Unerkannt krank
Tückische Pferde-Krankheiten und ihre Anzeichen

Wenn sie doch nur sprechen könnten! Viele Pferde leiden unbemerkt. Tierärzte zeigen, welche Krankheiten tückisch sind und auf welche Anzeichen Reiter achten sollten.

Unerkannt krank
Foto: Lisa Rädlein

Lahmheiten bei denen das Pferd nicht lahmt. Asthma, die dem das Pferd nicht hustet. Tumore, die von außen keiner sieht. Oft sind unsere Pferde krank oder haben sogar Schmerzen, ohne dass wir Reiter davon wissen. Das ist gefährlich: Denn je weiter eine unentdeckte Krankheit fortschreitet, desto länger leidet das Pferd. Zudem steigt das Risiko für irreparable Schäden. Ganz klar, das will kein Pferdebesitzer – aber was kann er gegen versteckte Krankheiten tun? Auf welche Anzeichen sollte er achten, und wann muss der Tierarzt kommen? CAVALLO fragte drei Tierärztinnen mit unterschiedlichen Fachgebieten, welche Krankheiten bei Pferden typischerweise lange unentdeckt bleiben – und warum.

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Diese tückischen Krankheiten sollten Pferdehalter kennen
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Oft fällt es Reitern nach der Diagnose des Tierarztes wie Schuppen von den Augen: Sie erkennen, dass sich etwa das Verhalten des Tiers geändert und schon lange auf das Problem gedeutet hatte. Etwa, wenn das Pferd plötzlich beim Gurten beißt oder unterm Sattel nicht mehr vorwärts will. Widersetzlichkeit ist ein klassisches Beispiel für ein Symptom, das nicht als solches erkannt wird. "Klar gibt es auch bockige Vierbeiner. Aber bei deutlich über der Hälfte aller Pferde steckt Schmerz dahinter", meint Tierärztin Dr. Heike Kühn. Welche Symptome typisch sind für häufig unentdeckte Krankheiten und worauf Sie achten können, damit Sie solchen Leiden schneller auf die Spur kommen, erfahren Sie auf den folgenden Seiten.

Unerkannt krank
Lisa Rädlein
„Mein Pferd war früher flotter im Gelände unterwegs. Jetzt ist es vor allem auf dem Heimweg oft richtig faul. Manchmal steige ich dann ab und führe“ Unerkanntes Symptom: Nachlassende Kondition kann ein Anzeichen für eine Atemwegserkrankung sein.

Atemwegsprobleme

Equines Asthma ist der Oberbegriff für einige nicht-infektiöse Erkrankungen der tiefen Atemwege wie IAD (Inflammatory Airway Disease) und RAO (Recurrent Airway Obstruction). "Bei Stallhaltung kämpft etwa jedes zweite Pferd mit Atemwegsproblemen", sagt Dr. Heike Kühn. Staub und schlechte Belüftung setzen der Lunge zu.

Warum das Leiden oft unerkannt bleibt

Ein wichtiges Anzeichen ist verminderte Leistungsfähigkeit. Die zeigt sich, wenn die Tiere viel Sauerstoff für die geforderte Leistung benötigen. Rennpferde werden nach der ersten halben Meile langsamer, Springpferde werfen Stangen vor allem im letzten Drittel des Parcours ab. Bei Freizeitpferden ist verminderte Leistung weniger offensichtlich. Sie werden selten so gefordert, dass sie aus der Puste sind. Wenn ein Tierarzt sie untersucht, sind sie oft bereits schwer erkrankt.

