Neue Studie entschlüsselt Pferdemimik

Mehr als Ohren und Augen
Neue Studie entschlüsselt Pferdemimik

Veröffentlicht am 14.07.2025
Nahaufnahme von einem Auge eines Schimmels mit Reflektion
Foto: Natallia Saksonova/ gettyimages

Pferdegesichter sprechen – man muss nur richtig hinsehen

Eine aktuelle Studie, veröffentlicht im renommierten Fachjournal PeerJ (Mai 2025), analysiert in bisher nie dagewesenem Detail die Gesichtsausdrücke von Pferden. Das internationale Forscherteam um Kate Lewis von der University of Portsmouth (UK) untersuchte über 800 Einzelbeobachtungen von Pferden unterschiedlichster Rassen und Altersgruppen.

Im Fokus: 22 typische Mimik-Muster, die Pferde in sozialen Situationen wie beispielsweise beim Spiel, in Konfliktsituationen oder beim Entspannen zeigen.

Was und wie wurde untersucht?

  • 805 Gesichtsbewegungs-Kombinationen mithilfe des etablierten Systems EquiFACS (Facial Action Coding System for Horses)
  • Beobachtungen in realen Alltagssituationen: Spiel, Pflegeverhalten, Konflikte, Umweltreize
  • Einsatz von Netzwerkanalysen (NetFACS) zur Mustererkennung in Gesichtern
  • Ziel: Ein vollständiges "Ethogramm" (Verhaltenskatalog) der Gesichtssprache von Pferden zu erstellen

Für Pferdehalter besonders spannend: 3 überraschende Erkenntnisse

1. Neutrale Mimik kann ein Zeichen von Wohlbefinden sein

Viele Pferdebesitzer interpretieren ein "ausdrucksloses" Gesicht als Desinteresse oder sogar Missstimmung. Doch genau hier liefert die Studie eine neue Perspektive: In freundlichen, sicheren sozialen Situationen – etwa beim entspannten Beisammensein oder beim gegenseitigen Putzen – zeigen Pferde oft keine ausgeprägte Mimik. Diese Ruhe kann Ausdruck tiefer Sicherheit und sozialer Bindung sein.

Was wir daraus schließen können: Nicht jede "leere" Miene ist ein Grund zur Sorge – manchmal ist es das schönste Kompliment, das ein Pferd uns machen kann.

2. Spielgesichter sehen anders aus als viele denken

Besonders bei jungen Pferden oder in Gruppenhaltungen kommt es häufig zu wilden Raufereien – doch ist das Spiel oder ernst? Die Studie zeigt: Pferde haben eine eigenständige, komplexe Spielmimik. Diese ist laut Studie erkennbar an:

  • offenem Maul mit lockerer Lippe
  • seitlich oder asymmetrisch gerichteten Ohren
  • sichtbarem Augenweiß ohne fixierenden Blick
  • übertriebenen Bewegungen der Nüstern und Lippen

Wichtig für uns Pferdehalter: Diese Ausdrücke unterscheiden sich klar von echter Aggression (z.B. deutlich flach angelegte Ohren mit fixierendem Blick) – und sollten nicht vorschnell als Streit interpretiert werden. Wer das erkennt, verhindert unnötige Eingriffe und stärkt das Sozialverhalten im Offenstall.

3. Neue Muskelaktivität identifiziert – Hinweis auf Schmerz oder Stress?

Die Forscher dokumentieren erstmals eine bisher nicht bekannte mimische Bewegung, die sie als "Facial Tightener" bezeichnen – eine Anspannung der unteren Gesichtsmuskulatur, besonders des Platysma-Muskels.

Diese subtile Muskelaktivität wurde vermehrt bei Belastung oder Unbehagen beobachtet – etwa in stressigen oder unangenehmen Situationen. Der Platysma-Muskel (beim Pferd ist er vor allem im hinteren Halsbereich als Musculus cutaneus colli ausgebildet) bietet somit neue Möglichkeiten, frühzeitig Stress oder Schmerzen zu erkennen, selbst bei Pferden, die wenige der bisher bekannten Stress-Symptome äußerlich "zeigen".

Pferdemimik neu interpretiert: Mehr als Ohren und Augen

Wer bisher nur auf Ohrenstellung oder Augenausdruck achtete, bekommt mit dieser Studie ein präzises, differenziertes Werkzeug an die Hand. Die Forschenden liefern nicht nur neue Erkenntnisse, sondern auch einen wichtigen Beitrag zur Schmerzdiagnostik und zum täglichen Pferdemanagement.

Die vollständige Studie findet ihr hier: