Die Atmung funktioniert wie ein Spiegel ins Pferd. Das weiß auch Verhaltensforscherin und Trainerin Dr. Vivian Gabor: "An ihr erkenne ich, ob mein Pferd sich wohlfühlt, überfordert oder krank ist. Darum habe ich die Atmung immer im Blick".
Gesteuert wird sie vom vegetativen Nervensystem, das für autonom ablaufende Prozesse im Körper zuständig ist. Geraten Pferde in Stress, schaltet sich der Sympathikus, ein Nervengeflecht im Rückenmark, zu. Er fährt die Durchblutung hoch und erhöht die Atemfrequenz. Bronchien und auch die Nüstern weiten sich, die Atmung wird flacher.
Bei zu viel Druck zeigt die Atmung Stress an
Bei sehr sensiblen Pferden kann es dafür reichen, dass der Mensch seine Körperspannung erhöht. Dr. Vivian Gabor erlebte das bei einem ängstlichen Haflinger. "Kaum zeigte ich bei der Bodenarbeit mehr Präsenz, hörte ich ihn im Schritt bereits heftig atmen." Andersherum kann tiefes, bewusstes Ausatmen das Pferd animieren, durchzuschnaufen und loszulassen.
Messen, sehen, spüren: Die Pferdeatmung beobachten
Um ein Gefühl für die Atmung zu bekommen, hilft es, Atemzüge zu zählen. Achten Sie dabei auf die Bewegung von Brustkorb und Flanken. Am einfachsten geht das von schräg vorne und beim Ausatmen. Grundsätzlich bewegen sich Bauch und Brustwand bei einem normal atmenden Pferd nur leicht.
Bei Erkrankungen wie chronisch allergischem Husten ziehen sich die Muskeln in den Rippenzwischenräumen beim Einatmen zusammen, die Rippenbögen tauchen auf. Beim Ausatmen pressen die Pferde mit Hilfe der Bauchmuskeln die Luft aus der geschädigten Lunge. Beides hört und sieht man.

Stoppen Sie die Atemfrequenz mit Handy oder Helfer, indem Sie für 20 Sekunden immer beim Ausatmen die Atemzüge mitzählen. Multiplizieren Sie den Wert mit drei. Bei leichter Belastung kommt ein Großpferd auf 10 bis 30 Atemzüge pro Minute, bei mittlerer Anstrengung steigt der Wert auf 30 bis 70 und bei Höchstleistungen auf bis zu 150. Die erhöhte Atemfrequenz sollte innerhalb von 15 bis 30 Minuten wieder den Ruhewert von 8 bis 16 Atemzügen/Minute erreichen. Neben hoher Arbeitsbelastung können auch Hitze oder Stress die Atmung beschleunigen.
Um Atemwerte einzuordnen, ist laut Gabor das Gesamtbild entscheidend. Dazu zählt die Mimik: Eine zugekniffene Maulspalte, ein Dreieck über den Augen oder angespannte Kiefermuskulatur verraten, das etwas nicht stimmt. Übrigens: Wenn Reiter im Sattel meinen, den Herzschlag zu fühlen, ist das meist die Atmung. Spüren Sie ihr nach! Am besten mit geschlossenen Augen.

Wie Atmung und Bewegungsrhythmus zusammenspielen
Der Atem ist wie ein Taktstock – vor allem im Galopp. Nur in dieser Gangart ist die Atmung direkt an die Bewegung gekoppelt: Bei jedem Sprung nimmt das Pferd einen Atemzug. Es atmet ein, wenn sein Hinterbein am Boden und die Vorderbeine in der Luft sind. Es atmet aus, wenn die Vorderbeine den Boden wieder berühren.
Die Schaukelbewegung lässt die Eingeweide in dieser Phase vorrutschen und auf das Zwerchfell drücken, dieses gibt den Druck auf die Lungenflügel weiter und zwingt zum Ausatmen.

Alles, was den Atemrhythmus in seinem Fluss stört, schubst auch den Galopp aus dem Takt. Vom ängstlich klemmenden Bein über zu starke oder im falschen Augenblick gegebene treibende Hilfen bis zur groben Hand sind zig Störquellen möglich, die das Pferd unter Spannung setzen, den Atem stolpern lassen und den Takt stören, bestätigt Ausbilderin Andrea Bethge.
Trotzdem verhilft gerade die Galopparbeit Pferden zu mehr Takt und Losgelassenheit. Weil Pferde im Übergang zum Trab den langen Rückenmuskel loslassen müssen, sind bei Taktstörungen die folgenden Trabtritte in der Regel sauber. Der rhythmische Fluss nach vorne lässt sich im Galopp leichter finden und die besonders tiefen Atemzüge in der Gangart sind ideal, um die Muskeln mit Sauerstoff zu versorgen.