Hinzu kommt: "Rund 40 Prozent der Pferde mit Atemwegserkankungen husten nicht", weiß Dr. Heike Kühn. Husten ist wie eine Putzkolonne und fegt Schleim aus den Atemwegen. Aber nicht alle Pferde mit Asthma bilden übermäßig Schleim. Bei Sportpferden beobachtet die Tierärztin ein weiteres Phänomen: Es ist eine weit verbreitete Maßnahme, bei nachlassender Leistungsfähigkeit Kortison in die Gelenke der Pferde spritzen zu lassen. Wenn das Pferd beim Reiten wieder besser zieht, ist der Besitzer glücklich – und ahnt nicht, dass das wenig mit den Beinen zu tun hat. "Das Pferd bekommt endlich wieder Luft, denn das Mittel wirkt ausgezeichnet auf die Lunge."

Wie Reiter genau hinschauen

Senkt das Pferd oft beim Antraben ruckartig den Kopf, deutet das auf eine Erkrankung. Viele Reiter verkennen das und meinen, es schnaube doch nur ab oder verschlucke sich. "Aber kein Tier schnaubt so stark, dass es einem die Zügel aus der Hand zieht. Dahinter steckt Husten", meint Dr. Heike Kühn. Beobachten Sie das Pferd auch nach dem Training. Bei kranken Tieren läuft oft die Nase, wenn sie wieder Ruhe bekommen und grasen. "Manche Pferde schlucken Schleim auch runter."

Schauen Sie zudem in die Nüstern: Vorn ist die Haut schwarz, weiter hinten rosa. Die Trennung sollte wie ein klarer Strich sein. "Bei kranken Tieren verliert die Haut Pigmente, der Übergang verschwimmt." Klare Flüssigkeit in den Nüstern ist normal. Sie befeuchtet die Atemwege. Schaum beim Reiten entsteht durch die Bewegung, die das Eiweiß darin aufquirlt wie ein Milchaufschäumer – kein Grund zur Sorge. Nimmt das Pferd ab, obwohl es viel Futter bekommt, kann Asthma der Grund sein. Kranke Pferde verbrauchen 60 Prozent der aufgenommenen Energie fürs Atmen.

Wann muss der Tierarzt kommen?

Stellen Sie Symptome fest, sollte ein Tierarzt die Lunge untersuchen (kein Notfall). Bleibt das Leiden unbehandelt, baut sich das Lungengewebe um. Die Krankheit kann schlimmer und chronisch werden.

Unerkannt krank
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„Wir müssen unbedingt an der Geschmeidigkeit arbeiten. Mein Pferd lässt sich links plötzlich schlecht stellen und biegen“ Unerkanntes Symptom: Rittigkeitsprobleme sind ein Symptom von Lahmheiten. Der Schmerz in den Beinen kann sich auf den ganzen Körper ausweiten.

Lahmheiten

Hufgelenksentzündung

Huf-, Strahl- und Kronbein bilden zusammen das Hufgelenk. Akute Entzündungen durch Nageltritte erkennt der Besitzer meist schnell – das Pferd lahmt stark. Weniger deutlich sind chronische Entzündungen durch Überlastung oder Fehlstellungen. Mögliche Folgen: Knochenwucherungen, welche die Beweglichkeit des Gelenks einschränken.

Warum dieses Leiden oft unerkannt bleibt

Das Pferd hat einen Unfall und lahmt – solche klaren Zusammenhänge gibt es bei den meisten orthopädischen Problemen nicht. "Viele Lahmheiten kommen schleichend", meint Dr. Wiebke Schulte von der Pferdeklinik im Tiergesundheitszentrum Isernhagen. Bei Hufgelenksentzündungen ist es nicht selten, dass beide Vorder- oder Hinterbeine betroffen sind; ebenso bei Hufrollenentzündungen. Normalerweise stützt sich ein Pferd bei Schmerzen auf das gesunde Bein, um das kranke Bein zu entlasten. "Wenn beide Beine schmerzen, geht das nicht", weiß die Tierärztin. Das bedeutet: Die Stützbeinlahmheit als typisches Symptom fällt weg.

