Bei Dr. Stephanie Arndt steht das Pferd nicht nur auf dem Flur. Ihr Araber parkt seinen Hintern im Wohnzimmer vor ihrem Fernseher, schaut ihr bei der Arbeit am Computer über die Schulter oder lungert in der Küche vor dem Toaster herum. Seit einem Jahr teilt die Ärztin ihr Haus nun mit Araber-Wallach Nasar. „Manchmal ist das schon etwas anstrengend“, sagt sie. Schuld an Nasars Hauspferdedasein ist Christian.
Als der Orkan voriges Jahr über Norddeutschland hinweg tobte, lag auch Stephanie Arndts Haus in Holt bei Flensburg in seiner Schneise. Das Land ist hier so flach wie der Untersetzer einer Friesentasse. Nichts bremst den Wind – außer den Bäumen um Stephanie Arndts Haus. Christian legte nicht nur eine ganze Baumreihe entlang der Straße um, sondern entwurzelte auch eine Eiche neben Nasars Offenstall. 300 Jahre lang hatte sie allen Stürmen getrotzt.
„Da hatte ich wirklich Angst um Nasar“, erzählt Stephanie Arndt. Als sich kurz darauf der Jahrhundertsturm Xaver ankündigte, funktionierte sie kurzerhand den Eingang ihres 1786 gebauten Bauernhauses zur Pferdebox um, streute ihn dick mit Stroh ein und brachte ihr Pferd hinter festen Mauern in Sicherheit. Drei Tage wütete Xaver. Anschließend musste Stephanie Arndt Nasar mit viel
Zureden überzeugen, wieder ins Freie zurückzukehren.
„Dass er so ein häuslicher Typ ist, konnte ich ja nicht ahnen“, sagt sie. Dass ihr Pferd zum Star werden sollte, weil sie während des Sturms ein Foto von ihm in seinem Schutzraum ins Internet stellte, war allerdings noch weniger absehbar. Das Regionalfernsehen ist seitdem praktisch Dauergast in Holt. Während der Fußball-WM sagte Nasar für eine Zeitung die Ergebnisse der deutschen Nationalmannschaft voraus – und vertat sich nur zweimal.
Sogar der französische TV-Sender TF3 war schon da. Und seit ihr Buch über das Leben mit Nasar erschien, muss Stephanie Arndt für ihr Pferd sogar Autogramme geben.





Medien lieben Nasar
Langweilig wird es dem vierjährigen Araber-Wallach Nasar selten. Zur Not schaut er seiner Besitzerin Stephanie Arndt während seines Aufenthalts im Haus am PC über die Schulter. Kürzlich hielt ein Bus mit 30 Damen eines Kölner Kegelclubs, die Nasar besuchen wollten. „Die Führungen durch das Haus übernimmt Nasar inzwischen selbsttätig“, sagt Stephanie Arndt. Denn der vier Jahre alte Grauschimmel kann auch Türen öffnen und schließen, zum Leidwesen von Stephanie Arndts Hund Aaron und Katze Frieda.
„Die hat er beide schon ein paarmal eingesperrt“, erzählt sie. Ansonsten vertreibt sich der umtriebige Wallach die Zeit im Haus damit, ihren Kleiderschrank oder das Brennholz neu zu sortieren. „Er hat aber noch nichts richtig kaputt gemacht“, sagt Stephanie Arndt. „Trotz seiner 500 Kilo.“ Stubenrein ist er obendrein. „Zum Äppeln geht er in sein dick eingestreutes Zimmer“, erzählt sie. „Ich äpfel dann immer sofort ab und streue neu ein.“ Dass Nasars Verhalten nicht ganz normal ist, ist auch Stephanie Arndt klar.
Nasar ist das erste Pferd der Ärztin. „Ich bin als Jugendliche geritten“, erzählt sie. Das Geld für Reitstunden musste sie sich mit dem Austragen von Zeitungen verdienen. An ein eigenes Pferd war da nicht zu denken. Später kamen allerhand andere Sachen dazwischen: Sie ging als Sportsoldatin zur Marine, promovierte in Medizin und machte gleich noch einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften.
Derzeit arbeitet sie als Ärztin und Forensikerin. „Meine Lieblingsserien sind Navy CIS und CSI.“ Wenn sie Bücher liest, dann Fachliteratur. In ihrem Wohnzimmer reihen sich Medizin- und Wirtschaftsbücher meterlang aneinander. „Mit Romanen kann ich nichts anfangen“, sagt Stephanie Arndt. „Habe ich zweimal versucht.“ Klingt nüchtern, aber für Unterhaltung sorgt ja nun Nasar.






