Sattler und Physiotherapeut gehen bei der Sattelanpassung oft ganz unterschiedlich vor und haben einige Streitpunkte – oder etwa nicht? Wir wollten es wissen und luden Stefan Wolfrum, DIPO-zertifizierter Pferdephysiotherapeut mit mobiler Praxis sowie Sattelanpasser bei Iberosattel und Sattlermeister Tarquin Cosack von der Hofsattlerei Cosack ein, gemeinsam am lebenden Objekt zu diskutieren.

Die beiden waren sich überraschend einig, nahmen aber kein Blatt vor den Mund, wenn es darum ging, was Sattler und Physiotherapeuten mit mangelndem Wissen so alles verkorksen.
Das Pferd – Anatomie-Formular gegen Physio-Handgriffe
Der Ring ist eröffnet – als erstes sollen die beiden Experten das Pferd so beurteilen, wie sie auch sonst vorgehen würden. Tarquin Cosack, Sattlermeister und Dozent an der Berufsschule für angehende Sattler in Herford (NRW), prescht vor und geht mit Besitzerin Franziska einen ausführlichen Fragenkatalog zu ihrer Stute durch.

Shaylee ist ein irisches Sportpferd, zehn Jahre alt und vier bis fünfmal die Woche für Dressur und Springen unter dem Sattel. Auch nach Vorerkrankungen, Zahnkontrolle und Sattelzwang fragt der Sattler und vergibt für den Futterzustand ein "Fleißsternchen" – Shaylee hat ein kleines Bäuchlein.
Cosack hat einen vorgefertigten Bogen dabei, in dem er Exterieureigenschaften ankreuzen kann. Er entscheidet sich für "Quadratpferd" mit leichtem Schwung in der Oberlinie. Shaylee sei nicht extrem überbaut, aber etwas steil im Lendenwirbelsäulenbereich. Cosack stellt einen hohen Muskeltonus fest, starke Muskelquetschungen kann er nicht erkennen, die Grundmuskulatur "könnte aber schöner sein".
Pferdephysiotherapeut Stefan Wolfrum sieht das ähnlich: "Die Muskulatur hat Potential nach oben." Problematische Spots, die der Stute etwa Schmerzen bereiten, findet Wolfrum aber nicht. Im Vergleich zu Cosack beurteilt er weniger mit dem Auge, mehr mit den Händen. "Wenn ich in meiner Funktion als Physiotherapeut einen Sattel überprüfe, untersuche ich erst die Muskulatur des Pferds und taste die Sattelpolsterung ab."

Kunden schauten oft nur auf die Muskulatur, er gehe aber auch die Knochendurch, bewege etwa jeden ertastbaren Dornfortsatz am Rücken einzeln. Bei Shaylee findet er keine großen Probleme, stellt aber fest, dass sie im Becken etwas rechtslastig ist. Außerdem testet er die Beweglichkeit des Rückens nach oben und die Beweglichkeit der Schulter – hier ist Shaylee im normalen Bereich.
Physiotherapeut Stefan Wolfrums Fazit zur Pferdebeurteilung: "Ich glaube, das ist das erste Mal, dass ich einem Sattler beim Thema Exterieur so zustimmen kann." Tarquin Cosack kann das nachvollziehen, denn auch er findet: Den meisten Sattlern fehlt Anatomie-Wissen. "Ich kämpfe seit Jahren darum, dass Anatomie mit in die Ausbildung zum Sattler aufgenommen wird. Ein Mädchen, das den Basispass absolviert hat, weiß mehr über den Pferdekörper als ein fertig ausgebildeter Sattler-Meister – zumindest, wenn der sich nicht neben der Ausbildung selbst weiterbildet."
Die Sattellage
Übers Skelett lässt sich nicht streiten "Die Sattellage ist der Bereich, in dem das zu tragende Gewicht kraftmäßig gestützt werden muss", erklärt Sattler Tarquin Cosack. Dieser Bereich beginnt für ihn am Ende des Schulterblatts. Die Wirbelsäule muss ausgespart werden und die Auflagefläche endet oberhalb der Zwischenrippenmuskulatur – sonst könne die Atmung eingeschränkt werden. Ende der Sattellage ist am 18. Brustwirbel.
Anders als viele Physiotherapeuten und Osteopathen macht Cosack es aber vom Sattelmodell abhängig, ob der Sattel über diesen hinausragen darf: "Ein Sportsattel muss da aufhören zu belasten. Ein Barock- oder Westernsattel mit Trachtenverlängerung und weniger Gewebedruck darf auch über den 18. Brustwirbel hinaus Auflagefläche haben. Auch die alten Militärsättel waren so gebaut, die größere Auflagefläche sollte das Pferd vor Fehleinwirkungen schützen." Physiotherapeut Stefan Wolfrum sieht das so: "Der 18. Brustwirbel ist ein wichtiger Anhaltspunkt; Abweichungen von der Regel sind individuell zu betrachten."

