Wunden bei Pferden richtig behandeln

Moderne Wundbehandlung
Wunden richtig behandeln

Zuletzt aktualisiert am 29.06.2022
Moderne Wundbehandlung
Foto: Lisa Rädlein

Ein Biss, ein Sturz, ein Nagel – schon hat sich das Pferd verletzt. Damit kleine wie große Wunden gut heilen, müssen sie fachgerecht versorgt werden. Bei oberflächlichen Wunden können das Reiter selbst tun. Sobald Wunden aber tief sind, verunreinigt, stark bluten oder auseinanderklaffen, sollten sie den Tierarzt rufen. Wie gehen Veterinäre und Wundexperten dann vor? Was können Reiter tun? Gibt es neue, wissenschaftliche Erkenntnisse zu Therapien, und welche technischen Geräte eignen sich als Helfer? Wir verarzten Sie mit den wichtigsten Informationen zu moderner Wundbehandlung.

Wunden reinigen

Jede Wunde muss zuerst nach ihrem Stadium beurteilt werden, sagt Peter Denius. Der Krankenpfleger gründete die Akademie für Innovative Tiermedizin (afit.vet), ist selbst Reiter und gibt an diese sein Wund-Wissen in Kursen weiter. Entdecken Reiter verunreinigte Wunden in der Exsudationsphase, sollten sie diese spülen. Nur Leitungswasser zur Verfügung? Kein Problem: Ein Team um Sarah Freeman (University Nottingham, UK) fasste über 300 Studien zu Wundtherapien zusammen. Ob eine Wunde gut heilt, hängt demnach nicht davon ab, ob sie mit sauberen Wasser oder Kochsalzlösung gereinigt wird.

Antiseptisch wirkende Lösungen haben aber einen Vorteil: Sie greifen Bakterien an, die gerade in der ersten Wundphase häufig sind. Denius rät deshalb zu Mitteln, die auf Polyhexanid basieren (wie Prontoved oder Lavasorb, in Apotheken erhältlich). "Polyhexanid reduziert die Keime in der Wunde", erklärt er. Je nach Wunde sollten Reiter diese täglich mit dem Mittel reinigen, und das so lange, wie sich die Wunde in der Exsudationsphase befindet.

Was man in diesem Stadium keinesfalls machen sollte: Feuchte Wunden luftdicht abschließen, etwa mit Salben, Blau- oder Zink-Sprays. "Das versiegelt die Wunde und befeuert das Bakterienwachstum."

Komplikationen

Wunden bergen immer Infektionsrisiken. Selbst kleine Wunden können an Beinen zu Phlegmonen (eitrige Entzündung der Unterhaut) führen. Sehr selten, aber schwerwiegend ist ein Wundstarrkrampf (Tetanus). Bakterien der Gattung Clostridium tetani setzen dann Gifte frei: Das Pferd ist übererregbar, krampft, speichelt, die Muskeln sind spastisch kontrahiert. Weil Tetanus meist tödlich verläuft, ist eine Impfung dagegen ein Muss.

Über einen seltenen Fall berichteten kürzlich Tierärzte um Linda Schoen von der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Sie behandelten einen Jährling, der sich in der Achselregion verletzt hatte. In der großen, etwa drei Zentimeter tiefen Wunde wurde Luft eingeschlossen; die wanderte als subkutanes Emphysem in den Raum zwischen den beiden Lungenflügeln. Die Lunge kollabierte. Das Pferd war in Lebensgefahr, konnte jedoch therapiert und nach 21 Tagen entlassen werden.

Wund-Auflagen

Zu welcher Wundauflage Reiter greifen, richtet sich nach dem Wundstadium. Faustregel: Nässende Wunden brauchen eine eher aufsaugende Auflage, trockene Wunden eher eine feuchte. "Generell sollten Wunden immer etwas feucht sein", sagt Denius. Er empfiehlt in der Exsudationsphase eine antiseptische Wundauflage, Silberalginate oder Schaumauflagen mit Polyhexanid (über Tierarzt oder Apotheken erhältlich).

Alginate werden aus Seealgen hergestellt und zu vliesartigen Kompressen oder Fasern verarbeitet. Sie können bis zum Zwanzigfachen ihres Eigengewichts an Wundflüssigkeit aufnehmen. Doch Achtung: Setzen Reiter sie ein, sollten sie darauf achten, die Alginate nur in der Wunde und nicht auf deren Rändern zu platzieren. Sonst quellen diese durch die Feuchtigkeit der Wundauflage auf (Mazeration), erklärt Denius.

