Geweih im Pferdekörper

Der Veterinär entdeckte das Gebilde mit den spitzen Ästen auf der Pirsch – aber nicht im Wald, sondern in der Speiseröhre eines Pferds. Es war der Grund für dessen Schluckbeschwerden. Seitdem hängt das hölzerne Fundstück im Büro von Dr. Scheidemann an der Wand.
Fremdkörper im Pferd sind nicht nur kurios, "sondern ein sehr komplexes Thema", sagt der Pferdefacharzt. Fündig werden er und seine Kollegen vor allem in Hufen, Beinen und am Bauch. Seltsame Entdeckungen machen sie aber auch in Schlund, Darm, Luftsäcken und Luftröhre.
Denn immer wieder fressen Pferde unverdauliche Kost wie Ballennetze oder Draht, spießen sich Nägel in die Sohle, Äste in den Bauch und atmen sogar Dornenzweige ein. Vermeintlich harmlose, kleine Eindringlinge entpuppen sich dabei oft als Zeitbomben.
"Am häufigsten sind eingetretene Nägel, die von unten im Huf stecken", sagt Dr. Dietz Donandt, Fachtierarzt für Pferde und Chirurgie von der Pferdeklinik München-Airport. So ein Stich kann leicht tödlich enden. Je nach Lage können die tiefe Beugesehne, der Hufrollenschleimbeutel, das Hufbein oder das Hufgelenk verletzt werden. "Infektionen sind hier nur schwer in den Griff zu bekommen, weil es viele Aussackungen gibt, in denen die Erreger kaum zu erreichen sind", sagt Professor Lutz-Ferdinand Litzke, Chef der Chirurgie an der Pferdeklinik der Justus-Liebig-Universität Gießen.
Ein Hufnagel im Fesselgelenk

Ein Hufnagel, der auf Abwege geriet, gehört zu Donandts seltsamsten Funden. Er verbarg sich neben dem Fesselgelenk. "Das Pferd hatte sich beim Beschlagen gewehrt. Dabei bohrte sich ein Hufnagel, der durch einen Magneten an der Schürze des Schmieds gehalten wurde, unbemerkt unter die Haut."
Voll auf Draht war Hannoveraner-Stute Sinai von Gaby Böttcher. Im linken Ballen steckte eine Drahtkralle. Das Stacheldraht-Stück war nach einem Unfall, der sich vermutlich 2001 ereignet hatte, nicht aus der Wunde entfernt worden. Die Stute lief damit jahrelang lahmfrei.
"Ebenfalls recht häufig findet man Holzstücke im Bereich der Hufkrone sowie im Bug- und Schulterbereich", zählt Donandt auf. Das können Splitter von hölzernen Trögen oder Weidezäunen sein, aber auch Zweige, die sich beim Ausritt durch den Wald ins Pferd spießen.
Das Tückische am Holz im Bein: "Es ist auf dem Röntgenbild nicht zu sehen; der Tierarzt erkennt es erst bei einer Ultraschalluntersuchung", sagt Professor Litzke.
Tiefe Wunden – Besenstil im Pferdepo

"Solche Verletzungen passieren in der Regel, wenn ein Pferd in Panik gerät und blind überall hineinrennt oder stürzt", erläutert Professor
Litzke, der den gepfählten Patienten rettete.
"Pferdebesitzer sollten aber auch vorsichtig sein, wenn sie im Wald über Zweige reiten", rät Litzke. "Tritt das Pferd mit dem Vorderhuf auf einen gebogenen Ast, kann der hochschnellen und sich in den Bauchraum, die Leistengegend oder die Knieregion bohren."
Ein Ritt durchs Dickicht kann ebenso ins Auge gehen: "Wenn sich Zweige oder Dornen ins Auge spießen und die Hornhaut perforiert wird, besteht die Gefahr einer schwerwiegenden Infektion", so Scheidemann.
Zufallsfunde – Ein Fall für Profis

