Schon wieder Schweif waschen! Wallach Amor fließt regelmäßig braune Flüssigkeit aus dem Hinterteil: meist vor oder nach dem Äpfeln, teils währenddessen, manchmal beim Pupsen. Anfangs dachte die Besitzerin des 17-jährigen Warmblüters, es sei Durchfall.
Doch der Pferdekot hatte eine normale Konsistenz. Die Reiterin rief Dr. Inka Kreling-Boysen. Für die Tierärztin ein klarer Fall: Das Pferd leidet unter Kotwasser.
Was verursacht Kotwasser?
Kotwasser ist keine Krankheit, sondern ein Symptom: Es zeigt, dass das Pferd physisch oder psychisch mit etwas nicht zurecht kommt, wie Futter oder Stress.
Die braune Brühe ist zwar ein häufiges Problem bei Pferden in Deutschland, aber es gibt nur wenige Studien zu den Ursachen. Forscher vermuten eine Parallele zur menschlichen funktionalen gastrointestinalen Störung (FGID).
Dabei besteht eine Dysfunktion der neurologischen Achse zwischen Darm und Gehirn. Das bedeutet: Störungen im Gehirn können sich auf die Darmgesundheit auswirken – und andersherum. Beim Pferd vermuten Wissenschaftler, dass eine chronisch geringfügige Entzündung des Darms an der Entstehung von Kotwasser beteiligt ist.

Details zu den Ursachen für Kotwasser fand eine wissenschaftliche Untersuchung heraus: Carolin Zehnder unteruchte für ihre Doktorarbeit an der Ludwig-Maximilians-Universität München Kotwasser-Patienten. Sie wertete für diese Studie die Daten von 42 Pferden aus.
50 Prozent der Tiere litten ständig unter Kotwasser, 30 Prozent nur im Winter und zehn Prozent nur beim Start der Weidesaison. "Auch in meiner Fahrpraxis häufen sich im Winter die Fälle", bestätigt Dr. Inka Kreling-Boysen, dass veränderte Fütterung ein Grund für Kotwasser sein kann. Eine schwedische Studie (2019) belegt: Oft tritt Kotwasser bei Umstellung von Silage auf Heu auf.
Als zweiter Grund gilt sozialer Stress: Pferde leiden oft unter Kotwasser, nachdem sie in einen neuen Stall umgezogen sind. Viele Tiere mit Kotwasserproblematik sind laut der Studie von 2009 zudem rangniedrig – ein weiterer Stress-Faktor. Was bekannt ist: Stress beeinflusst über die Hormone Cortisol und Adrenalin die Entwicklung der Darmflora und die Durchblutung des Darms. Er wirkt sich also auf die Verdauung aus.
Wie macht sich das Problem beim Pferd bemerkbar?
Kotwasser ist Flüssigkeit im Darm, die durch Darmbewegungen nach außen rinnt. Das ist eher aufgrund der Folgen unangenehm fürs Pferd: Bei Wallach Amor muss die Besitzerin etwa jeden Tag Schweif und Hinterbeine waschen. Sonst drohen Hautentzündungen rund um den After und entlang der Kotwasserspuren an den Hinterbeinen.

