Schnupperkurs für Pferde
Unbeirrt stapft der Fuchs den Waldweg entlang. Mit der Nase dicht überm Boden. Rachaël Draaisma hat ihren 29-jährigen Wallach auf eine Fährte angesetzt. Er sucht die CAVALLO-Autorin, die hinter einem Baum kauert. Ob das Seniorenpferd die versteckte Person findet? Die Verhaltenstrainerin lässt ihren Vosje vorweggehen, vertraut seinem Spürsinn. Die Fährte ist mehrere hundert Meter lang, biegt bald vom Weg ab – tiefer in den Wald hinein. Keine leichte Aufgabe, aber der Wallach verfolgt die Fußspuren so sicher wie ein Beagle. Schnüffelnd. Konzentriert. Motiviert. Rachaël Draaisma hat Mühe, Schritt zu halten. Vosje klettert zielstrebig über einen Baumstamm. Hab dich! Der Fuchs hat die Autorin aufgespürt und bekommt seinen Finderlohn.

Wallach Vosje ist 29 Jahre alt - aber noch lange nicht auf dem Abstellgleis. Seine Besitzerin hat ihm beigebracht, Fußspuren zu verfolgen. Das fordert sein Köpfchen.
Die Niederländerin liebt es, Pferden Reize für ihre Sinne zu geben: "Nasenarbeit ist Self-Empowerment für die Tiere. Sie werden mutig und selbstbewusst." Ihr Vosje ist das beste Beispiel: Das Warmblut stand jahrelang allein auf einer Weide. Als er zu Rachaël Draaisma kam, litt er unter Trennungsangst und klebte an der Herde. Aber das Fährten-Training machte ihm so großen Spaß, dass er darüber seine Angst vergaß. Manchmal schmunzeln Passanten über das Paar: Wenn Vosje seine Besitzerin regelrecht hinterherzieht. "Das ist okay. Er hat seinen eigenen Kopf, was gut für die Fährtensuche ist. Da muss er entscheiden, wo es langgeht." Sie habe sich ohnehin immer ein Pferd gewünscht, das sich frei entfalten und unterschiedliche Emotionen zeigen darf: "Wie ein Hund eben.”
Was der Suchhund kann, kann das Suchpferd schon lang: Aber hinter dem Erfolg steht eine ausgeklügelte Methode. Rachaël Draaisma trainiert Pferdenasen systematisch. Selbst Organisationen in den USA sind auf ihre Arbeit aufmerksam geworden – wie etwa die Lone Guardian LLC, die nach vermissten indigenen Frauen sucht. "Wir werden Pferde in die Such- und Rettungsaktionen einbringen. Eine verantwortungsvolle Aufgabe, die dieses Jahr begonnen hat.”

Super gemacht! Das Pferd hat die CAVALLO-Autorin hinter dem Baum gefunden. Als Finderlohn gibt es Futter.
Beim Schnüffeln strömt Dopamin
Eigentlich arbeitet die 54-Jährige als Verhaltenstrainerin für Pferde. Besitzer rufen sie etwa, um Pferde in einer Verletzungspause zu beschäftigen oder sie wieder anzutrainieren. "Suchen die Pferde, laufen sie im flotten Schritt und können ihre Impulse besser kontrollieren – und sie springen nicht unkontrolliert los", weiß die Expertin. Außerdem hilft sie Pferden mit Angst vorm Verladen und mit typischen Verhaltensproblemen. Schreckhafte Pferde lernen bei der Nasenarbeit, dass neue Objekte interessant sind und erkunden von selbst ihre Umgebung. "Beim Schnüffeln schüttet der Körper Dopamin aus, was Pferden zu entspannter Beschäftigung ohne Angst verhilft. Und Glückshormone spielen eine Rolle fürs Wohlbefinden."
Rachaël Draaisma gibt Workshops und reist für Vorträge bis nach China und in die USA. Im Publikum sitzen Tierärzte, Therapeuten, Trainer und Reiter. Sie spricht auch an Unis. Ihre beiden Fachbücher über Duftarbeit und Calming Signals von Pferden sind in zahlreiche Sprachen übersetzt. "Die Bücher sind heute wie meine zwei Beine, auf denen ich beruflich stehe. Sie ergänzen sich perfekt", meint Rachaël Draaisma. Hat sie den internationalen Erfolg erwartet? "Eher erhofft. Am wichtigsten war, dass mich das Thema interessiert. Ich möchte Pferden helfen, besser in unserer menschlichen Welt zurechtzukommen."

