Kaltblut Pikör besticht mit seinem freundlichen Blick sogar emotionsgeladene Fußballfans. "Manche wollen den Wallach erschrecken und springen vor ihm hoch", erzählt Sandra Bode, Berittführerin der Reiterstaffel. Auf die Provokation geht das 1,80 Meter große und 780 Kilo schwere Tier aber nicht ein – im Gegenteil. "Je mehr Tumult vor ihm ist, desto spannender findet er es. Sein Leitspruch ist: Lass uns mal gucken.” Oft erlebt die Polizistin, dass ihr sanfter Riese mit der Nase Kontakt zu Menschen sucht. Daraufhin werden selbst aufgebrachte Gemüter ruhig. Sie spüren das aufgeschlossene Wesen des Wallachs – das überschwappt. "Manche provozieren erst und fragen dann, ob sie das Pferd streicheln dürfen", erzählt Sandra Bode. Sie gewährt die Streicheleinheit. Das ist Deeskalation par excellence!
Pikör ist einer von zwölf Kaltblütern bei der Polizeireiterstaffel Hannover. Diese startete vor fünf Jahren das in Deutschland einzigartige Projekt. "Es war immer schwieriger Pferde zu finden, die den Anforderungen körperlich und charakterlich gewachsen sind", erzählt Martin Koopmann. "Wir probierten erst schwere Warmblüter. Die haben sich auch gesundheitlich etabliert – aber der Markt war wie leergefegt.” Der Chef der Reiterstaffel dachte weiter: Warum nicht Kaltblüter ausprobieren? Ob sich die Schwergewichte bewähren und was sie besonders macht, erlebte das CAVALLO-Team beim Besuch.
Einfach stark – physisch wie psychisch
Auf dem Gelände der Reiterstaffel herrscht Trubel: Schmied, Sattler und Tierarzt sind da. Bei rund 30 Pferden, alles Wallache, gibt es stets etwas zu tun. Heute ist es besonders aufregend: Der Tierarzt checkt bei der Ankaufuntersuchung potenzielle Nachwuchspferde. "Davon bleibt wahrscheinlich nur ein Pferd über", weiß Janina Back, die seit 16 Jahren bei der Reiterstaffel ist. Die Gesundheits-Kriterien sind streng: Polizeipferde laufen viel auf Asphalt, die Gelenke sind stärker belastet.
Welche den Test schon bestanden haben, sehen wir bei der Führung durch die historischen Stallgebäude. Sandra Bode und Janina Back stellen uns ihre Pferde vor: Sam ist ein Süddeutsches Kaltblut, fünf Jahre alt und hat im Mai seine Polizeipferde-Prüfung bestanden. "Manches Warmblut benötigt deutlich mehr Zeit", erzählt Janina Back, die von Beginn an bei der Ausbildung dabei war. Bisher reitet nur sie Sam im Einsatz. "Er lernt weiter – eigentlich sein Leben lang", meint sie.
Wenn er mehr Erfahrung gesammelt hat, wird Janina Back Sam an einen Nachwuchsreiter abgeben. "Das fällt dann schwer, aber nur so funktioniert es”, meint sie. Was für ein Sympathieträger Sam ist, beweist er direkt. Als der Schmied durch die Stallgasse geht, stoppt er bei dem Riesen: "Da kann man nicht vorbei, ohne zu grüßen", sagt er. "Und man will sofort einen Latte Macchiato", erwidert Janina Back. Tatsächlich erinnern Sams Brauntöne und die helle Mähne an den Kaffee-Milch-Mix.
Auch der imposante Pikör zeigt auf dem Reitplatz, dass er mehr draufhat als gutes Aussehen. Das Hannoversche Kaltblut Schleswiger Ursprungs besitzt 12,5 Prozent Vollblutanteil. "Der kann gut galoppieren", sagt Sandra Bode – und führt es vor. Der Boden bebt! Pikör ist ein sportliches Einsatzpferd "und gibt sich immer Mühe". Auch Sam trabt in Dehnungshaltung und zeigt Schenkelweichen "Er war anfangs zäh, ist jetzt aber elastisch und vermittelt mir ein gutes Reitgefühl", erzählt Janina Back.
Für die Kaltblüter musste die Polizei bei der Ausbildung das Programm umstellen. Sie gehen vermehrt ins Grüne, gerade Strecken in der Natur – das liegt ihnen besser als Longenarbeit. So lernen sie auch direkt Umweltreize kennen. Schenkelweichen und Rückwärts, das muss jedoch sitzen. "Durchlässigkeit ist wichtig. Du willst nicht, dass ein 800-Kilo-Pferd unter dir den Hals gerade macht und aufs Gebiss beißt", sagt Sandra Bode.
