Gebisse im Test: anatomisch und maulfreundlich?

Ergonomische Gebisse für Pferde im Test
Welche Gebisse für Pferde sind maulfreundlich?

Zuletzt aktualisiert am 30.04.2024

Echte Maulschmeichler?

Das sollen ihre Gebisse sein. Dafür lassen sich Gebiss-Hersteller einiges einfallen – von der anatomischen Form über platzsparende Mundstücke mit geschmeidigen Rollen bis hin zu seitlichen "Flügeln". Wir wollten wissen, wie angenehm fünf verschiedene Gebiss-Modelle tatsächlich fürs Pferd sind – welches Gebiss ist auch für empfindliche Pferde oder bei Anlehnungsproblemen geeignet, welches Gebiss regt zum kauen an? Der CAVALLO-Test betrachtete die Gebisse dabei von zwei Seiten: Zunächst überprüfte Sabrina Sudheimer-Köster, Pferdedentalpraktikerin nach IGFP, wie die Gebisse bei drei Testpferden im Maul lagen. Dressurausbilderin Elke Potucek-Puscha und Bereiter Patric Puscha (www.potucek.de) testeten die fünf Gebisse anschließend beim Reiten und beurteilten das Anlehnungsverhalten der Pferde, ihre Maulaktivität und die Wirkung der Hilfen. Die Testergebnisse zeigen: Jedes Gebiss wirkt individuell. Unser Test kann Ihnen daher zwar gute Anhaltspunkte für die Gebisswahl geben. Ob es dann wirklich passt, lassen Sie aber am besten einen Dentalpraktiker und Ihr Pferd entscheiden.

Welches Gebiss für empfindliche Pferde?

Dicke Gebisse sind zwar sanfter, weil sie den Zügeldruck großflächiger verteilen. Doch für Pferde mit wenig Platz im Maul kann ein zu dickes Gebiss unbequem sein. Wassertrensen sind in der Regel zwischen 14 und 18 Millimeter dick. Für manche Warmblüter sind 14 Millimeter schon zu viel. Dann bleibt die Möglichkeit, eine dünnere Unterlegtrense auszuprobieren, die für die Verwendung mit einem Kandarengebiss gedacht ist.

Auch die Forschung spricht eher für dünnere Gebisse: Niederländische Wissenschaftler maßen bei 15 Warmblütern, wie diese sich beim Reiten mit zwei Gebisstypen fühlen: Dünn mit Zungenfreiheit oder einfach gebrochen und dick. Die Herzfrequenzmessungen zeigten, dass die Pferde mit dem dünneren Gebiss weniger Stress empfanden als mit der dickeren Trense. Auch änderten die Pferde mit dem dünneren Gebiss seltener ihre Kopf-Hals-Haltung – möglicherweise, weil sie weniger oft versuchten, dem Gebisskontakt zu entgehen. An den Lippen bildete sich mit dem dünneren Gebiss etwas weniger Schaum als mit dem dicken – vermutlich, weil die Pferde besser schlucken konnten.

Hartnäckig hält sich der Mythos, dass doppelt gebrochene Gebisse weicher seien als einfach gebrochene. Tatsächlich zeigte eine finnische Studie, dass Verletzungen an den Laden häufiger bei doppelt gebrochenen (10 %) auftraten als bei einfach gebrochenen Trensen (5 %). Hier kommt es auch auf die Vorliebe des Pferds an: Manche sind mit einem einfach gebrochenen Gebiss zufriedener, andere andersherum. Das doppelt gebrochene Gebiss übt mehr Druck auf die Zunge aus, ist aber im Maul beweglicher und könne so zum Kauen anregen. Wichtig ist eine maulfreundliche Bauart: Die Gelenke dürfen nicht zu groß sein, da sie sonst punktuell zu stark auf die Zunge drücken.

Dass einfach gebrochene Trensen wie Nussknacker wirken, ist ein Gerücht. Röntgen-Studien zeigten, dass sich weder Gelenke in Gaumen bohren noch Unterkieferäste beim Pferd gequetscht werden.

Welches Material für Pferdegebiss?

Die meisten Gebisse sind aus Metall. Neben rostfreiem Edelstahl wandern vor allem Kupfer-Legierungen wie Argentan oder Aurigan ins Maul. Bei "Sweet Iron" oxidiert die Oberfläche und sorgt für einen süßlichen Geschmack im Pferdemaul, der zum Kauen anregen soll. Eine Alternative zu Metall liefern Gummi oder Kunststoffe wie Nathe. Um Pferden das Gebiss besonders schmackhaft zu machen, mischen Hersteller bei der Fertigung sogar Fruchtaromen in den Kunststoffbrei. Auch Ledergebisse sollen delikate Pferdemäuler schonen. CAVALLO ließ bereits im Jahr 2004 testen, ob Gebisse Schadstoffe abgeben. Die Ergebnisse waren klar: Zwar traten winzige Mengen an Nickel, Blei und Selen aus. Aber alle Werte lagen weit unter den strengen Grenzwerten für Trinkwasser. Arsen, Cadmium oder Quecksilber wurden nicht nachgewiesen.

