Willkommen im Pferdedorf
Wer wohnt so in Ihrer Nachbarschaft? Junge Familien, Rentner oder ein eher gemischtes Publikum? Stellt man Angelika Kruft diese Frage, klingt die Antwort so: "Da drüben sind Isländer, dort Haflinger, in dem Haus dahinter haben sie Quarter Horses, nebendran Spanier, und dort halten sie Shettys." Alltag im Pferdedorf Lonnig, rund 20 Kilometer westlich von Koblenz, wo Angelika Kruft und ihr Mann Guido wohnen.
Der Begriff "Pferdedorf" ist wörtlich zu nehmen. Wer von der Landstraße abbiegt, passiert auf dem Weg zu Krufts Einfamilienhäuser mit angebauten Ställen; manche mit Roundpen oder Reitplatz. Von den Ausläufen blicken uns neugierig Pferde nach. Auf den Straßen sind Pferdeanhänger abgestellt. Und neben den Mülltonnen für Bio-, Restmüll und Altpapier steht hin und wieder noch ein vollgeladener Pferdemistcontainer.
Seit 1999 wächst das Pferdedorf von Bauabschnitt zu Bauabschnitt
Ein Wohngebiet für Reiter – und ihre Pferde: Dieses Konzept hatte Jens Rombelsheim 1997 vor Augen, Züchter und Besitzer des Gestüts Drachenhof in Lonnig. Seither wächst das Gebiet stetig. 1999 entstand der erste Bauabschnitt, aktuell laufen die Erschließungsarbeiten für den vierten Bauabschnitt, südwestlich vom Haus der Familie Kruft.
Die gehören zu den "Alteingesessenen" in dem Sonderbaugebiet in Lonnig. "Mein Mann hatte damals darüber gelesen. Wir haben uns die Grundstücke angeschaut und recht schnell gekauft", erzählt die 55-Jährige. Gebaut hatten sie aber lange nicht. "Wir hatten unsere Pferde damals in Eigenregie in einem netten Stall. Als wir dort aber raus mussten, haben wir in Lonnig gebaut."
Das ist knapp 13 Jahre her. Guido Kruft und ein befreundeter Architekt (ebenfalls Pferdemensch) planten das Haus, das sich mitsamt Stall ans untere Ende eines Hanges schmiegt. Im gepflasterten Hof steht ein halbvoll beladener Anhänger mit Mist; daneben ein Quad mit Mulchaufsatz für die Weidepflege. Neben dem Klingelschild zeigt schon ein schmiedeeiserner Pferdekopf mit Namensschild: Hier wohnen Pferdeliebhaber. Und Hundeliebhaber: Im großen, offen gestalteten Wohnbereich begrüßt uns neben zwei Dackeln (einer gehört der erwachsenen Tochter Julia) Faro, ein stattlicher, einjähriger Doggen-Rüde. Zwei Schäferhunde gehören ebenfalls noch zur Familie. Sie kamen eher zufällig zu Krufts, wie auch etliche der familieneigenen Pferde.
Leere Boxen gibt’s bei Krufts nur, wenn die Pferde draußen sind
Zu denen führt direkt vom Wohnhaus eine Feuerschutztür. Genauer gesagt: Sie führt in den Stall, in dem sich sechs Boxen mit halbhohen Trennwänden aneinanderreihen – alle leer. So ein Leerstand, sagt Angelika Kruft, herrsche aber nur, weil die Pferde gerade auf der Weide sind: "Ich kann sonst keine freien Boxen haben." Braucht sie auch nicht, Neuzugänge laufen ihr zuverlässig zufällig über den Weg. Etwa der Rappwallach Fabergé, den die Dressurreiterin mit dem Label "extrem schwierig" über Facebook fand – und der mit ihrer Tochter Julia nun in Dressurprüfungen der Klasse M startet. Oder Spanier Ermelo. In den hatte sich Angelika Kruft vor zwei Jahren auf der Equitana verguckt. "Ich wollte nur eine Trense kaufen, aber der hat mich so begeistert – den musste ich einfach mitnehmen." Ihr Mann, gibt Angelika Kruft zu, sei nicht ganz so begeistert gewesen, als sie mit dem dreijährigen Hengst zurückkam; der bewährte sich seither aber als coole Socke beim Sankt-Martins-Umzug und Rinderkursen. Nur auf die Equitana solle sie auf Bitten ihres Mannes nicht mehr gehen, sagt Angelika Kruft schmunzelnd.
