Gute Beziehung zum Pferd ist entscheidend
5 Gründe, warum Liebe der beste Trainer ist

Welche Zutat darf man beim Kochen auf keinen Fall vergessen? Richtig, die Liebe! Sonst kommt einfach nichts Gutes raus. Gilt das gleiche womöglich auch fürs Pferdetraining? Die Wissenschaft liefert immer mehr Hinweise.

Tacheles Diskussion
Foto: Lisa Rädlein
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Reitschülerin
Rädlein

Pferde deuten unsere Mimik und wissen, wann wir fröhlich oder wütend sind

Studien zeigen, dass Pferde auf fröhliche Gesichter entspannter reagieren, während wütende Sress auslösen. Die Mimik können sie sich sogar bis zum nächsten Tag merken. Ein liebevolles Lächeln wirkt also!

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Lisa Rädlein

Pferde passen sich Menschen an und übernehmen ihre Reaktionen

Reagiert der Mensch zum Beispiel entspannt auf ein neues Objekt, nimmt das Pferd damit mutiger Kontakt auf. Sogar der Herzschlag zwischen Pferd und Mensch synchronisiert sich in manchen Situationen. Zentaur-Feeling pur!

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Lisa Rädlein

Pferde verallgemeinern positive Erfahrungen mit „ihrem“ Menschen

Untersuchungen zeigen, dass die Liebe ihrer Bezugsperson Pferden auch gegenüber anderen Menschen mehr Vertrauen schenkt. Haben sie eine dauerhafte Bezugsperson, meistern sie auch herausfordernde Situationen mit fremden Personen gelassener.

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CAVALLO kürte Sancho zum „besten Kumpelpferd“
Lisa Rädlein

Wer eine gute Bindung hat, spricht beide Gehirnhälften gleich gut an

Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass gestresste Pferde den Menschen lieber mit ihrem linken Auge betrachten, weil die rechte Gehirnhälfte potentielle Gefahren verarbeitet. Das gleiche gilt für unbekannte Menschen. Gute Bindung könnte die linke Hirnhälfte stärker aktivieren und für ein ausgeglichenes Verhältnis sorgen.

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Trust Technique
Laura Falkenhain

Pferde fühlen sich in der Nähe des Menschen am wohlsten, wenn sie freiwillig ist

Wahlfreiheit ist ein entscheidender Faktor fürs Wohlbefinden, wie eine Studie zeigte. Das spricht dafür, an einer echten Bindung zu arbeiten – die Freiarbeit ist dafür ein guter Prüfstein.

Die Bindung zwischen Mensch und Pferd ist noch längst nicht umfassend erforscht. Bei Hunden weiß man, dass sie "ihren" Menschen als sicheren Hafen betrachten. Pferden hat die Wissenschaft auf ihre emotionale Bindungsfähigkeit dagegen noch nicht Brief und Siegel gegeben.

Ein wichtiger Hinweis darauf, dass Pferde sich emotional an ihre Menschen binden, kam 2020 aus dem italienischen Padua. Forscher untersuchten den emotionalen Zustand von Pferden, indem sie ihre Herzfrequenz und deren Veränderungen beobachteten. Die Pferde wurden dabei zum Vergleich von einer Bezugsperson und einer fremden Personen gebürstet. Die Messungen zeigten: Die Pferde waren generell entspannter, wenn sie gebürstet wurden, als wenn sie alleine im Stall warteten. Das bewies die niedrigere Herzfrequenz. Dabei war es zunächst einmal egal, wer striegelte. Beim Blick auf die Details offenbarte sich allerdings: Geschah das Striegeln von der rechten Seite, waren die Pferde entspannter, wenn sie die Person kannten. Fremde dagegen hatten sie offenbar lieber auf ihrer linken Seite. Die Erklärung dafür: Pferde betrachten Unbekanntes lieber mit dem linken Auge, weil die mit dem linken Auge verknüpfte rechte Gehirnhälte unter anderem dafür zuständig ist, neue Situationen einzuordnen.

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Die wichtigste Erkenntis für das Forscher-Team aber blieb: Pferde reagieren auf Bezugspersonen nachweisbar anders als auf Fremde. Die Beziehung zwischen Mensch und Pferd sei also entscheidend für die Interaktion zwischen beiden. Dabei gehe es nicht nur um das bloße Erinnern an eine Person – vielmehr bestimme die Gefühlswelt des Pferds über seine Reaktionen.