Die Kaltblüter suchen gerne Kontakt
Von der Coolness überzeugen wir uns auch auf Streife. Die dauert normalerweise zwischen zwei und fünf Stunden am Tag. Die Kolosse stehen an der Ampel, passieren Unterführungen und Straßenbahnen. Sie ziehen viele Blicke auf sich. Vor dem Bahnhof scharen sich Menschen um die Pferde zum Fotografieren und Streicheln. Pikör streckt den Kopf zu einem Mädchen, das im Rollstuhl sitzt. Das Mädchen lächelt. "Die Kaltblüter sind immer zugewandt wie Therapiepferde", meint Sandra Bode später.
Fürs Foto-Shooting geht’s heute durch die Fußgängerzone. Durch die Menschenmenge reiten – eine Herausforderung, oder? "Die Pferde sind es gewohnt und achten auf die Passanten. Dass sie jemanden verletzen, habe ich noch nie erlebt”, erzählt Janina Back. Auf dem Rückweg wird Sam in einer dunklen Bahnunterführung nervös. Die berittenen Polizistinnen sind konsequent: Sie reiten nochmal hindurch. Als Erziehungsmaßnahme? "Auch. Aber eher, weil Sam mit einem guten Gefühl aus der spannenden Situation gehen soll. Es waren die Geräusche aus unterschiedlichen Richtungen", erklärt seine Reiterin.
Nicht jeder bei der berittenen Einheit war zunächst begeistert von den schweren Jungs. "Manche konnten sich mit den Schwergewichten nicht identifizieren, für andere ist es körperlich herausfordernd stundenlang wie im Spagat zu sitzen", berichtet Janina Back. Aber sie würde ihren Sam gegen kein Warmblut tauschen. "Man muss das wollen mit den Kalten. Aber dann sind sie eine Lebensversicherung etwa bei Demos und Festivals. Die Vielfalt macht’s."
Und Sandra Bode, die sich beim Shooting strikt gegen "Wendy-Romantik" wehrt, fügt hinzu: "Ich steige jedes Mal freudig in Pikörs Sattel, weil ich weiß, dass ich mich auf ihn verlassen kann." Der Chef selbst fehlt aufgrund von Krankheit beim CAVALLO-Besuch. Aber er war ja ohnehin von Anfang an von den Schwergewichten überzeugt. Auch, wenn er schon "hinter einem Kaltblut her gesurft ist" beim Führen, wie seine Kolleginnen preisgeben. Starker Wille gepaart mit Kraft und Masse – das ist herausfordernd bei Kaltblütern. Die Beamten schenken seither der Bodenarbeit und dem Gehorsam noch mehr Bedeutung. Sicher ist sicher. Schließlich sind wir hier bei der Polizei.
"Wir züchten nur mit Pferden, die sich bei der Arbeit bewährt haben.”

Jan zum Berge züchtet Kaltblutpferde für die Arbeit und Freizeit.
Jan zum Berge züchtet Kaltblutpferde für die Arbeit und Freizeit. Das hat in seiner Familie Tradition. Er verkaufte auch schon Pferde an die Polizei.
CAVALLO: Woher wissen Sie, welche Pferde aus der Zucht für die Polizei geeignet sind?
Jan zum Berge: Ich schaue eher, welches Pferd nicht passt. Das ist bei hoher Reaktivität der Fall – kommt aber selten vor. Die meisten Pferde passen.
Die Polizei klagt über Mangel an geeigneten Nachwuchspferden auf dem Markt. Sie können die Anforderungen bedienen, wie kommt’s?
Für die Polizei müssen Pferde ruhig und robust sein, das liegt unseren Kaltblütern in den Genen. Schon mein Vater hielt sich an das Prinzip, nur mit Arbeitspferden zu züchten. Sprich: Jedes Zuchtpferd hat sich im Alltag bewährt. Die Pferde laufen bei uns vor der Kutsche, vorm Planwagen und wir unternehmen Ritte. Buckeln kommt so gut wie nie vor. Da die Polizei sportliche Typen nachfragt, haben wir Kaltblüter mit Vollblutanteil gezüchtet.
Was ist besonders bei der Ausbildung?
Ich setzte mich einfach drauf und reite von Anfang an ins Gelände. Die Kaltblüter brauchen aber mehr Pausen, um über Gelerntes nachzudenken. Das ist wichtig, damit sie nicht überdrehen. Einige Polizeipferde machen nach dem Anreiten Sommerurlaub auf der Weide bei mir. Das tut ihnen gut.