Ein kleiner Höcker auf dem Rücken ist praktisch: Er ermöglicht eine Hebelwirkung von Hals und Rücken, hält den Sattel am richtigen Platz und bestimmt wie groß ein Pferd ist. Außerdem hat der Widerrist einen Wohlfühl-Knopf: Beim gegenseitigen Beknabbern entspannen sich Pferde. Biomechaniker, Physiotherapeuten und Verhaltensexperten erklären, welche Bedeutung der Hubbel anatomisch fürs Pferd hat, wie er sich aufs Reiten auswirkt und warum manche Tierärzte Ponys durch Operationen tiefer legen.
Alle pflanzenfressenden Tiere brauchen einen langen Hals, damit sie die Reichweite ihres Mauls maximieren können„, sagt Professor Preuschoft, Biomechaniker aus Bochum. Dieser lange Hals benötigt einen Umlenkarm, der die dicken Halsmuskeln mit wenig Kraft hebt und senkt. “Der Widerrist ermöglicht dem Pferd die Hebelwirkung des Halses um den Rücken aufzuwölben„, sagt Ralf Döringshoff, Physiotherapeut und Trainer B aus dem niedersächsischen Drochtersen. Nur so kann der Hals dem Bauch entgegen wirken, der sonst den Rücken in die tiefe zieht. “Das erkennt man vor allem bei der Nickbewegung in Schritt und Galopp„, sagt Ralf Döringshoff.
Der Widerrist ragt zwischen den Schulterblättern hervor und bildet beim Pferd den Übergang von der Vor- zur Mittelhand. Der leichte Höcker entsteht durch die ersten Dornfortsätze der vorderen Brustwirbel, die bis zu 30 Zentimeter hochragen. Dort setzt das Nackenband an. Auf dem höchsten Punkt des Widerrists sitzt ein Schleimbeutel. Er puffert die Stelle, wo Knochen und Sehnen aneinanderreiben könnten. Scheuert an diesem Schleimbeutel langfristig der Sattel, Longiergurt oder das Fahrgeschirr, entstehen Entzündungen. Im schlimmsten Fall entsteht eine eitrige Widerristfistel.
Am Widerrist liegen dünne Muskeln
Muskeln liegen nur wenige um den Widerrist herum. “Sie verbinden die Vordergliedmaße mit dem Rumpf„, sagt Professor Preuschoft. Dazu gehören der Rhomboideus-Muskel, der die Schulter bewegt und den Hals hebt, der Trapezmuskel, der die Gliedmaßen nach vorne bewegt und der lange Rückenmuskel, der an der gesamten Vorwärtsbewegung beteiligt ist.
Zudem sind die Muskeln, sehr dünn. “Der Trapezius ist nur so dick wie eine DVD„, sagt Ralf Döringshoff. Wie sich der Höcker ausprägt, ist bei jedem Pferd anders: Es gibt hohe, flache, breite und schmale Widerriste. Generell haben großrahmige Pferde mit langem Hals auch einen ausgeprägteren Widerrist als Ponys kurzhalsige Ponys. Züchter wünschen sich einen ausgeprägten Widerrist, der harmonisch in den Rücken verläuft.
Ein zu hoher Widerrist ist für ein Reitpferd ebenso unerwünscht wie ein ganz flacher. Auch Alter und Gesundheitszustand bestimmen, wie ausgeprägt ein Widerrist aussieht. “Gerade bei älteren Pferden wirkt er oft markanter„, sagt Ralf Döringshoff. Das liegt daran, dass im Alter die Muskeln schrumpfen und sich das Fettlager unter der Haut zurückbildet. Meistens senkt sich auch der Rücken etwas ab, so dass der Widerrist optisch mehr hervortritt. Auch sehr junge Pferde, die noch im Wachstum sind, haben zwischenzeitlich einen sehr ausgeprägten Höcker. “Das liegt daran, dass der Hals als letztes wächst„, sagt Ralf Döringshoff.
Langer Hals und großer Widerrist
Im Tierreich gibt es viele Höcker-Tiere. Warum haben Giraffen einen besonders großen und Hunde dafür einen sehr kleinen Widerrist? Generell haben alle Vierbeiner einen Widerrist. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Widerrist-Größe und Kopf-Hals-Gewicht. Je nachdem wie lang der Hals und wie schwer der Kopf ist, desto höher ist auch der Widerrist. Zum Beispiel bei der Giraffe: Sie hat zwar einen recht kleinen Kopf, dafür aber einen langen Hals. Auch Hirsche haben sehr ausgeprägte Widerriste. Sie haben zwar keinen so langen Hals, müssen aber ein schweres Geweih tragen. Hunde haben kaum Widerrist. Sie haben einen kurzen Hals und einen leichten Kopf.