Die Herzfrequenz von Pferd und Mensch passt sich einander an

Ist gegenseitige Zuneigung also der Erfolgsfaktor, wenn Pferd und Mensch gemeinsam etwas erreichen wollen? Pferderverhaltenstrainerin Dr. Sandra Ruzicka ist fest davon überzeugt: "Wenn wir dem Pferd echte Zuneigung entgegenbringen, spiegelt sich das in jeder einzelnen Übung", sagt sie.

Doch was bedeutet Zuneigung eigentlich? Im besten Fall beruht sie auf Gegenseitigkeit – und sie ist eng mit anderen Emotionen wie Freude oder Wohlbefinden verwoben. Lob, angenehme Berührungen und gute Stimmung gehören daher dazu, wenn wir eine Bindung zum Pferd schaffen wollen. Dabei geht es gar nicht darum, immer hoch energetisch und quietschvergnügt zu sein – das überfordere manche sensiblen Pferde oft eher, meint Trainerin Sandra Ruzicka. "Pferde nehmen als Herdentiere sehr fein wahr und spüren, wenn wir achtsam sind und wirklich in Verbindung treten wollen." Tatsächlich haben Pferde Fähigkeiten, die fast telepathisch erscheinen. Im Rahmen einer Studie kündigten Forscher Reitern etwa an, gleich würde ein Regenschirm aufgespannt. Das geschah gar nicht, doch die Herzfrequenz der Reiter stieg in der bloßen Erwartung – und das Herz des Pferds unter ihnen folgte sogleich. Zwei Herzen in einem Takt – es klingt romantisch, ist im Pferdetraining aber beinahe alltäglich.

Die Verbindung zum Pferd geht oft durch äußere Einflüsse verloren

Nicht nur ein erwarteter Schreckmoment, auch Zeitdruck, Ungeduld und Ärger können unseren Puls nach oben treiben – alles mentale Zustände, die mit liebevoller Zugewandheit wenig zu tun haben. Aus dem angespannten Alltag müssen wir also raus, wenn sich das Pferd mit uns im Training wohlfühlen soll. Das ist gar nicht so einfach, meint Dr. Sandra Ruzicka, denn der Zeitgeist zwinge uns beinahe, uns von anderen abzuspalten und innerlich Distanz zu wahren. "Sonst wären wir beispielsweise an überfüllten Bahnhöfen völlig überfordert", findet Ruzicka. Selbstliebe und Achtsamkeit zu entwickeln, sei also der erste Schritt, um mit dem Pferd in Beziehung zu treten.

Franziska Müller, die Persönlichkeitscoaching mit Pferden anbietet, sieht das ähnlich: "Oft haben Menschen ein Gefühl für ihr Tier, sprechen nicht umsonst von ihrem Seelenpferd – aber diese Verbindung geht durch äußere Einflüsse und Erwartungen immer mehr verloren", berichtet sie. Da könne es helfen, sich wie in einer Beziehung auf die "Verliebtheitsphase" am Anfang zurückzubesinnen, wo Fehler des Gegenübers nicht störten und andere uns völlig egal waren. Wie wäre es, mit dem Pferd einfach mal unter einer rosaroten Glocke zu verschwinden? Denn: "Gerade wenn es um Pferde geht, ist das Bedingungslose an der Liebe das wichtigste", sagt Müller. "Pferdeliebe bedeutet für mich, das Pferd so zu sehen, wie es ist, auf seinem Entwicklungsstand." Ein Training sollte man beginnen wie ein unbeschriebenes Blatt, rät Müller. "Nicht an gestern denken, keine Bedingungen stellen, einfach dem Pferd und sich selbst im Hier und Jetzt eine Chance geben."

Selbst ruhiger zu werden, Zeit in die Beziehung zum Pferd zu investieren, könnte dabei einen positiven Kreislauf in Gang setzen und Ihren Alltag mit Pferd entspannter machen: Offenbar macht eine feste Bezugsperson Pferde nämlich gelassener – und sogar offener gegenüber anderen Menschen. Das zeigte ein internationales Forscherteam.

Mit 76 Freizeitpferden untersuchten die Forscher, ob Pferde anders auf neue Objekte reagieren, wenn sie dabei ihren vertrauten Besitzer an der Seite haben oder einen Fremden. Das Ergebnis der Studie: Pferde mit mehreren Kontaktpersonen, einer kürzeren Beziehung zu ihren Besitzern und Pferde, die schon mehrere Besitzerwechsel hinter sich hatten, waren gegenüber den neuen Objekten zurückhaltender. Eine exklusive Beziehung zu einer Bezugsperson machte Pferde gelassener gegenüber den neuen Objekten; je länger die Beziehung schon dauerte, desto größer war der Effekt.

