich um eine negative Verstärkung
"Im Prinzip kann man sagen: Überall dort, wo man Druck einsetzt und wieder wegnimmt, handelt es sich um eine negative Verstärkung", meint Dr. Vivian Gabor. Deshalb basiere ganz viel im Pferdetraining und alleine schon im Umgang mit dem Pferd auf der negativen Verstärkung.
Dabei sei die Art des Drucks ganz entscheidend, ob wir pferdegerecht handeln oder nicht, betont sie. Denn Druck müsse nicht bedeuten, dass wir einen aversiven – negativen – Reiz (Schmerz, Stress, Angst) nutzen. "Das würde ich nicht als gutes Pferdetraining empfinden!" Druck ist im Umgang mit Pferden häufig körperlich, aber nicht gewalttätig. Eine erhöhte Körperspannung, ein Schritt Richtung Pferd, eine (ab-)weisende Geste kann so ein Druck sein. "Aber auch jede Hilfe ist Druck: der angelegte Reiterschenkel oder das Touchieren mit der Gerte etwa", findet Dr. Vivian Gabor.
Bernd Hackl nutzt direkten und indirekten Druck
Horsemanship-Trainer Bernd Hackl hakt ein: "Mir ist das alles zu verkopft." Seinen Reitschülern erklärt er lieber den Unterschied zwischen direktem und indirektem Druck. "Indirekter Druck ist, wenn ich irgendwo im Blickfeld meines Pferds vorhanden bin und sage: Pferd, beweg dich. Direkter Druck ist, wenn ich mein Pferd anfasse." Auf Hackls "7-P-Ranch" in Bayern arbeite man so oft wie möglich mit indirektem Druck, "wie in der Pferdeherde auch". Die Tiere unter sich würden allerdings robuster miteinander umgehen als wir. "Wenn ein Pferd uns umrempelt oder an den Haaren ziehen möchte, ziehen wir meistens den Kürzeren." Deshalb betont der Trainer: "Ich vermeide direkten Druck nicht, wenn er sein muss. Wenn etwa ein Korrektur-Pferd mit gefletschten Zähnen auf mich zukommt, muss ich so viel machen, wie ich brauche, um unverletzt aus der Nummer herauszukommen."
Dass wir im Umgang mit dem Pferd nicht ohne Druck auskommen würden, bekräftigt auch er. "Ohne Druck funktioniert im Leben recht wenig. Es kommt darauf an, wie man ihn definiert." Er erzählt von einem Gespräch mit seiner Hundetrainerin, die mit seinem Hund arbeiten sollte – aber bitte ohne Druck, sagte er – und lacht. Sie habe erwidert: Okay, machen wir, dann hol’ doch mal deinen Hund! Als er seine Annie aus dem Auto holte, schnallte er sie an die Leine. Die Trainerin habe gefragt, warum Annie eine Leine trage, und er habe geantwortet: Damit ich sie an der Leine führen kann. Aber das ist doch schon Druck, erwiderte die Hundetrainerin. "Da ist mir ein Licht aufgegangen", gibt Hackl zu. "Wenn ich morgens meinem Kind sage, es soll aufstehen, aber es rührt sich nicht, muss ich mir ja auch was überlegen. Dann zähle ich bis drei und erwarte, dass der Sohn bis dahin aus dem Bett gekrabbelt ist. Bleibt er liegen, gibt es Konsequenzen. Natürlich keine Tätlichkeiten, sondern andere Dinge: Er darf zum Beispiel sein Lieblingspferd nicht reiten oder wir gehen nicht wie versprochen in den Zoo. Konsequenzen können durchaus in kleinem Rahmen stattfinden."
Die Frage ist, was ethisch vertretbar ist und wo Tierquälerei anfängt
Und an diesem Punkt kommen wir wieder auf die Pferde zurück. Denn Bernd Hackl arbeitet auch mit seinen vierbeinigen Partnern nach dem Konsequenz-Prinzip und nennt ein Beispiel: "Wenn mein Pferd mit der Hinterhand weichen soll, gehe ich auf es zu und frage das an. Reagiert es nicht, nehme ich als nächstes meine Stimme oder eine Geste mit den Händen dazu. Kommt immer noch keine Reaktion, winke ich mit meinem Fähnchen in der Hand. Erst wenn es sich dann immer noch nicht rührt, mache ich richtig Krach. Schwupps, weicht das Pferd. Und genau dann trete ich zurück und bin wieder die Ruhe selbst. Hier ist die richtige Reihenfolge wichtig. Damit sich beim Pferd durch Wiederholung ein Lehrerfolg einstellen kann." Die Frage sei doch nicht, so Hackl, was positive und negative Verstärkung ist, sondern was ethisch vertretbar ist und wo Tierquälerei anfängt. "Ich würde mein Kind niemals mit Handschellen an den Heizkörper hängen und sagen: Du machst jetzt deine Hausaufgaben, sonst gibt es nichts mehr zu essen und zu trinken. Das würde ja kein normaler Mensch machen. Im Umgang und beim Training mit Pferden ist das für manche fast normal. Wie viele von ihnen bekommen Wasserentzug, damit sie machen, was der Mensch von ihnen möchte? Wie viele von ihnen werden mit dem Kopf hoch angebunden, damit sie in der Prüfung ordentlich laufen? Ich komme aus der Westernszene und habe Vieles gesehen."