Zugesetzte Silberionen in Alginaten wirken antimikrobiell und geben wie Polyhexanid die Wirkstoffe kontinuierlich ab. "Bakterien bekommen also ständig was auf die Mütze", so Denius. Eine weitere Faustregel: Wundauflagen sollten bei jedem Verbandswechsel von selbst abfallen. Sind sie zu trocken, haften sie am neu gebildeten Gewebe, und Reiter entfernen das beim Verbandswechsel. "Hängt die Auflage fest, feuchtet man sie mit etwas Kochsalzlösung an und kann sie wenig später abziehen", rät Denius.

In der Granulationsphase ist die Wunde rosig-rot, "wie ein rohes Steak". Hier greift Denius zu neutralen Gitternetzen, die mit Hydrokolloid oder Silikon beschichtet sind, oder zu Polyurethan-Schäumen. Die wirken wie eine Art Goretex-Membran: Von außen sind sie wasserdicht, von innen lassen sie Wasserdampf durch. Das sorgt für feuchtwarmes Klima, in dem die Wunden optimal heilen. Diese Auflagen können Reiter bis zur Epithelisierungsphase beibehalten.

Gibt es eine Höhle zwischen Wundgrund und oberem Wundrand, muss die gefüllt werden; am besten mit neutralem Alginat. Die Tamponade sollte etwas über den Wundrand stehen; das verhindert, dass die Wunde mitsamt Alginat zuwächst. Darüber kommen dann Schäume oder Gitternetz.

Verbands-Techniken

Wie oft Reiter Verbände wechseln müssen, gibt die Wunde vor. Ist der Verband "durchgesuppt", muss ein neuer drauf. Anfangs ist das oft täglich der Fall, später kann der Verband vier, fünf Tage halten. "Denn in den letzten beiden Wundphasen birgt jeder Wechsel ein Infektionsrisiko und behindert die Heilung", betont Denius.

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Lisa Rädlein

Bei Wunden an Pferdebeinen legt er Kompressionsverbände an, etwa bei nicht-akuten Lymphödemen oder nachdem ein Zuviel an Gewebezubildung (Wildes Fleisch) abgetragen wurde. Vorsicht: Sitzen Verbände zu eng, entstehen Drucknekrosen, warnt Veronika Schuberth, Fachtierärztin für Pferde bei der Klinik Wolfesing (pferdeklinikwolfesing.de).

Sind Wunden nicht so einfach zu "umwickeln" wie an Beinen, etwa weil sie an Brust, Hinterhand oder Hals sind, greift Denius zu Kaltwachsstreifen; genau, wie zur Haarentfernung. "Die Streifen schneide ich so zu, dass ich sie wie einen Rahmen um die Wunde aufkleben kann." Darauf befestigt er Pflasterstreifen oder Klebevlies, die auf einer Wundauflage sitzen. "Zwischen 0 und 30 Grad hält das super." Und beim Entfernen bleibe nicht das gesamte Pferdefell hängen.

Hat sich das Pferd am Huf verletzt (etwa beim Nageltritt), arbeitet der Krankenpfleger mit Cast-Verbänden. Diese sogenannten Softcast-Verbände härten in Minutenschnelle aus, "sind aber so flexibel wie eine Gummimanschette. Damit kann sich das Pferd problemlos bewegen." Denius hat aus diesem Softcast-Material und Klettverschlüssen zudem einen Hufschuh entwickelt, der nach Maß gefertigt ist. "Über den Klettverschluss kann man ihn an- und ausziehen, sodass man Wundauflagen wechseln kann, aber dabei nicht jedes Mal den Verband zerschneiden muss."

Ultraschall-Technik

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Tierklinik Burg Müggenhausen

Im veterinärmedizinischen Bereich setzt sich das Ultraschall-assistierte Wunddebridement (UAW) durch. Tierärzte reinigen mit einem Handstück (Sonotrode) die Wunde. Durch Ultraschallschwingungen und einer Spülflüssigkeit entsteht ein Druckstrahl (Microjet), der Bakterien, abgestorbenes Gewebe und Schmutz entfernt.

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Tierklinik Burg Müggenhausen

"Die Handstücke gibt es in unterschiedlichen Formen und Größen. Damit können auch Wundtaschen, schwer zugängliche Bereiche erreicht werden", erklärt Fachtierärztin Dr. Vanessa André von der Klinik Burg Müggenhausen (pferde-klinik.de). Die Technik unterstützt bei chronischen oder schlecht heilenden Wunden. Bei fast jeder Wunde könne man dies nutzen, so Dr. André. Ausnahme: Weil die Behandlung Wärme erzeugt, sollte sie nicht nah am Auge eingesetzt werden. Sonst könnte die Hornhaut verletzt werden.