Wie muss ein Gebiss im Pferdemaul sitzen?

"Die Zahnkontrolle ist Grundvoraussetzung, um eine Trense anpassen zu können", betont Tierärztin Dr. Johanna Castell. Gerade vor dem Anreiten ist dieser Check Pflicht: "Viele junge Pferde haben Wolfszähne oder scharfe Zahnkanten, die sie beim Reiten extrem stören", warnt die Tierärztin. "Hengstzähne verursachen dagegen nur sehr selten Probleme."

Das Mundstück liegt im Diastema, dem zahnlosen Bereich am Unterkiefer. Nimmt der Reiter die Zügel an, zieht er es zu den Backenzähnen. Auch die Schleimhaut im Inneren der Maulwinkel (Pouchy Flesh) wandert nach hinten und kann sich an scharfen Backenzähnen verletzen. Das verhindert ein sogenannter ‚Bit Seat‘, für den die ersten Backenzähne etwas abgerundet werden.

Wie breit muss ein Gebiss sein?

Zieht das Gebiss die Maulwinkel nach innen, ist es auf jeden Fall zu eng. "Oft finden Sie dann im Innern der Maulwinkel kleine Blutergüsse", sagt Johanna Castell. Liegt das Loch für den Gebissring zu nah am Maulwinkel, besteht bei Wassertrensen generell die Gefahr, dass die Schleimhaut darin eingeklemmt wird. Scheuert das Gebiss dem Pferd die Maulwinkel auf, ist es wahrscheinlich zu hoch eingeschnallt.

Mehr als fünf Millimeter Platz auf jeder Seite sollte nicht zwischen Gebissring und Maulwinkel bleiben. "Je nach Gebiss kann das etwas variieren", sagt Zahnspezialistin Dr. Johanna Castel. "Ein Olivenkopfgebiss kann etwas enger sein, eine Kandare wird dagegen bei passender Unterlegtrense auch ein paar Millimeter weiter gut angenommen."

Woher weiß ich, welches Gebiss mein Pferd braucht?

Sie können anhand des Mauls eingrenzen, welches Gebiss gut passen könnte und welches auf jeden Fall ungeeignet ist. Aber am Ende entscheidet das Pferd, womit es sich am wohlsten fühlt. Ob das Gebiss weit genug ist, können Sie leicht von außen kontrollieren, wenn es im Maul liegt. Für alles andere muss jedoch ein Fachmann in den Rachen schauen. Folgende Punkte spielen eine Rolle:

  • Höhe und Form des Gaumens: Der Gaumen bildet das Dach der Maulhöhle. Je flacher er ist, desto eher gibt es Irritationen. Dicke Gebisse und doppelte Gelenke stören hier leichter als bei hohem Gaumen.
  • Breite der Zunge: Die Zunge polstert die Laden bei Gebissdruck. Je breiter sie ist, desto besser schützt sie. Eine schmale Zunge wird von doppelt gebrochenen Gebissen leicht eingeklemmt, der Druck wirkt punktuell und schmerzhaft.
  • Abstand zwischen Oberkiefer und Lade: Grundsätzlich gilt: Das Gebiss sollte nicht dicker sein als die Hälfte des Abstands zwischen Ober- und Unterkiefer. Noch besser ist, wenn das Mundstück etwas weniger Raum einnimmt. Mit einer Stärke von 16 Millimetern kommen viele Pferde gut zurecht.
  • Form der Knochenkanten: Wie empfindlich die Laden sind, liegt an der Form des Knochens und daran, wie stark das Schleimhautpolster darauf ist. Pferde mit scharfen Knochenkanten und dünner Schleimhaut reagieren auf Zug am Gebiss oft mit Abwehr, da ihre Zunge zwischen Metall und Knochen punktuell gequetscht wird. Neben sanften Zügelhilfen können hier anatomisch geformte Gebisse für Erleichterung sorgen. Sie passen sich der Maulform an und verteilen den Druck so gleichmäßiger.

Was gibt es für Gebissarten?

Die Wassertrense ist das populärste Gebiss. Sie erfüllt perfekt die Bedürfnisse der meisten Reiter. Ihr Name kommt daher, dass Pferde mit ihr noch gut trinken können, anders als mit einer Kandare. Trensenmundstücke sind einfach oder doppelt gebrochen. Reaktion und Maulform des Pferds bestimmen, welche Variante es tragen sollte. Es gibt weitere Mundstück-Variationen, etwa anatomisch gebogen oder mit gedrehtem Mittelstück bei Doppelgelenken. Das Ziel ist mehr Komfort, auch bei dünneren Trensen. Waren klassische Gebisse früher etwa 20 Millimeter stark, sind es heute nur noch 14 bis 16 Millimeter. Der Grund: Im Pferdemaul ist weniger Platz als gedacht. Die Seitenteile von Trensen fallen verschieden aus. Der Klassiker sind lose gleitende Ringe an Wassertrensen. Damit kann das Pferd sich das Gebiss recht frei im Maul zurechtlegen. Bei der Olivenkopf-Trense sind die Ringe ebenso fest mit dem Mundstück verbunden wie bei Schenkel- oder Knebel-Trensen. Sie geben dem Pferdekopf eine klare Führung und erlauben sicheres Reiten auch ohne Reithalfter.