Geräusche: Normal oder krankhaft?
Wo kommt es denn her? Seltsame Töne beim Atmen können aus den oberen Luftwegen (Nüstern, Nasenhöhle, Nebenhöhle, Rachen, Kehlkopf) oder den unteren Luftwegen (Luftröhre, Lunge, Bronchien und Lungenbläschen) stammen. Heidrun Gehlen, Professorin für Innere Medizin des Pferdes an der Universität Berlin: "Geräusche, die wir beim Reiten hören, kommen meist von oben. Es sei denn, dass Pferd hat eine organische Erkrankung".
Rhythmisches Schnauben im Galopp hält Gehlen für harmlos. Hier strömt die Luft beim Ausatmen durch einen blind endenden Abschnitt tief innerhalb der Nüster (auch Nasentrompete genannt) und lässt sie tönen. Eine Sache der Anatomie und manchmal der Rasse. Bei Vollblütern ist die Nasenscheidewand beispielsweise sehr dünn, im Galopp gerät sie in Schwingung. Dann schnorchelt das Pferd.
Was aber, wenn der Atem rasselt, pfeift, keucht oder hustet? Husten kann trocken, feucht oder keuchend klingen und wird meist zu lange ignoriert, häufig hat sich das Lungengewebe bereits verändert. Pfeift Ihr Pferd beim Einatmen wie ein Teekesselchen? Das könnte auf eine Lähmung des Kehlkopfs deuten. Ertönt beim Ausatmen ein ziehendes Geräusch, könnte Asthma das Lungengewebe krampfen lassen. Sattes Rasseln deutet auf Schleim in der Lunge. Der bildet sich bei Allergien und Infektionen.
Pferdeatmung als Stress-Seismograph
Immer ein Alarmzeichen: ein heftiges, trompetenartiges Ausschnauben. "Das signalisiert psychischen oder physischen Stress, eventuell Schmerz", weiß Klassikausbilderin Andrea Bethge. Ihr Grand-Prix-Pferd Waikato hatte vor vielen Jahren einen heftigen Sturz mit einem Sitzbeinhöckertrümmerbruch. Nach einer Weidepause, in der Waikato totunglücklich wirkte, begann Bethge ganz langsam wieder mit ihm zu trainieren. "Waikato ist extrem ehrgeizig, er geht auch über seine Grenzen."
Deshalb lauschte Bethge ganz besonders auf seine Atmung. "Übermäßig angestrengt oder gepresst darf sie nicht klingen, dann schwingt die Bewegung nicht mehr durch das Pferd". In der Galopppirouette rechts herum veränderte Waikato damals kaum hörbar seine Atmung, sofort ritt die Ausbilderin die Pirouette größer und genauso unmittelbar war Waikatos Atmung wieder unauffällig. "Ich bin sicher, dass Waikato kein Leistungssportler mehr hätte werden können, hätte ich nicht auf die kleinsten Zeichen geachtet", sagt sie heute.

Beinahe wie ein Aufatmen klang es, wenn Vivian Gabor nach dem Training von Berittpferd Amira stieg: jedes Mal wieherte die Stute dann. Gabor wusste: Wiehern entsteht im Zwerchfell, dem größten Atemmuskel des Pferds. Ist er verspannt, könnte das die Atmung beeinflussen. Dazu passte, dass Amira ohnehin mit dem Thema Losgelassenheit kämpfte. Viele Pausen in Dehnungshaltung und stark verkürzte Sequenzen entspannten Amina, das Wiehern verschwand.
Rollkur erstickt Atemfluss und Leistungsfähigkeit
Wer sein Pferd rollt, erstickt seine Leistungsfähigkeit. Professor Heidrun Gehlen von der Universität Berlin kann das der Reiterwelt schwarz auf weiß geben. Sie wirkte 2012 an einer Studie mit, die der Atmung beim Reiten buchstäblich auf den Grund ging. Ein Bewegungs-Endoskop brachte Licht ins Dunkle der Luftröhre und zeigte, dass die Art, wie Pferde ihren Kopf tragen, darüber entscheidet, wie gut oder schlecht sie Luft bekommen.

Dazu wurden 14 Pferde mit einem mobilen Video-Endoskop ausgestattet und für jeweils 10 bis 15 Minuten mit unterschiedlichen Kopf-Halsposition – unter anderem in Rollkurmanier – bewegt.
Die Kehlkopföffnung verengt sich drastisch, wenn der Kopf des Pferdes hinter der senkrechten Nasenlinie aufgerollt wird, das legten die Videos aus dem Atemtrakt glasklar offen. Ein Wulst aus Fettgewebe und Muskeln schiebt sich im Ganaschenbereich zusammen, drückt auf die Ohrspeicheldrüse.
In den sowieso schon schmalen Atemwegen wird die künstlich verengte Kehlkopföffnung zum Nadelöhr. Die Luft fließt schlechter Richtung Lunge. Die Folge ist Kurzatmigkeit (ein geblähter Nüsternrand ist für viele "eng gemachte" Pferde typisch), diese kann sich bis hin zur Atemlosigkeit steigern und letztlich in einer reduzierten bzw. nicht ausreichenden Sauerstoffversorgung unter anderem der Muskulatur münden.