Dennoch gibt es vereinzelt Vielfraße, die Unverdauliches schlucken. Das kann zu Verstopfungen im Dickdarm und zu Darmverschlüssen führen. Litzke holte selbst schon haufenweise Kirschkerne und Walnuss-Schalen aus verstopften Därmen von Kolikern.
Ein Führstrick lagerte womöglich jahrelang unauffällig im Darm eines Pferds. "Um das Gewebe herum bildeten sich im Laufe der Zeit Darmsteine, was letztlich zum Darmverschluss führte", erzählt Dr. Aleksandar Vidovic, Fachtierarzt für Pferde und Chirurgie.
Manche Pferde futtern auch Folie, die um Silageballen gewickelt ist, oder Kunststoffnetze, die Heu- oder Strohballen zusammenhalten; selbst Socken werden verspeist. Doch nicht immer schluckt das Pferd den Fremdkörper, der ihm Bauchschmerzen bereitet.
Bei der Obduktion eines Kolikers, der eingeschläfert werden musste, tauchte das Geschoss eines Luftgewehrs auf. "Es hatte den Darm verletzt. Äußerlich war keine Wunde zu sehen", erzählt Dr. Aleksandar Vidovic.
Ein Stück Draht, das ein Pferd gefressen hatte, hinterließ umgekehrt ein eiterndes Loch im Bauch. "Das Metall hatte sich durch den Blinddarm in den Bauchraum gespießt und fistelte von dort nach außen", sagt Scheidemann. Der Draht dürfte dem Pferd versehentlich in den Schlund gerutscht sein, als es Heu mit Metall-Einlage schluckte.
Sind Pferde dumm?

Jungpferde nehmen auch aus Neugier alles Mögliche ins Maul und kauen darauf herum.
Dabei entwickeln sie teils seltsame Geschmäcker. So machten sich ein paar Fohlen über ihre Weideumzäunung aus Förderbändern her. "Sie zerkauten den Kunststoffmantel der Bänder, zerrten das Innenleben aus Textilfasern heraus und fraßen diese", erzählt Professor Litzke.
Nicht alles landet indes zwangsläufig vom Maul im Magen. Holz- oder Drahtstücke spießen sich manchmal in Zahnfleisch oder Zunge. Selbst in den Luftsäcken, die Pferden vermutlich als Gehirnkühler dienen, werden die Ärzte fündig. Im linken Luftsack eines Warmblutfohlens steckte ein acht Zentimeter langer Metalldraht.
Eine Brombeerranke im unteren Bereich der Luftröhre entdeckten Tierärzte in Hochmoor. Das betroffene Tier hatte vermutlich mit dem Zweig gespielt, wollte ihn fressen und atmete ihn stattdessen ein.
"Die Dornen steckten wie Widerhaken in der Luftröhre", berichtet Dr. Wolfgang Scheidemann. Die Tierärzte entfernten den Zweig mit selbst gestalteten Gerätschaften, da es für solche Fälle keine vorgefertigten Instrumente gibt. Auf die Fährte des kuriosen Fundes führte die Ärzte nur ein alltägliches Symptom: Das Pferd hustete.
An die Dornenranke erinnert sich Dr. Aleksandar Vidovic gut: "Dr. Scheidemann und ich haben sie damals im Hochmoor entfernt."
Akkupunkturnadel unter der Haut

"Äußerlich war nichts zu sehen. Das Pferd reagierte nur beim Reiten schmerzempfindlich auf den Druck des Sattels."
Dass Injektionsnadeln abbrechen, kommt immer wieder mal vor, wenn sich das Pferd beim Spritzen wehrt. Das ist keine Katastrophe, solange der Tierarzt nicht blind vor Ort drauflosschneidet. "Ohne Ultraschallkontrolle findet man Nadeln so gut wie nie wieder und richtet bei der Suche danach nur Schaden an", warnt Professor Litzke.
OP-Besteck wie Schere oder Skalpell kam dagegen weder Litzke noch Donandt bisher unters Messer. Scheidemann fand lediglich einmal einen Tupfer. Der steckte in einer Wunde, die nicht heilte.
Im Notfall ist der Besitzer am Zug
Wenn ein Fremdkörper in der Hufsohle steckt, sollte dieser sofort herausgezogen werden. So wird verhindert, dass er noch tiefer eindringt. "Bewahren Sie den Gegenstand auf und merken Sie sich Eindring-Richtung und -Tiefe", rät Tierarzt Dr. Dietz Donandt.
An allen anderen Körperstellen ist eigenhändiges Entfernen tabu. Zu groß ist die Gefahr, lebenswichtige Strukturen wie Gefäße und Organe zu verletzen. "Wird ein im Bauch steckender Ast herausgezogen, zerreißt es womöglich den Darm", warnt Professor Lutz-Ferdinand Litzke. Ragt der Zweig weit heraus, sollte man versuchen, ihn vorsichtig zu kürzen.
"Vermutet der Besitzer, sein Pferd habe einen Fremdkörper gefressen, sollte er ebenfalls sofort den Tierarzt rufen", so Dr. Wolfgang Scheidemann. Der rät dann je nach Fall zum Abwarten, zum Abführmittel oder zur Operation. Steckt ein Fremdkörper im Schlund fest, sollte dem Pferd sofort Futter und Wasser weggenommen werden. Den Brocken in Richtung Maul zu massieren, ist riskant, weil dabei empfindliches Gewebe geschädigt werden kann.