Mit Kollegen, die keine zusätzliche Ausbildung im Sattelbereich haben, ist er oft uneins: "Da habe ich oft die Diskussionen, wo man den Sattel überhaupt auflegen darf." Das Problem aus seiner Sicht: Mangelndes Wissen auf diesem Gebiet, denn Sattelkunde ist nur ein kleiner Teil der Ausbildung zum Osteopathen bzw. Physiotherapeuten.
Mit bunter Kreide zeichnet Sattler Tarquin Cosack nun die Sattellage auf Shaylees Rücken ein, misst die Kammerweite am Widerrist aus. Stefan Wolfrum ist mit der eingezeichneten Sattellage zufrieden: Über anatomische "Fixpunkte" am Pferd dürfe es eigentlich keine Diskussion geben, findet er. Dennoch: "Ich habe mit Sattlern immer mal wieder Auseinandersetzungen darüber, wo nun der 18. Brustwirbel ist." Cosack stimmt Wolfrum zu: "Einen Diskurs kann es über die Passform des Sattels geben, aber die Anatomie müsste eigentlich jeder Sattler kennen."

Cosack nutzt außerdem den Topographen von Equiscan, ein anpassbares Messgerippe, um den Pferderücken nachzuformen. "Damit kann man das Pferd rekonstruieren." Sattelbäume werden in seiner Werkstatt auch nach den Messdaten angepasst; ohne zusätzliche Einschätzung des Pferds durch den Sattler geht es nach Cosacks Ansicht aber nicht.
Wolfrum meint: "Viele Sattler kommen ohne diese Messung gut aus. Oft fehlt die Kommunikation zwischen Pferderückenvermesser, Sattler und Therapeut, so das individuelle Probleme in der Pferd-Reiter-Sattel-Konstellation nicht ausreichend berücksichtigt werden."
Beurteilung im Stand – Wie lang darf der Sattel wirklich sein?
Nun kommt der Moment der Wahrheit – Besitzerin Franziska soll den Sattel ohne Unterlage für die Beurteilung im Stand auflegen. Auf den ersten Blick ist zu sehen: Der Sattel ragt über den eingezeichneten 18. Brustwirbel hinaus, was er als moderner Dressursattel nach Tarquin Cosacks Ansicht eigentlich nicht dürfte. "Wenn man es ganz hart sieht, ist der Sattel zu lang – heißt, Franziska dürfte so nicht mehr reiten."