Ihre Bücher: "Scentwork for Horses" und "Language Signs & Calming Signals of Horses". Letzteres erscheint am 24. Juni in deutscher Sprache bei Kosmos.
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Drei Jahre arbeitet sie an ihrem ersten Buch
Wie zielstrebig die Expertin selbst ist, zeigt ihre berufliche Laufbahn. Rachaël Draaisma startete nach dem Studium eine Karriere im Marketing. Schreiben fiel ihr leicht, aber richtig sinnvoll fühlte sich der Job nicht an. Eines Tages erzählte ihr eine Kollegin, dass sie in einer Hundeschule anfangen würde. "Als ich das hörte, wurde ich eifersüchtig – ein Gefühl, dass mir sonst völlig unbekannt war", erzählt Rachaël Draaisma. Sie nahm die Eifersucht als Zeichen, selbst etwas zu verändern.
Im Alter von 32 Jahren sattelte die Niederländerin auf Tiertraining um und eröffnete sogar eine eigene Hundeschule. Sie verschlang das Buch von Turid Rugaas über Beschwichtigungssignale bei Hunden, bildete sich dazu fort und entdeckte: Über das Thema gab es bei Pferden bisher keinerlei Forschung "das konnte ich kaum glauben".
Also setzte Rachaël Draaisma alles auf eine Karte: Für ihr erstes Buch "Language Signs & Calming Signals of Horses" sichtete sie hunderte Videos, verbrachte Stunden auf Weiden, beobachtete, dokumentierte und analysierte, mit welchen feinen Gesten Pferde sich in der Herde beschwichtigen und Spannungen schlichten. Drei Jahre vertiefte sie sich Vollzeit in die Arbeit am Buch. 80-Stunden-Wochen waren normal. Aber es ging ja um Pferde – das fühlte sich nicht wie Arbeit an. "Seit ich sechs Jahre alt bin, umgeben mich die Tiere täglich”, resümiert sie die Forschungszeit. Die sie sich übrigens selbst finanziert hat.
Rachaël Draaisma möchte erreichen, dass alle Pferdebesitzer sich Zeit nehmen, ihre Tiere zu beobachten. Auf die Signale der Pferde zu achten. Feiner mit ihnen zu kommunizieren. "Beobachten kann jeder lernen. Ich bin das beste Beispiel. Je mehr man es macht, desto mehr nimmt man wahr."
Und sie führt direkt vor, wie sie die Calming Signals in der Praxis nutzt. Wir wollen auf der Weide fotografieren. Die Pferde sind noch weit weg. Doch Rachaël Draaisma lädt sie mit einem Beschwichtigungs-Signal ein, näher zu kommen: Sie dreht den Kopf – wie beim Schulterblick beim Abbiegen – zwei, drei Mal Richtung der Pferde und wieder zurück. Dann senkt sie den Blick, wartet. Nur Sekunden später setzt sich das erste Pferd in Bewegung und geht zu ihr. Sanft schnuppert es an ihrer Wange. Ganz höflich, wie das Pferd eben auch eingeladen worden ist.

"Ich drehe meinen Kopf einmal oder mehrfach zur Seite und senke dann den Blick. So lade ich Pferde ein. Sie kommunizieren ebenso."
Einzigartige Kombi für zufriedene Pferde
Duft-Arbeit und feine Kommunikation: Mit dieser einzigartigen Kombi bringt Rachaël Draaisma etwas in die Pferdewelt, von dem sie sich selbst noch viel mehr wünscht: "Die Pferde machen etwas aus eigenem Antrieb, sie nutzen ihre Sinne – und müssen nicht nur Gelerntes abspulen und gehorchen", sagt sie. Und das CAVALLO-Team schwärmt vom erlebnisreichen Tag bei der Frau, die mit Gesten wie ein Pferd spricht – und ein Pferd hat, das Fährten sucht wie ein Hund.

Rachaël Draaisma aus Milsbeek/ Niederlande ist Expertin für die Körpersprache von Pferden und für Duftarbeit. Die Spezialistin und Buch-Autorin bietet Online-Trainings und Workshops vor Ort. Mehr Infos unter: calmingsignalsofhorses.com