Wie Reiter genau hinschauen

"Bewegt sich das Pferd anders als sonst und ist plötzlich nicht mehr so rittig, sollten Reiter aufmerksam werden", rät Dr. Wiebke Schulte. Vertrauen Sie auf Ihr Gefühl. Oft sagen Reiter später, dass sie eigentlich bemerkt haben, dass ihr Pferd ein anderes Gangbild hat: Es trabt nicht mehr so raumgreifend wie zuvor, die Schritte sind tippelig, der Gang klamm, das Tier stolpert oft. Vielleicht lahmt das Pferd mal links, mal rechts – und dann wieder gar nicht. Achten Sie auch darauf, ob das Pferd gleichmäßig bemuskelt ist oder am Rücken empfindlich auf Berührung reagiert. Schmerzen in den Beinen können zu Blockaden der Wirbel führen.

Wann muss der Tierarzt kommen?

Ein Pferd darf sich mal vertreten und lahmen. "Dann holt man ohnehin den Tierarzt und lässt das Pferd checken. Es kann auch drei Wochen dauern, bis es wieder gut ist", sagt Dr. Schulte. Aber: Wiederkehrende Probleme sind nicht normal. Eine große Lahmheitsuntersuchung geht den Ursachen gründlich auf den Grund. "Sie ist auch sinnvoll, wenn das Pferd gar nicht lahmt, sondern nur verändert läuft", meint die Tierärztin. Eine frühzeitige Therapie und ein guter Beschlag ersparen dem Pferd lange Schmerzen. Die Tierärztin rät bei lang anhaltenden Lahmheiten zudem zur chiropraktischen Behandlung, um mögliche Blockaden zu lösen.

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„Beim ersten Antraben senkt mein Pferd oft den Kopf und zieht mir ruckartig die Zügel aus der Hand“ - Unerkanntes Symptom: Dieses Verhalten kann auf Equines Asthma deuten.

Tumore

Malignes Lymphom ist der Fachbegriff für eine bösartige Tumorerkrankung des Lymphsystems. Das Lymphom zählt zu den fünf häufigsten Tumoren beim Pferd.

Warum das Leiden oft unerkannt bleibt:

"Pferde sind extrem leidensfähig. Oft werden sie erst dem Tierarzt vorgestellt, wenn die Krankheit weit fortgeschritten ist", sagt Dr. Rosa Barsnick, Fachtierärztin für Innere Medizin. Lymphome in Brust- und Bauchhöhle sind von außen nicht sichtbar. " Im Blutbild geben niedrige Pro- teinwerte oder ein hoher Anteil an Lymphozyten dem Tierarzt Hinweise."

Wie Reiter genau hinschauen

Lymphompatienten zeigen mäßigen oder wechselhaften Appetit. Das Pferd wirkt matt, erschöpft. "Viele messen dann Fieber, weil ihr Pferd ihnen komisch vorkommt", sagt Dr. Barsnick. Die Temperatur ist immer mal wieder erhöht zwischen 38,5 und 39 Grad. Möglicherweise hat das Pferd am Bauch Wassereinlagerungen und Gewichtsverlust.

Wann sollte der Tierarzt kommen?

Auch wenn es zwischendurch immer wieder eine Besserung zu geben scheint, rufen Sie den Tierarzt. "Die Heilungschancen sind schlecht bei Lymphomen", weiß Dr. Rosa Barsnick. "Aber zumindest können wir Schmerzen lindern und Leid ersparen."

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„Mein Pferd haut nicht mehr so rein wie früher. Mal futtert es alles, dann wieder kaum einen Halm“ Unerkanntes Symptom: Reduzierter Appetit kann ein Zeichen für eine Krebserkrankung des Lymphsystems oder eine Mittelohrentzündung sein.

Ohrenentzündung

Otitis Media ist eine akute Infektion des Mittelohrs, die sich bis in den Luftsack ausbreiten kann.