Seine Leistungsfähigkeit büßt das Pferd in dieser Zwangshaltung ein und es können dauerhafte Schäden in den oberen Atemwegen entstehen. "Hyperflexion ist allein deshalb komplett sinnlos", so Gehlen.
Gebisse und Riemen können behindern
Dem Kreuzzug gegen Gebisse verschrieben hat sich seit Jahrzehnenten Dr. Robert Cook aus Massachusetts. Hunderte Pferdemäuler hat Cook seziert, vermessen und analysiert. Sein Fazit: Gebisse sind Murks. Sie lassen Speichel fließen, das Abschlucken des Schaums bringe Pferde in Stress, denn es berge das Risiko, sich dabei zu verschlucken. Zudem regt das Metall im Maul zum Lutschen, Lecken und Kauen an. Und das, bestätigen auch David Mellor and Ngaio Beausoleil aus Neuseeland nach dem Durchforsten von 164 Studien zum Thema, ist für die Luftversorgung nicht sinnvoll.
Pferde atmen ausschließlich durch die Nüstern. Ihr Maul ist in der Bewegung geschlossen, die Lippen halten dicht. Die These von Dr. Cook: So entsteht ein Unterdruck, der das Gaumensegel flach an die Zungenwurzel drückt. Dieser Trick der Natur schaffe Platz für die Atemluft. So könne die Luft (beim Nichtstun immerhin gute 70 Liter pro Minute) ungehindert durch die Luftröhre strömen. Kaut das Pferd, puffert es mit der Zunge grobe Hilfen ab oder öffnet das Maul, um grobem Zügeldruck zu entgehen, beginne das Gaumensegel zu flattern, ein Widerstand entstehe in engen Luftwegen, das Atmen werde schwieriger.

Auch Nasenriemen können die Atmung knebeln. Eine Studie an 750 Sportpferden zeigte, dass der Nasenriemen bei 44 Prozent falsch verschnallt war. Ganz übel: Zugezurrte Sperriemen, die auf den Nasenflügel und damit den Kanal der Luftzufuhr drücken.
Das Remontengeräusch und seine Gründe
Weniger ist manchmal mehr. Das gilt besonders für die Ausbildung junger Pferde. "Richten Reiter ihre Remonten zu früh auf oder benützen sie zu früh eine Kandare, hört man bei manchen das sogenannte Remontengeräusch; das klingt wie ein ,ch‘ beim Ein- und Ausatmen", weiß Professor Heidrun Gehlen.
Das sei zwar nicht pathologisch, deute aber auf subtiles Unwohlsein hin. Es entsteht, weil das Jungpferd Muskeln im Bereich der Atemwege verspannt. Ausbilder kennen das Problem seit über hundert Jahren ebenso wie die Korrektur: Länger langsam machen und durch viel Dehnungshaltung Muskulatur und Psyche entspannen.
Die Atemkapazität lässt sich nicht trainieren. Studien zeigen, dass sich die Luftmenge, die ein untrainiertes Pferd bei einem bestimmten Tempo einatmen kann, sich auch nach einer Trainingszeit von 6 Monaten nicht verändert. Sie ist angeboren. Die Stellschraube für mehr Leistung ist das Herz. So ist die Herzfrequenz eines trainierten Pferdes beispielsweise bei gleicher Anstrengung niedriger als die des untrainierten Pferds. Ein regelmäßiges Arbeits-Pensum kräftigt die Wände des Herzens. Es kann sauerstoffreiches Blut effektiver durch den Körper pumpen.
5 Fakten über die Pferde-Lunge
1. Weite Wege in der Pferdelunge: Eine Pferdelunge wiegt 7 Kilo, ihr Volumen fasst gute 50 Liter. Doch nur 40 Prozent der eingeatmeten Luft werden vom Pferd aufgrund der langen Wege effektiv genutzt. Menschen nutzen 70 Prozent.
2. Lungengefäße unter Druck: Verdoppelt das Pferd im Galopp sein Tempo, verdoppelt sich sein Hunger nach Luft. Der Druck auf die extrem dünnwandigen Lungengefäße erhöht sich enorm. Reißen sie, kommt es zu kleinsten Blutungen.
3. Viel Durchgangsverkehr: Etwa 90.000 Liter Luft atmet das Pferd in Ruhe pro Tag. Mit jedem Atemzug passieren 8 Liter die Luftröhre, um die Bronchien bis in die kleinsten Lungenbläschen hinein zu fluten.
4. Luftröhre: ferin verzweigt: 5 bis 8 Zentimeter misst die Luftröhre im Querschnitt. Auf ihrem Weg zur Lunge teilt sie sich wie ein Baum in immer kleinere Äste. Der Durchmesser der Kleinsten beträgt nur noch ein Bruchteil eines Millimeters.
5. Zusammen sind sie groß und stark: Würde man die Millionen Lungenbläschen – Alveolen genannt – ausbreiten, bedeckten sie die Fläche einer Reithalle. Die Winzlinge dealen mit einer begehrten Ware: Sauerstoff für den Blutkreislauf.