Aber wo sind die Pferde nun? Wir durchqueren die Boxen, die auf Paddocks hinausführen. Ein schmaler Weg schlängelt sich von diesen am Wohnhaus entlang zu einem kleinen, etwa 20 auf 20 Meter großen Sandplatz. "Den nutzen wir im Sommer als Reitgelegenheit oder als zusätzlichen Paddock", erklärt Angelika Kruft.
Heute sind die Pferde auf der Weide; ein steiler Pfad führt von den Paddocks hinunter. Dort genießen die Vierbeiner die Wintersonne: Neben Ermelo Angelika Krufts Dressurrentner Piks Liberty, mit dem sie bis zu den Deutschen Amateurmeisterschaften für Rheinland-Pfalz mitritt. Weit vom Rentenalter entfernt sind die acht- und zehnjährigen Rappen, die auf der Parzelle darunter übermütig spielen. Von der Koppel nebenan schauen die beiden Quarter Horses von Guido Kruft zu.
Wer viele Pferde hält, braucht große Grundstücke – oder Zukäufe
Die 5 000 Quadratmeter Weidefläche haben Krufts von einem Landwirt gepachtet. "Wir würden sie gerne kaufen, aber sie muss erst zu Grünland umgewidmet werden. Da sind wir dran, was aber nicht so einfach ist, weil wir keine Landwirte sind." Dass beim Zuschnitt der Grundstücke im Pferdedorf oft zu wenig Platz für Weide oder Paddocks vorgesehen sei, sei nicht ganz so optimal, findet die Dressurreiterin. Gerade wer wie Krufts sechs Pferde hält (ihre erlaubte Maximalzahl, die von der Grundstücksgröße abhängt), braucht eigentlich große Flächen. "Einige Nachbarn haben daher Grundstücke zugekauft, um sie als Weidefläche nutzen zu können."
Was man hingegen im Pferdedorf nicht unbedingt braucht, sind Reitmöglichkeiten. Denn direkt ans Wohngebiet Lonnig schließt sich der Pferdepark Maifeld mit dem Gestüt Drachenhof an: Gegen eine monatliche Nutzungsgebühr, die von Pferd- und Reiteranzahl abhängt, können die Bewohner des Pferdedorfs die Reitanlage nutzen – mit zwei Außenplätzen (je 20 x 60m) und zwei Reithallen (20 x 40 und 20 x 60m).
Der Pferdepark bietet zudem noch Serviceleistungen an; etwa die Mistentsorgung, Lieferung von Heu und Stroh oder eine Urlaubsvertretung. Familie Kruft kümmert sich selbst um diese Dinge; den Mist fahren sie in eine benachbarte Biogasanlage, das Raufutter bringt ein befreundeter Landwirt, der auch bei der Weidepflege hilft. Und wenn Krufts mal ein paar Tage verreisen? "Da springt meist unsere Tochter ein, oder wir helfen uns unter Nachbarn aus", sagt Angelika Kruft. Aber Urlaub steht ohnehin nicht oft an: "Wenn wir hier abends auf der Terrasse sitzen und auf die Pferde schauen – was gibt es denn Schöneres?" Angelika Kruft wohnt mit ihrem Mann, sechs Pferden, vier Hunden, zwei Katzen, Hühnern und Schildkröten seit 2010 im Pferdedorf – für sie ist es ein wahr gewordener Traum.
Wohnprojekte mit Pferden
Lonnig und Rüber: Seit 1999 können in Lonnig Pferdebesitzer Häuser mitsamt Stallungen bauen. Die Grundstücke sind meist zwischen 3 000 und 10 000 Quadratmetern groß. Mehr als 80 Familien wohnen hier und im angrenzenden Gebiet Rüber auf einer Fläche von rund 150 Hektar. Grundstücke für Neubauten sind derzeit noch zu haben (Quadratmeterpreis ca. 100 Euro), mehr Infos unter: www.wohnenmitpferden.de
Dülmen: In der Wildpferdestadt Dülmen gab es ein ähnliches Projekt. Auf einem ehemaligen Kasernenareal entstanden sieben Grundstücke à 2 000 Quadratmeter mit je 2 500 qm Weidefläche. Alle Grundstücke sind verkauft und größtenteils bebaut.