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Tierklinik Burg Müggenhausen

Auch Dr. Mark Zengerling, Klinikteilhaber in Wolfesing, machte gute Erfahrungen mit UAW: "Wir setzten das Gerät bei einem Pferd mit durchtrennter oberflächlicher Beugesehne und geöffneter Sehnenscheide ein. Normalerweise ein Todesurteil, aber das Pferd erholte sich." UAW sei gerade bei Wunden mit einem Bakterien-Biofilm von Vorteil. Darunter versteht man eine Kolonie unterschiedlicher Bakterienarten in der Wunde, die mitunter resistent gegenüber antimikrobiellen Mitteln sind. Ultraschall zerstört diesen Film.

Laser-Technik

Wund-Profis setzen auch auf Laser-Technik: Dabei werden Lichtstrahlen stark gebündelt. Dr. Vanessa André nutzt einen FP4-Laser bei Verletzungen mit Sehnen-Beteiligung: "So wird die Sehne therapiert und parallel die Wundheilung gefördert." Der Laser regt Blut- und Lymphgefäße, Gewebe und Haut an, neue Zellen zu bilden. Bei infizierten Wunden darf er nicht eingesetzt werden, sonst kurbelt er auch die Bakterienvermehrung an.

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Tierklinik Burg Müggenhausen

Daneben gibt es Low-Level-Laser, die jeder Pferdebesitzer erwerben kann. Solche Geräte arbeiten meist mit gepulstem, sichtbaren Rotlicht und nahem Infrarotlicht. In punkto Wirkung scheiden sich die Geister: Denius nutzt das Gerät gerne. Laut einer Studie der Universität Pretoria (Südafrika) ist im Vergleich zu unbehandelten Wunden jedoch kein Unterschied feststellbar.

Kaltes Plasma

Ein recht neuer Therapie-Ansatz ist die Kaltplasma-Behandlung. Plasma entsteht, wenn dem Edelgas Argon Energie zugeführt wird. Bei der Wundbehandlung wird es über eine Art Plasmastift abgegeben, den der Tierarzt über die Wunde bewegt. Das Plasma wirkt antibakteriell, entzündungshemmend und fördert die Wundheilung. Dafür scheinen die entstehenden reaktiven Sauerstoff- und Stickstoff-Spezies verantwortlich zu sein. Peter Denius ist vom Kaltplasma überzeugt:

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Denius

Er behandelte damit eine stark eiternde Wunde. Nach drei Einsätzen (à je 90 Sekunden) versiegte der Eiterfluss. Auch bei Wunden, die immer wieder aufreißen, kann das Kaltplasma unterstützen. Veronika Schuberth regt damit die Heilung von chronischen oder schlecht heilenden Wunden an.

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Denius

Unterdruck-Technik

Aus der Humanmedizin stammt die Unterdruck-Therapie (Negative Pressure Wound Therapy, NPWT). Sie eignet sich vor allem bei Wunden, die viel Exsudat bilden. Ein spezieller Wundschwamm wird in oder auf die Wunde gelegt und mit einem dampfdurchlässigen Kunststoff-Folienverband abgedeckt. Ein Absaugschlauch verbindet die Wunde mit der Vakuumpumpe, die das Wundsekret in einen Kanister absaugt.

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Tierspital Universität Zürich

Tierärztin Veronika Schuberth ist von dem Gerät begeistert, "das ist der Ferrari in der Wundheilung." Sie zählt die Vorteile auf: Granulationsgewebe bildet sich schneller, das Einsproßen von Gefäßen wird beschleunigt, Ödeme dafür verringert, und Wundsekret wird sauber abtransportiert. "Mit dieser Technik ist es auch möglich, Wunden von Patienten, die zeitgleich einen Cast-Verband brauchen, optimal zu versorgen", ergänzt ihr Kollege Dr. Mark Zengerling.

Veterinärin Schuberth nutzte diese Technik unter anderem bei einem Pferd, das sich ein Hinterbein beidseitig bis auf den Knochen freigelegt und das Fesselgelenk eröffnet hatte. Dank Unterdruck heilte die Wunde wieder vollständig.

Wissen To Go

Kategorien: Wunden werden eingeteilt in mechanische Verletzungen (Schürfwunden, Risse, Schnitte), thermische (Verbrennungen), chemische (Verätzungen) sowie Strahlenschäden.

