Bis auf die Knochen abgemagerte Pferdekörper, Tierkadaver im Wasser: Die Bilder der hungernden und verendeten Tiere sind nur schwer zu ertragen. Im letzten Winter sind in Oostvaardersplassen mehr als 3.000 Koniks, Hirsche und Rinder gestorben. Ist das Natur oder Tierquälerei?
„Neue Wildnis“
Das Natur-Entwicklungsgebiet Oostvaardersplassen entstand Anfang der 90er-Jahre in der nordholländischen Provinz Flevoland in der Nähe von Amsterdam. Vor allem Vögel nutzten das rund 5600 Hektar große, sich selbst überlassene Gebiet als Rückzugsraum. Weil die Landschaft immer mehr „verbuschte“, entschied sich die Regierung, 850 Hirsche, 1000 Koniks und 400 Heckrinder auszusetzen. Die großen Pflanzenfresser sollten die Flächen offen halten, das Projekt „Neue Wildnis“ war geboren.
„Es war ein Experiment und am Anfang lief es auch ganz gut. Vor acht Jahren ist die Situation dann zum ersten Mal eskaliert“, erzählt Patrick van Veen, niederländischer Biologe und Vorsitzender des Jane Goodall Institute Global. Der Grund: Ohne natürliche Fressfeinde waren die Herden in dem wasserreichen, umzäunten und vor allem im Winter nahrungsarmen Gebiet einfach zu groß geworden. Jedes Jahr müssen tausende unterernährte Tiere abgeschossen werden, weil sie zu schwach sind, um zu überleben.
Was läuft schief?
Tierschützer und Experten werfen den Verantwortlichen massive Fehler im Management vor. Die Tiere in Oostvaardersplassen werden behandelt wie Wildtiere, die ohne menschliche Hilfe sich selbst überlassen sind, dafür wurde von der Regierung eine Ausnahmeregelung erlassen. Dass die Schwächeren sterben, liege somit in der Natur der Dinge.
Die Krux an der Sache: Anders als Wildtiere in den Savannen Afrikas können die Tiere in dem umzäunten Gebiet nicht zu futterreicheren Stellen abwandern. Durch die ständig steigende Population in den Sommermonaten wird der Futtermangel im Winter noch dramatischer. „Die Tiere leben hier wie auf einer Briefmarke. Man geht einfach den günstigsten Weg, lässt sie verhungern oder schießt sie ab, anstatt die Pferde zum Beispiel nach Spanien umzusiedeln“, kritisiert die Tierschützerin Yvonne Bierman von der niederländischen Stiftung „Wohlergehen großer Weidetiere“.
Seit Jahren Proteste
Die Situation ist verfahren, die Fronten zunehmend verhärtet. Tierschützer füttern die Tiere illegal zu. Fast 200 000 Menschen haben sich zuletzt an einem internationalen Facebook-Protest beteiligt, mit der Bitte an das Ministerium, endlich etwas zu tun.
Die Befürworter wiederum argumentieren: Hier finde lediglich eine natürliche Auswahl statt, bei der die Schwächeren eben sterben.„ Leidtragende werden vermutlich auch in diesem Winter wieder die Tiere sein. Es muss dringend geklärt werden, wie mit den Herden umgegangen wird“, fordert Patrick van Veen. „Wer Tiere hinter Zäunen hält, der muss auch die Verantwortung für sie übernehmen.“
So sieht es auch der Deutsche Tierschutzbund: „Die Zustände in Oostvaardersplassen sind nicht tragbar. Die damit verbundenen Tierschutzprobleme sind extrem schlimm. Die Pferde sind keine Wildpferde, sondern werden lediglich naturnah gehalten. Unter diesen Umständen besteht eine gewisse Sorgfaltspflicht. Man darf die Tiere nicht einfach sich selbst überlassen.“ Auch in Deutschland gab es, allerdings bei kleineren Weideprojekten mit frei lebenden Tieren, Probleme.
