Ridersplaining: reine Klugschwätzerei?
Sagen wir doch einfach, wie es ist: Ungewollte Ratschläge sind reine Klugschwätzerei. Und kaum ist er raus, der Ratschlag, kommt ein "Sorry, ist nur gut gemeint” hinterher. Als würde das die Besserwisserei in ein sanfteres Licht rücken.
Das Phänomen ist überall zu finden, unter Reitern mittlerweile unter dem Hashtag "Ridersplaining” vor allem in den Sozialen Netzwerken. Professor Dr. Kathrin Schütz aus Brühl/NRW ist Psychologin. Sie arbeitet unter anderem an der Hochschule Fresenius in Düsseldorf als Dozentin und leitet ein Institut für pferdegestütztes Coaching. In Zusammenarbeit mit einer Studentin der Psychologischen Fakultät der Universität Bonn führte sie eine Studie zum Thema "Ridersplaining” durch. Ziel der Studie: Was motiviert Reiter, anderen einfach ungefragt Ratschläge zu erteilen. Und: wie kommt das bei den anderen an? Dazu wurden 798 Reiterinnen und Reiter verschiedener Disziplinen befragt.
Nur wenige waren für den Rat dankbar
Ein Ergebnis der Studie überrascht in keinster Weise: Fast alle Beteiligten – genauer: 91 Prozent – haben bereits Antworten auf nie gestellte Fragen erhalten. Das damit verbundene Gefühl war für die Beratschlagten keineswegs nur angenehm. Viele fühlten sich in ihrer eigenen Kompetenz als Reiter angezweifelt. Nur wenige waren für den ungewollten Rat dankbar, und nur ein paar konnten den Ratschlag zum einen Ohr rein und zum anderen wieder hinauslassen.
Warum fühlt man sich denn in solch einer Situation so bescheiden? "Wie so oft, sind wir hier wieder beim Thema Emotionen”, erklärt Professor Kathrin Schütz. "Jeder Reiter meint ja, Experte auf dem Gebiet zu sein und möchte für sein Pferd nur das Beste. Wird dieses Expertenwissen angezweifelt, sorgt das für miese Stimmung.”
Ein weiteres Ergebnis der Studie hinterlässt einen etwas ambivalenten Eindruck: Während die meisten Studienteilnehmer ein positives Motiv für ihren selbst erteilten, ungefragten Ratschlag angeben ("Ich möchte doch nur helfen”), empfanden sie einen an sie gerichteten ungewollten Rat als negativ. Professor Kathrin Schütz erklärt, was dahintersteckt: "Ich verteile ja nicht Ratschläge und fühle mich als Klugscheißer, sondern bin überzeugt davon, dass es wichtig und nötig ist, was ich zu sagen habe. Die Leute, die Ratschläge geben, wollen helfen. Sie haben positive Absichten.” Nur kommt das beim Gegenüber nicht immer so an.
Das Urvertrauen in soziale Kontakte
Steigen wir ein wenig tiefer in die Psychologie hinter Ridersplaining ein. Was verleitet andere dazu, uns ungefragt Ratschläge zu geben? Für unser geistiges und emotionales Wohlbefinden ist Vertrauen von sehr großer Bedeutung. Sei es Vertrauen in die Politik, in bestimmte Institutionen oder eben in sein eigenes Können. Schaffen wir es zu vertrauen, geht es uns gut – wir sind zufrieden. In der Psychologie werden in der sogenannten Vertrauens-Trias das interpersonale Vertrauen, das Selbstvertrauen und das Zukunftsvertrauen zusammengefasst.
Für uns ist das interpersonale Vertrauen von Belang. Es ist ein Urvertrauen in soziale Kontakte, die zu Beginn des Lebens tatsächlich lebensnotwendig sind. Es wird auch als die Erwartung definiert, dass man sich auf die Aussagen, Abmachungen oder Vereinbarungen einer anderen Person verlassen kann. Man kann ihnen vertrauen. Was hat das nun mit Ratschlägen zu tun, die man als Reiter bekommt? Laut der Studie von Professor Schütz sind Reiter eher in Stimmung, anderen Ratschläge zu erteilen, wenn sie der Meinung sind, dass die andere Person ähnlich denkt und handelt wie man selbst.

„Dein Pferd ist so nervös. Füttere doch mal Magnesium!” Die Fütterung ist ein beliebtes Feld für ungewollte Ratschläge. Wer sich dadurch verunsichern lässt, sollte einen Experten zu Rate ziehen.