Primäre Wundheilung: Heilungsprozess von gleichmäßigen Wunden (etwa bei Schnitten oder Operationen). Die Wundränder stehen eng beieinander. Nicht-verunreinigte Wunden heilen meist in bis zu acht Tagen ab. Die Narben sind nahezu unsichtbar.

Sekundäre Wundheilung: Heilung von großflächigen oder chronischen Wunden. Das braucht Wochen oder gar Monate.

Epitheliale Wundheilung: Heilung oberflächlicher Verletzungen, meist in nur wenigen Tagen.

Wundheilungsphasen

Der Heilungsprozess einer Wunde lässt sich in drei Stadien unterteilen: Exsudations-, Granulations- und Epithelisierungsphase. "Das A und O der korrekten Wundversorgung ist es, die Wundstadien zu erkennen", betont Wundspezialist Peter Denius. Nur wenn die Wundversorgung auf den jeweiligen Zustand angepasst wird, kann sie so erfolgreich wie möglich sein.

  • In der Exsudationsphase produziert der Körper in der Wunde Flüssigkeit, das sogenannte Exsudat. Dieses reinigt die Wunde von Fremdkörpern oder Bakterien; quasi der natürliche Spülvorgang des Körpers. In dieser Phase sollte der Wunde nicht noch zusätzlich Feuchtigkeit zugeführt werden, so Denius: Besser sind hier Wundauflagen, die die Flüssigkeit aufnehmen.
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Denius
  • In Phase 2, der Granulationsphase, bildet der Körper neues Granulationsgewebe, das die Wunde nach und nach von außen nach innen verschließt. Oft kann man einen rosa-/hautfarbenen Wundrand erkennen; das ist das neu gebildete Gewebe. "In dieser Phase kann es sinnvoll sein, der Wunde etwas Feuchtigkeit zuzuführen", so Peter Denius. Das hält das Gewebe geschmeidig.
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  • Den Abschluss des Heilungsprozesses bildet die Epithelisierungsphase. Der Körper bildet ein festes Deckgewebe, also die oberste Hautschicht. Die Wunde ist in dieser Phase nicht mehr feucht, sondern wird trocken.
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Denius

Heilungshilfe aus der Natur

Medizinischer Honig kann auf Wunden einen positiven Einfluss haben. Er wirkt auf natürliche Weise antibakteriell und tötet Bakterien in der Wunde ab. Im Manuka-Honig wiesen Forscher zudem Methylglyoxal nach; das Zuckerabbauprodukt wirkt entzündungshemmend. "Ideal ist ein Gehalt von 250 MGO (mg/kg) an Methylglyoxal", sagt Peter Denius.

In einer Studie der Tierärztlichen Hochschule in Israel (2019) wurde die Wirkung von medizinischem Honig auf die Wundheilung untersucht. Dabei brachten Tierärzte ein Honig-Gel auf Wunden auf. Diese waren zwar nicht standardisiert, doch das Ergebnis ist dennoch vielversprechend: Die Wunden heilten besser vollständig aus, das Infektionsrisiko war gesenkt. Für eine weitere Studie der Universität Jerusalem (2020) wurde bei 89 Pferden nach Kolik-Operationen die operierte Bauchlinie mit medizinischem Honig behandelt. Die Infektionsrate war im Anschluss deutlich niedriger, so die Forscher.

Weniger süß als Honig klingt auf den ersten Blick die Madentherapie. Das Tierspital der Universität Zürich setzt diese Methode beispielsweise ein. Dabei werden Fliegenmaden auf bzw. in die Wunde gesetzt und durch einen Verband fixiert. Die sterilen Maden ernähren sich von totem Gewebe (Nekrose) und produzieren dabei Speichel. Der wiederum enthält spezielle Enzyme, die Nekrosen verflüssigen. Zudem wirkt der Speichel antibakteriell und fördert die Wundgranulation. Nach wenigen Tagen entfernen die Tierärzte dann die Maden oder tauschen sie durch neue aus.

Klammern oder Nähen?

Die Antwort auf diese Frage hängt von der Art der Wunde ab. Muss das Nahtmaterial keine Spannung aushalten, wie beispielsweise die oberste Hautschicht nach einer Kolik-OP, dann ist Klammern eine gute Wahl. Tiefere Schichten bei so einer OP vernäht Pferdefachtierärztin Dr. Vanessa André intradermal.

Wundränder, die stärker zusammengehalten werden müssen, sollten genäht werden, meint die Tierärztin: "Die Wundränder lassen sich so besser adaptieren und aufeinander setzen. Das heilt deutlich besser und schöner, als wenn man solche Wunden klammert."