So war der Naturschutzbund Deutschland (NABU) in die Kritik geraten, weil Heckrinder auf NABU-Weiden verhungert waren. „Bei vielen Projekten hat man es sich zu Beginn etwas zu einfach gemacht, im Laufe der Jahre aber auch dazugelernt. Es muss geregelt sein, was im Fall einer Überpopulation passiert. Gibt es zum Beispiel Möglichkeiten, diese Tiere woanders unterzubringen? So wie in Oostvaardersplassen kann man es nicht machen“, kritisiert Dr. Ulrike Adrian, Mitautorin der Richtlinien für die Nutzung von Pferden als Landschaftspfleger, Herausgeber ist die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz.
„Wilde Weiden“
In vielen Ländern gibt es aber auch positive Beispiele, bei denen Pferde erfolgreich als Landschaftspfleger unterwegs und fester Bestandteil von Kulturlandschaften sind: Exmoor-Ponys haben die Gegenden im Südwesten Englands geprägt, Isländer und Shettys sind ein Markenzeichen ihrer Heimat. In den letzten Jahren werden auch in Deutschland Pferde wieder verstärkt als Landschaftspfleger eingesetzt: In großen Naturschutzgebieten wie der Oranienbaumer und Döberitzer Heide sind Koniks im Einsatz, um eine Verbuschung der ehemaligen Militärflächen zu verhindern und die Landschaft offen zu halten.
Daneben gibt es zumeist kleinere Beweidungsprojekte, sogenannte „Wilde Weiden“, wie die Geltinger Birk an der Ostsee oder den Hessepark bei Weener in Niedersachsen. Vor allem Koniks, die urtümlicheren Przewalski-Pferde und Exmoor-Ponys kommen mit dem Leben in der begrenzten Freiheit gut klar. Ihr Fressverhalten macht die Pferde zu idealen Kandidaten für den Landschaftsschutz. „Wenn genügend Nahrungspflanzen vorhanden sind, fressen die Pferde die zum jeweiligen Zeitpunkt bestschmeckenden bzw. die für ihre Gesundheit benötigten Pflanzen. So entstehen regelrechte Mosaike. Dornige Sträucher, Schlehen, Weißdorn oder Brombeere werden nicht gefressen und bilden geschützte Bereiche, wo verbissempfindlichere Gehölzer wie Eichen wachsen können. So wachsen parkähnliche Landschaften mit Büschen und Bäumen“, erklärt Michael Steven vom NABU-Bundesfachausschuss „Weidelandschaften und Wilde Weiden“.
Pferde schützen
Damit größere, aber auch kleinere Beweidungsprojekte effektiv funktionieren und die Tiere gut versorgt sind, braucht es ein gutes Management. „Wichtig bei unserer Wildtierbeweidung im Naturschutzgebiet Stadtwald Augsburg ist eine professionelle Betreuung, die Erfahrung im Umgang mit den Tieren hat. Unsere Przewalskis sind keine Hauspferde“, so Norbert Pantel vom Landschaftspflegeverband der Stadt Augsburg. „Es ist klar geregelt, dass das Tierwohl im Zweifelsfall kurzfristig auch über Naturschutzzielen steht. Sollten langfristig unsere Naturschutzziele nicht erreicht werden, würden wir natürlich auch an der Art der Beweidung etwas ändern müssen.“
Aber nicht nur die Tiere müssen in ihrer neuen Umgebung klarkommen, auch die Umgebung muss den Bedürfnissen der Pferde entsprechen. „Ganz wichtig bei unseren Projekten: Es dürfen nicht zu viele Tiere auf einem Areal leben, das Gelände muss ausreichend groß sein. Wenn die Tiere ohne Zufütterung klarkommen sollen, dann muss der Bestand angepasst sein. Abhängig von der Bodenbeschaffenheit sind das bei kleineren Projekten 0,3 bis 0,8 Tiere pro Hektar “, so die Einschätzung von Michael Steven vom NABU.
Egal ob es sich um größere Naturschutzprojekte oder „Wilde Weiden“ handelt: Wir sind dafür verantwortlich, dass auf diese Weise kleine Paradiese für Mensch und Tier entstehen können. Dafür gibt es viele positive Beispiele. Der Protest gegen Oostvaardersplassen wird anhalten. Es wird endlich Zeit, dass auch hier aus Fehlern gelernt wird.



