Wir stellen Modelle vor, die weniger verbreitet sind als die Wassertrense oder zu Unrecht einen schlechten Ruf haben:

  • Das Myler-Bit ist außerhalb der Westernreit-Szene eher unbekannt. Das Gebiss ist gleichmäßig dick und wird nicht wie viele andere zu den Maulwinkeln hin dicker. Das drehbare Mittelstück ist flach und liegt daher angenehm auf der Zunge. Zudem verhindert es, dass die Gebiss-Hälften nach unten klappen und die Zunge quetschen. Die Mundstückhälften können unabhängig voneinander bewegt werden und unterstützen so einseitige Zügelhilfen. Vorsicht bei günstigeren Nachbauten: "Dabei ist häufig das Mittelstück zu dick", so Dr. Probst. Pferde, die ein zu dickes Gebiss hatten, seien mit dem dünnen, ruhig im Maul liegenden Myler- Bit meistens sehr zufrieden, so die Expertin. Für FN-Dressurprüfungen nicht zugelassen. Hier können Sie das Myler-Bit direkt bei Amazon bestellen.
  • Das Baucher-Gebiss wirkt auf den ersten Blick, als ob es Anzüge hätte und damit den Zügelzug durch Hebelwirkung verstärkt. Das passiert aber nur, wenn es falschherum verschnallt wird, erklärt Dr. Johanna Probst. Korrekt werden die Zügel an den größeren Ringen befestigt. Der Oberbaum des Gebisses wird mit den kleinen Ringen an die Backenriemen geschnallt. Bei Zügelanzug kippt das Gebiss nach vorne und hebt sich in Richtung Maulwinkel an. Durch diese Bewegung werden die Backenriemen leicht angehoben: Das Genick wird entlastet. Das Baucher-Gebiss spricht mehr die Maulwinkel an und kann damit aufrichtend wirken. "Viele Pferde mögen dieses Gebiss, weil es ruhig und stabil im Maul liegt", so Dr. Probst. Es ist auch doppelt gebrochen und in geringer Stärke (unter 14 mm) erhältlich. Nicht für FN-Turniere zugelassen. Hier können Sie das Baucher-Gebiss von Waldhausen bei Amazon bestellen.
  • Das Stangengebiss ist nur dann scharf, wenn der Reiter es grob einsetzt. Bei sanftem Einsatz haben Stangen einen Vorteil: Sie liegen gleichmäßig auf der Zunge und den Laden auf, was viele Pferde mögen. Dr. Johanna Probst empfiehlt dünne Stangen-Gebisse aus hochwertigem Kunststoff, die leicht biegsam sind (maximal 14 mm dick). Günstigere Kunststoff-Stangen seien oft zu dick (16 oder 18 mm). Nachteil: Keine seitliche Einwirkung, sodass Stellen und Biegen nur über Gewichts- und Schenkelhhilfen möglich sind. Nicht für FN-Dressurprüfungen zugelassen. Hier können Sie das Stangengebiss von Sprenger direkt bei Amazon bestellen.
  • Die Schenkel-(Knebeltrense) bietet Pferden eine stabile Anlehnung und eine gute seitliche Einwirkung. Die Schenkel sorgen dafür, dass das Gebiss ruhig an den Maulwinkeln anliegt und verdeutlichen die richtungs- weisenden Zügelhilfen. Daher besonders geeignet für junge Pferde und solche, die gerne über die Schulter ausbrechen. Einfach und doppelt gebrochen sowie sehr dünn (unter 14 mm) erhältlich, für FN-Turniere zugelassen. Hier können Sie die Schenkel-Trense von Sprenger kaufen.

Warum sollte man ein Pferd mit Gebiss reiten?

In der klassischen Dressur sind Gebisse unverzichtbar. Literatur und erfahrene Praktiker betonen immer wieder, wie wichtig ein aktives Maul ist. Der vom Gebiss ausgelöste Kaureflex kommt Dressurreitern also nicht in die Quere, sondern gerade recht. Er sorgt dafür, dass das Pferd am Gebiss kaut, so im Kiefergelenk nicht verspannt und dadurch auch in Genick und Oberlinie locker bleibt.

Wie oft muss man ein Gebiss wechseln?

Ist ein Gebiss ausgeschlagen, müssen Sie es auswechseln – dabei werden die Gelenke, die die beiden Gebisshälften miteinander oder mit dem Mittelstück verbinden, ausgeschliffen, so dass scharfe Kanten entstehen. Diese können die Zunge des Pferds verletzen.