Wie die Gerberei Heinen Leder nachhaltig produziert

Gerberei Heinen
Leder für Reiter nachhaltig produzieren

Zuletzt aktualisiert am 14.10.2020
Gerberei Heinen
Foto: Lisa Rädlein

Das alte Backstein-Fabrikgebäude aus dem 19. Jahrhundert scheint wie aus der Zeit gefallen. Unter den hohen Decken verlaufen kreuz und quer Rohre, an einigen Stellen bahnt sich Efeu seinen Weg durch kleine, halbblinde Fenster – und gleichzeitig brummt mitten in der Fabrik ein hochmodernes Blockheizkraftwerk.

In der Produktionshalle lärmen Maschinen, zu Hochzeiten 24 Stunden an sechs Tagen die Woche, gepaart mit dem unverkennbaren, scharfen Geruch nach Chemikalien – und dennoch verbrauchen diese Maschinen teilweise nur ein Fünftel der Ressourcen, die andere Gerbereien benötigen.

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Lisa Rädlein

Und der Firmenchef, in mittlerweile vierter Generation, verarbeitet zwar die Häute von Mastbullen zu Leder – plädiert aber als bekennender Vegetarier dafür, weniger und bewusster Fleisch zu essen.

Wer die Gerberei Heinen in Wegberg/Nordrhein-Westfalen und ihren Firmenchef Thomas Heinen besucht, stößt an allen Ecken auf Widersprüche. Der größte unter ihnen: Kann eine Gerberei überhaupt nachhaltig und ökologisch arbeiten – also ein Unternehmen, das traditionsgemäß Unmengen an Wasser, Energie und Chemikalien benötigt?

Früher zählte nur der Preis, nicht die Umwelt

Ja, das kann es. Aber, zugegeben, das war für die Kunden der Gerberei – vorwiegend Schuh- und Handtaschen-Hersteller – in früheren Jahren erstmal zweitrangig. Entscheidend war der Preis des fertigen Leders, weniger der umweltfreundlichere Gerbprozess, auf den bereits der Vater von Thomas Heinen setzte.

"Also suchte ich nach einem Weg, um unseren Kunden erklären zu können, warum unser Leder teurer ist", erzählt Chef Thomas Heinen. Er fasste die Firmenleistungen in punkto "nachhaltige Gerbung" vor rund 15 Jahren unter dem firmeneigenen Label "Terracare" zusammen. Seither trägt jedes Leder, das die Fabrik verlässt, dieses Markenzeichen. Auf dieses Leder setzen vor allem Schuh-Hersteller aus dem Outdoor-Bereich wie Lowa oder Meindl, aber auch Königs Reitstiefel. Die Reitsportfirmen Cavallo und Passier testen derzeit erste Muster für ihre Produkte.

Hinter dem kleinen "Terracare"-Anhänger steckt so einiges an großen Anstrengungen, etwa in punkto Wasserverbrauch. "Die meisten Gerber brauchen für die Herstellung von einem Quadratmeter Leder 300 Liter, schlechte Gerber sogar bis zu 500 Liter Wasser", so Thomas Heinen. Seine Gerber benötigen hingegen nicht mal 100 Liter. Wie ist das möglich? "Wir bereiten das Wasser während des Produktionsprozesses immer wieder auf und können es so mehrmals verwenden", erklärt der Firmenchef.

Der Traum von der eigenen Kläranlage

Vor allem die ersten Produktionsschritte verschlingen einen Großteil des Wassers: Dabei werden die Häute von Fetten, Eiweißen und Haaren befreit und zum ersten Mal gegerbt, also haltbar gemacht. S

eit Anfang des Jahres ist diese erste Teilproduktion bis zum sogenannten "Wet Blue", einer feuchten, blau erscheinenden Haut, von Wegberg nach Polen ausgelagert. Nicht, weil Heinen Lohnkosten sparen wollte. Ihn reizte etwas Anderes: eine eigene Kläranlage.

Mit der kann das Wasser nun chemisch, mechanisch und biologisch aufbereitet und der Verbrauch so noch weiter optimiert werden. "Und das unter den gleichen Umweltbedingungen, wie sie auch in Deutschland gelten", ergänzt Heinen.