Überraschend für die Forscher: Pferde, die eine stabile Beziehung zu ihrem Besitzer hatten, waren nicht etwa misstrauischer, wenn eine fremde Person sie führte, wie das Team vermutet hatte. Stattdessen schienen sie die Erfahrungen mit ihrem Halter zu verallgemeinern und auch gegenüber fremden Personen mehr Vertrauen zu zeigen.

Training, das die Bindung fördert, schafft bessere Lernerfolge

Bindung scheint für Trainingserfolge also ganz entscheidend zu sein – aber hat die Art des Trainings umgekehrt auch Auswirkungen auf die Beziehung? Das wollte ein Team aus Schweden und Dänemark um Forscherin Elke Hartmann genauer wissen. Für das Experiment arbeiteten zuvor unbekannte Personen zehn Tage lang je eine Viertelstunde mit Pferden. Anschließend verglichen die Forscher, ob die Pferde in einem "Angst-Test" mit Schreckhindernissen an der Seite dieser Menschen gelassener waren als bei einem Fremden.

Das Ergebnis war nicht ganz eindeutig. Die Pferde verhielten sich zwar ruhiger als bei einem solchen Test vor der Trainingsphase, allerdings unabhängig davon, ob sie "ihren" Trainer der letzten zehn Tage oder eine fremde Person an der Seite hatten. Die Forscher führten dies auf eventuelle Gewöhnungseffekte zurück. Allerdings stellte das Team fest, dass Pferde, die mit Drucknachlass und Kraulen am Widerrist als Lob trainiert worden waren, mit dem vertrauten Trainer deutlich schneller durch den Parcours kamen als mit der fremden Person. Das Kraulen am Widerrist könnte dazu beigetragen haben, dass die Pferde eine Bindung zum Trainer enwickelten. Bei einer weiteren Gruppe, die mit Drucknachlass und Futterbelohnung trainiert wurde, konnte die Studie dagegen keinen solchen Effekt zeigen. Möglicherweise sei die Zeitspanne zu kurz gewesen, um dadurch eine Bindung aufzubauen, so die Vermutung.

Warum das Kraulen am Widerrist ein besonderer Beziehungsbooster sein könnte? Pferde schaffen Bindung auch untereinander über Berührung. Dabei gibt es neben dem Knabbern am Widerrist, das nachweislich die Herzfrequenz senken kann, noch viel feinere Nuancen: Pferde, die sich mögen, verbringen etwa gerne Zeit in der Nähe des anderen – Nähe macht Freundschaft sogar messbar. Dabei berühren sich die Pferde häufig auch ganz sanft, zum Beispiel wenn sie Bauch an Bauch nebeneinander dösen.

Auch zwischen Pferd und Mensch ist Berührung ein ganz entscheidendes Mittel, um eine Beziehung aufzubauen. Besonders spannend: Auch hier scheint es ohne eine Prise Liebe nicht zu funken. Was esoterisch klingen mag, ist wissenschaftlich bewiesen: Eine Studie zeigte, dass Pferde deutlich entspannter reagierten, wenn sie von Personen gestreichelt wurden, die sich selbst als Tierfreunde einstuften. Strichen dagegen Menschen übers Fell, die Tiere nicht mochten, war ihre Herzfrequenz höher. Das könnte mit einer Synchronisation der Herzfrequenz zwischen Mensch und Pferd zusammenhängen. Liebe wirkt also buchstäblich bis in die Fingerspitzen.

Pferdeverhaltenstrainerin Dr. Sandra Ruzicka findet die Verbindung von Geist und Händen ganz entscheidend im Pferdetraining. "Liebe kommt buchstäblich in den Händen an. Oft werden unsere Handgelenke steif, weil wir nicht in der richtigen mentalen Verfassung sind", so die Erfahrung der Reiki-Praktizierenden – in der japanischen Energiearbeit geht es unter anderem um den engen Zusammenhang von Körper und Geist. Negative Emotionen spürt das Pferd Ruzicka zufolge dann nicht nur beim Streicheln, sondern auch, wenn wir die Zügel in der Hand halten oder am Kappzaum ganz fein auf den Nasenrücken einwirken wollen.

