Mia hat mal wieder eine miese Nacht hinter sich. Die Stute ist unkonzentriert, reagiert gereizt auf alles und jeden. East Side hingegen ist alles egal; der Wallach ist völlig apathisch und nimmt seine Umgebung kaum noch wahr. Josy ist das komplette Gegenteil: Die Stute rennt auf der Weide und in der Box ständig hin und her, wirkt regelrecht hysterisch.
Alle drei Pferde haben eines gemeinsam: Sie leiden an einer massiven Schlafstörung. Und die drei sind keine Einzelfälle. Schlafmangel kommt be Pferden viel häufiger vor, als bislang gedacht – mit fatalen Folgen für die Tiere. Das zeigt eine Studie der beiden Tierärztinnen Christine Fuchs und Lena Charlotte Kiefner von der Universität München, die das Schlafverhalten von Pferden untersuchten.
Was fanden die Forscher über Schlafstörungen bei Pferden heraus?

Eigentlich hatten Christine Fuchs und Lena Charlotte Kiefner ein ganz anderes Thema im Blick: die Narkolepsie. Bei dieser Krankheit ist der normale Schlaf-Wach-Rhythmus gestört, weil im Gehirn des Pferde der Botenstoff Hypocretin fehlt. Betroffene Pferde verlieren die Muskelspannung; weil das so plötzlich geht, brechen die Tiere förmlich zusammen. "Man weiß noch sehr wenig uüber Narkolepsie bei Pferden", sagt Christine Fuchs. Treten die Anfälle auch in Ruhe auf oder wie bei narkoleptischen Menschen und Hunden eher in aufregenderen Situationen? Und erkranken tatsächlich auch erwachsene Pferde? Wahrscheinlicher ist bisher, dass nur Fohlen betroffen sind.
Trotzdem hört man landauf, landab in Reitställen von narkoleptischen Pferden, die beim Dösen zusammenbrechen. An diesem Punkt setzten die beiden Forscherinnen an. Ihre Hypothese: Vermeintliche Narkolepsie-Patienten leiden tatsächlich gar nicht an der Krankheit – sondern sind vollkommen übermüdet. CAVALLO unterstützte die Forscher und veröffentlichte im Aprilheft 2014 den Aufruf, dass Pferde für eine Studie über die mysteriöse Schlafkrankheit gesucht würden. Die Tierärzte hofften im Vorfeld auf zehn Kandidaten. Tatsaächlich meldeten sich damals 177 Pferdebesitzer; bis heute sind es über 300. "Ich vermute, dass die Dunkelziffer noch weit höher liegt", sagt Christine Fuchs.
Für die Studie untersuchten die Tierärzte 37 Pferde. Sie überwachten diese per Video und mit einem mobilen Schlaflabor: Die Pferde wurden verkabelt, um Gehirnströme, Augenbewegungen und Muskelspannungen zu messen. Das Ergebnis war eindeutig: "Alle Pferde litten an Schlafmangel", sagt Fuchs. Genauer: an REM-Schlafmangel. Das ist der Traumschlaf; die Abkürzung steht für Rapid Eye Movement, also schnelle Augenbewegungen. Wenn wir träumen, bewegen sich dabei oft unsere Augen schnell hin und her – wie bei Pferden auch.
Damit Pferde träumen können, müssen sie liegen. Denn im REM-Schlaf ist die Muskelspannung sehr niedrig. Darin unterscheidet er sich vom Tief- und Leichtschlaf; diese Schlafstadien sind im Stehen möglich.
Wie entsteht ein Schlafmangel?

Auch wenn Pferde stehend tief und fest schlafen können – um sich körperlich erholen zu können, müssen sie regelmäßig liegen. Gesunde Pferde schlafen pro Nacht etwa drei bis fünf Stunden, davon ein bis drei Stunden liegend. Das Schlafverhalten der Studien-Pferde unterschied sich hingegen deutlich von gesunden Pferden: Die Tiere verbrachten gerade mal 24 Minuten schlafend in Brust- oder Seitenlage. Und das bezog sich nur auf zwei Pferde; die übrigen 35 Tiere legten sich gar nicht zum Schlafen hin! Diese fehlende Regeneration ist für einige Nächte kein Problem; es wird jedoch eines, wenn das Pferd über Wochen oder Monate nicht oder kaum liegt.
Welche Folgen haben Schlafstörungen beim Pferd?
Müde, gereizt, unkonzentriert – Schlafmangel schlägt Pferden auf die Psyche und macht sich wie bei Mia, Josy und East Side im Verhalten bemerkbar. Fehlender REM-Schlaf kann auch gefährliche Verletzungen nach sich ziehen: Nämlich dann, wenn Pferde so übermüdet sind, dass sie stehend in den REM-Schlaf fallen. Dann lässt die Muskelspannung nach – und die Pferde können komplett zusammenbrechen. Exakt dieses Verhalten beobachtete Christine Fuchs bei den untersuchten Pferden immer wieder: Die Pferde ruhten stehend. Dann sanken ihre Köpfe langsam immer tiefer. Die Tiere begannen zu schwanken. Plötzlich knickten sie in den Vorderbeinen ein, fielen auf Fessel- oder Karpalgelenke oder brachen völlig zusammen. "Viele der Tiere hatten Narben oder Verletzungen an den Vorderbeinen oder am Kopf", berichtet Christine Fuchs – typische Anzeichen für Pferde, die an REM-Schlafmangel leiden.