So schonen Reiter den Widerrist
Ein knochiger Widerrist kann auch krankhaft sein. Bei Muskelschwund am Widerrist sprechen Tierärzte von Atrophien. Sie können viele Ursachen haben. Ein schlecht sitzender Sattel, der den Widerrist einengt, kann auf den Trapezmuskel drücken. Damit verhindert er, dass hier Muskeln wachsen. Eine falsche Reitweise kann ebenfalls dahinterstecken, wenn die Substanz rund um den Widerrist schwindet: Reiter, die mit harter Hand gegen das Pferd arbeiten, ziehen sich mitsamt Sattel gegen den Widerrist.
Schon beim Aufsteigen können Reiter dem Widerrist schaden. Der Höcker verhindert zwar, dass der Sattel zur Seite rutscht. Doch ohne Aufstieghilfe ist das ein enormer Kraftakt. Bei einem Wiege-Experiment zeigte CAVALLO im September 2004 zum ersten Mal, welche Kräfte Pferde beim Aufsteigen vom Boden aushalten müssen – und zwar einseitig. Das bringt sie aus der Balance und verdreht ihre Rückenwirbel. Denn der am Pferd hängende Reiter bringt nicht nur sein Gewicht, sondern auch das des Pferds auf die Aufstieg seite: Steigt ein 90 Kilogramm schwerer Reiter auf einen 475-Kilo-
Ha† inger, müssen die linken Beine des Pferds abrupt 479 Kilogramm tragen, wärend auf den rechten nur noch 56 Kilo lasten.
Für den Reiter ist der Widerrist entscheidend, weil er die Sattellage des Pferds maßgeblich
bestimmt. Ist der Höcker zu hoch, braucht der Sattel eine sehr hohe Kammer, weil sonst das Kopfeisen kneift oder der Vorderzwiesel dauerhaft auf den empfindlichen Schleimbeutel drückt. Oft liegt der Schwerpunkt des Sattels auch noch zu weit hinten und lässt den Reiter nach hinten kippen. Bei einem sehr † achen Widerrist gibt es zwar keine Probleme mit dem Kopfeisen, dafür rutscht der Sattel leichter zur Seite oder zu weit nach vorne.
Kritische Hilfsmittel für schwierige Sattellagen
Früher lösten Sattler solche Probleme mit einem Schweifriemen. Der ist heute umstritten, denn er bringt oft neue Schwierigkeiten mit sich: Der Riemen zieht permanent an der Schweifrübe und der Schweif kann nicht mehr locker pendeln. Zudem drückt der Riemen auf die emp’ ndliche Kreuzdarmbein-
Region. Das Pferd verspannt sich im Rücken. Auch Vorgurte, die unter den Sattel geschnallt werden, sind ge” hrlich: Sie drücken auf die Schultermuskeln und verhindern, dass das Schulterblatt nach hinten rotieren kann.
Das Pferd verkrampft und schränkt dadurch seine Bewegungsfreiheit deutlich ein. In den letzten Jahren haben sich Sattler immer besser auf die verschiedenen Pferdetypen eingestellt, die vor allem
im Freizeitreiter-Bereich vertreten sind. Die Sattler bieten mittlerweile für fast jede Problem-Sattellage passende Lösungen ohne Schweifriemen oder Vorgurte. Wer sich gerne ab und zu mal auf den
nackten Pferderücken schwingt, bekommt es ebenfalls mit dem Widerrist zu tun.
Während der Sattel auf runden Pferden mit †flachen Höckern eher schlecht hält, reitet es sich dafür ohne Sattel auf solchen Tieren umso bequemer. Im Gegensatz zu den eckigen und kantigen Pferden: Dort bekommt der Reiter harte Stöße ab. Der Widerrist bestimmt nicht nur Sattellage und Sitzkomfort ohne Sattel, sondern auch die Größe des Pferds. An der höchsten Stelle des Hubbels wird das Stockmaß gemessen, das vor allem für Ponyreiter von Bedeutung ist.