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Die "Wet Blue"-Häute werden anschließend in Wegberg auf die gewünschte Dicke gehobelt. Und wo gehobelt wird, fallen bekanntlich Späne: Früher war das Material für Reitböden, heute wird es vorwiegend für Lederfaserstoffe genutzt. Die finden sich beispielsweise in Einbänden von Fotoalben. Diese und weitere Abfall- oder, wie Thomas Heinen es nennt, Nebenprodukte machen einen Großteil des Produktionsprozesses aus: Denn nur ein Viertel der Tierhaut wird letztlich zu Leder.

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"Wir mussten ganz schön tüfteln, um für die Nebenprodukte eine Weiterverwendung zu finden", gibt Heinen zu. Die Tüftelei hat sich gelohnt: 97 Prozent aller Nebenprodukte können recycelt oder anderweitig eingesetzt werden, etwa für Gelatine in der Lebensmittelindustrie, in Biogas-Anlagen oder für Lederkleinteile.

Diese Quote wird noch von der Energie-Effizienz übertroffen: Die liegt nämlich bei 98 Prozent. Maßgeblich dafür verantwortlich ist das Blockheizkraftwerk, das seit acht Jahren Strom für die Gerbprozesse erzeugt. Die Abwärme wird für die Trocknung des Leders genutzt. Was noch an Strom fehlt, kauft Heinen aus regenerativen Quellen zu.

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Eher konservativ ist er, was den Einsatz von Chemikalien angeht: Gegerbt wird größtenteils mit Chrom-III-Salzen. "Aber richtig gehandhabt, entstehen bei der Herstellung keine giftigen Stoffe", betont er und fügt hinzu: "Pflanzliche Gerbung mag sich umweltfreundlicher anhören.

De facto ist es aus ökologischer Sicht nicht besser als die mineralische Chrom-Gerbung." Für einige Hersteller gerbt er auf Wunsch aber auch komplett chromfreies Leder.

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Heinens Bemühen, Leder ökologisch und sozialverträglich herzustellen, ist eine Nischenproduktion – die ihren Preis hat. Vor allem im Vergleich zu Ledern aus Ländern wie China, Indien, Bangladesch, in denen Produktionsvorschriften schwächer und Arbeitsbedingungen härter sind.

Ob es Bio-Leder gibt, liegt an den Verbrauchern

"Das frustriert natürlich manchmal, wenn Kunden lieber günstiger dort kaufen", gibt Heinen zu. "Aber ich kann nur schauen, dass wir hier so gut wie möglich produzieren. Wenn unsere Kunden diese Leidenschaft teilen und letztlich auch der Endkonsument, haben wir alle was davon."

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Der Endverbraucher habe auch Einfluss aufs erste Glied der Leder-Kette – das Rind. "Unsere Häute kommen von Mastbullen, die zur Fleischerzeugung in Ställen groß gezogen werden", sagt Heinen. Aber er kauft auch alle Häute von Bio-Rindern zu, die er bekommen kann. Die werden zu Leder für die "Identity Line" des Schuh-Produzenten Meindl, ein Projekt, das Heinen mit Lukas Meindl zusammen angestoßen hat. Jedes Material, jeder Produktionsschritt eines solchen Schuhs ist nachverfolgbar.

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Das Problem nur: Es gibt zu wenig Häute, weil es zu wenig Bio-Rinder gibt. "Würden die Verbraucher weniger und bewusster Fleisch essen, gäbe es auch die entsprechenden Häute für Bio-Leder", sagt Thomas Heinen, "das liegt in unserer Macht." Naja, in seiner nicht – er ist von Kindesbeinen an Vegetarier.

Terracare-Label: Schonend für die Umwelt

Jedes fertige Lederstück, das die Gerberei Heinen verlässt, trägt das firmeneigene Label terracare. Unter diesem Begriff fasst die Gerberei die eigenen hohen Ansprüche in punkto sozialer Verantwortung und ressourcenschonender Herstellung zusammen. Neben Einsparungen bei Wasser (40%) oder Kohlenstoffdioxid (30%) ist die Herkunft des Leders auch zu 100 Prozent transparent und nachvollziehbar.

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Wie erkenne ich nachhaltiges Leder?

Wer bei Schuhen, Handtaschen oder auch Reitsport-Artikeln auf der Suche nach nachhaltig hergestelltem Leder ist, kann sich auf unterschiedliche Qualitäts-Siegel verlassen, etwa von Oeko-Tex (Leather Standard), dem Blauen Engel oder auf das Label "SG-Schadstoffgeprüft".

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Der Internationale Verband der Naturtextilwirtschaft (IVN) zertifiziert Naturleder, wenn die Produktionskette von Rohware bis zum fertigen Leder besonders ressourcenschonend ist.