Eine innere Abwehrhaltung lässt uns Zuneigungssignale übersehen

Druck und Anspannung entstehen dabei oft, weil wir die Erwartungen anderer erfüllen wollen – sei es die Reitlehrerin oder der Stallkollege. "Dann tappt man leicht in die Falle und fordert mehr vom Pferd, als es leisten kann", erklärt Coaching-Expertin Franziska Müller. Das Verzwickte dabei: Auch hinter diesem Mechanismus steckt ein Bedürfnis nach Bindung: "Wir wollen schließlich auch von den anderen Einstellern gemocht werden, wollen gelobt werden, für das, was wir tun." Das könne so weit führen, dass der Mensch sich völlig verbiegt, etwa die Nähe des Pferds nicht zulässt, obwohl er eigentlich so gerne kuscheln möchte – sich das aber nicht erlaubt. Weil man so vermeintlich das Pferd verzieht.

"Das Wichtigste ist, dem Pferd mit einem offenen Herzen zu begegnen. Viele sind leider in einer inneren Abwehrhaltung, erwarten bereits, dass das Pferd Grenzen überschreitet", sagt Müller. Manchmal wolle das Pferd etwas geben oder suche einfach nur die freundschaftliche Nähe zum Menschen. Franziska Müller erinnert sich noch an einen Mann im Coaching, der den Kopf seines Pferds jedes Mal wie automatisiert wegschob, wenn es näher kam. Dabei suchte das Pferd nur seine Nähe, ohne respektlos zu werden. Doch auch den gegenteiligen Fall gibt es: Der Mensch sucht Nähe, das Pferd aber weicht aus. Dann heißt es akzeptieren, wenn das Pferd weniger Nähe mag – und erstmal die Bindung auf andere Art weiter verbessern.

Beziehung entsteht durch Dialog: Wie Pferde uns gezielt ansprechen

Um subtile pferdige Liebesbeweise, aber auch die eigene Wirkung auf das Pferd richtig einordnen zu können, müssen wir unser Sendungsbedürfnis auch mal abstellen, findet Sandra Ruzicka. "Viele Menschen halten dem Pferd sozusagen Monologe", sagt sie. Dass Pferde viel lieber in Dialog mit uns treten würden, zeigen Studien. Sie werden sogar richtig erfinderisch, wenn sie uns etwas sagen wollen – wir aber gerade nicht aufpassen. Denn Pferde können einschätzen, ob der Mensch ihnen zuhört oder nicht. Sie lesen aus Körperrichtung, Blick und Kopfposition, wie aufmerksam ihr Besitzer ist – und tun einiges, um ins Gespräch zu kommen. Forscher zeigten Pferden Leckerlis und ließen diese dann außer Reichweite des Pferds in einem Eimer verschwinden. Kurz darauf kam eine Bezugsperson. Was geschah? Die Pferde legten sich richtig ins Zeug, um zu verdeutlichen: Ich will dir was sagen! Sie liefen zum Reiter, berührten ihn mit der Nase, nickten und schleuderten den Kopf. Schien der Besitzer endlich aufmerksam, ließen die Pferde ihre Blicke zwischen Mensch und Futtereimer hin- und herwandern, als wollten sie sagen: Bring mir den Eimer!

Andererseits lesen Pferde auch unsere Körperprache mit feinen Antennen – und orientieren sich in potentiell gefährlichen Situationen am Menschen. Bei Katzen und Hunden konnten bereits zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass sie emotionale Informationen des Menschen nutzen, um ihr eigenes Verhalten danach auszurichten, wenn eine Situation für sie unklar ist. Eine deutsche Studie aus 2020 liefert Hinweise, dass auch Pferde unsere Gefühlsäußerungen als Richtschnur für ihre eigene Reaktion nutzen.

Diejenigen von insgesamt 46 Pferden, die positive emotionale Signale der Testleiterin wahrnahmen, suchten mehr Nähe zu einem unbekannten Objekt, hielten sich länger zwischen ihr und dem Objekt auf und zeigten weniger Vermeidungsverhalten. Die andere Gruppe, bei der die Frau angespannt reagierte, zeigte sich dem Objekt gegenüber wachsamer und warf ihm mehr Blicke zu.

Bindung zu einem souveränen Menschen schafft also fürs Pferd Sicherheit – und die steht bei den Fluchttieren ganz oben auf der Prioritätenliste. "Das beste, was man aus Liebe tun kann, ist zu lernen, wie man eine gute Führungspersönlichkeit für sein Pferd wird", findet Dr. Sandra Ruzicka. Auch mal Grenzen zu setzen, kann die Beziehung durchaus fördern, denn Pferde fühlen sich von klaren und souveränen Menschen angezogen. "Meiner Erfahrung nach gelingt das am besten, wenn das Basisgefühl Liebe und Zuneigung ist." Pferde müssten erstmal wissen, dass wir es grundsätzlich gut mit ihnen meinen – und könnten ähnlich wie Kinder dann auch mal eine klare Ansage annehmen.