Warum das Leiden oft unerkannt bleibt

Es ist keine Flüssigkeit oder Schmalz im äußeren Ohr sichtbar. "Oft kommen Patienten mit Verdacht auf Kolik oder Zahnproblemen zu uns in die Klinik, weil sie nicht mehr richtig fressen oder kauen", sagt Dr. Rosa Barsnick.

Wie Reiter genau hinschauen

Langsames Fressen, gesenkter Kopf, manchmal leichter Nasenausfluss, Kopfschütteln oder wechselweise erhöhte Temperatur weisen Reiter auf das Leiden hin.

Wann muss der Tierarzt kommen?

So bald wie möglich, damit das Pferd nicht unnötig leidet. Mit einem Endoskop kann der Veterinär die Krankheit aufspüren und kontrollieren. "Das Pferd bekommt über mehrere Wochen Antibiotika und Schmerzmittel", erklärt Dr. Barsnick. Heilung ist möglich. Wird das Pferd nicht behandelt, drohen Verknöcherungen und das Gesicht kann gelähmt sein.

Unerkannt krank
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„Seit Kurzem hat sich mein Pferd was Blödes angewöhnt: Es zickt auf einmal beim Nachgurten, obwohl ich alles mache wie immer“ Unerkanntes Symptom: Unmut beim Gurten kann ein Anzeichen für Magengeschwüre sein.

Magengeschwüre

Equine Gastric Ulmer Syndrome

Lange Fresspausen, zuviel Getreide oder Stress in Haltung oder Training sorgen dafür, dass die Schleimhaut im Magen angegriffen wird: Die Magensäure verursacht Entzündungen und im schlimmsten Fall einen Magenulkus. Auch die Speiseröhre kann betroffen sein. Studien zufolge leiden rund 54 Prozent der Freizeitpferde an solchen Erkrankungen.

Warum das Leiden oft unerkannt bleibt

"Die Symptome sind sehr unter- schiedlich" sagt Dr. Wiebke Schulte. Laut der Tierärztin werden vor allem Anzeichen wie Verhaltensauffälligkeiten wie Unmut beim Gurten als Unlust oder Zickigkeit gedeutet. Was auch oft unterschätzt wird: Selbst kurzer Stress, wie eine Fahrt im Hänger oder Streit in der Herde, reicht, um Magengeschwüre auszulösen.

Wie Reiter genau hinschauen

Schaut das Pferd öfter zum Bauch? Hat es Durchfall? Frisst es mit weniger Appetit? Bleibt Futter liegen? Was wie Koliksymptome scheint, kann auch auf Magengeschwüre deuten. Ebenso sind Koppen, Unlust (Leistungsabfall), Beißen oder Drohen beim Nachgurten mögliche Anzeichen. "Es können mehrere Symptome auftreten oder nur einzelne", sagt Dr. Wiebke Schulte.

Wann muss der Tierarzt kommen?

Bei Koliksymptomen sollten Sie sofort den Tierarzt rufen. Tatsächlich leiden Pferde mit Magengeschwüren häufiger unter Koliken. Ob Magengeschwüre dahinter stecken, klärt eine Gastroskopie (Magenspiegelung). Der Tierarzt kann wirksame Medikamente verabreichen. Eine Behandlung dauert drei bis vier Wochen.

Die Expertinnen

Dr. Heike Kühn leitet das Immunologische Zentrum für Pferde in Truchtlaching. Die Lungenspezialistin hält Fachvorträge an Kliniken und Unis. www.immun-pfer.de

Dr. Rosa Barsnick ist Fachtierärztin für Pferde und leitet die Abteilung Innere Medizin an der Pferdeklinik Burg Müggenhausen. www.pferde-klinik.de

Dr. Wiebke Schulte ist Fachtierärztin für Pferde am Tiergesundheitszentrum Isernhagen. Zuvor forschte sie zur Pferdechirurgie/-orthopädie. www.isernhagener-tierklinik.de

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6 / 20253

Erscheinungsdatum 17.05.2023