Bernd Hackl ergänzt, er verstehe nicht, warum viele Trainer ihren Beruf ausüben, obwohl sie Pferde so zu hassen scheinen. "Wenn einer seine Kinder verprügelt, meint er nichts gut. Der wird einfach handgreiflich, so einfach ist das." Da sei eine Grenze überschritten, so Hackl, "das ist für mich Tierquälerei." Es müsse, betont er, ein Umdenken stattfinden, weg von der Einstellung: Wenn du nicht tust, was ich dir sage, gibt’s was auf den Hintern. "Das brauchen wir doch nicht. Wir müssten doch schlau genug sein, auf anderen Wegen zum Ziel zu kommen."
Für Babette Teschen steht die Belohnung im Vordergrund
"Solange das Pferd dabei keine negativen Emotionen oder Schmerzen hat, spricht auch für mich nichts dagegen, mit negativer Verstärkung zu arbeiten", stimmt Pferdetrainerin Babette Teschen ihren Kollegen zu. "Es ist völlig in Ordnung, wenn ich meinem Pferd mit der Peitsche Signale gebe. Wenn ich sie ihm vorher erklärt habe und es weiß, dass es davor keine Angst haben muss." Rahmende und zeigende Hilfen seien nichts Schlimmes und retten im Zweifel Leben: "Ich kann meinem Pferd ja nicht erlauben, einfach auf die Straße zu rennen." Ein Mensch, der mit seinem Pferd umgeht, könne aber entscheiden, was für ein Lehrer er dem Tier sein möchte, findet Teschen. Hat das Pferd etwas nicht verstanden, sei es die Aufgabe des Lehrers, es ihm neu und auf eine andere Weise zu erklären, anstatt es mit negativen Folgen zu verknüpfen. "Wir wünschen uns, dass unser Pferd freiwillig und motiviert mitmacht. Das können wir uns nicht mit Druck und Zwang erarbeiten", erklärt Babette Teschen, für die das Belohnungsprinzip über die positive Verstärkung daher immer im Vordergrund steht.

Positive Verstärkung half auch bei aggressiven Pferden
"Jeder sollte mal einen Clicker-Kurs machen", empfiehlt sie. "Erstens, um zu lernen, Übungen in so kleine Bausteine zu zerlegen, dass man sie dem Pferd erklären kann. Und zweitens, um zu lernen, den Fokus auf das Richtige zu legen und nicht auf das, was noch nicht funktioniert. So können wir viel mehr erreichen, als wenn wir immer nur den Druck erhöhen, obwohl uns das arme Pferd gar nicht verstanden hat." Sie erzählt von einem Pferd, das mit seiner Besitzerin in einen ihrer Kurse kam. Der Wallach war sehr aggressiv, er trat und biss. Von seinen vorigen Trainern wurde er für dieses Verhalten immer gestraft. "Kaum begann ich mit ihm zu arbeiten, sauste sein Huf gegen meinen Kopf. Ich konnte mich gerade noch wegducken", erinnert sich die Trainerin. Die Kursteilnehmer waren schockiert und fragten Babette Teschen, warum sie das Verhalten einfach ignoriert habe.
"Wäre ich weitergekommen, wenn ich das Pferd gestraft hätte, wie es Tausende Male davor schon andere getan haben? Ich denke nicht. Ich kann doch nicht immer das gleiche Verhalten zeigen und dann erwarten, dass das Pferd plötzlich anders reagiert. Stattdessen muss ich dem Tier zeigen, dass es keinen Grund für seine Aggressivität gibt. Ich muss das, was ich von ihm möchte, mit positiven Erfahrungen verknüpfen. Und das fängt an mit positiver Verstärkung: Wenn ich schon kleinste Schritte belohne, kann ich ein Umdenken beim Pferd erreichen und es lässt sich mehr und mehr auf mich ein. Jedes Lob wirkt Wunder."