Cosack würde den Sattel dennoch nicht vom Pferd verbannen, sondern eine andere Lösung suchen, die die Sitzfläche verkürzt. "Mit einem vorgeschnittenen Sattelblatt und weniger Pausche wäre das möglich – aber auch nur, weil Shaylee keine therapeutischen Baustellen hat und die Reiterin leicht ist." Widerristfreiheit, Wirbelsäulenkanal und die Auflage der Kissen stuft Cosack als normal ein.
Stefan Wolfrum sieht die Sattellänge ebenfalls kritisch. Für ihn ist allerdings auch die Beurteilung in der Bewegung besonders wichtig.
Unterm Sattel – Warum gute Reiter Sättel besser beurteilen
Was also fällt dem Physio-Experten auf, wenn Franziska im Sattel sitzt? "Der Sattel springt hinten, und die Schulter des Pferds wird blockiert." Das sei, als ob das Pferd zweigeteilt wäre. "Verständlich, dass Shaylee nicht locker und reell über den Rücken gehen kann", wird Wolfrum deutlich. Dabei habe die Stute eigentlich eine günstige Winkelung der Hinterhand und könnte mehr untertreten.

Und was sagt der Sattler und passionierte Reiter Tarquin Cosack? "Die Stute läuft ganz nett – sie hat gelernt, dass sie am Zügel gehen soll." Dabei falle die Stute aber auf die Vorhand.
Einigkeit also beim Bewegungsbild des Pferds. Das könnte mit daran liegen, dass beide Experten selbst in verschiedenen Disziplinen bis Klasse M reiten. Das ist nicht selbstverständlich und für Stefan Wolfrum auch ein Grund, warum er als Physiotherapeut oft ein Problem mit der Einschätzung des Sattlers hat: "Viele Sattler und Sattlermeister haben keine fundierten Reitkenntnisse.
Die Lederverarbeitung steht hier im Vordergrund." Doch auch unter den Pferde-Physiotherapeuten hat nicht jeder reiterliche Expertise: "Manche hatten vielleicht mal eine Reitbeteiligung, aber ob die jemals sehen, ob das Pferd reell unterm Sattel läuft, wage ich zu bezweifeln", so Wolfrum.

Das sei ein gravierendes Problem, denn bei der Sattelanpassung sei ganz entscheidend, wie jemand reitet. "Eigentlich muss ich fragen: Wollen Sie draufsitzen oder reiten?", erklärt der Pferde-Physiotherapeut. Ein auf hohem Niveau gerittenes Pferd wölbe beim Reiten den Rücken auf, ein Pferd, das lange und gemütlich ins Gelände geht, dagegen kaum. Das müsse bei der Anpassung berücksichtigt werden.
Und unsere Reiterin vor Ort? Die passe nicht schlecht in den Sattel, doch die Pauschen sind Wolfrum zu groß. "Sie klemmt dadurch fest." So sieht es auch Cosack, und beide "klauen" Franziska kurzerhand die "Monsterpauschen" (Cosack), die glücklicherweise nur mit Klett befestigt sind.

Danach fehlt der jungen Reiterin erstmal etwas die Stabilität – die Stute auszusitzen, fällt ihr ohnehin nicht ganz leicht, wie sie berichtet. Ob mehr Bewegungsfreiheit in der Schulter die Bewegungen weicher machen könnte? Aber erstmal muss der Übeltäter in Sachen Pferdeschulter gefunden werden – und das dauert nicht lange.
Die Bauart – Was ist Kommerz und kann weg?
Tarquin Cosack sieht es mit einem Blick und schraubt zur Verdeutlichung für die Besitzerin kurzerhand den Sattel auseinander: Drinnen verborgen ist eine Kopfeisenstrupfe – das heißt, dass die vordere Sattelgurt-Strupfe am untersten Segment der Kopfeisens befestigt ist. Gurtet man an, zieht sich das Kopfeisen also wie eine Wäscheklammer zusammen und drückt auf den Trapezmuskel.
"Bei einer Kopfeisenstrupfe muss das Kopfeisen zwei Kammerweiten größer gewählt werden", erklärt Cosack. Oft wählten Sattler die Vorgurtstrupfe, um den Sattel zu stabilisieren – und zwar dann, "wenn sie keine Ahnung haben", so Cosack. "In neun von zehn Fällen baue ich die Kopfeisenstrupfe aus", so Cosack.