Denn bei Ponyprüfungen dürfen nur Pferde mit einem Stockmaß bis 1,48 Meter starten. Wächst das Pony über dieses Maß hinaus, muss es gegen Großpferde antreten. Das verringert möglicherweise den Verkaufswert und macht deswegen Züchter er… nderisch.

Das Kürzen der Knochen macht Pferde zu Ponys
In der Vergangenheit beschäftigten sich bereits Gerichte und Staatsanwälte mit Fällen, in denen Besitzer ihr Pony operativ tieferlegen ließen. In einem Fall kürzte ein windiger Tierarzt kurzerhand die ersten Dornfortsätze, damit das gute Tier noch in der Ponyklasse starten durfte. Der Fall ging vor Gericht.
Besitzer und Tierarzt argumentierten mit gesundheitlichen Gründen: Knöcherne Zubildungen hätten den Eingriff nötig gemacht. Die Röntgenbilder dazu waren allerdings verschwunden. Der Besitzer wurde schließlich aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Ebenfalls eine gängige Praxis, um das Pferdchen zu schrumpfen: die Hufe so kurz wie möglich raspeln. Dabei steigt allerdings die Gefahr, dass das Pony gar nicht mehr läuft – wegen Hufederhautentzündung.
Der Widerrist spielt nicht nur fürs Reiten und den Reiter eine große Rolle, sondern auch für Pferde untereinander. Hier sitzt nämlich ein wichtiger Wohlfühl-Knopf. “Bei der gegenseitigen Fellpflege, das Grooming genannt wird, beknabbern sich Pferde vor allem den Widerrist„, sagt Marlitt Wendt, Verhaltensexpertin aus Großhansdorf in Schleswig-Holstein.
Kraulen am Widerrist beruhigt das Pferd
Verhaltenswissenschaftler haben bei Studien herausgefunden, dass sich die Herzfrequenz der Tiere durchs Kraulen deutlich verringert. Pferde machen dabei ein sogenanntes Genussgesicht: Sie dehnen den Hals, schließen halb die Augen und recken die Oberlippe vor, die meistens rhythmisch mitzuckt. Wahrscheinlich lassen sich Pferde diese Stelle besonders gerne von anderen krabbeln, weil sie sich hier nur schwer selbst kratzen können. Pferde sind sehr soziale Tiere und lieben es, sich gegenseitig zu pflegen.
Damit bekämpfen sie Juckreiz oder unterstützen den Fellwechsel. Beim Grooming werden zudem indungen zwischen Pferden geknüpft und vertieft. In kleineren Gruppen beknabbert sich oft jeder mal mit jedem. In größeren Gruppen gibt es Favoriten. Die Annäherung zur sozialen Fellp ege läuft zwischen Pferden immer nach einem ähnlichen Schema ab: Ein Pferd nähert sich mit gespitzten Ohren, leicht geöffnetem Maul und hängender Unterlippe.
Den Wohlfühl-Knopf am Höcker können sich auch Reiter zunutze machen. Sie verbessern ihre Bindung zum Pferd, indem sie das Kraulen imitieren. Fohlen lieben solche Verwöhneinheiten besonders. Aber auch erwachsene Pferde genießen es. Selbst beim Reiten lohnt sich ein Gri. an den Widerrist: Ein kurzes Krabbeln beruhigt aufgeregte Kandidaten oder belohnt eifrige Tiere. Beim Sexualverhalten der Pferde spielt der Widerrist ebenfalls eine Rolle. Hengst und Stute beknabbern sich, wenn sie sich annähern. Während des Deckakts packt der Hengst die Stute am Widerrist oder am Mähnenkamm. Beim Kampf zwischen zwei Hengsten geht es ruppiger zu. “Bisse in den Widerrist sind sehr schmerzhaft„, sagt Marlitt Wendt.
Beim sogenannten Ringen versuchen die beiden Kontrahenten, sich gegenseitig mit dem Hals zu umrunden und den Widerrist des Gegners mit den Zähnen zu packen. So zwingen sie sich zu Boden. Normalweise sind Rangeleien zwischen Hengsten jedoch reine Schaukämpfe. Sie laufen nach strengen Regeln ab und nur selten kommt es zu schweren Verletzungen. Clevere Reiter gehen mit dem Widerrist ihres Pferds sorgsam um. Der Höcker ist schließlich die Höhe – ein anatomisch wichtiges Multitalent mit Wohlfühlfaktor.