Ansonsten leiden die meisten Patienten im Normalfall kaum darunter. Die Figur bleibt meist unverändert, viele Tiere haben sogar glänzendes Fell. "Zum Teil ist der Absatz von Kotwasser aber mit Blähungen kombiniert, so dass es auch einmal zu leichten Krampfkoliken kommen kann", weiß Dr. Kreling-Boysen.
Mangelerscheinungen treten selten auf. Zwar kann die Aufnahmekapazität von Kalzium, Phosphor und Magnesium reduziert sein, aber der Körper hat davon große Reserven. Kritisch kann es für Fohlen und Mutterstuten werden; gerade Fohlen brauchen viel Kalzium.
Wie lange das Kotwasser anhält, ist unterschiedlich. Manchmal verschwindet es nach ein paar Tagen. Das war so in einem Stall mit 25 Pferden, in den Inka Kreling-Boysen gerufen wurde. Fast alle Tiere litten unter Kotwasser. Die Tierärztin fragte nach, welche Veränderungen es gegeben hatte: Das Heu war gewechselt worden.
Sie prüfte die Qualität: Das Futter roch gut und war auch nicht schimmelig. Trotzdem brachte die Umstellung auf anderes Heu den Erfolg: Das Kotwasser verschwand. "Das Heu muss gar nicht unbedingt von schlechter Qualität sein. Manchmal reicht schon eine andere Struktur und Zusammensetzung des Futters, und die Pferde reagieren mit Kotwasser", erklärt die Tierärztin.
Manche Pferde haben ständig Kotwasser, wie Wallach Amor. Er ist seit rund zweieinhalb Jahren in Behandlung. "Die Kotproben waren stets in Ordnung. Die Besitzerin verabreichte diverse Mittel, aber das Pferd hat immer wieder mit dem Problem zu tun", erzählt Dr. Kreling-Boysen; kein ungewöhnlicher Fall.
Wer gehört zu den Risikopatienten?
Bei den 42 Studien-Pferden waren Wallache im mittleren Alter (rund 13 Jahre) und Schecken häufig betroffen. Allerdings wurden auch alle Schecken als rangniedrig eingestuft; die Forscher diskutierten daher in der Studie, dass vermutlich eher Stress als die Fellfarbe ein Risikofaktor ist.
"Mir begegnen im Praxis-Alltag Fälle querbeet durch die ganze Mannschaft: Bei dicken und dünnen Patienten, bei Pferden mit Topfiguren, Tinkern, Warmblütern und Ponys ", bestätigt Dr. Inka Kreling-Boysen.
So behandeln Tierärzte
Weil die Auslöser für Kotwasser so vielschichtig und facettenreich sind, gibt es auch kein Patentrezept für die Behandlung. "Für Tierärzte ist die Spurensuche herausfordernd", sagt die Expertin, "und oft auch frustrierend." Um Anhaltspunkte für die Behandlung zu gewinnen, checken die Tierärzte folgende Fragen:
- Ist das Pferd mangelernährt?
- Bekommt es zu wenig Auslauf?
- Gibt es Stress in der Gruppe?
- Hat es Zahnprobleme?
- Hat das Pferd Parasiten?
- Hat es Sand im Dickdarm?
- Hat das Pferd Magen- und Darmprobleme, wie Magengeschwüre, Gastritis oder das Leaky Gut Syndrom? Mögliche Anzeichen sind: Lethargie, Aggression, schlechte Rittigkeit, ein aufgegaster Bauch, Untergewicht, mattes Fell und eine schlechte Hornqualität.
Bei Amor steht demnächst eine Futteranalyse an. Mögliche weitere Schritte sind eine Gastroskopie, eine Rektumbiopsie und Ultraschall des Abdomen, um etwa Wandverdickungen und Veränderungen des Magens oder Darms festzustellen. "Man kann nur Schritt für Schritt vorgehen und sich so den Ursachen nähern", meint die Tierärztin.
Was können Besitzer tun?
Da Stress eine Rolle spielt, sollten Besitzer ihr Pferd gezielt beobachten. Im Aktivstall sind folgende Stressfaktoren möglich: Wechsel in der Gruppenzusammenstellung und Rangkämpfe, zu kleine Liegeflächen, unzureichende Unterstellmöglichkeiten mit nur einem Zugang und Futterneid.
In der Box kann der giftige Nachbar nerven. Oder dem Pferd fehlt Auslauf. "Es gibt kein Pauschalrezept für zufriedene Pferde. Ich rate, individuell aufs Pferd zu schauen, womit es sich wohl fühlt."
Für die Fütterung gilt: Pferde brauchen ausreichend Raufutter. Bei Heu empfehlen sich mindestens 1,5 kg pro 100 kg Körpergewicht. Als Probiotika eignen sich Bierhefe, Sojabohnenschalen und Yea Sacc (Lebendhefe). Sie sollen die Zellwand im Darm unterstützen und die Bildung positiver Bakterien fördern. Allerdings gibt es bisher keinen wissenschaftlichen Beleg, dass Störungen in der Mikroflora Kotwasser auslösen.

Bei Wallach Amor riet Dr. Inka Kreling nach Absprache mit Fütterungsprofi Dr. Ingrid Vervuert von der Uni Leipzig zu Karottenschnitzeln. Diese enthalten Pektine, die möglicherweise die Darmflora und Wasserbindungsfähigkeit des Kots positiv beeinflussen.
Bei einem anderen Patienten mit Kotwasser schlug das Futter an – bei Amor nicht. "Das ist wie ein Kotwasser-Lotteriespiel: Bei zwei Pferden hilft das Futter, bei den nächsten 50 nicht", meint Dr. Inka Kreling-Boysen.
Die Tierärztin warnt zudem vor ständigem Futterwechsel. Das kann den Darm zusätzlich belasten, denn er braucht mehrere Wochen, um sich umzustellen.
Tipp: Reiter können den pH-Wert des Kotwassers mit Mess-Streifen aus der Apotheke ermitteln. Bei niedrigem, also saurem pH-Wert kann Bierhefe hilfreich sein. Sie wirkt basisch.
Durchfall oder Kotwasser?
Bei Kotwasser sind die Äpfel meist fest und haben einen normalen bis erhöhten Trockensubstanzgehalt. Bei Durchfall ist der Kot flüssig. Kotwasser ist nicht gebundenes Wasser mit löslichen Nährstoffen und freien Fettsäuren.
Im Dickdarm des Pferds bilden sich die Kotballen. Dort wird dem Nahrungsbrei auch Wasser entzogen. Dieses System ist störungsanfällig: Schon geringe Veränderungen in Zufluss und Absorption von Wasser im Verdauungstrakt können zu Kotwasser führen.