Stress in Maßen gehört im Training dazu und stärkt die Beziehung

Mit Dominanz hat diese gelassene Souveränität wenig gemeinsam. Sandra Ruzicka spricht lieber von Respekt, vom gegenseitigen Anerkennen der Kompetenzen des Gegenübers. Dass dominantes Auftreten bei Pferden zu Lernerfolgen führt, bezweifeln Forscher ohnehin. Paul McGreevy, Elke Hartmann und Janne Christensen verglichen zahlreiche Studien zum Thema. Ihr Fazit: Bei Pferden spielt der Rang vor allem dann eine Rolle, wenn es um Ressourcen wie Futter geht. In der Beziehung zwischen Mensch und Pferd habe Dominanz – sofern überhaupt – nur eine geringe Bedeutung. Vielmehr führe Wissen um natürliches Verhalten und darüber, wie Pferde lernen, zu guten Trainingsergebnissen.

Zum diesem Wissen zählt auch, dass Stress beim Lernen dazugehört. Denn nur, wer die Komfortzone ab und zu verlässt, kann über sich hinauswachsen. Das gilt für Menschen wie für Pferde. Wer sein Tier also ständig in Watte packt, nimmt ihm die Möglichkeit, sich zu entwickeln. "Leichter Stress, der wieder weggeht, gehört zum Weiterkommen dazu", erklärt Dr. Sandra Ruzicka. Dabei wächst nicht nur das Selbstbewusstsein. "Jedes gemeinsame Erweitern der Komfortzone stärkt die Bindung", so die Verhaltenstrainerin.

Wie gut liebevolle Zuwendung wirkt, weiß die Trainerin aus der Arbeit mit schwierigen Pferden. Nicht einmal Möhrchen wirken gleichermaßen – das wurde Sandra Ruzicka im Training mit einer Isländer-Stute, die ständig im Fluchtmodus war, vor Augen geführt. Ruzicka wünschte, dass die Stute den Kopf senkt, denn das wirkt beruhigend aufs Pferd. Sie legte sanft eine Hand aufs Nasenbein und eine aufs Genick der Stute und wartete ab, atmete tief, versuchte das Kopfsenken im eigenen Körper zu spüren – bis die Stute nach einer Stunde ohne Druckausübung den Kopf senkte. Die Verbindung mit dem Tier konnte dabei deutlich mehr Entspannung bewirken als ein in die Tiefe lockendes Leckerchen. Denn erwartet das Pferd eine Futterbelohnung, wird Dopamin ausgeschüttet. Das Glückshormon wirkt aktivierend; und das Pferd wird den Kopf wahrscheinlich schnell wieder heben. Bei der Arbeit nur über die Berührung werde dagegen Serotonin ausgeschüttet, wie immer beim Kopfsenken, etwa bei der Futtersuche oder beim Dösen, erklärt Ruzicka. Bei der Stute jedenfalls hat die Zuwendung gewirkt. "Sie macht seitdem wahnsinnige Entwicklungsschritte", berichtet die Trainerin.

Dehnung und Losgelassenheit gehen nur über Vertrauen und Verbindung
Das Beispiel zeigt: Echte Pferdeliebe wirkt auf Geist und Körper. Reitet Zuneigung mit, hat das unmittelbare Auswirkungen auf Bewegungsmuster, ist Pferde-Physiotherapeutin und Expertin für Trageerschöpfung, Sandra Ruzicka, überzeugt. "Ich finde, dass eine gute Beziehung die absolute Basis für eine echte Dehnungsbereitschaft ist", sagt sie. "Denn warum sollte das Pferd sich dehnen, wenn es mental angespannt ist, weil es seinem Reiter nicht vertraut?" Losgelassenheit habe eine große mentale Komponente. Und das Pferd könne nur so losgelassen sein wie sein Reiter. Wer eigene und Erwartungen anderer über Bord wirft und sich ganz auf die Liebe zu seinem Pferd fokussiert, wird im Training vielleicht plötzlich schneller vorankommen.

Und wenn es trotzdem mal nicht so läuft? Dann heißt es, rational bleiben, meint Franziska Müller: "Die Liebe zu unserem eigenen Pferd lässt uns auch vieles persönlich nehmen, statt objektiv nach Ursachen zu suchen." Dann wird die Liebe schnell egoistisch, meint Müller. Doch das muss nicht sein. "Pferde akzeptieren uns bedingungslos, sehen uns so, wie wir sind. Wenn wir ihnen das zurückgeben, ist es das größte Geschenk, das wir ihnen machen können."

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Erscheinungsdatum 17.05.2023