Demnach könnte man einen ungewollten Rat durchaus als positiv gemeint annehmen, wenn da nur nicht folgendes Problem wäre: "Wir Menschen interpretieren und bewerten in einer Tour. Wir sind keine neutralen Beobachter”, sagt Professor Kathrin Schütz. "Wir verknüpfen unser Wissen mit dem, was wir wahrnehmen. Wenn also irgendjemand einmal etwas Schnippisches gesagt hat, dann haben wir mit demjenigen unsere Erfahrung gemacht und es fällt uns schwer, von ihm einen Ratschlag wertfrei anzunehmen.” Die Schwierigkeit der Wahrnehmung spielt also eine große Rolle. Denn wir hören, wie etwas gesagt wird und von wem. Nur: Mögen wir denjenigen oder nicht?
Hohes Bedürfnis, sich mitzuteilen
In ihrer Studie stellte Kathrin Schütz auch fest, dass die Personen, die gerne ungefragte Ratschläge geben, ein hohes Bedürfnis nach Bewertung haben. Sie neigen also sehr dazu, Dinge oder Erlebnisse spontan als richtig oder falsch einzuordnen. "Solche Personen denken viel über alles Mögliche nach und haben zu vielen verschiedenen Dingen eine Meinung”, so Kathrin Schütz. "Sie äußern ihre Meinung allerdings auch schneller und oft noch bevor sie gefragt werden.” Da liegt es nahe, dass sie auch ihre Einstellung und Meinung zum Umgang mit Pferden oder zum Reiten eher mit anderen teilen, statt sie für sich zu behalten.
Gut gemeinte Ratschläge sind allerdings alles andere als ein Garant für ein harmonisches Miteinander. Denn was macht es mit mir, wenn ich ungefragt eine Meinung zu hören bekomme? "Wir grübeln zu viel”, erklärt Professor Schütz. "Ungewollte Ratschläge können Reiter verunsichern, besonders, wenn sie sich ihrer Sache nicht ganz sicher sind.” Die Krux: Wer ein Pferd besitzt oder reitet, muss mit einer gewissen Ungewissheit leben. "Das Pferd spricht nicht. Seine Tagesform, seine Wehwehchen, seine Persönlichkeit. All das ist ungewiss und nicht vorhersehbar”, so Kathrin Schütz. Der Reiter ist zum Teil also auf Interpretation angewiesen. Ist nun der Reiter verunsichert, überträgt sich das aufs Pferd. Im Training ist uns das allen klar, aber die Emotionen schwappen eben auch bei solchen psychologischen und vermeintlich nebensächlichen Themen aufs Pferd über. Wer sich nun auch noch über ungewollte Ratschläge ärgert, überträgt diese Emotion ebenfalls auf sein Pferd. "Unsere Pferde sind sehr feinfühlig und analysieren uns blitzschnell. Pferde spüren unsere Emotionen und reagieren darauf”, erklärt die Psychologin. Die Auswirkungen können sich im Training oder auch im Umgang bemerkbar machen.

„Ich will ja nichts sagen, aber ich würde ein anderes Gebiss probieren!” Wer auf andere unsicher wirkt, bekommt häufiger ungewollte Ratschläge zu hören.
Also besser nicht ärgern lassen? "So ein Ratschlag sollte einem natürlich nicht den Tag vermiesen. Aber es ist immer gut, mit sich ehrlich zu sein. Habe ich Ahnung von dem angesprochenen Thema oder könnte der Tipp passen?”, sagt Kathrin Schütz. "Daher unbedingt selbst reflektieren, ob man den Rat annehmen möchte oder nicht.” Je nach Thema wäre die Absicherung bei einem Experten zielführender, etwa beim Trainer oder Tierarzt des Vertrauens. Verlassen Sie sich lieber auf dessen Meinung, als dem Schwarmwissen im Stall zu vertrauen. Und letztendlich entscheidet der Pferdebesitzer. Loten Sie zudem aus, auf wen Sie im Stall hören können und auf wen nicht. "Wer außerdem Sicherheit und innere Ruhe ausstrahlt, erhält diese ungewollten Ratschläge oftmals gar nicht so häufig. Oder es kommt zu einer guten Diskussion”, so die Expertin. "Denn meist wird es problematisch, wenn die Ratschläge von oben herabkommen und das Gespräch nicht auf Augenhöhe stattfindet.”