Pferd Nasar mag Menschen
Araber-Wallach Nasar hatte Stephanie Arndt über ein Inserat im Internet gefunden. Das damals sechs Monate alte Hengstfohlen stammte von einem renommierten Araber-Gestüt in Niedersachsen. „Er wuchs völlig normal in einer Herde mit Stuten und Fohlen auf“, berichtet Stephanie Arndt. „Damit er nicht alleine ist, habe ich gleich ein zweites Pferd dazu gekauft“, erzählt sie.
Chevalier de Coeur, ein Holsteiner Hengst, war sogar auf den Tag gleich alt. „Aus dem hat er sich nichts gemacht.“ Auch nicht aus Nachbar-Shetty Fury oder Achal-Tekkiner Galan: „Es ist ja nicht so,
dass er andere Pferde nicht mag. Er interessiert sich bloß nicht besonders für sie.“ Dafür steht Nasar auf Hausmusik. In seinem Stall, also dem richtigen, läuft stets das Radio. „Am liebsten hört er klassische Stücke“, sagt Stephanie Arndt.
Hat Nasar genug, stöpselt er das Radio aus. Ob seine neue Begleiterin eher auf Beyoncé statt Brahms steht, ist unklar. Seit Oktober teilt Olivia, eine acht Jahre alte ehemalige Galopperstute, Nasars Leben. Die findet er offenbar ganz in Ordnung. „Sie ist aber viel mehr Pferd als Nasar“, sagt Stephanie Arndt. „Wenn es ums Futter geht, scheucht sie ihn schon mal weg.“ Dann steht er einmal mehr vor Stephanie Arndts Haustür und klopft mit dem Huf solange gegen die Eingangstür, bis sie ihn rein lässt. „Manchmal bin ich mir nicht sicher“, sagt Stephanie Arndt, „ob Nasar überhaupt weiß, dass er ein Pferd ist.“
Das Buch zum Pferd:

„Nasar: Abenteuer eines Hauspferds“ von Stephanie Arndt erschien bei tredition und kostet 14,99 Euro.





"Nasar lebt pferdegerecht"
Dr. Willa Bohnet ist Verhaltensforscherin an der Tierärztlichen Hochschule Hannover.
CAVALLO: Araber-Wallach Nasar fühlt sich im Haus seiner Besitzerin Stephanie Arndt offenbar wohler als in seinem Stall. Was reitet das Pferd?
DR. WILLA BOHNET: Für Nasar ist das Haus letztlich nur ein Stall. Ob der jetzt Steinboden und Fenster hat oder wie sein Offenstall mit Panelboxen ausgestattet ist, spielt fürs Pferd erst einmal keine Rolle. Dafür lockt Nasars Zweitstall mit ein paar tollen Extras, zum Beispiel Futter und Aufmerksamkeit von seiner Besitzerin und den übrigen Haustieren. Die besonderen Umstände, unter denen er ins Haus kam, spielen sicherlich ebenfalls eine große Rolle: Frau Arndt hat Nasar ja bei einem Sturm ins Haus geholt, nachdem kurz zuvor ein anderer Sturm schwer gewütet hatte. Das Pferd fühlt sich einfach sicher dort.
CAVALLO: Trotzdem würde nicht jedes Pferd so unbefangen in dieser Umgebung sein. Woran kann das liegen?
DR. WILLA BOHNET: Ich denke, da spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Die Zucht etwa: Nasar ist ein Araber, gehört also zu einer Rasse, die für ihr aufgeschlossenes Wesen und ihren Bezug zu Menschen bekannt ist. Frau Arndt hat offensichtlich eine tiefe Bindung zu allen ihren Tieren und beschäftigt sich intensiv mit ihnen. Von Hunden wissen wir zudem, dass sie deutlich neugieriger und »NASAR LEBT PFERDEGERECHTER ALS VIELE BOXENPFERDE« lernfähiger sind, wenn sie in den ersten zwei bis drei Lebensjahren eine Bindung zum Menschen aufbauen und gleichzeitig
viele Umweltreize erleben. Gut möglich, dass es diesen Effekt auch bei Pferden gibt. Bei männlichen Pferden ist die soziale Reife übrigens erst nach dem fünften Lebensjahr abgeschlossen.
CAVALLO: Wie artgerecht ist Nasars Leben als Hauspferd denn nun wirklich?
DR. WILLA BOHNET: Ich glaube, der fühlt sich ganz wohl. Er hat ja die Wahl zwischen Haus und Stall mit Artgenossen. Insofern denke ich nicht, dass Nasar leidet. Außerdem kann er sein Neugier- und Erkundungsverhalten voll ausleben. Damit führt er ein deutlich pferdegerechteres Leben als viele Boxenpferde, die 23 Stunden im Stall stehen.