Auch Wolfrum arbeitet kaum mit der Kopfeisenstrupfe. "Sie macht meistens zu viel Druck auf den Trapezmuskel." Doch warum ist die Strupfe so verbreitet, wenn Physiotherapeut und Sattler sie hier so einig ablehnen? "Die ist für den Konfektionsmarkt erfunden – die Hersteller müssen ihren Händlern ja irgendwas an die Hand geben, mit dem sie zumindest scheinbar Probleme lösen können", so Tarquin Cosack.
"Zeigt das Pferd nach einem Jahr dann endlich, dass etwas nicht passt, kommt das nur gelegen, denn dann kann wieder ein neuer Sattel verkauft werden." Im Leistungssport der Dressur sei die Kopfeisenstrupfe allerdings aufgrund des gezüchteten Gangvermögens teils unabdingbar, so Cosack.
Das Fazit – So einig sind sich Sattler und Physio
Ein Termin, viel Einigkeit bei den Experten, aber auch noch Fragezeichen bei der Pferdebesitzerin: Was soll sie nun konkret tun? Und auf wen hört man am besten?
Stefan Wolfrums Fazit: "Mit der Sattellänge kann man leben, ich würde die Kopfeisenstrupfe entfernen lassen und etwas gleichmäßiger polstern." So sieht es auch Tarquin Cosack, der zudem das zu weite Kopfeisen danach anpassen lassen würde.
Pferdephysiotherapeut Wolfrum empfiehlt der Reiterin außerdem, einen Tick mehr vorwärts zu reiten, viel bergauf und bergab am halblangen Zügel, und die Stute ohne Sattel an der Longe zu arbeiten. Den Schiefstand im Becken würde er von einem Osteo- oder Physiotherapeuten behandeln lassen.
Und wie findet man da den richtigen? "Darauf achten, welchen Hintergrund und welche Ausbildung die Leute haben, ob Sie reiterliches Fachwissen mitbringen", so Wolfrum.
Und, für Tarquin Cosack ganz wichtig: "Jemanden wählen, der aus der eigenen Welt kommt – also keinen Sattler mit Sportpferde-Schwerpunkt für ein Freizeitpferd oder umgekehrt." Denn je besser das passt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er die Sattelpassform für den jeweiligen Zweck richtig einschätzen kann.
Kommentar
Sattler haben zu wenig Ahnung von Anatomie, Pferde-Physiotherapeuten und Osteopathen zu wenig von Sätteln. So ist es leider oft. Dass Sattler so wenig über den Pferdekörper und seine Biomechanik lernen, ist ein Missstand, der dringend behoben gehört. Und Therapeuten sollten sich nur dann zum Thema Sattelpassform äußern, wenn sie auf diesem Gebiet Fachwissen vorweisen können. Denn sonst ist der Pferdebesitzer Halbwissenden ausgeliefert und völlig verwirrt.

Etwas sollte er dagegen allerdings auch selbst tun: den Wissenstand scheinbarer Experten hinterfragen, Qualifikationen erfragen. Was auch hilft: Austausch auf Augenhöhe zwischen Sattlern und Therapeuten – und den können Pferdebesitzer sogar selbst anstoßen. Wenn beide Berufsgruppen ihr Wissen zusammenbringen, profitiert letztlich das Pferd. Natalie Steinmann, CAVALLORedakteurin
Die Experten:
Tarquin Cosack ist Sattlermeister in der eigenen Hofsattlerei Cosack. Dort bildet er auch Reitsport-Sattler aus. Er ist zudem als freier Sachverständiger etwa vor Gericht tätig. hofsattlerei-cosack.de

Stefan Wolfrum ist zertifizierter Pferdephysiotherapeut nach DIPO aus Bayern und betreibt eine mobile Praxis. Zudem arbeitet er als Sattelanpasser bei Iberosattel. pferdephysiotherapie-wolfrum.de