Gute Ratschläge für die Gegenseite
Welchen Rat kann man nun denjenigen geben, die Ridersplaining betreiben und gerne Ratschläge verteilen, um die keiner sie gebeten hat? "Ratgebende sollten innehalten und sich fragen, ob der andere wirklich einen Ratschlag braucht”, erklärt Kathrin Schütz. Kein Thema: Sind drastische Folgen für die Gesundheit absehbar, muss man etwas sagen. Etwa, wenn jemand mit einem zerbeulten Reithelm ausreiten geht. "Zieht derjenige keine Kappe auf, halte ich meinen Mund, denn es ist seine Entscheidung”, so Kathrin Schütz.
Oft ist es aber so, dass man sich einfach mal – auf gut Deutsch – auskotzen möchte. Etwa, wenn das Pferd ständig Kotwasser hat, man alles probiert hat und mit seinem Latein am Ende ist. "Demjenigen hilft es, all seine Sorgen und Gedanken loszuwerden. Er möchte keinen Rat. Wen es trotzdem juckt, sollte vorsichtig nachfragen, ob ein Rat gehört werden möchte.”
Ratgebende sollten sich unbedingt fragen, was der Rat bei ihrem Gegenüber bewirkt, sich bewusst machen, wie er auf andere wirkt. "Denn vielleicht finden sie uns arrogant, obwohl wir genau das Gegenteil sein wollen.” Selbst- und Fremdwahrnehmung stimmen nämlich nicht immer überein. Hilfreich ist auch in Sachen Kommunikation auf Wörter wie "müssen” zu verzichten. "Du musst” löst beim anderen direkt eine Abwehrhaltung aus.
Wer mehrfach ungewollten Rat erhält, sollte eine Grenze ziehen, indem er deutlich kommuniziert: "Danke für deine Tipps. Aber mein Tierarzt unterstützt mich” und somit die Diskussion gar nicht erst aufkommen lässt. Oder Sie machen unmissverständlich klar, wie Sie sich fühlen: "Ich fühle mich bevormundet, wenn du mir dauernd Tipps gibst.” Freundlicher klingt es, wenn man mitteilt, man denke über den Rat nach.
Team-Spirit gibt uns ein gutes Gefühl
Wie wird es besser? "Wer diesen Artikel liest und ehrlich mit sich ist, reagiert möglicherweise durch sein Unterbewusstsein anders”, so Kathrin Schütz. "Vielleicht stellt er sich die Frage, was er sich wünschen würde, ist sensibilisiert für das Thema, reflektiert sein Verhalten entsprechend und passt es an.”
Letztendlich steckt in Reitställen unendlich viel Potential, aus Reitern echte Team-Player zu machen. Kathrin Schütz erklärt, was sie meint: "Alle dort haben das gleiche Hobby und ein mehr oder weniger ähnliches Interesse. Team-Spirit ist wichtig und gibt uns ein gutes Gefühl. Wir können dadurch unsere Stärken zum Vorteil nutzen und lernen, mit unseren Schwächen umzugehen.” Wenn wir alle die eigenen Bedürfnisse etwas zurückstellen, uns selbst so nehmen, wie wir sind und uns nicht ständig mit andern vergleichen, stärkt das die Gemeinschaft und macht es leichter, mit anderen ins Gespräch zu kommen.
Ganz wichtig, um etwa die Gemeinschaft zu stärken, sind laut Professor Kathrin Schütz gemeinsame Aktivitäten rund um den Reitstall wie etwa Stangen streichen oder ein gemeinsamer Ausflug. Und wer beim nächsten Mal erst einmal überlegt, bevor er einen Rat gibt, stärkt das Stallklima ungemein – so ist Ridersplaining kein Thema mehr.
Lieber ohne die anderen
Manche Reiter oder Pferdebesitzer kapseln sich komplett ab. Reiten nicht mehr, wenn andere zuschauen und sind auch sonst eher Einzelgänger. Was steckt psychologisch dahinter?
"Das ist ein Extrem, letztlich geht derjenige einer Auseinandersetzung aus dem Weg. Das muss aber nicht immer gleich eine Sozialphobie sein”, so Professor Kathrin Schütz. "Aber in dem Fall sollte ich mir die Frage stellen, warum ich reite? Wofür steht mein Pferd? Oft spielt ganz viel Unsicherheit mit rein, denn das eigene Pferd ist etwas Besonderes. Die Leute sind zudem teils sehr introvertiert. Vielleicht hilft es, wenn sie das Gespräch suchen. Oder den Stall wechseln.”
Die Expertin

Professor Dr. Kathrin Schütz aus Brühl/NRW ist Psychologin und leitet ein Institut für pferdegestütztes Coaching. Als Professorin ist sie auch in der Forschung tätig. pferdecoaching-institut.de psychologie-im-reitsport.de