Ein Pferd hatte sogar eine Jochbeinfraktur, eines eine Trümmerfraktur des Schweifs, nach der der Schweif amputiert werden musste – vermutlich wegen eines Sturzes. Und solche Stürze kommen erschreckend häufig vor. Während der 24-stündigen Überwachung zählten Fuchs und Kiefner bei den untersuchten Pferden unfassbare 2328 Kollapse – das sind umgerechnet fast 63 Anfälle pro Pferd. Trauriger Höhepunkt: "Bei einem Pferd zählten wir 199 Kollapse", sagt Christine Fuchs. Das ist im Schnitt einer alle sieben Minuten. Die Pferde kollabierten vor allem nachts, meist zwischen 4 und 4.30 Uhr. "Das entspricht dem normalen Schlafrhythmus bei Pferden", erklärt Fuchs. "Zu dieser Zeit sind gesunde Tiere meist im REM-Schlaf." Die Daten des Schlaflabors zeigten: Auch die Studien-Pferde waren im REM-Schlaf, als sie kollabierten.
Warum legen sich die Pferde nicht hin?
Einer der Hauptgründe ist Stress, etwa nach Stallwechseln. "In unserer Studie konnten wir belegen, dass die Symptome oft nach einem Stallwechsel auftraten", so Fuchs. Bei 36 Prozent der Versuchspferde war zudem die Liegefläche zu klein – auch das kann zu Schlafmangel führen. Schlaflose Nächte drohen in jedem Haltungssystem. In Offenställen stören zum Beispiel Rangordnungsprobleme oder sich oft ändernde Herden den Schlaf, in Boxenställen etwa eine unruhige Umgebung. 23 Prozent der 177 Pferdebesitzer gaben zudem an, dass mehrere Pferde im selben Bestand Anzeichen von Schlafstörungen zeigten – das kann ein Indiz sein, dass das Stallmanagement nicht optimal ist. Auch gesundheitliche Probleme wie Arthrose beeinträchtigen den Schlaf, wenn Pferde nur schlecht aufstehen können.
Wie finde ich heraus, ob mein Pferd gut schläft?
Unser 12-Punkte-Test liefert erste Anhaltspunkte, ob sich Ihr Pferd wirklich ausruhen kann. Tut es das womöglich nicht? Dann beobachten Sie es am besten mehrere Nächte hintereinander per Video. So finden Sie heraus, ob und wie lange Ihr Pferd liegt. Sie können auch das mobile Schlaflabor zu sich in den Stall bestellen (Christine Fuchs, c.fuchs@ tierhyg.vetmed.uni-muenchen.de; Dr. Anna-Caroline Wöhr, Fachtierärztin für Tierschutz, E-Mail: woehr@ lmu.de).
Was kann ich bei Schlafstörungen tun?
Das Wichtigste: Tun Sie auf jeden Fall etwas. "Ich vermute, dass sich das Verhalten nach einer gewissen Zeit automatisiert und nicht mehr ändern lässt", sagt Christine Fuchs. Sprich: Das Pferd legt sich auch dann nicht mehr hin, wenn die Ursache des Schlafmangels behoben ist. Zudem beeinträchtigt der Schlafmangel Pferde körperlich und seelisch. Sieben Studienpferde mussten sogar wegen ihrer Verletzungen oder psychischer Leiden eingeschläfert werden.
Das Schlafproblem zu lösen, kann knifflig sein. Überlegen Sie: Wann haben die Symptome angefangen? Was könnte der Auslöser sein, ein Stallwechsel, eine Krankheit, Trächtigkeit? Lassen Sie Ihr Pferd tierärztlich durchchecken. Wechseln Sie die Einstreu; Pferde liegen lieber auf Stroh als auf Spänen oder Gummimatten. In Offenställen muss die Liegefläche groß genug (zwei- bis dreimal Widerristhöhe im Quadrat pro Pferd), sauber und ruhig sein. Prüfen Sie, ob sich das Verhalten Ihres Pferds ändert, wenn Sie es über Nacht anders als bisher unterbringen, etwa in einer Box oder in einer Gruppe. Hilft alles nichts, denken Sie über einen Stallwechsel nach. Das kann die Schlafstörung kurzzeitig verschlimmern – aber auch verschwinden lassen, wie das Beispiel von drei Studienpferden zeigt: Seit sie den Stall wechselten, schlummern sie wieder erholsam.




